Sonntag, Dezember 30, 2007

Jaan Kross und die Deutschbalten

Einige zentrale Figuren in Jaan Kross Lebenswerk sind Deutschbalten. Die führende Gesellschaftsschicht in Estland bis 1918. Trotz schwedischer und später russischer Herrschaft blieben sie die "Herren" im Lande. Der Rückgriff auf die Gegensätze zwischen Deutschen und Esten wurde bei Kross allerdings in der Sowjetunion oft als Allegorie auf bestehende Verhältnisse gelesen.
Im Moment habe ich noch keine aktuelle Reaktion von deutschbaltischer Seite im Internet gefunden (siehe letzter Post), aber sie sind noch vorhanden, zum Beispiel durch die Baltisch Historische Kommission
Ein anderes Beispiel: Im Jahr 1996 trafen noch beide Seiten aufeinander. Am Rande der Tagung zu 5 Jahre Unabhängigkeit des Baltikums in Münster, wo Jaan Kross eine Lesung hielt. Auszüge aus seinem Roman: Das Leben des Baltharsar Rüssow.
Anmerkung, es gab zeitweise eine Diskussion über das Estnischsein der Zentralfigur des Romans.
Das Foto, links Boris Meissner, geboren in Pscov, Dr. Garleff, und Bernd Nielsen Stokkeby 2. von rechts in Münster 1996.
Deutchbalten

Update 1.1.2008
Nicht mehr überraschend und ein Zeichen der Veränderungen seit 1991: einer der längsten und emotionalsten deutschsprachigen Rückblicke auf Jaan Kross wurde in NeueZürcherZeitung (Schweiz) veröffentlicht:
Auf der Landkarte Europas ein Ort
Die Neuerfindung der Nation – zum Tod des grossen estnischen Erzählers Jaan Kross

Donnerstag, Dezember 27, 2007

Jaan Kross 1920-2007

Ausgrabungen Estnische Ausgabe von 1990

Gegenwärtig der bekannteste Schriftsteller Estlands im deutschsprachigen Raum, Jaan Kross, ist heute gestorben.
Larko mit einer der ersten Reaktionen:

I just heard in the radio and read in the paper that the great Estonian writer Jaan Kross passed away today at the age of 87. He was repeatedly nominated for the Nobel price in literature but was unfortunately never rewarded.


Hendrik Markgraf hat 1990 für die FAZ Jaan Kross besucht. Eine Passage aus "Gedächtnis und Denker der Esten":

In der Großen Batteriestraße wohnte seine Familie. In dieser Straße steht auch das Gefängnis. "Dort habe ich zweimal gesessen", sagt der Schriftsteller, zieht die buschigen Augenbrauen spöttisch hoch und fügt hinzu: "Am 21. April 1944 wurde ich, dem Führer zum Geburtstag, verhaftet."
Von den deutschen Besatzern. Kross, damals Jurastudent, sympathisierte mit der "Dritten Möglichkeit", einer Gruppierung, die sich für ein unabhängiges Estland stark machte. Für eine Republik, in der er am 19. Februar 1920 hineingeboren worden ist, siebzehn Tage nach dem Dorpater Frieden, in dem die Sowjetunion Estland Souverenität garantierte.
Bis 1940. ...

1946 wird er wieder verhaftet. Dieses Mal von den Russen. Und dieses mal dauert die Haftzeit länger als vier Monate. Nicht geändert hat sich der Anlaß seiner Festnahme: Kross' Nähe zur "Dritten Möglichkeit". Der Este als Opfer deutsch-russischer Zusammenarbeit. "Es war, als wollten die Russen mich dafür strafen, wofür die Deutschen keine Zeit gehabt hatten.


Hier ein älterer Post über Jaan Kross und Lennart Meri: Zwei Freunde

Liisas Litblog mit einem Verweis auf einen lesenswerten Artikel über Jaan Kross in der NZZ von 2002.

Ausführlicher Lebenslauf bei Pegasos einer finnischen Literaturseite: Jaan Kross

Sonntag, Dezember 23, 2007

Weg mit der Leitplanke -Schengen Nachtrag

Im letzten Post ist eine Leitplanke als Grenzbefestigung zwischen Lettland und Estland zu sehen. Diese ist nun unter den Augen von Präsident Hendrik Ilves verschwunden. Der Videobericht in der Postimees.

Thousands of people had been gathering through Thursday evening on both sides of the border in Valka, Latvia and Valga, Estonia, awaiting the historic moment.

"Today, we the leaders of two towns stand on the border of Latvia and Estonia," Valka's mayor Unda Ozolina told the crowd minutes before midnight. "This is the moment when Valga and Valka will really start living as one town."

Cameras flashed as the gates went up and people trickled into the border area from Latvia and Estonia. People cheered and clapped as two streams began to merge into a large crowd on the border.

"Good evening, Estonia," one young Latvian man yelled in the crowd crossing the border.


Zitat aus EARTHtimes.

Ein Kanadier aus Finnland hat sich extra auf den Weg dorthin gemacht und war zur eigenen Überraschung einer der letzten, die nach alter Rechtslage die Grenze überschritten: § Valga - Valka : 1 linn, 2 riiki - 1 pilsēta, 2 valstis
Von Martin-Éric Racine
Upon returning to the border, just minutes before midnight, I found myself in the middle of a huge crowd of villagers, police officers, border guards and politicians from both countries - barely getting noticed by anyone. I handed my passport to an Estonian border guard who emotionally commented to a civilian friend of his nearby that, "Wow! That was the last one!", handing me my passport back just as the midnight bells rang and the mayor of the Estonian side started his speech amidst pyrotechnics lining the road.


Larko im Rückblick auf seine früheren Grenzerlebnisse: Valga/Valka twin town.

Aleks von All about Latvia war in Valka und Tallinn: Schengen in Tallinn

Mittwoch, Dezember 19, 2007

Valga/Valka ohne Grenzkontrollen Teil 3

Ein kleiner geschichtlicher Rückblick auf die Grenzziehung zwischen Lettland und Estland nach dem 1. Weltkrieg, Georg von Rauch in "Geschichte der baltischen Staaten". Er nennt die beiden Städte Walk (dt.), aus der Zeit als die beiden Teile noch eine gemeinsame Verwaltung hatten:

Neben Haynasch an der Küste des Rigaeschen Meerbusens und der Insel Runö ging es hierbei vor allem um die Grenzstadt Walk. Nach der Volkszählung von 1897 hatten hier 4453 Letten und 3594 Esten gelebt; bei den Stadtverordnetenwahlen von 1917 erhielten die Letten die Mehrheit der Mandate. Als die Streitfrage wegen Walk 1919 erörtert wurde, wiesen die Esten darauf hin, die lettische Mehrheit sei nur durch die Flüchtlinge zustande gekommen, wogegen die Letten betonten, Walk sei Kreisstadt eines von Letten bewohnten Gebietes, und von den fünf sich hier kreuzenden Eisenbahnlinien kämen drei aus Lettland. Die Entscheidung fiel durch eine von einer gemischten Kommission unter Vorsitz des englischen Oberst Tallents ausgearbeitete Konvention vom 22. März 1920. Die Esten verzichteten auf Haynasch, die Letten auf Runö,Walk wurde zwischen beiden Staaten geteilt.


Runö ist die Insel Ruhno; so blieben die Letten ohne eigene richtige Insel. Aber das ist eine andere Geschichte.

1991 war die neuerliche Trennung vollzogen, noch liefen sowjetische Betriebe weiter, wie diese Fabrik in Valka, aber für die Pendler, die jetzt auf der anderen Seite wohnten, begann die Zeit der zum Teil umständlichen Grenzkontrollen.
Valka 1992 Latvia
Die Kolchosen, deren Skelettbauten nun häufig im Baltikum herumstehen, wurden zum Beispiel von Sägewerken abgelöst:
Valka sawmill
Die alten Schweineställe der Kolchose:
left kolchos

Diese Strassenpartien waren ab jetzt ganz geschlossen, am 21. Dezember wird auch das Historie sein:
Valga border III
Der Blick oben nach Valka in Lettland und umgekehrt nach Valga in Estland auf der gleichen Straße:
Valga border

Jan S. Krogh hat vor Jahren die Grenzmarkierungen fotografiert und teilweise mit Kommentaren versehen: Valga/Valka
Technische Uni Chemnitz beim Besuch des ehemaligen Bürgermeisters von Valka, Vents Krauklis, 2006
Besuch der lettisch-estnischen Grenzstadt Valka-Valga
Und
Valga und Valka - Geteilt durch eine „Berliner Mauer“
von Herle Forbrich
Europa-Universität Viadrina Frankfurt(Oder)2004

Montag, Dezember 17, 2007

Ohne Grenzkontrollen Teil 2

Aleks war schneller mit seinem Post in seinem Blog: All About Latvia. Er hat vor kurzem Valka besucht. Lange Jahre verbrachte er in den USA und ist nun nach Riga zurückgekehrt. Sein Eindruck von Valka, der lettischen Kleinstadt, in der bald die Grenzkontrollen nach Estland wegfallen, A Tale of Two Cities:

Everyone indeed knew everyone. An older gentleman called on a driver by name to stop the bus at a local hospital. People chit-chat about life in the bid city, brushing me with their glances. And I realize before I even say a word, everyone knows I’m a stranger in these parts.


Er meint, jeder kenne jeden, und das ist auch mein Eindruck von Valka der Grenzstadt zu Valga, Estland. 1991 war Schluss mit der Sowjetunion und die Grenzkontrollen waren neu in dieser doppelten Stadt. Obwohl so ganz neu auch nicht, bereits in der ersten Unabhängigkeitszeit bis 1940 war diese Grenze vorhanden.
Eesti Vabariik
Das Schild Eesti Vabariik 1991 gerade neu aufgestellt.

16 Jahre später sieht es so aus. Der Blick auf den lettischen Grenzposten Richtung Valga:
Valga border II

Aber 7000 Einwohner für Valka klingt sehr nach Provinz. Na und! Dafür haben die Einheimischen andere Freizeitbeschäftigungen als die Rigaer oder Tallinner. Zum Beispiel Elche erlegen im Winter. Die nächste Saison ist angebrochen und das deutsche traditionelle Halali findet hier eher nicht statt:
Elk hunting in Latvia
Die Jugend fährt auch gerne Auto jenseits der Zentren, und die Besten nehmen an nationalen Rallymeisterschaften teil:
lesalnieks
Zur Abwechslung fährt man ab und zu nach Valga auf die estnische Seite:
Valga
Valga war mal eine wichtige Bahnstation Richtung Osten. Davon zeugen nicht nur die vielen Gleise sondern auch dieses museale Technikrelikt:
Valga train
Valga hat mehr Einwohner, aber auf den ersten Blick ist das schwer zu erkennen. Die beiden Städte haben kein dichtgedrängtes Zentrum, eine Flussniederung windet sich durch die Ansiedlungen. Die Grenzziehung wird dadurch nur an zwei Strassenzügen auffällig, die Fotos dazu im nächsten Teil.

Samstag, Dezember 15, 2007

Ohne Grenzen- wegfallende Grenzkontrollen Teil 1

Europa ohne Grenzkontrollen, allmählich kommen wir dem Ziel näher. Wieder wird der Schengen-Raum erweitert. Was früher unter den skandinavischen Staaten üblich war und später unter einigen Mitgliedern der EU, dehnt sich jetzt nach Nordosteuropa aus. Zwischen Valka/Lettland und Valga/Estland werden am 21. Dezember feierlich die Grenzkontrollen abgeschafft.
Bis dahin war es ein weiter Weg, und er wurde auch voreilig kritisch begleitet. Mit der Unabhängigkeit der baltischen Staaten stöhnten nicht wenige vorwurfsvoll in Deutschland: "Schon wieder neue Grenzen in Europa und wir (EU) sind dabei sie abzuschaffen".
Unter Umständen ist sowas auch ohne EU- Mitgliedschaft möglich. Aber das haben nur Länder wie Norwegen (kein EU Land) und die anderen drei Nachbarländer Dänemark, Schweden und Finnland schon vor Jahrzehnten untereinander hinbekommen.
Valka und Valga sind die beiden Orte, die 1991 mit zu meinen ersten Baltikum-Erfahrungen gehören. Und diese Grenze zwischen Estland und Lettland ist indirekt schuld daran, dass mir 1992 von einer Behörde in Tallinn eröffnet wurde, dass ich mich seit einiger Zeit illegal im Lande aufhalte. Ein ziemlicher Schreck.
Eingereist war ich nach der Jahreswende 1991/1992 bereits ein zweites Mal, nun mit einem Visa der estnischen Botschaft in Deutschland, das für 3 Monate ausgestellt wurde. Aber merkwürdigerweise erkannte Tallinn gar nicht solche Visa an. Ich hatte es befürchtet. Von Tartu aus war ich des öfteren bei Freunden in Valka/Lettland. Ein Grenzübertritt und ich hätte nur den Pass stempeln lassen müssen nach einer gewissen Zeit, um eine Ausreise anzuzeigen. Einmal fragte ich einen estnischen Grenzposten deswegen, aber er war ahnungslos, er telefonierte mit einem Vorgesetzten und der meinte es sei alles kein Problem. Das Visa sei korrekt. Aber dieser Ausreise-Stempel fehlte dann, ich hatte den Daueraufenthalts-Zeitraum überschritten. Da man das Land damals nur mit einer offiziellen/dokumentierten Einladung betreten durfte (die Grenzkontrollen in Tallinn wurden noch von SU-Vertretern durchgeführt - trotz Unabhängigkeit), musste ich laut Anweisungen in Tallinn eine Strafrunde nach Tartu unternehmen. Denn von dort stammten die Einladungsdokumente. Nachdem ich dort also den Aufenthalt wieder offiziell bestätigt und eine gewisse Gebühr entrichtet hatte, war die Sache bereinigt. Das vorherige dreimonatige Reisevisum war ungültig. Stattdessen hatte ich jetzt eine Aufenthaltsgenehmigung.

Mittwoch, Dezember 12, 2007

Rotermann und das Neue Tallinn

Diese 150 Jahre alte Hausfassade wird stehen bleiben, dahinter ensteht die neue Metro Plaza - mit Glasfassade. Seit Jahren hat Tallinn bereits eine erweiterte Stadtkulisse, neben dem Domberg und Unterstadt nun ein Hochhaus-Viertel. Jenseits der Altstadt werden in den kommenden Jahren ausgedehnte Architekturplanungen vollzogen. Darunter das Rotermann Quartier in Erinnung an den gleichnamigen Industriellen in Tallinn im 19. Jahrhundert.
Hier eine aufwendige virtuelle Tour durch das Viertel, vielleicht 2009.
Über den Umbruch gibt es einen herausragenden Thread mit vielen Photos, bei skyscraper.com: all around estonia .
Kalle Komissarov


Prologue

The Rotermann quarter is like a tiresome relative. You see him infrequently enough that you need not sincerely smile when you meet. At the same time, you have forgotten his mental distress – you don’t remember whom he is now sleeping with, where he works and what might otherwise be wrong with him.
I claim that this quarter is the most thoroughly studied district in the centre of Tallinn, also perhaps in the entire Republic of Estonia. The best resources have been brought in to work on it


in Estonian Architectural Review, The Rotermann Saga.

Samstag, Dezember 08, 2007

„Ehstland“ oder „Ästland“

Wie man dieses Land ausspricht und ob die Sprache nun „Estnisch“ oder „Estisch“ heißt, daß werde ich häufig gefragt. Der Staat, in welchem diese Sprache gesprochen wird, heißt offiziell „Eesti Vabariik“ (Republik Estland) oder auch „Eestimaa“, was die direkte Übersetzung von Estland ist. Auf Estnisch, so heißt diese Sprache, wird das E lang und geschlossen gesprochen, darum halte ich es im Deutschen auch so. Die Aussprache ist jedoch auch eine Frage der deutschen Mundart.

Estnisch ist keine baltische Sprache, wie Lettisch und Litauisch, auch wenn man im Deutschen vom Baltikum spricht, sondern es handelt sich um eine finno-ugrische Sprache, deren nächster Verwandter das Finnische ist. Oft behaupten Esten, man verstünde Finnisch. Sie vergessen dabei, daß sie zu sowjetischen Zeiten via Fernsehen die Sprache erlernt haben. Die Finnen verstehen kein Estnisch, und ich, der ich des Estnischen mächtig bin, verstehe kein Finnisch.

In der Regel schlagen alle immer die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich erwähne, daß das Estnische 14 Fälle hat, dunkle Erinnerungen an Grammatikstunden kommen hoch. Doch dieser Umstand macht keineswegs den Schwierigkeitsgrad der Sprache aus. Die Endungen der Fälle ersetzen nämlich nur, was im Deutschen Präpositionen leisten: so gibt es den „Mitfall“ und den „Ohnefall“. „Koorega“ bedeutet mit Sahne, „Kooreta“ hingegen ohne.

Was die estnische Sprache für den Ausländer zu erlernen anstrengend macht, ist ihre Unregelmäßigkeit. Wie ich zu sagen pflege, die Regel ist die Ausnahme und die Ausnahme die Regel. So ist der Anfänger gezwungen, die ersten drei Fälle des Singulars und den zweiten und dritten Fall im Plural zunächst auswendig zu lernen, denn die Wortstämme ändern sich teilweise grundlegend: „vesi, vee, vett“ bedeutet Wasser. Freilich gibt es Flexionsstrukturen, aber auch diese sind so umfangreich, daß sie so dick sind wie ein Wörterbuch.

Aber dies gilt nicht nur für die Substantive, sondern auch für die Verben. Nicht genug damit, daß es zwei Infinitive gibt, deren Verwendung außerdem noch verstanden werden muß, sondern sie heißen „ma“ und „da“ und sollten eigentlich auch so enden. Doch das ist eben nicht immer so. „Minema“ heißt gehen, aber der da-Infinitiv heißt statt „mineda“ leider „minna“. Die Infinitivendung durch ein N ersetzend wird normalerweise die erste Person Singular gebildet. Ich gehe heißt aber statt „minen“ bedauerlicherweise „lähen“, also ein vollständig anderes Wort. Mit „läksin“ statt „minesin“ gilt dies für die Vergangenheit ein zweites Mal.

In der Rechtschreibung wird der unbedarfte Beobachter registrieren, daß die Esten wie die Deutschen über Umlaute verfügen, allerdings gibt es noch einen Vokal, den die deutsche Sprache nicht kennt: das Õ, das O mit der Tilde. Dieser Buchstabe spricht sich ähnlich dem hartem I im Russischen: „Ы“. Gesprochen wird es, für jene, die sich mit Phonetik auskennen: die Lippen in E-Stellung, die Zunge aber in O-Stellung.

Auffällig auf den Straßenschildern sind ebenfalls die vielen Doppelbuchstaben. Die estnische Sprache kennt drei Lautlängen: kurz, lang und ganz lang. Und dies bezieht sich im Unterschied zum Deutschen auch auf Konsonanten. Lange und ganz lange Laute werden mit zwei Buchstaben geschrieben, so daß man diesen Unterschied einfach kennen muß. Die korrekte Aussprache ist nicht ganz unwichtig, was sich am klassischen Beispiel demonstrieren läßt: „sada“ (siehe 100 EEK mit Lydia Koidula) bedeutet 100. „Saada“ hingegen heißt schicken und „saada“ mit ganz langem A wiederum empfangen.

Die Esten kennen auch Palatalisierungen, also Erweichungen, kennzeichnen diese aber im Gegenteil zu anderen Sprachen nicht. Das bei der Hauptstadt „Tallinn“ das doppelte N und L palatalisiert wird, muß man wissen. Ebenso verhält es sich etwa beim S in „poiss“, Junge.
Überhaupt ist Estnisch sehr vokalreich. Das Estnische Institut wirbt mit dem Begriff „hauaööõudused“, der zwar tatsächlich eine Bedeutung hat, aber denn doch eine eher unsinnige: „Haud“ ist das Grab, „öö“ die Nacht und „õudused“ die Schrecken. Mein Lieblingswort hingegen ist „öötöö“, also vier Ö mit einem T in der Mitte. „Öö“ bedeutet wie erwähnt Nacht, „töö“ ist die Arbeit.
Aber neben allen diesen Besonderheiten gibt es weitere. Das Estnische kennt nämlich kein Futurum. Auch im Deutschen sagt selten jemand „morgen werde ich in die Stadt gehen“, die Benutzung des Adverbs der Zeit genügt. Die Esten sind aber darauf angewiesen und verwenden sonst das Verb „hakkama“, was soviel wie beginnen bedeutet.
Außerdem kennen die Esten kein grammatikalisches Geschlecht, weshalb Esten in der Fremdsprache über dritte Personen berichtend oft zwischen er und sie hin und her wechseln, so daß man am Ende geneigt ist zu sagen, das dies ja alles sehr interessant ist, aber war es nun ein Mann oder eine Frau?
Mich verleitet das immer zu einem Scherz – und da haben auch die Esten genug Humor: die Esten haben kein Geschlecht und keine Zukunft.

Eine Brücke In Tartu

Russland hat gewählt. Ob demokratisch oder nicht überlasse ich anderen. Vielleicht war es tatsächlich der Mehrheitswille.
Für das estnisch-russische Verhältnis bedeutet es wahrscheinlich, dass es so weiter geht wie zuvor. Es bleibt angespannt. Manche der estophilen Blogger fragten, was es denn so an gemeinsamen Symbolen gibt, die beide Länder verbindet. Und an die man anknüpfen könne. Vielleicht diese Brücke, eine der schmerzlich vermissten Architekturen, die seit 1945 fehlen:
Eine Brücke in Tartu
Der Zustand im 1. Weltkrieg:
Tartu bridge

Der Kommentar von Valdo Praust dazu:
The bridge was built after the order of Russian Emperoress Katharine the 2nd between 1776-84. The architects of the bridge were J.C. Siegfrieden and J.R. Zaklowsky.

The bridge was blown up during the WWII in July 1941 a day before the Soviet troops withdrawal from Tartu. The last remains of the bridge was second time blown up in summer 1944 during the German troops withdrawal from Tartu. Now there are the modern pedestrian's bridge instead the historical one.


Und ein Postkartenfund:
Market in Tartu Estonia
Weitere Perspektiven:
Luftbild 1. Weltkrieg
Und stromaufwärts:
Emajögi

Dienstag, Dezember 04, 2007

Estland im Silicon Valley (USA)

Dieses Photo erinnert mich daran, dass Ross Mayfield (links im Photo) einer der Vorbilder war, warum ich selber angefangen habe zu bloggen. Das ist drei Jahre her.
Ross war in der 90ern unter anderem für die Gestaltung der Webseite des estnischen Präsidenten Lennart Meri zuständig. Er ist mit einer Estin verheiratet, (im Photo neben dem estnischen Premierminister Andrus Ansip). Ross lebte einige Zeit in Estland, jetzt ist er ein Unternehmer im berüchtigten Silicon Valley in Palo Alto. Und jetzt kommt alles zusammen. Estland hat eine Art technische Botschaft dort eröffnet. Das schon oft zitierte IT-Land Estonia wird nun noch mehr Resonanz in der Webszene finden.
Ross hat an der Eröffnung teilgenommen und natürlich einen Post dazu verfasst, der mit Techdaten über Estland und zahlreichen Links bestückt ist.
My dinner with Andrus

Daraus zitiert ein Hinweis, welche Vorteile kleine Länder in einer sich schneller entwickelnden Welt haben:
Estonia has long promoted the investment opportunity of using Estonia as a small test market for new products. I believe there is a real opportunity as a test market for new identity services. The infrastructure and consumer preferences of the future are in place there today.



weitere Berichte:
Estonia comes to Silicon Valley
Estonia's prime minister talks business tech

Update 5.11.
Und hier ein Beispiel wie Estland ein reales Modell für "Identity Services" werden könnte. Ross diskutiert das bereits:
Test Market for Identity Services and Policy

Nicht mehr ganz einfach ist Ross erster Post zu finden im Oktober 2002! Wer wissen will, wie damals das Bloggen von ihm beurteilt wurde im Unterschied zum Publizieren vorher, hier der Post:
framing weblogs

Montag, Dezember 03, 2007

Nachtrag zum Welt-AIDS-Tag

Auch wir erkläen uns solidarisch - aber erklären das Problem für längst bekannt: Estland hat im Verhältnis zur Bevölkerungszahl eine der höchsten AIDS-Infektionsraten in Europa. Eine aktuelle Zusammenfassung der Thematik bringt zum Beispiel der Luthersche Weltbund auf seiner Homepage. 504 Neuinfektionen pro eine Million Einwohner - das sagt die Statistik, und sehr viel mehr Einwohner hat nunmal Estland gar nicht.

Robert von Lucius schrieb allerdings schon vor 2 Jahren in einem Beitrag für die FAZ ganz Ähnliches. Genauso der ZEIT-Beitrag aus 2004. Die Finanzierung für Hilfsprogramme käme meist aus dem Ausland, und in den zuständigen Ministerien werde die Thematik als "Probleme von Randgruppen" verdrängt. Die Krankheit werde aber inzwischen nicht mehr nur durch Drogenkonsum übertragen, sagen aktuelle Analysen. Und die Ärzte in Narwa sagen: "Die Betroffenen wagen nicht offen über ihre Krankheit zu sprechen."

Nun versucht die evangelische Kirche offenbar, ihre Kirchengemeinden in Estland für die Probleme zu sensibilisieren. Im Beitrag des Lutherischen Weltbunds ist von den Schwierigkeiten zu lesen: "Warum sollen wir etwas tun, wenn wir doch keine Erkrankten in unserer Kirchengemeinde haben?" Bei der Diakonie Kurhessen-Waldeck ist zu lesen, dass sich eine estnische Delegation auch schon zum Informationsaustausch in Deutschland befand. Ob es etwas bringt gegen das Totschweigen (schrecklich treffender Begriff in diesem Fall) - vielleicht demnächst an gleicher Stelle zu lesen.

Mehr Infos:
Aktionskampagne gegen Aids

Deutsche AIDS-Stiftung

HIV-inside zu Estland

Infoseite des estnischen Sozialministeriums

Estnisches Gesundheitsinstitut

Analyse estnischer Anti-AIDS-Programme

NGO Aids-Vorbeugezentrum Tallinn

Freitag, November 30, 2007

Magnus der Film - Treiler

Magnus ist als Kinofilm konzipiert und wurde bereits bei mehreren Festivals unter anderem in Frankreich, Polen und Korea vorgestellt. Im Oktober haben wir darüber berichtet. Nun sind die Treiler im Netz verfügbar, aber die Frage bleibt, ob Magnus in Estland veröffentlicht werden darf. Die Geschichte des Films wurde vor dem Hintergrund einer wahren Tragödie entwickelt.
Magnus is a sensitive boy from a family where no-one really cares about him. His parents consider that given food and shelter, their children will just grow up on their own. As a child Magnus suffers from a potentially fatal lung disease and he plays bizarre games to cheat death. Ten years later modern medicine has cured the disease, but Magnus' death wish continues. After his second attempt to take his own life his father's conscience finally awakens. He tries to convince his son to go on living, applying some rather unorthodox techniques.

Erst muss in einem Gerichtsverfahren geklärt werden, ob eine Person, die meint sich darin wieder zu erkennen und gegen die Veröffentlichung prozessiert, diesen Prozess gewinnt. Jedenfalls ist es für mich eine der bemerkenswertensten Produktionen aus Estland, die ich bisher gesehen habe, Der Treiler Teil 1

Hier die übrigen Teile auf der Magnus-Hauptseite.
Mart Laisk spielt den Vater, und damit einen Teil seiner Biografie. Etwas schwer verdaulich sind seine Rückblicke auf sein reales Leben:
Mart Laisk, who plays Magnus' father, did let his 17-year-old son go: he stood at the edge of the field while his son walked into the forest with a rope. Later he found the dead hanging body. Yes, that was a shock, he said, the actual hanging body.

At the time," he explained. "I thought it was the best thing. The boy was suffering so much. And I myself knew what it meant to suffer. I was depressed all through my thirties. I thought my son was making a good decision."

zitiert aus brightlights film journal.
Die Filmdirektorin bei der Suche nach Drehorten in Estland, hier ein Youtube-Video "Magnus location tour"
Wie schwierig es war ein unabhängiges Filmprojekt zu starten und zum Abschluss zu bringen, zeigt ein Interview im Avanti newsletter.

Mittwoch, November 28, 2007

Déjà vu in Tallinn



Der Rubel, Währung in Estland bis Sommer 1992. Darauf in mehreren Sprachen "Kümme Rubla" für die Estnische Sowjetrepublik in der Sowjetunion.

Wann hat es das letzte Mal Warteschlangen vor Wechselstuben und Banken gegeben in Estland? 1992 wurde der Rubel von der Eesti Kroon abgelöst. Vorher hatte es noch eine Rubelkrise gegeben. Obwohl die Inflation damals "galoppierte" gab es keine Geldscheine, kein Bargeld. Selbst mit Westwährung kam man nicht weiter, weil die Rubelscheine nur sporadisch ausgegeben wurden. Das ist über 15 Jahre her. In Tartu konnte es Tage dauern bis man Glück hatte Rubel in die Hände zu bekommen.

In russischsprachigen Internetseiten wurde nun kürzlich ein Gedankenspiel vorgenommen, das für manche sehr plausibel erschien. Die estnische Krone würde abgewertet und der Zeitpunkt stünde gerade bevor. Folge: Fast nur russischsprachige Bürger machten sich auf, um ihr Geld in andere Währungen umzusetzen. Sie werden dafür nun doppelt bestraft. Wer zurückwechselt hat zweimal die Kommission an die Bank bezahlt.

Flasher_T und Giustino mit ihren jeweiligen Posts zu den Ereignissen.

Giustino:
This was Tallinn, after all, the place where crazy things happen. To your average Estonian, who is female, speaks Estonian as a first language, doesn't live in Tallinn, and is between the ages of 45 and 49, the capital must increasingly look like some revolving circus of riots, stag parties, ugly post-modern buildings, and devaluation fears. It is the capital of Estonia, sure. The only problem is that it doesn't look too much like the Estonia most Estonians see from their kitchen windows.



Montag, November 26, 2007

Europäische Geschichte - Der Holodomor

Wird es jemals eine gleiche Bewertung historischer Ereignisse in Europa geben? Eigentlich eine Voraussetzung für einen vereinten Kontinent. Die Chancen sind gering. Es war schon ein außergewöhnliches Projekt ein französisch-deutsches Schulbuch herauszubringen. Hier das Goethe Institut dazu:
Es ist bekannt, dass gerade Geschichtsschulbücher immer auch Identitätsangebote unterbreiten. Früher waren das meist nationale, nicht selten auch nationalistische. Was könnte im 21. Jahrhundert, also in Zeiten, in denen Europaeuphorie und Europaskepsis dicht beieinander liegen, vor diesem Hintergrund sinnvoller erscheinen, als mit einem Lehr- und Lernmittel zur Bildung eines europäischen Geschichtsbewusstseins beitragen zu wollen? Denn das Buch ist nach Aussagen seiner Herausgeber keine Darstellung der deutsch-französischen Beziehungsgeschichte, sondern eine deutsch-französische Sicht auf die europäische Nachkriegsgeschichte. Im Vorwort von Histoire/Geschichte - Europa und die Welt seit 1945 heißt es dazu: "Nie kamen junge Leute in Deutschland und Frankreich so eng in Berührung mit der Geschichte des anderen und dazu noch in einer europäischen und weltoffenen Perspektive..."

Ein Beispiel dafür wie weit wir von gemeinsamen Sichtweisen entfernt sind: Wissen wir, dass gestern einer der Hauptgedenktage in der Ukraine stattgefunden hat? Immerhin wird dem Verlust mehrerer Millionen Menschen gedacht.

The Day of Victims of Famine and political repression is commemorated annually in Ukraine on November 26.

On the international level, the tragedy of Ukrainians was recognized by the Joint Statement of the 58th Plenary Session of the UN General Assembly on the Seventieth Anniversary of the Holomodor (artificial famine) in Ukraine – the document, which was supported by 63 countries, including all 25 EU member-states of that time.

At the same time, the act of genocide against Ukrainians was recognized by the parliaments of Argentina, Australia, Canada, Estonia, Georgia, Hungary, Italy, Lithuania, Poland and the USA[1].

Ukrainians feel a special gratitude to Ukrainian Diaspora, which started the elucidation of Holodomor in the 80th, when this topic was still forbidden by agonizing Soviet regime.

The monuments and memorial signs for victims of Famine and political repressions could be seen in Australia, Austria, Argentina, Belgium, Estonia, Hungary, Kazakhstan, Canada, Russia, and the USA.


Es ist nicht erstaunlich, dass Deutschland in dieser Liste fehlt. Dazu ist die eigene Geschichte zu tief mit dem Nationalsozialismus verbunden und den Opfern, den diese Ideologie gekostet hat. Weder hier noch weniger beim Holodomor sind alle Geschichten erzählt von noch Überlebenden. Zum Beispiel wissen erst seit einigen Jahren von Zwangsarbeitern aus der SU, der Ukraine im 2. Weltkrieg und ihren individuellen Leidenswegen. Denn die Rückkehrer in der SU wurden wie Verräter gesehen, viele haben ihre ersten Schilderungen bei Besuchen in Deutschland wiedergegeben, sich nie getraut zu Hause davon zu berichten. Beim Holodomor ist es ähnlich. 60 Jahre hätte das Thema nur Schwierigkeiten für die Nachkommen und Überlebenden verursacht. Veronica hat in ihrem Blog sich die Mühe gemacht, russische und ukrainische Stimmen ins Englische zu übersetzen. Auf Deutsch gibt es noch weniger Quellen.

Auszug:
My grandmother told me how from her family of nine children only five survived. She told me how they ate [ocheret - reed] and rotten potatoes. How the Commies were taking away all wheat and farm animals, and how at night they gathered wheat spikes at the field and some of them survived thanks to that. She told me about the village cannibals and one person who ate her own child. She told me about the man who had lost his mind and was chasing them around with an ax, and how she had barely managed to escape...

It's a sad date today. Eternal memory...

Freitag, November 23, 2007

Der Fenstersturz von Echternach

Seit langem plane ich einen zweiten Post über den Freiheitskämpferbund in Estland der 30er Jahre. Diese Gruppierung spielt eine Rolle, warum Estland von einem Präsidenten seit 1934 autoritär regiert wurde mit Anfängen einer neuen parlamentarischen Ausrichtung um 1939.

Eine der Schlüsselfiguren, des auch als faschistisch bezeichneten Freiheitskämpferbunds, starb in Luxemburg im Exil. Nicht in Deutschland, was nach dieser Lesart nahe liegend wäre. Warum Luxemburg? Wenigstens ist dieses Detail jetzt bei Wikipedia zu finden, einige leisten hier Fleißarbeit:

Die Gruppe stand nach erfolgreichen Regionalwahlen 1933 kurz vor der Machtübernahme, wurde aber 1934 von Konstantin Päts verboten. Sirk konnte sich seiner Inhaftierung durch eine Flucht nach Finnland entziehen, wo er in der Lapua-Bewegung Verbündete hatte. Er liess sich dann in Luxemburg nieder. Die Rückkehr nach Estland war ihm wegen zweier gescheiterter Umsturzversuche seiner Bewegung 1934 und 1935 verwehrt.[1]

Sirk starb nach einem Sturz aus dem Fenster eines Hotels in Echternach. Estnische Geschichtswissenschaftler, darunter Pusta[2] und Tomingas[3] beschuldigten Agenten der Regierung Päts der Defenestration, obwohl die örtliche Polizei in Luxemburg von einem Selbstmord ausging.


Artur Sirk in Wikipedia, es wird wohl eine Weile dauern bis weitere Informationen bei Wikipedia hinzugefügt werden.

Sonntag, November 18, 2007

Down Town - Unterwelt Tartu II


Down Town
Originally uploaded by Flasher T
Das ist Flasher_Ts Foto der Grabungsfläche im März, im letzten Post die Situation von Juli mit den Archäologen bei der Arbeit. Tartu am Rathausplatz.

Freitag, November 16, 2007

Unterwelt Tartu


Zoo
Originally uploaded by decade_null
decade_null hat dieses Foto zwar mit "Zoo" betitelt und gerade veröffentlicht, aber es ist Alltag der Archäologen in alten Städten beim Ausgraben beobachtet zu werden. Die Aufnahme scheint im Juli gemacht worden zu sein. Und was gut zu erkennen ist, dass die Archäologen einige Meter tiefer gehen müssen, um an die ältesten Zivilisationsspuren zu kommen.
Leider habe ich im Moment keine weitergehenden Informationen zu dieser Ausgrabung bei der Hand. Aber aus dem Foto lese ich heraus, dass sie wahrscheinlich im Bereich von Mittelalterfundamenten arbeiten, die mit ihren Häuserfluchten nicht mit der "modernen" Struktur und Wegeführung übereinstimmen müssen. Das mittelalterliche Tartu wird wahrscheinlich andere Grundzüge gehabt haben. Lediglich die Jaanikirche, Reste der Stadtmauer und wenig anderes haben noch einen direkten Bezug zum Mittelalter.


Eine Übersicht:

In the old part of the town, around the Town Hall and the main building of Tartu University, underneath the pavement level there is cultural layer of 3-metre thickness.

Starting from the bottom: above the earliest traces of the prehistoric period, stratigraphy reveals layers from the Middle Ages - covered by the rubble strata of 16th and 18th century destruction.In the 13th century Tartu became the centre of the eponymous bishopric and the easternmost Hanseatic town.

Its 27,6 hectare territory was surrounded by the solid town wall and encircled by suburbs.The remains of 13th and 14th century log pavements and wooden houses are well preserved in the ground. The unearthed ground-floor constructions of 15th-16th century brick-buildings give an idea of the local merchants' way of life - and wealth.

Of the seven medieval churches and three monasteries only St John's Church, currently under reconstruction, and the majestic ruins of St Peter and Paul's on the cathedral hill, Toomemägi, have survived to this day.


3 Meter beträgt also die Kulturschicht über der man spazieren geht. Und heutzutage kaum zu glauben, es fehlen von sieben Kirchen und drei Klöstern alle, bis auf zwei Ausnahmen. Quelle.

Die Geschichte systematisch in solchen Tiefen zu untersuchen ist nicht selbstverständlich. Früher meinte man mit alten schriftlichen Dokumenten das Wesentliche erklären zu können. In Deutschland wird erst seit den 70ern die Stadtkernarchäologie ernsthaft ausgeübt. Mit der Folge, dass wir uns von einem einheitlichen Städtebild des Mittelalters verabschieden müssen. Nicht diese Fachwerkidylle der Märchenbücher. Es ist komplexer.Besonders für den ersten Höhepunkt der Städte um 1300. Für Tartu:
Rünno Vissak resümiert die letzten Jahrzehnte archäologischer Forschungen in Tartu (Estland). Analog zur Situation in Deutschland war auch in Estland vor 1980 das Interesse an Stadtkernarchäologie gering. Mittlerweile sind jedoch über 100 Fundstellen bekannt, die als Grundlagen für partielle 3D-Rekonstruktionen historischer Zustände dienen.


Die dreidimensionale Darstellung und Rekonstruktion Tartu befindet sich auf der Seite der Stadt. Hier das Quicktime-Video.

Update: decade_null hat eine wertvolle Zusatzinformation geliefert. Die Grabung hat an der Ecke Universitäts-Hauptgebäude und dem Rathausplatz stattgefunden. Im Video ist es der Bereich der Kirche in der Mitte der Stadt. Der große Platz ist auch schon im Mittelalter zu erkennen, wo der virtuelle Einstieg vom Fluß Emajogi durch die Stadttore in die Stadt beginnt.

Die Bebauung des Tartuer Rathausplatzes ist nach dem Stand von 1682 dargestellt und das äußere Bild der Marienkirche ist vom Grundriss der Kirche und den von den Ruinen angefertigten Zeichnungen abgeleitet. Aus viel früherer Zeit, wahrscheinlich aus dem 13. Jahrhundert, stammen die Holzbauten, deren Rekonstruktion sich auf Anhaltspunkte aus erhalten gebliebenen Gebäuden stützt. Der vorliegende Videoclip hat provisorischen Charakter und gibt eine erste Vorstellung davon, was in Zukunft noch möglich ist.

Samstag, November 10, 2007

Mal für ein Semester nach Estland

Judith ist 23 und ihr chinesisches Sternzeichen ist Ratte. Aber Judith ist auch eine der deutschen Studentinnen in Estland, deren Erfahrungen per Blog öffentlich nachzulesen sind. Seit dem 3.Oktober schreibt Judith über ihre Erlebnisse als Deutsch-Tutorin, über Ausflüge, und über die Saksa Keele Oppetool.

Interessant nachzulesen sind natürlich die Vergleiche zwischen den beiden Ländern. "Als typisch deutsch wird angesehen, wenn wir vorzugsweise mit Bargeld bezahlen", schreibt Judith. In Tallinn seien Handy, Wifi-Zonen, Laptop und per SMS die Parkgebühren zahlen überall zu finden. Dementsprechend liest frau auch beim estnischen Frühstück am Laptop die neuesten Nachrichten aus Deutschland, und notiert, dass Esten an Deutschen Pünktlichkeit (was sonst!), Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit schätzen, und gelegentlich Deutsch auch vor dem Fernseher lernen. Foto: Judith und Freundinnen.

Mehr aus Judith's Blog hier

Weitere Blogs:
- Was Saloniere an Estland findet. ein Sprichwort: “Ära räägi lollust”.

- Was Seeadler in Estland findet: Biber und Nordlichter.

- Was der "50plus-Treff" findet: viele Kirchen, trotz wenig Gläubigen.

- Was der Paddelblog in Estland findet: natürlich Paddeltouren.

- was der Internationale Bauorden in Estland findet: viel Arbeit.

- Was Jakob in Estland findet: eine "gewisse russische Note", und betrunkene Finnen.

- Was der Luftsport Blog in Estland findet: einen unschlagbar billigen Fallschirmsprung.

- Was Lukas, Erasmus-Student in Tartu, in Estland findet: wunderschöne waldige Landschaft.

- Was Hausmeister Pachulke in Estland findet: zu wenig Urlaub für Arbeitnehmer.

- Was der Corporate Blogging Weblog in Estland findet: Business-Blogging.

- Was Mia, Voluteer in Viljandi, in Estland findet: ein Mädchen namens Triini, eine vom Himmel geschickte
Szilvia, und ein Tag am Meer.

- Was Zora, per YFU-Austauschjahr in
Karksi-Nuia, in Estland findet: Schlittschuhlaufen in Viljandi und wie man einen Saal voll stocksteifer Esten zum Tanzen bringt.

- Was Ulli in Estland findet: das Bahnhofsmuseum in Haapsalu, und Elchschilder auf Saaremaa.

- Was Sophie in Estland findet: Geschenke auspacken und den ersten Schnee.

- Was Christian in Estland findet: das Uni-Jubiläum in Tartu, und eine unruhige Busfahrt nach St.Petersburg.

- Was Alex in Estland findet: die drei größten Inseln an einem Tag, und die Internetevolution.

- Was Kathleen in Estland findet: ein nettes Hallenbad, die beste Schokolade, und das Leben in Haapsalu.

- Was Helene in Estland findet: eine Reggaeparty!

- Was Kaddi in Estland findet: ein Blick in die estnische Musiklandschaft.

- Was Patrick in Estland findet: ein Lasteaed und viele Kinder.

- Was Andrea in Estland findet: Viljandi-Leute, die Studentenstadt Tartu, und ein komisches Gefühl, nicht in Deutschland zu sein.

Freitag, November 09, 2007

Georgien und Estland


Georgian Restaurant
Originally uploaded by Jens-Olaf
Was verbindet beide Länder? Auf jeden Fall dieses georgische Restaurant in Tartu mit, wie mir scheint, authentischer grusinischer Küche.
Ja, es gab gegenseitige Unterstützung während der Krisen in den eigenen Ländern,so geschehen bei den Aprilunruhen in Estland oder bei der Rosen-Revolution in Georgien.
Aber ich muss gestehen, dass ich keinen tiefen Einblick in georgische Verhältnisse habe. Aber Flasher_T hat sich neben offiziellen russischen Informationsdiensten in die Tiefen des Bloganbieters LiveJournal begeben, wo viele russischsprachige Diskussionen über die Nachbarstaaten Russlands stattfinden .
Hier ist seine Analyse.
Auch gibt es eine deutschsprachige Quelle, die genauer auf die Entwicklung in Georgien eingeht und die Unterschiede zu Estland erklärt. In Eurozine von Vicken Cheterian:
Im heutigen Georgien haben wir es trotz der prowestlichen Wende und einer demokratischen Rhetorik im Grunde mit einer Reproduktion der alten Strukturen zu tun, wobei nur der institutionelle Überbau erneuert wurde.

Georgian
Und noch eins ist sicher: Die georgische Küche kann schärfer sein als es die Esten jemals wünschen wollen.

Montag, November 05, 2007

Wo liegt eigentlich Estland?

Jetzt wäre es einfach eine Anspielung auf amerikanische Geografiekenntnisse zu machen. Aber über die Schwierigkeiten andere Länder auf der Karte zu orten können die Amerikaner selbst Witze machen.
Ausserdem landet man schnell bei der Besserwisserei, wenn man europäischen Überblick herauskehren möchte. Zum Beispiel: Wer weiß wieviel Länder zu Europa gehören? Kann jeder aus dem Stand alle aufzählen? Immerhin lernen die Schüler in Amerika die eigenen Bundesstaaten, und die sind in der Anzahl mehr als Europas Staaten. Der jüngste in Europa ist Montenegro.
Lassen wir das. The Singing Revolution, eine Dokumentation über die Jahre vor 1991 hat seit dem Filmfestival in Toronto, Kanada, für einige Aufmerksamkeit gesorgt.
Vorweg die Kritik: Der Blick auf die Vergangenheit vor der Singenden Revolution bis zurück auf die drei sowjetischen und deutschen Besetzungen während des 2. Weltkrieges sei flüchtig und lückenhaft. Im Mittelpunkt steht Estland, während zwei weitere baltische Länder ebenfalls an dieser Revolution mitgewirkt haben. Es heisst, die Berücksichtigung von Lettland und Litauen hätte den Rahmen gesprengt.
Also, der Fokus ist Estland und der Film wird im Dezember in Los Angeles und New York gezeigt. "life after eesti" berichtet.
Jason Cherniak war bei der Aufführung in Toronto, wo Mart Laar der Historiker und Expremier ebenfalls anwesend war unter vielen Exilesten. Er beschreibt die Veranstaltung hier.
Eine Szene aus der Dokumentation zeigt die Schwierigkeiten der Umbruchjahre. Die pro-sowjetische Interfront war gegen die Unabhängigkeitsbewegung, und verlangte entschlosseneres Eingreifen der Zentrale in Moskau.

Es ist fraglich ob diese Dokumentation jemals im deutschsprachigen Raum eine Rolle spielen wird. Ohne die Gesamtlänge des Films gesehen zu haben, fällt es schwer ein Urteil darüber zu fällen.
Und es ist nicht die erste Dokumentation dieser Art. Und dann kommen wir doch wieder zum gesamtbaltischen Kontext. Wer damals 1991 Homeland von Juris Podnieks gesehen hat und seine Crew mit der Szene "Keep Filming", als Slapins tödlich getroffen im Schnee des Parks im Zentrum Rigas lag und Zvaigzne wenig später ebenfalls an den Verwundungen starb, der wird verstehen was ich meine, wenn es um Emotionen geht. Dieser Film war noch unmittelbar am Geschehen. Und dazu gehören Litauen, Lettland und Estland.

Aus dem gleichen Film stammen diese Szenen. Die Litauer haben die größte Last getragen, was die Bedrohung durch militärische Angriffe angeht. Hier ein weiterer Ausschnitt.
Natasha Slapins in Latvians.com:
Slapins' widow, Natasha Dushen, doesn't expect that to happen.
"I've thought endlessly about who is to blame, but in the end, I think it was the system," she said. "It created primitive people by teaching them that everything can be solved by force of arms."
"Andris once told me he would even give his life for Latvia to be free," she said. "The Soviet forces really underestimated that desire for freedom."

Mittwoch, Oktober 31, 2007

Grenz - Meditationen

Grenzen wecken schnell Emotionen, besonders wenn sie nicht leicht passiert werden können.
So war es an der deutsch-polnischen Grenze und den kilomterlangen LKW-Staus vor über 10 Jahren. Die Warteschlangen am damals engen polnisch-litauischen Übergang sind vielen Betroffenen noch in Erinnerung.
Und 1991 war vorübergehend der Übergang von Russland nach Estland dicht. Von Ivangorod nach Narva. Daraus lassen sich leicht Schlagzeilen machen:
"Nieder mit der Grenze" titelte in einem Beitrag DER SPIEGEL 52/1992 in der Serie: Die Leiden der Russen. LKWs wurden bei nicht ganz formal richtigen Papieren zurückgeschickt, die Wartedauer war lang von russischer nach estnischer Seite:

Nicht wenige in Russland äusserten ihre Angst wegen des Warenabflusses Richtung Baltikum. Das hat sich nun geändert. 2007 stauen sich die LKWs auf estnischer Seite. Und es sieht so aus als seien die Gründe ähnlich wie damals nach Polen und Litauen. An der Landesgrenze wurde erst spät investiert. Mit steigendem Gütervolumen leiden die Fahrer am meisten.
Hier das Meditationsvideo, aufgenommen von Narva bis zum Ende der Warteschlange, von Pudrumulk:

via Larko, der darauf hinweist, dass auch in Finnland die gleiche Situation herrscht. Also "normale" europäische Zustände, wie wir sie von früher kennen.

Samstag, Oktober 27, 2007

Harte Schule des Lebens

Wenn in dieser Woche der Film "Klass" ("Die Klasse") von Ilmar Raag auf den Nordischen Filmtagen in Lübeck gezeigt werden, sollten sich die Besucher/innen auf einen harten Stoff gefaßt machen. Und wer bisher keinen persönlichen Kontakt zum Thema "Gewalt an Schulen" hatte, der wird nach dem Film sicher einen nachhaltigen Eindruck mit nach Hause nehmen.

Mir ging es so, dass ich vom Verlauf der Story doch etwas überrascht wurde. Gut, also dass es Außenseiter in einem Klassenverband gibt, dass diese oft gemobbt, gemieden und ungerecht behandelt werden - wer kennt das nicht. Auch Schlägereien gibt es hier und da. Ursache für Gewaltanwendung wird aber oft entweder bei "schlecht erzogenen" oder sozial benachteiligten Jugendlichen gesucht.
Hier treten aber zwei Filmhelden auf, die beide aus ihrer Abneigung zum Thema Gewalt eigentlich keinen Hehl machen. Der eine, Joosep, als Neuling in der Klasse benachteiligt, mag sich so überhaupt nicht wehren gegen die Gewalt - einen muskelstarken, aber psychisch schwachen Vater zu Hause vor Augen, der es gerne anders hätte. Dann Kaspar, der die Haltung "alle gegen einen" nicht lange mitmacht, aber durch Tricks und Hinterhältigkeiten gerade der Urheberschaft der Prügeleien angeschwärzt wird - jedenfalls gegenüber seiner ängstlichen Oma, die zu Hause abseits aller Schulrealitäten auf ihren "guten Jungen" hofft. Beide "Gewaltlosen" wandeln sich dann im Laufe des Films zu denjenigen, die das blutige Ende herbeiführen - nicht ohne einen großen Teil der Sympathien der Zuschauer mitzunehmen.

"Wie kam es dazu?" das ist ja die beliebte Frage, wenn international blutige Ereignisse in Schulen durch die Nachrichten geistern. Ilmar Raag läßt seinen Film nicht einfach mit einem simplen Schuß und einem mahnenden Zeigefinder enden. Es breitet sich ein quälendes Szenario aus, das auch den Aspekt mit beleuchtet, dass eben mit einem Schuß nicht alles zu Ende und die Erleichterung der Täter vollkommen wäre. Da gibt es Verletzte, zufällig Getroffene, aus Versehen Erschossene und am Schluß einen ratlosen Kaspar, der vor seiner schwer verletzten Freundin am Ende doch die Entschlossenheit zu nur einer einzigen Lösung verliert.

Die Menschen in Ländern, wo "die Klasse" gezeigt
wird, werden sich jeweils an die dunkelsten und blutigsten Stunden auf Schulhöfen und in Universitäten erinnert sehen. Auch der New York Times fällt natürlich das Massaker auf dem Gelände der Columbine High School ein, und für Deutschland steht zum Beispiel der Name Erfurt. Auch Diskussionsbeiträge und Blogs zum Film gibt es in estnischer Sprache einige. Darunter sind auch Beiträge, die sich dafür aussprechen den Film in die Lehrmaterialien an allen Schulen aufzunehmen.

Ilmar Raag (Foto rechts) war auch schon in vielen anderen Funktionen für den estnischen Film aktiv. Für die estnische Filmstiftung, als Direktor des Estnischen Fernsehens ETV. Nun bekam Raag ein besonderes "Ehrenzeichen" von seinem Heimatland: Estland hat "Klass" für die Oskar-Verleihung 2008 anmelden lassen. Kontakt zu Raag aufzunehmen dürfte ebenso nicht schwer sein: er pflegt seinen eigenen Blog.

"Class" bei den Nordischen Filmtagen Lübeck 2007

New York Times

Liste der für den Titel "bester ausländischer Film" (Oscar 2008) eingereichten Filme

Blogbeitrag von Thalia Kell zu "Klass" (engl.)

Ilmar Raag's Blog (estnisch)

Mittwoch, Oktober 24, 2007

Nõmme in Tallinn


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Originally uploaded by kalevkevad
Kalevkevad ein Norweger aus Stavanger, der viel Zeit in Tallinn verbringt, hat einen Rundgang durch die Hauptstadt unternommen. Und zwar durch den Stadtteil Nõmme. Eine eigenartige Mischung. Es erinnert stark an Berlin-Tegel und dort zum Beispiel an Hermsdorf. Die breiten Straßen und die Architektur. Hier ist sie etwas anders, östlicher und doch mit vielen Vergleichsbeispielen wie Anlehnungen an das Bauhaus. Hier ist die Slideshow.

Montag, Oktober 22, 2007

Reden über Estland

Geschichtsbetrachtungen aus stalinistischen Zeiten, sie kehren wieder in den Medien-Auseinandersetzungen zwischen Estland und Russland mit einem Echo in Deutschland.
Darüber handelten die letzten beiden Posts. Aber wann können wir endlich weitergehen, jenseits der Faschismusvorwürfe? Zum Beispiel: Estland sei eine Diktatur gewesen 1939. Demnach egal, ob es befreit oder besetzt wurde. Aber so können wir nie diskutieren, warum die Vapsid, der Freiheitskämpferbund, versuchten die Macht in Estland, die Regierungsmacht, zu übernehmen Mitte der 30er. Die Vapsid, die Annäherungsversuche der nationalsozialistischen Deutschen in Estland ablehnten. Präsident Päts führte dann selbst eine autoritäre Staatsführung ein, um die Vapsid, den Freiheitskämpferbund fernzuhalten.
Alles zu kompliziert, ja.
Jetzt ist 2007 und die interessantesten Diskussionen über Estland und seine Minderheiten finden in der englischsprachigen Blogosphäre statt. Flasher_T,ein russischsprachiger Este verweist auf den nun folgenden Schulbuchstreit: This Place needs a chill. Er verlinkt dort auf sein "Estland steht noch" vom Mai diesen Jahres.
Und ein Link zu Stralau-Blog "Schöner sterben am Wasser", der unsere Linkpolitik kritisiert, und der noch aus erster Hand berichten kann, aus der DDR.

Mittwoch, Oktober 17, 2007

Warum Sozialisten so erfolglos sind ...

Es wäre ja so schön gewesen: alle Menschen werden Brüder (oder Schwestern), und linke Utopien wirken so schön sympatisch. Es hat wirklich eine Berechtigung, sich Gedanken zu machen über Benachteiligungen und Ungerechtigkeiten in dieser Welt, um an Verbesserungen zu arbeiten.
Wenn da nicht so ein riesiges Loch klaffen würde zwischen schönen Sprüchen und realem geistigen Vermögen der Politikerinnen und Politiker, die vorgeben, solch edles Ansinnen umsetzen zu wollen. Statt Menschen mit ihren Erfahrungen zuzuhören, reisen Politiker eben oft gerne einfach durch die Welt, engstirnig und selbstherrlich, um nach so einer Schnellkur in interkulturellen Fast-Food-Erlebnissen anschließend vor die Presse zu treten und unbedacht dahergeredeten Müll zur neuen Erkenntnis zu erklären.
Anschauliches Beispiel ist seit dieser Woche die PDS/Linke-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke.

Warum sind Sozialisten so erfolglos, und wirken so weltfremd? Die Bezeichnung "Sozialisten" wird in den baltischen Staaten angesichts einschlägiger politischer Erfahrung mit denjenigen identifiziert, die erstens 1991 den Putsch gegen Gorbatschow unterstützten, und zweitens heute meinen, die Est/innen, Lett/innen und Litauer/innen würden immer noch den früher angeblich so angenehmen Errungenschaften des Sowjetsystems nachtrauern. Der Umbruch, die Wiedererlangung der Freiheit Estlands, Lettlands und Litauens, nur ein Irrtum extremistisch veranlagter Nationalisten?
Nun gut, momentan scheinen die "Balten" fast erstarrt in fest fixiertem Glauben in eine konsumorientierte Wohlstandsgesellschaft, Zehntausende Wanderarbeiter sind inzwischen in Irland oder England, und der baltische Mainstream ist weit davon entfernt, den Fortschritt beim Ausgleich sozialer Härten anzupacken. Aber entschuldigt das eine derart politische Blindheit, die historische Fakten ignoriert, und Esten, Letten und Litauer rücksichtslos vor den Kopf stößt?

Wer ein eigenes Hausorgan wie die "Junge Welt" hat, kann es sich wohl leisten (die so schön vorgaukelt, das Organ einer jungen frischen Generation zu sein - Leserbriefe zu schreiben, wird wohl kaum etwas nützen).

So kann man eben mal frisch behaupten:

- es gäbe kein demokratisches Parteiensystem in den baltischen Staaten. Hier zitiert Frau Jelpke sogar Quellen: das Buch "Aktuelle Probleme postsozialistischer Länder. Das Beispiel Lettland", erschienen im Verlag Wilhelm Surbir, Wittenbach. Autor ist der deutsche Politikwissenschaftler Axel Reetz. Allerdings scheint Frau Jelpke das Buch - das ansonsten sehr lesenswert ist - nur als Lektüre für den Rückflug benutzt zu haben. "Postsozialistisch" - das klingt so schön nach den Nachwehen vergangener Zeiten (war das Sowjetsystem eigentlich "postfreiheitlich" oder "postdemokratisch", bezogen auf die baltischen Staaten?). Es kann nur zu einem geraten werden: fragen Sie den Autor selbst, was er tatsächlich gemeint hat, denn er spricht tatsächlich fließend Estnisch und Lettisch und analysiert die Entwicklung in den baltischen Staaten schon lange (Kontakt kann vermittelt werden).

- Frau Jelpke meint, der "breiten Masse" (die sie selbstverständlich auf ihrer politischen Geschäftskurzreise ausführlich kennengelernt hat) gehe es "schlechter als zuvor". Was ist bitte "zuvor", Frau Jelpke? Ist es nicht vielmehr so, dass in den baltischen Staaten das Sowjetsystem beinahe schon vergessen scheint, nach 17 Jahren eigenständiger und demokratischer Entwicklung? Gerade deshalb muss die Erinnerung wach gehalten werden: das "Sowjetsystem" war eben keine angenehme Alternative zur faschistischen Besatzungszeit. Wer das im Zusammenhang mit den baltischen Staaten nicht begreifen will, dem fehlen schlicht alle fünf Sinne. Man kann den baltischen Staaten vorwerfen, zu leichtgläubig gegenüber einer konsumorientierten kapitalistischen Welt daherzukommen, und mit großem Risiko (viele müssen private Kredite aufnehmen!) auf eine gemeinsame Entwicklung im demokratischen Europa zu setzen. Aber wer ihnen einfach mal so erzählen möchte, Massendeportationen, Überwachungssystem, Okkupation und zwangsweise Zugehörigkeit zum Sowjetsystem habe es nie gegeben - der muss eben einfach nur schnell wieder wegreisen. Aber wenn dann nur solche Leute als "Linke" identifiziert werden, dürfte man sich nicht einmal über "Rechtsdrall" in der baltischen Politik beklagen. Auch linke Politik kommt nicht ohne Glaubwürdigkeit aus.

- im Land herrsche Antikommunismus und Russenhass. Ein Wunschtraum der deutschen Stalinisten, dass dies gleichzusetzen wäre! Tatsache ist: wer so blöde daherkommt, wie Frau Jelpke, kann keine Sympathien ernten. Dazu kommt die gebetsmühlenartige Wiederholung der Behauptung, die Rote Armee habe "das Baltikum befreit". Wer sich nur halbwegs mit politisch linken Ideen identifiziert, wird vor so viel stalinistisch angehauchtem Blödsinn peinlich angeekelt sein. Werbung für die Linke ist das nicht.

- die Sowjetunion hat ja wohl nicht die baltischen Staaten annektiert, um sie "vor den Nazis zu schonen". Danke, würden wir da wohl lieber sagen: wir entscheiden gerne selbst! Frau Jelpke wundert sich, dass die Geschichte in den Museen der baltischen Staaten völlig anders dargestellt wird. Da kann nur empfohlen werden: noch mal hinfahren, und ein wenig mehr Lernbereitschaft und weniger ideologische Verblendung mitbringen!

- und noch eine Korrektur:
"nach der Auflösung der UdSSR durch die von Michail Gorbatschow, damals Generalsekretär der KPdSU, ins Leben gerufene Perestroika erklärten die baltischen Nationen ihre Unabhängigkeit" erklärt Frau Jelpke. Ganz falsch, Frau Oberlehrerin, und auch hier liegt der Kern dessen begraben, was zur Basis des Verständnisses der baltischen Staaten heute gehört: Estland, Lettland und Litauen stellten ihre Unabhängigkeit wieder her, die ihnen 1940 und 1945 genommen worden war. Hier handelt es sich nicht um Demokratien von Russlands Gnaden! Das ist jüngste Vergangenheit, und jeder Este, Lette und Litauer, der es mit erkämpft hat, kann das bestätigen.

- Frau Jelpke bemängelt die mangelnde Aufarbeitung von Holocaust, Judenmord und Kollaboration mit den Nazis. Eine der vielen Gedenkstätten, die daran erinnern, hat sie offensichtlich nicht besucht. Die Berichte der baltischen historischen Kommission offensichtlich auch nicht gelesen. Aber sicher, wer so offensichtlich die "einseitige Verurteilung des Stalinismus" im Baltikum beklagt - also Mord, Deportation und politischer Verfolgung das Wort redet - wird auch gerade mal besserwisserisch "fehlende Aufarbeitung" in fremden Ländern bemängeln dürfen. Herzlichen Glückwunsch, ein Bärendienst!

- Frau Jelpke bemängelt es, dass es Prüfungen zur Erlangung der Staatsbürgerschaft gibt, in deren Rahmen auch Geschichtskenntnisse abgefragt werden. Wer noch an deren Notwendigkeit zweifeln sollte, braucht ja nur Jelpkes Artikel zu lesen! Aber noch einmal: die Tatsache, dass einige Einwohner sich immer noch nicht zur Erlangung der lettischen oder estnischen Staatsbürgerschaft entscheiden mögen, heißt eben nicht, dass alle so denken wie unverbesserliche Stalinisten (oder Frau Jelpke). Im Gegenteil: Russen sprechen zunehmend Estnisch oder Lettisch im Alltag, und im Gegenzug geht das Russische nicht verloren. In Estland haben auch "Nicht-Staatsbürger" kommunales Wahlrecht, und damit mehr als in Deutschland. Frau Jelpke deutete es einfach um: das Zusammenleben "funktioniere besser, als von der Politik beabsichtigt". Na also!

- doch nun kommt es: im Rausch des Eintretens für "Migranten" plädiert Frau Jelpke sogar für die Öffnung der baltischen Arbeitsmärkte für Billiglohnkräfte aus Osteuropa! Und hier färbt die Innenpolitikerin durch und vergleicht Immigrationspolitik in Deutschland mit dem Arbeitskräftemangel in den baltischen Staaten. "Große Firmen" seien auf den Zuzug von Arbeitskräften aus Osteuropa angewiesen - ein verstecktes Plädoyer für die globalisierte Wirtschaft? Können Sie sich damit zu Hause noch sehen lassen, Frau Jelpke?

- Frau Jelpke meint Meinungsumfragen zitieren zu müssen, die "EU-Skepsis" zeigen. Tatsächlich ist das momentane Bild aber sehr indifferent: während die EU-Zustimmung der Litauer bei über 70% liegt, die der Esten moderat darunter, erweisen sich momentan nur die Letten als EU-Skeptiker. Oder wollte hier jemand unterstellen, alle Balten seien "heimlich gegen das System"? Worauf dann wieder jemand kommen könnte, um sie gegen ihren Willen zu "befreien"?

- Freund/innen hat Frau Jelpke wohl keine Freund/innen gefunden in den baltischen Staaten, nicht einmal politisch (linke). Schon die Aufzählung der kathegorisch zersplitterten Parteienlandschaft fällt offensichtlich schwer und macht schon beim lettischen Politiker Janis Jurkans halt, der inzwischen längst nicht mehr Leitfigur ist. Andere bestimmen das Bild, aber hier ein wenig mehr zu analysieren, fällt wohl schwer. Es würde kein gutes Bild abgeben für die Linke!

- als es die Sowjetunion noch gab, da "gab es das Recht auf eigene Wohnung und einen wirksamen Kündigungsschutz" (Jelpke). Selten so gelacht! Glück hat, wer diese brüchigen Wohnungsbauprojekte Ende der 80er Jahre noch erlebt hat: von zentrale Zuweisungen, endloser Bürokratie, aufgeschobenen Reparaturen, Zwangs-Kommunalkas - davon hat die "Westpflanze" Jelpke wohl noch nie etwas gehört.

Bei so viel offensichtlicher Unkenntnis fallen auch die wenigen richtig angesprochenen Schwachpunkte (z.B. Datenschutz, oder verschäfte Sicherheitspolitik) leider nicht mehr ins Gewicht.

Der bessere Verträglichkeit dieses Beitrags zugunsten wird an dieser Stelle auf eine illustrative Darstellung unserer "Heldin" oder viele Links verzichtet. Vergessen werden wir diesen Beitrag aber nicht ("Junge Welt", 17.10.07). Sollte nochmals ein/e deutsche/r Politiker/in kurzfristig eine Dienstreise in die baltischen Staaten planen, und Illusionen darüber haben, Deutsche könnte sich dort nicht blamieren: lesen Sie Jelpke!

Geschichtsmythen in Deutschland


Nearby Pronkssodur
Originally uploaded by Jens-Olaf
Sahra Wagenknecht, eine der bekanntesten Vertreterinnen der Linkspartei, hatte diese Behauptung auf ihrer Webseite:
"Mündliche Anfrage der Europaparlamentarierin Sahra Wagenknecht (Linkspartei.PDS) an die EU-Kommission bezüglich der »geplanten Zerstörung sowjetischer Denkmäler in Estland, d..."


Zerstörung schreibt sie , obwohl es um die Versetzung eines Denkmals ging.

Und Ulla Jelpke legt jetzt in Junge Welt nach. Sie "ist Mitglied der Bundestagsfraktion von »Die Linke« und deren innenpolitische Sprecherin"

"Dabei verdanken Litauen, Lettland und Estland ihre Existenz als selbständige Staaten dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk aus dem Jahr 1918 zwischen dem Deutschen Kaiserreich und Sowjetrußland."


Verdanken? 1918? Den Unabhängigkeitskrieg gibt es wohl nicht und den Friedenschluss mit der Sowjetunion, die Estland auf ewig anerkannte, auch nicht.

"Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, 1939, gab es im geheimen Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffsvertrag eine Aufteilung der Interessensphären, wonach Litauen, Lettland und Estland von den Nazis verschont bleiben sollten."


Verschont? Regierungsmitglieder. Parlamentarier fast alle wichtigen Persönlichkeiten, Politik und Militär des estnischen Staates wurden festgenommen, deportiert, ermordet oder flohen rechtzeitig, bevor die Nazis kamen. Im Sommer 1941 rollten die Güterzüge mit willkürlich Verhafteten und nicht wenigen Kindern,Richtung Sibirien.

"Im August 1940 entschieden sich die Bürger der drei baltischen Staaten in Volksabstimmungen für den Anschluß an die UdSSR als sozialistische Sowjetrepubliken."


"Entschieden sich die Bürger"? Jeder, der es wissen will, kann nachlesen, dass Gegenkandidaten ausgeschlossen wurden, war da nicht auch Militär? Sowjetisches. Durch die Sowjetunion verschont? Finnland wird sich ebenfalls für den Winterkrieg bedanken oder was?


Das Foto stammt oben vom Soldatenfriedhof in Tallinn, wo jetzt in der Mitte der umstrittene Bronzene Soldat steht. Wenig daneben zum Beispiel der abgebildete Gedenkstein. Der Friedhof ist gleichzeitig einer der wichtigsten Bestattungsorte für estnische Militärangehörige.
Um bei Geschichtsklischees zu bleiben. Einer der ersten Symphonien, die ich mir als Schallplatte gekauft habe, war die Leningrader von Schostakowitsch. Zuerst wird das "friedliche" Vorkriegsleben in der Sowjetunion gezeichnet, um sich musikalisch mehr in einen Militärmarsch zu verwandeln. Der Überfall der Wehrmacht. Am Ende wird dieser Gegner auch in der Melodie besiegt. So einfach war das.
Nur 1939 waren "17 Millionen" Menschen in der Sowjetunion vermisst.
The Census Bureau had just enough time to put an announcement in Izvestia saying that 17 Million people were missing, before the census-makers themselfs were shot.

Norman Davies "Europe At War", zitiert hier Robert Conquest.

Update: Ein Zeitungsartikel aus Moskau News vom Juli 1991. So wurde berichtet,als der Zugang zu den Archiven möglich wurde. In der Sowjetunion, in Moskau: "Hand in Hand mit der Gestapo. Stalins Geheimdienst hat Hunderte Antifaschisten nach Deutschland abgeschoben." von Irina Schtscherbkowa

Montag, Oktober 15, 2007

Magnus der Film - und die künstlerische Freiheit

Magnus ist ein estnischer Film. Idee und Drehorte stammen von hier, siehe letzte Posts. Aber der Film kann nicht in allen Theatern laufen. Weil jemand sich in den Filmszenen wiedererkennt. Eine Parallele zu Maxim Biller und seinem Roman Esra. Seit 2003 ist das Verfahren in der Schwebe in Deutschland. Die FAZ berichtet regelmässig, jetzt heisst es bei Nils Minkmar:
Leider vermischen sich auch in der Debatte um Maxim Billers verbotenen Roman „Esra“ die Empfindungen über den Autor als Zeitgenossen mit der Würdigung des literarischen Gehalts des Buches. Denn der Fall „Esra“ wäre gar kein Fall, wenn dies nicht ein so gutes Buch wäre. All die anderen Bücher, die in den letzten Jahren im Zuge von solchen Persönlichkeitsrechtsprozessen bekannt wurden, hat man mehr oder weniger zu Recht vergessen. In diesem Fall liegen die Dinge völlig anders: Wer dieses Buch gelesen hat, wird es nie vergessen: Ein so von Liebesschmerz, Liebesglück und allgemeinen Liebeswirren durchdrungenes und dabei kompromisslos modernes, ja in der Zeitgenossenschaft seiner Sprache radikales Buch hat es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gegeben. Es reicht dabei tief in die dunkelsten Ecken der Liebe und schildert virtuos die ganz leichte Alltagsoberfläche des Münchens der frühen neunziger Jahre, die sich wie Staub über das Drama legt. Biller ist es gelungen, ein Deutsch zu finden, das wie eben erzählt klingt und doch sorgsam komponiert und treffend, teuflisch suggestiv wirkt.

Das Verfassungsgericht hat endgültig gegen das Buch entschieden. Weil es "intimste Details" enthält. Bei Magnus ist das nicht der Fall, und die Geschichte ist künstlerisch verfremdet.
Kadri Kousaar hat eine Filmsprache gefunden, die auch jenseits von gewöhnlichen Alltagsbeschreibungen liegt. Nach den Cannes-Vorführungen hat es Variety.com so formuliert:
Kousaar's talent is enhanced by the good judgment of not being too timid with her creative gambles or overusing them as many first-timers do.

Montag, Oktober 08, 2007

Kadri Kõusaar II

Sie ist Jahrgang 1980, hat mit 13 Jahren angefangen journalistisch zu arbeiten, auch fürs Radio, schreibt während des Internationalen Film Festivals in Korea Kolumnen für das wichtigste estnische Wochenmagazin Eesti Ekspress, selbst von Korea aus, hat schon mehrere Bücher veröffentlicht. Aber in Busan stellt sie ihren ersten Film vor. Wahrscheinlich ist Filmemachen der nächste Schwerpunkt ihrer Projekte. Und mit ihrem Film war es die erste estnische Produktion, die in Cannes, ebenfalls in diesem Sommer, jemals als unabhängig produzierter Film aus dem immer noch recht unbekannten und nördlichen Land vorgestellt wurde.
Kousaar
"Hinter der Leinwand" bedeutet häufig so eine Szene: Die Estin, eine Filmpromoterin mit ihrer Tochter, ein Fotograf und zwei Interviewerinnen. Das sind die Pflichten, die bei einem Festival als Beteiligter absolviert werden müssen.
Kousaar II
Ausserdem ist sie eine der Wenigen, die jetzt noch schwimmen gehen in Busan. Wüßte nicht, dass noch andere Filmdirektoren das Wasser getestet haben. Außer ein paar Surfern, war nichts mehr los. In der Mitte des Fotos einer der Haupttreffpunkte des Filmfestivals, der Piff Pavilon.

Kousaar - film director
Trotzdem, Wald und Wasser und Abgeschiedenheit sind für viele Esten wichtig. Eine der wichtigsten Szenen neben dem offiziellen Programm findet hier statt, vielleicht eine Idee für zukünftige Produktionen:

Und wenn schon 10 000 km entfernt über Estland gesprochen wird. Wir haben dieselben Menschen kennengelernt und darüber berichtet, wie zum Beispiel die erwähnte "Magnetnaine" aus einem der letzten Posts.
Update: 9.10.2007
Und so sieht das Ergebnis des Interviews in der Tageszeitung Pusan Ilbo aus.
Kadri Kousaar Pusan Ilbo
Zahlenspiele: Diese Tageszeitung hat eine Auflage von 600 000. Damit dürfte sie für eine zeitlang die bekannteste Estin in dieser Gegend sein. Die größte estnische Tageszeitung hat übrigens eine Auflage von etwa 68 000. Nur mal so zum Vergleich. Und gerechterweise angemerkt, die Zahlen sagen nichts über die Qualität einer Zeitung aus. Aber wem sag ich das.
Update 11.10.2007
Der estnische Film hat einen festen Platz bei diesem Festival. Nimed Marmortahvlil zum Beispiel, oder Shop of Dreams 2005, The revolution of pigs.
Nur Magnus hat ein Problem, die Vorstellung des Films in Busan war am Dienstag.
Die kann als Erfolg verbucht werden, wichtige Tageszeitungen in Korea werden berichten, allerdings hat die Sache einen Haken. Gegen den Film “Magnus” läuft ein Verfahren in Estland. Er wurde gedreht nach einer wahren Begebenheit und obwohl Namen und alles geändert wurden, hat sich eine darin verwickelte Person wiedererkannt und persönlich bloßgestellt gefühlt. So traut sich kaum ein Kinobetreiber diesen Film aufzuführen, und man kann damit auch nichts verdienen, eine vertrackte Situation. Drei Jahre Arbeit stecken bereits in diesem Projekt

Nachtrag 25.10., hier ein Video über das Zusammenteffen einiger koreanischer Mittelstufen-Schülerinnen mit der estnischen Filmdirektorin.

Freitag, Oktober 05, 2007

Kadri Kõusaar


Kadri Kõusaar
Originally uploaded by Jens-Olaf
Ist ihr aktueller Film Magnus auf dem Index in Estland oder nicht?. Mit Jahrgang 1980 eine beachtliche Leistung. In Busan, Korea, wird der Film während des Pusan International Film Festival aufgeführt. Unter einer neuen Rubrik: Flash Forward.
Sie war der erste Newcomer der Esten überhaupt in Cannes 2007,
gegen Ende des folgenden Festivals werden Updates folgen.

Kadris Homepage.

Aus den director's notes von der Webseite "Magnusfilm":
Once I asked a famous author how does one recognize the day when one has to write the first sentence of the first novel. The author replied that when this day comes, one would just recognize it, like you'll understand when you're in love when you're in love. It really is so.
I recognized my first love, my first book and... my first film.
The idea about Father and Son grabbed me totally and wouldn't set me free. I would have liked to have my writer's idyll back: to sip tea and write on the laptop in my cosy kitchen. Now, in addition to having tea and typing on the laptop, I had to beg for money, support and advice, I had to organize, run around, explain WHY.


Und weiter:
I was lucky to meet Donal Fernandes, who was sufficiently good-willing, crazy and bold to do something what hundreds of other film buffs hadn't dared to do – to produce the first Estonian independent feature film.


Das heisst, die ersten Tage des Filmfestivals hat sie viele repraesentative Aufgaben wie Interviews und Stellungnahmen uebernommen. Die Busan Ilbo, die Tageszeitung der 4 Millionenstadt wird ebenfalls berichten. Ein seltener Fall, dass das Wort Estland fallen wird. Die Vorstellung des Films beim Festival wird mitte naechster Woche sein.

Montag, Oktober 01, 2007

Alles Junkies, die Deutschen!

Nun geht es also doch nicht ganz allein, als "Gutsherrenprojekt" zwischen Ex-Kanzler Schröder und dem "lupenreinen Demokraten" Putin angekündigt. Hat da jemand den beiden Gas-Kumpeln mit einem dicken Strich einfach mal eine Pipeline auf die Ostseekarte gemalt? Was anfangs allein als Projekt zwischen Russland und Deutschland (und den entsprechenden Energiekonzernen) angekündigt war - inzwischen müssen eine Reihe weiterer Ostseeanrainer einbezogen werden. Als Paradestück deutschen Renomées im Ostseeraum steht es jedenfalls keinesfalls mehr da.

(Foto: TAZ / DPA) Deutschland hänge "wie ein Junkie" am russischen Erdgas - diese Äußerung der estnischen Parlaments- präsidentin Ene Ergmaa meldet AFP am 30.9. (AFP / Verivox). Die TAZ geht schon einen Schritt weiter, und erklärt den Zeitplan für den Pipelinebau als ins Wanken geraten (TAZ). Anlaß ist die Weigerung Estlands zur Erlaubnis von "Voruntersuchungen" in estnischem Seegebiet: vor Estland wäre der Meeresboden flacher, und gleichzeitig tiefer gelegen. Eine Route über Finnland würde umfangreiche Sprengungen erfolgen. Letzteres würde unüberschaubare Folgen für die Fisch- und Vogelpopulationen haben, zitiert die TAZ Jorma Jantunen von der Umweltbehörde der Provinzverwaltung im finnischen Uusimaa.

Das NordStream-Konsortium selbst (an dem die russische GazProm 51%, E-ON Ruhrgas und Wintershall je 25% Anteile halten) gab am 21.August die Verlegung der Pipeline-Route nördlich der dänischen Insel Bornholm bekannt - angeblich, um noch am Meeresboden befindliche Munitionsreste aus dem 2.Weltkrieg zu umgehen. Nun ist die neue Route aber nahe den schwedischen Gewässern, und dortige Fischer geraten bereits in Aufregung.

Die Ukraine, Litauen und Polen sind gleichfalls abgeschreckt von dieser Strategie (erst Baubeginn bekannt geben, dann Einzelheiten verhandeln). Da kann auch nicht die Zusicherung deutscher Politiker trösten, man könne ja jederzeit das Gas dann aus Deutschland beziehen, denn für den Bau einer Energiebrücke zwischen Polen und Litauen ist bereits ebenfalls grünes Licht gegeben.

Schon tauchen aber auch Kostenargumente in der Diskussion auf. Der Bau der Pipeline wird immer teurer; angeblich ist der Gasbedarf niedriger, als bei Abschluß des Vertrages zwischen Putin und Schröder kalkuliert. Andererseits ist klar, dass die strikte Weigerung Estlands gegen Voruntersuchungen zur Pipeline die estnisch-russischen Beziehungen nicht verbessern helfen kann. Dem entsprechend zitiert die russischsprachige Presse auch regierungskritische Pressestimmen in Estland: da wird etwa die Ausgabe von "Eesti Päevaleht" vom 20.9. zitiert, in der die Regierungsentscheidung als "hinsichtlich der langfristigen Interessen Estlands" als "dumme und kurzsichtige Politik" kommentiert worden sei. Oder "Postimees" vom 24.9.: "Die Innenpolitik wird zunehmend von traumatischem Nationalismus, Russenhass, Populismus sowie von einem Kult apokalytischer Szenarien und Bedrohungen geprägt." Und „Pöhjarannik“ habe am 24.09. geschrieben: "Nun wird das Rohr auf der finnischen Seite verlegt (…) Estland wird sich indes in europäische Sackgasse verwandeln." (Aussagen zitiert in: RIA NOVOSTI vom 28.9.07).

Aus deutscher Sicht muss sicherlich erinnert werden, dass Estland eher als "Ölschieferjunkie" dasteht (wenn man solche Vergleiche schon bemüht), oder auch, zusammen mit den baltischen Nachbarn, als "Atom-Jünger" (in Litauen soll ein neues, teures Atomkraftwerk gebaut werden, ganz im Sinne immer wiederkehrender Lobpreisungen natürlich besser, sicherer und effektiver als alle AKWs vorher ...)

Oder erkundigen wir uns doch mal selbst, was "unser Mann bei Gazprom & Nordstream" so macht. Die Handynummer von NordStream-Manager Jens Müller ist die folgende: +41-792959608.