Ein Überraschungsei hatte Estlands Präsidentin Kersti Kaljulaid zu Ostern für ihre Landsleute und die internationale Öffentlichkeit parat: ein Besuch bei Russlands Präsident Putin am Gründonnerstag. Anlass war die Wiedereröffnung der Estnischen Botschaft in Moskau. "Ich bin lieber an einem Tisch, als auf der Speisekarte" zitierte die "Moskau Times" ("I’d rather be at the table than on the menu").
Von estnischer Seite sei zur Sprache gebracht worden das noch immer nicht
vom russischen Parlament ratifizierte estnisch-russische Grenzabkommen
und die umstrittene Gaspipeline Nordstream II, hieß es. Putin habe seinerseits eine "Glorifizierung des Nazismus" in Estland thematisiert,
ebenso wie die Situation der Nichtstaatsbürger und der
russischsprachigen Schulen in Estland. Eine gemeinsame Pressekonferenz
gab es jedoch nicht.
"Wir sprachen über schwierige
Themen und zeigten gegenseitigen Respekt auch in den schwierigsten
Momenten," gab Kaljulaid der Presse zu Protokoll. "Es gibt in den
Beziehungen zweier Nachbarn immer Themen von gemeinsamem Interesse, und
wir können etwas tun für die Menschen und für die Wirtschaft." Sie habe
den russischen Präsidenten eingeladen beim finn-ugrischen Weltkongress
2020 in Tartu dabei zu sein.
Kritik und irritierte Anmerkungen gab es von mehreren Seiten. Aus Litauen meldete sich Außenminister Linas Linkevičius mit dem Appell zu mehr "Absprachen" - beim Dialog mit Moskau sei "Vorsicht geboten" (err). Litauen jedenfalls sei nichts über die Themen der Diskussion zwischen Putin und Kaljulaid bekannt gewesen.
Bezüglich Russland führe "zu viel Enthusiasmus regelmäßig zu Enttäuschung", bemerkte Ex-General Riho Terras, der erst kürzlich seinen Einstieg in die Politik mit dem Beitritt zur estnischen Vaterlandspartei "Isamaa" und die Kandidatur für einen Sitz im Europaparlament gekannt gegeben hatte. Die Initiative der estnischen Präsidentin wiederspreche auch dem Prinzip eines einheitlichen Vorgehens aller NATO-Mitglieder (err / skaties)
Das deutsche ZDF meldete das Treffen als "seltener Kontakt". Die Putin-treue Moskauer Presse versuchte, eine angebliche "Nervosität" der estnischen Präsidentin herauszustellen: immerhin habe es seit 2008 keine offiziellen Treffen mehr gegeben, und trotz der großen Nähe der estnischen Boschaft zum Kreml habe Kaljulaid es vorgezogen, mit dem Auto bei Putin vorfahren zu wollen (youtube / Russia Inside). Estland strebe nach einem Sitz als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrats der vereinten Nationen (UN), und sei durch die EU-Sanktionen gegen Russland selbst wirtschaftlich stark geschädigt. - Angesichts des strahlend blauen Kostüms der Präsidentin sparte die russische Presse selbst Modefragen nicht aus: ausführlich wurde Kaljulaids oft praktizierte Angewohnheit herausgestellt, sich bei Staatsbesuchen an den Flaggenfarben des Gastlandes zu orientieren.
Die estnische Tageszeitung "Postimees" zitiert den Sicherheitsexperten Kalev Stoicescu mit dem Hinweis, Kaljulaid habe noch 2017 geäussert Putin
nicht eher besuchen zu wollen, bis wenigstens das Grenzabkommen von der
russischen Seite ratifiziert sei. Dieses Thema sei vielleicht auch das wichtigste dieses Treffens gewesen - denn Putin habe jederzeit die Möglichkeit dieses Thema voranzubringen, während von Seiten der neuen estnischen Regierung eher wenig Einigkeit zu erwarten sei. Kristi Raik, Direktorin des Estnischen Aussenpolitischen Instituts, wies darauf hin dass Kommunikatrion auf diplomatischer Ebene jederzeit notwendig sei. (Postimees)
In einer Rede anläßlich der Wiedereröffnung der Botschaft hatte Kaljulaid die erste Botschaft aus dem Jahr 1921 in Erinnerung gerufen und betont, dies sei nicht nur die älteste Botschaft der Republik Estland, sondern damals auch die erste Vertretung eines europäischen Landes im bolschewistischen Russland.
Rede von Präsidentin Kaljulaid zur Botschaftseröffnung / Statement Kreml
Ist Estland eigentlich "baltisch"? Die estnische Sprache ist ja dem Finnischen ähnlich (finno-ugrisch), und das sogenannte "Baltikum" ist sowieso ein Behelfsbegriff ohne Grundlage. Noch viel zu wenig ist in Deutschland bekannt über Kultur und Geschichte, über Politik und Gesellschaft in Estland. Die jungen Europäer in Deutschland und Estland werden die Zukunft prägen! Wir rufen auf zur Diskussion.
Montag, April 22, 2019
Das Kaljul-Ei
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Donnerstag, April 18, 2019
Auf ein Wort
Estland macht sich Sorgen. Um die Zukunft? Die neue Regierung? Das auch. Aber die Estinnen und Esten beschäftigen sich offenbar auch mit sehr "estnischen" Fragen. Wir lernen: auch die Eigenschaft "estnisch" an sich ist offenbar noch zu steigern. Gesucht wurde in Estland nämlich kürzlich "das allerestnischte" - oder wie soll man sagen? Das am meisten Estland-typische .... Wort.
"Schande - häbi!" könnte es einem spontan entfahren, angesichts der Merkwürdigkeiten der aktuellen Regierungsbildung. Aber nein, ein Wort mit nur vier gewöhnlichen Buchstaben, das war natürlich gar nicht in der engeren Auswahl. "Jäääär" - kommt mir als nächstes in den Sinn; wahrscheinlich schon viel "estnischer", und mit vierfach-Vokal: eine estnische Band, und, einige Jahre lang ein in Berlin beliebtes estnisches Café (zur Zeit nur noch in den Facebook-Memories existent).
"Tööö" oder "Kuuuurija" schlägt uns der Blog "Auf in den Norden" als herausragende estnische Worte vor (Nachtarbeit, Mondforscher). Nicht ohne zu ergänzen, dass es auch Wörter gäbe im Estnischen, die nur zu beschreiben, aber nicht zu übersetzen seien - aber selbst ein schönes Wort wie "Hauaööõudused" kam beim estnischen Wettbewerb nicht ganz nach vorn.
Sõnajalaõis - die "Farnblüte" soll es jetzt also sein. Das "estnischte", sozusagen (ERR). "Eine fantastische Wahl!" jubelt Rain Kooli (Eesti Rahvusringhääling / Estnischer Rundfunk ERR). In diesem Wort seien ethnisch-mystische Aspekte genauso enthalten wie die Sehnsucht nach Glück. 7000 Stimmen wurden insgesamt abgegeben. Auch eine gesungene Version mit diesem Titel soll es bereits geben.
Da irritiert nur eine Mitteilung im "Looduskalender", geschrieben bereits 2010. Dort heißt es:
"In der estnischen Volksüberlieferung ist der Rainfarn, sõnajalaõis, eine magische Blume. Sie blüht nur für sehr kurze Zeit in der Mitsommernach, und soll dem Finder Glück bringen können, sowie die Fähigkeit, die Tiersprache zu verstehen, Unsichtbarkeit, Reichtum und vieles mehr."-
Trösten wir uns, vermutlich ist da nicht "Rainfarn" (Tanacetum vulgare) gemeint, eine Pflanze die zumindest in Deutschland sehr gewöhnlich und weit verbreitet ist. Wie wir u.a. auf "Kostbare-Natur" nachlesen können, gehört dieser nicht zu den Farnen, sondern zu den Korbblütlern. Früher soll man in Livland Wurmkuren für Pferde mit Rainfarn zubereitet haben, so berichten alte Enzyklopädien. Auch Johannes Brobowski soll übrigens schon den Rainfarn als Übersetzung für "Farnblüte" missverstanden haben - lernen wir beim "Deutschlandfunk" (siehe auch: Planet Lyrik). Vielleicht kommt das daher, wie wir in den Annaberger Annalen nachlesen können, dass es bei Brobowski sogar eine eigene Erzählung mit dem deutschen Titel "Rainfarn" gibt - die von einem Kraut erzählt das unsichtbar macht.
Wie auch immer: ob nun reale "Sõnajalaõis", oder nur fantasierte - vermutlich werden die Estinnen und Esten auch dieses Jahr zu Mitsommer nicht mit dem schlichten Rainfarn (Harilik soolikarohi) am Wegesrand zufrieden sein. Einige haben schon begonnen damit, im Internet "Fake-Sõnajalaõis" zu posten - also angeblich in der Mitsommernacht gefundene Farnblüten. Für alle, die mehr als nur EIN Wort Estnisch lernen wollen: den Wortschatz zum Mitsommer-Feiern hat bereits der "Eestikultuurist" zusammengetragen. Nehmen wir - als Deutsche - das Ganze mal als Ermutigung, von der schönen Sprache des Estnischen doch mehr als nur "Terviseks" zu lernen (ganz deutsch betont auf der letzten Silbe ...).
"Schande - häbi!" könnte es einem spontan entfahren, angesichts der Merkwürdigkeiten der aktuellen Regierungsbildung. Aber nein, ein Wort mit nur vier gewöhnlichen Buchstaben, das war natürlich gar nicht in der engeren Auswahl. "Jäääär" - kommt mir als nächstes in den Sinn; wahrscheinlich schon viel "estnischer", und mit vierfach-Vokal: eine estnische Band, und, einige Jahre lang ein in Berlin beliebtes estnisches Café (zur Zeit nur noch in den Facebook-Memories existent).
"Tööö" oder "Kuuuurija" schlägt uns der Blog "Auf in den Norden" als herausragende estnische Worte vor (Nachtarbeit, Mondforscher). Nicht ohne zu ergänzen, dass es auch Wörter gäbe im Estnischen, die nur zu beschreiben, aber nicht zu übersetzen seien - aber selbst ein schönes Wort wie "Hauaööõudused" kam beim estnischen Wettbewerb nicht ganz nach vorn.
Sõnajalaõis - die "Farnblüte" soll es jetzt also sein. Das "estnischte", sozusagen (ERR). "Eine fantastische Wahl!" jubelt Rain Kooli (Eesti Rahvusringhääling / Estnischer Rundfunk ERR). In diesem Wort seien ethnisch-mystische Aspekte genauso enthalten wie die Sehnsucht nach Glück. 7000 Stimmen wurden insgesamt abgegeben. Auch eine gesungene Version mit diesem Titel soll es bereits geben.
Da irritiert nur eine Mitteilung im "Looduskalender", geschrieben bereits 2010. Dort heißt es:
"In der estnischen Volksüberlieferung ist der Rainfarn, sõnajalaõis, eine magische Blume. Sie blüht nur für sehr kurze Zeit in der Mitsommernach, und soll dem Finder Glück bringen können, sowie die Fähigkeit, die Tiersprache zu verstehen, Unsichtbarkeit, Reichtum und vieles mehr."-
Trösten wir uns, vermutlich ist da nicht "Rainfarn" (Tanacetum vulgare) gemeint, eine Pflanze die zumindest in Deutschland sehr gewöhnlich und weit verbreitet ist. Wie wir u.a. auf "Kostbare-Natur" nachlesen können, gehört dieser nicht zu den Farnen, sondern zu den Korbblütlern. Früher soll man in Livland Wurmkuren für Pferde mit Rainfarn zubereitet haben, so berichten alte Enzyklopädien. Auch Johannes Brobowski soll übrigens schon den Rainfarn als Übersetzung für "Farnblüte" missverstanden haben - lernen wir beim "Deutschlandfunk" (siehe auch: Planet Lyrik). Vielleicht kommt das daher, wie wir in den Annaberger Annalen nachlesen können, dass es bei Brobowski sogar eine eigene Erzählung mit dem deutschen Titel "Rainfarn" gibt - die von einem Kraut erzählt das unsichtbar macht.
Wie auch immer: ob nun reale "Sõnajalaõis", oder nur fantasierte - vermutlich werden die Estinnen und Esten auch dieses Jahr zu Mitsommer nicht mit dem schlichten Rainfarn (Harilik soolikarohi) am Wegesrand zufrieden sein. Einige haben schon begonnen damit, im Internet "Fake-Sõnajalaõis" zu posten - also angeblich in der Mitsommernacht gefundene Farnblüten. Für alle, die mehr als nur EIN Wort Estnisch lernen wollen: den Wortschatz zum Mitsommer-Feiern hat bereits der "Eestikultuurist" zusammengetragen. Nehmen wir - als Deutsche - das Ganze mal als Ermutigung, von der schönen Sprache des Estnischen doch mehr als nur "Terviseks" zu lernen (ganz deutsch betont auf der letzten Silbe ...).
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Donnerstag, April 11, 2019
Digitalisiert, aber ungesund?
Auf der Suche nach dem Glück - bekannt ist vielleicht die Umfrage, der zufolge angeblich die Dänen die glücklichsten Menschen Europas sind.Viele Estinnen und Esten sind wahrscheinlich nicht sehr glücklich über die neue Regierung, die sich gerade gebildet hat - ab sofort werden nicht mehr nur die sowjetromantischen Ideologen aus Moskau auf Rechtsradikale in Estland hinweisen.
Nein, Umgang und Ausmaß des Glückes wird ja in Europa gern in Form von Statistiken gemessen. Und ein sehr wichtiger Bestandteil - bei den guten Wünschen für die Zukunft immer ganz vorn - ist die Gesundheit. Nun könnten wir annehmen, ein so naturnahes und gleichzeitig von Modernisierungen geprägtes Leben wie in Estland kann doch nur gesund sein - aber oh Schreck! Hier wurden nicht die Ärzte gefragt, sondern die betroffenen Menschen. Und siehe da: nur jeder zweite Este fühlt sich gesund.
Was ist da passiert? Wurden die Befragungen am Flughafen Tallinn gemacht, wo vielleicht arbeitslose, frustrierte Est/innen kurz vor dem Abflug zur Arbeitssuche nach irgendwohin stehen? Oder im Hafen an den Anlegern der Schiffe nach Helsinki?
Dass die Est/innen ein klein wenig besser dastehen wie ihre Nachbarn aus Lettland und Litauen (wie so oft!), nein das ist kein Trost. Auch nicht, dass selbst in Deutschland, wo sicher viele Tausende Euro pro Patient und Einwohner mehr für das Gesundheitswesen verwendet wird als in Estland, das Grundgefühl eher ins Negative schwankt. Gesund und glücklich offenbar (mal wieder?) diejenigen, die nach Irland ausgewandert sind.
Auffällig auch der große Unterschied zwischen den Geschlechtern: 63,4% der estnischen Männer fühlen sich gesund, aber nur 53,7% der Frauen (eurostat). Hier fällt auf, dass in den ärmeren EU-Ländern dieser Unterschied sehr viel größer ausfällt als in den reicheren. Während es in Deutschland nur 3,8%, in Dänemark nur 1,6% und in Luxemburg sogar nur 0,4% Unterschied sind, fällt diese Kluft in Litauen mit 11,4% und in Lettland mit 12,5% besonders groß aus. Glückliche Frauen dagegen in Irland: hier fühlen sich sogar mehr Frauen als Männer gesund.
Eine der möglichen Ursachen wäre das Alter: die Aussage man fühle sich gesund geht mit dem Alter zurück, und durchschnittlich werden Frauen älter als Männer. Aber mehr sagt uns die Eurostat-Statistik an dieser Stelle nicht. Hoffentlich macht es nicht krank, solche Statistiken zu lesen - ähnlich, wie es beim Anblick der neuen estnischen Regierung gehen könnte ...
Nein, Umgang und Ausmaß des Glückes wird ja in Europa gern in Form von Statistiken gemessen. Und ein sehr wichtiger Bestandteil - bei den guten Wünschen für die Zukunft immer ganz vorn - ist die Gesundheit. Nun könnten wir annehmen, ein so naturnahes und gleichzeitig von Modernisierungen geprägtes Leben wie in Estland kann doch nur gesund sein - aber oh Schreck! Hier wurden nicht die Ärzte gefragt, sondern die betroffenen Menschen. Und siehe da: nur jeder zweite Este fühlt sich gesund.
Was ist da passiert? Wurden die Befragungen am Flughafen Tallinn gemacht, wo vielleicht arbeitslose, frustrierte Est/innen kurz vor dem Abflug zur Arbeitssuche nach irgendwohin stehen? Oder im Hafen an den Anlegern der Schiffe nach Helsinki?
Dass die Est/innen ein klein wenig besser dastehen wie ihre Nachbarn aus Lettland und Litauen (wie so oft!), nein das ist kein Trost. Auch nicht, dass selbst in Deutschland, wo sicher viele Tausende Euro pro Patient und Einwohner mehr für das Gesundheitswesen verwendet wird als in Estland, das Grundgefühl eher ins Negative schwankt. Gesund und glücklich offenbar (mal wieder?) diejenigen, die nach Irland ausgewandert sind.
Auffällig auch der große Unterschied zwischen den Geschlechtern: 63,4% der estnischen Männer fühlen sich gesund, aber nur 53,7% der Frauen (eurostat). Hier fällt auf, dass in den ärmeren EU-Ländern dieser Unterschied sehr viel größer ausfällt als in den reicheren. Während es in Deutschland nur 3,8%, in Dänemark nur 1,6% und in Luxemburg sogar nur 0,4% Unterschied sind, fällt diese Kluft in Litauen mit 11,4% und in Lettland mit 12,5% besonders groß aus. Glückliche Frauen dagegen in Irland: hier fühlen sich sogar mehr Frauen als Männer gesund.
Eine der möglichen Ursachen wäre das Alter: die Aussage man fühle sich gesund geht mit dem Alter zurück, und durchschnittlich werden Frauen älter als Männer. Aber mehr sagt uns die Eurostat-Statistik an dieser Stelle nicht. Hoffentlich macht es nicht krank, solche Statistiken zu lesen - ähnlich, wie es beim Anblick der neuen estnischen Regierung gehen könnte ...
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