Montag, Februar 20, 2017

Europa träumen mit Laanemäe


Nein, eigentlich gibt es kein andere Partei in Deutschland, die noch mehr davon redet Europa eigentlich selbst erfunden zu haben, als die CDU. Vielleicht passte der Geist von de Gaulle und Adenauer in ihre Zeit, und bewirkte durchaus Großes – aber dass er auch heute noch vorhergetragen werden muss, wenn es um die Zukunft Europas geht, da mag mancher um eben diese Zukunft Sorgen bekommen.

Nun, die Adenauer-Stiftung hat eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen: Europabilder. Und das erste „Bild“ sollte, im Rahmen eines gut besuchten Vortrags am 15. Februar, der estnische Botschafter Mart Laanemäe beitragen. Er nahm es wörtlich. Wer ihn kennt, dem ist ja auch seine Art, steil himmelwärts blickend die Worte sorgsam zu erwägen, bekannt. Für eine moderierte Diskussion mag das immer reichen, zumal wenn der Moderator bisher nicht durch veröffentlichte estnische Sachkenntnis aufgefallen ist. Aber dieses, offenbar ohne Redemanuskript vorgetragene, eher laut gedachte Suchen nach Bildern war anfangs mühsam diesmal. Sehr mühsam.
Laanemäe, der seinem Publikum versuchte zu beschreiben, an welcher Stelle genau Kanzlerin Merkel die hohen Staatsgäste empfängt, an den Wänden die Abbilder der Karlspreisträger vieler Jahrzehnte, wirkte eher wie jemand, der weder in solchen Fällen einfach mal ein Selfie mit dem Handy machen kann, noch die Regeln der Fotografie mit Kontrast, Blende und Tiefenschärfe richtig verstanden hat. Eigentlich wisse er auch gar nicht so richtig, wie Europa aussehe, meinte er schließlich – also konkrete Bilder für das momentan existierende Europa könne er sich da viel weniger vorstellen als für das zukünftige Europa. Doch genau dies wirkte dann doch wie ein sehr schlicht geschneidertes Rezept: einfach das Gute von Europa für die Zukunft bewahren, das Schlechte weglassen, gab Laanemäe seinem Publikum zu verstehen. Erstaunlich: sind solche Plattheiten wirklich das Surrogat aus jahrelanger diplomatischer Erfahrung? Manche der Gäste wünschten sich von estnische Seite gar eine Kur für Deutschland: ob der Herr Botschafter denn vielleicht Vorschläge habe, wie Deutschland verbessert werden könnte, wurde gefragt. Nein, da könne er viele Ländern nennen, zu denen ihm sofort etwas einfallen würde, aber Deutschland? Leider nein.

Erheblich konkreter wirkte der in Kanada geborene Laanemäe, gerade frisch zum zweiten mal als estnischer Vertreter in Deutschland ernannt, bei estnischen Alltagsfragen. Aber das lag auch teilweise an den geduldigen Fragen seiner Zuhörerinnen und Zuhörer – offenbar mehrheitlich Estland-Fans. Das ging von den häufig schon neu aufgewärmten Tunnelbauplänen für die Strecke Tallinn-Helsinki, über die Gasversorgung im Ostseeraum, bis zum erfolgreichen Roggenanbau in Estland. Bei der Frage nach der Lage der Russen in Estland ließ das Publikum eine sehr vage Antwort zu. Zahlen wurden hier nicht genannt. Auf die Frage, wieviele der gebürtigen Russen denn inzwischen die estnische Staatsbürgerschaft beantragt hätten, meinte Laanemäe lediglich: „es haben insgesamt mehr beantragt als bis jetzt nicht beantragt“.
Für sich genommen wirken solche Antworten wirklich ausweichend, doch Moderator Zeeck, ein offenbar verdienter Adenauer-Stipendiat schaffte es, gleichzeitig noch angebliche Pläne in den Raum zu stellen, die Region Narwa aus Estland herauszulösen und Russland zuzuschlagen. Exakte Quellen für solche angeblichen Zitate wurden keine genannt (sowas habe er vor 20 Jahren mal irgendwo gehört). Wer will da schon noch Fakten über die Gegenwart hören, wenn gleich daneben Dinge behauptet werden, von denen es Lanemäe nicht schwerfällt sie klar zu dementieren.

Was bleibt also von diesem Abend? Die „estnischen Bilder“ von Europa (Fotos) wurden leider schon vor Beginn des Vortrags gezeigt – das verriet die Veranstaltungsleitung, nachdem alles vorbei war. Weder während des Vortrags, noch als Illustration während des Abends gab es Fotos aus dem Herkunftsland des Gastlektors – sicher ein Detail, das bei den kommenden, ähnlichen Abenden noch optimiert werden kann.

Wirklich neu waren die Antworten Mart Lanemäes auf die Frage, warum er nun schon zum zweiten Male nach Deutschland entsandt worden sei. Ob er es beim ersten Mal so herausragend gut gemacht habe? „Nun ja,“ meinte Laanemäe schmunzelnd, "manche nennen es auch 'nachsitzen'.“ In Wirklichkeit sei dieses Verfahren aber eine indirekte Folge des BREXIT, und der Tatsache, dass Estland anstelle Großbritanniens nun schon in wenigen Monaten den EU-Ratsvorsitz zu übernehmen habe. Da habe man in Brüssel eben sehr viele Leute gebraucht. Blieb Laanemäe für Deutschland. Vielleicht auch wirklich deshalb, weil - wie auch auf dieser Veranstaltung zu beobachten war, Mart Laanemäe zwar auf so manches Deutsche, auf vieles Estnische zu fokussieren weiss – aber so gut wie nichts zur Zukunft Europas. „Nehmen wir das Positive, lassen wir das Schlechte weg“ wirkt jedenfalls nicht wie ein Konzept für Praktiker.

Sonntag, Februar 12, 2017

Dorf plus Dorf = 5000

Die estnische Regierung plant eine umfassende Gemeindereform für ganz Estland: in Zukunft soll eine Mindestzahl von 5000 Einwohnern gelten, um als selbstständige Gemeinde weiterbestehen zu können - bisher wiesen 80% aller estnischen Gemeinden weniger als 5000 Einwohner auf. Einige Ausnahmen sieht die Reform vor: die Inselgemeinden Kihnu, Muhu, Vormsi und Ruhnu bleiben in der bisherigen Form bestehen.

Die Gemeindevertreter Estland müssen sich bis zum 15. Mai zu einem Vorschlag des estnischen Finanzministeriums Stellung nehmen. Auf dieser Liste befinden sich zum Beispiel Vorschläge zur Vereinigung der Gemeinden Padise, Paldiski und Keila im Westen Estlands, Alatskivi, Kallaste und Pala am Peipsi-See im Osten, oder Puka, Otepää und Sangaste im Süden des Landes (siehe ERR).
Das zuständige Ministerium betont seinerseits, dass bisher bereits viele Gemeinden (160 der anvisierten 213) einen Zusammenlegungsvorschlag vorgelegt haben, den die Regierung für akzeptabel gemäß der beabsichtigten Kriterien hält. Nach der Reform wird die Gemeinde Saaremaa die einwohnerstärkste Landgemeinde Estlands sein (32.000 Einwohner).

Aber der zukünftige Gemeindezuschnitt wird nicht nur eine Frage von Zahlen und Finanzen sein. Über manche der vorgesehenen gemeinsamen Namen gibt es noch anhaltende Diskussionen.
eine Karte der Zeitung "Postimees" zur Verdeutlichung
von Plänen zur Zusammenlegung
So pocht die kleine Gemeinde Lüganuse (deutsch: Luggenhusen) zum Beispiel auf eine Tradition bis zurück ins 13. Jahrhundert, während es Kiviõli erst 70 Jahren gäbe - 1928 durch den Ölschieferabbau geschaffen (Postimees). Kiviõli selbst war 1957-1991 Teil der Gemeinde Kohtla-Järve, und besteht eher aus russischsprachigen Einwohnern, während Lüganuse eher estnisch dominiert ist. Kiviõli ist bekannt wegen der dort stattfindenden Motocross-Rennen, Lüganuse eher durch sichtbare Kulturgeschichte wie ein markanter runder Kirchturm. - Da ist noch viel Platz für Diskussionen und neue Lösungsvorschläge während der kommenden Wochen. Dennoch ist der Zeitplan eng: die noch für 2017 anstehenden Kommunalwahlen sollen in den Gemeinden nach dem neuen Zuschnitt erfolgen.