Mittwoch, Dezember 25, 2013

Jahreslauf, estnisch

Estnischer Jahresrückblick - einmal anders:


Nochmal etwas für Käsmu-Freunde ...
(Bilder der Käsmu-Webcam, Foto: Toomas Tuul, Musik: Jaan Tätte juunior)

Dienstag, Dezember 24, 2013

Sotschi-Kandidaten

Sollte es bei den Olympischen Winterspielen überraschend auch estnische Medaillengewinner geben, so wird es einer von diesen Namen sein:

Langlauf: Aivar Rehemaa, Anti Saarepuu, Kein Einaste, Algo Kärp, Een Vahtra, Karel Tammjärv, Raido Ränkel, Piret Pormeister, Timo Simonlatser, Heidi Raju, Siim Sellis, Laura Alba, Kaija Vahtra, Peeter Kümmel, Triin Ojaste, Tatjana Mannima.

Alpinski: Warren Cummings Smith, Tõnis Luik, Ranek Koni, Triin Tobi.

Snowboard: Kadri Pihla, Siim Paalo.

Nordische Kombination: Kail Piho, Han Hendrik Piho, Kristjan Ilves, Karl-August Tiirmaa.

Skispringen: Martti Nõmme, Kaarel Nurmsalu, Siim-Tanel Sammelselg.

Eiskunstlauf: Jelena Glebova, Viktor Romanekov.

Speed skating: Saskia Alusalu.

Biathlon: Kadri Lehtla, Kristel Viigipuu, Roland Lessing, Indrek Tobreluts, Daniil Steptšenko, Kauri Kõiv, Jan Treier, Grete Gaim, Johanna Talihärm, Daria Yurlova, Kalev Ernits, Rene Zahkna.
Die entgültige Teilnehmer/innen-Liste wird Ende Januar 2014 festgelegt. Doppel-Olympiasiegerin Kristina Šmigun-Vähi ist inzwischen zur Vice-Präsidentin des estnischen olympischen Komittees aufgerückt. Bei den drei vergangenen Winterspielen in Vancouver, Turin und Salt Lake City gab es jeweils auch estnische Medaillenerfolge. 

Quelle: estnisches AußenministeriumERR
Estnisches Olympisches Komittee

Freitag, November 29, 2013

Natürlich Natur

Mit einem Strauß Kornblumen wird Estland auf der "Grünen Woche" vom 17.-26.Januar 2014 in Berlin werben. Die Verbindung von "Natur" und "natürlich" ist dabei wohl gewollt. Dort, wo die Kornblume vorkommt - zum Beispiel am Rande von Kornfeldern - wirkt sie wie ein Bioindikator: bei starker Überdüngung verschwindet sie, ebenso beim Einsatz von Pestiziden.

Und der Roggen steht - laut Pressemitteilung der Berliner Messe - in Estland für Bier, Schnaps, Kali und Kama. Also: Mal Estland probieren in Berlin! 

Mittwoch, November 13, 2013

Hundert plus Eins

Wenn estnische Filmemacher Deutschland aufsuchen, kann das überraschende Formen annehmen: selbstverständlich, denn die Mischung aus Wortkargheit und spontanem Witz, der sich oft in Estland findet, dürfte manchem Estland-Freund und Estland-Freundin bereits bekannt sein.
Eine gute Gelegenheit zum Treffen mit estnischen Filmemachern und deren Werken bietet zur Zeit "Eesti Film 101", ein estnischer Filmabend, der an vier Abenden in dieser Woche in Bremen, in Kiel, in Hamburg und abschließend in Hamburg zu erleben ist.

Aber keine Angst: was hier geboten wird, kann ganz gemütlich vom Kinosessel aus genossen werden. Auch wenn Andres Maimik und Rain Tolk ihren Film "Umbkotid" (dessen Titel mit "Lappen" ins Deutsche übersetzt wurde, aber auch so etwas wie "Looser" heißen könnte) regelrecht warnten: es sei eine Art "Krankheit" damit verbunden. Wenn also nach ansehen dieses Films irgendwie ein Tag anbricht, wo man plötzlich sein ganzes Geld verliert, oder auf einer Bananenschale ausrutscht, ein Ehestreit ausbricht oder der letzte Bus nach Hause doch noch verpasst wurde - dann, so meinten beide scherzhaft, möchten sie bitte nicht dafür verantwortlich gemacht werden.

Wenn das Konzept nicht überzeugt, wenn
Powerpoint streikt, wenn das zu bewerbende Produkt 
nicht schmeckt, oder wenn der Art-Direktor gerade
krank ist: einfach auf den Tisch steigen 
und noch übertriebenere große Reden führen - so oder
so ähnlich nimmt "Umbkotid" die Mechanismen der 
Werbebranche auf die Schippe
"Umbkotid" nimmt die estnische Werbebranche auf die Schippe, und ein wenig Konsumkritik kann vielleicht auch in Estland gut tun, das werden die Betrachter vielleicht zugestehen. Und wer Rain Tolk und Andres Maimik bisher als Filmemacher kannte ("Kuku", "Kormoranid ehk nahkpükse ei pesta ", "Jan Uuspõld läheb Tartusse"), der lernt hier dazu, dass sie sogar in ihren eigenen Filmen sich nicht scheuen auch ihre Rollen selbst zu spielen. Ein Stück Autobiographisches ist also durchaus im Spiel, wenn sie in "Umbkotid" immer von der Realisierung eines "genialen Künstlerfilms" träumen, Kant und Kierkegaard lesen - aber dann doch einen billigen Werbefilm drehen und diesen sogar noch mit überschwenglichen Reden begründen. Dabei stehen Maimik und Kolk selbst ja nicht in Gefahr, schwache Billig-Produktionen machen zu müssen - als Regisseure und auch als Schauspieler waren sie sowohl mit Spielfilmen wie auch Kinofilmen schon erfolgreich ("Sügisball", "Pangarööv", "Seenelkäik"). Dabei machen sie sich in "Imbkotid" weder zu Helden, die wissen wie es geht, noch zu Fatalisten, die aus Verzweiflung dem Alkohol verfallen. "Die Motive für unsere Filme sind meist aus dem Alltag genommen", sagte Maimik im Gespräch mit Filmbesuchern in Bremen.

Die Zahl der Liebhaber estnischer Filme wächst - zumindest war das am Auftaktabend in Bremen zu spüren. Dazu tragen auch die Kurzfilme von Studierenden der "Baltic Film und Mediaschool Tallinn" bei, von denen eine Auswahl ebenfalls am "Eesti-Film 101"-Abend präsentiert wurden. Diesmal war Haardy Keerutaja selbst in Bremen, um seinen Film "95" vorzustellen, der alltägliche Situationen jugendlicher Esten auf überraschende Weise als spannende Geschichten erzählt. Der Titel "95" orientiert sich dabei an der Oktanzahl einer Benzinsorte, die der jugendliche Protagonist ja gern für das Famlienauto erwerben würde - wenn er das dafür vorgesehene Geld nicht längst für andere Verwendungszwecke ausgegeben hätte. So entstehen neue Handlungsverläufe, die Interesse dafür erzeugen, welche Wege und Auswege hier wohl noch begangen werden.

Stellten sich im City46 in Bremen den Filmfreunden 
zur Diskussion: Kristiina Jessen, Kristin Laufer
(für die Filmauswahl "Eesti 1010" verantwortlich), 
Rain Tolk, Andres Maimik
Das Organisationsteam von "Eesti Film 101" in Deutschland ist durchweg weiblich: die beiden Estinnen Kristiina Jessen aus Bremen und Kristin Laufer aus Berlin weiteten in diesem Jahr das Programm sogar noch aus, nach dem es auch 2012 (zum 100.Jubiläum des ersten estnischen Films) bereits in Bremen und Hamburg einen Filmabend gegeben hatte. Fürs nächste Jahr gibt es bereits neue Pläne, aber vor allem Sponsoren werden noch gesucht: Vorschläge, welche weiteren Städte die Veranstaltungsreihe möglichst noch berücksichtigen sollte, nehmen beide gern entgegen - besonders gern in Verbindung mit entsprechender Finanzierungshilfe. Also dann: heute abend (13.11) in der "Pumpe" in Kiel, morgen (14.11.) im "3001 Kino" in Hamburg, am 15.11. im Bundesplatz Kino in Berlin - oder im nächsten Jahr wieder mit neuer Auswahl.

Mehr Fotos

Montag, Oktober 21, 2013

Zentrum landesweit vorn

Den vorläufigen amtlichen Endergebnissen der Kommunalwahlen in Estland zufolge gibt es kaum einschneidende Veränderungen: wer bisher vorn war, bleibt vorn. Die estnische Zentrumspartei erreichte landesweit im Durchschnitt 31,9% (199.888 Stimmen) und entsprach damit ziemlich exakt den Vorhersagen.
Die konservative "ProPatria/Respublica" (Erakond Isamaa ja Res Publica Liit) erreichte mit landesweit 17,2% eine Steigerung (2009=13,9%) auch gegenüber den Prognosen, dagegen schnitt die Reformpartei von Regierungschef Andrus Ansip mit 13,75% (gegenüber 16,7%) diesmal deutlich schwächer ab.
Die Sozialdemokraten, die einige Vorhersagen bei 15-16% sahen, liegen mit 12% klar darunter, aber dennoch um 5% besser als bei den vorangegangenen Wahlen 2009.

Kann sich jetzt wieder intensivem Hundestreicheln
widmen: der unterlegene Bürgermeisterkandidat
Niils Eerik Kross
Keine Zweifel gab es in Estlands beiden großen Städten: in Tallinn gewann Bürgermeister Edgar Savisaar mit 52,5% klar, während in Tartu die beiden konservativen Parteien zusammen die stärksten Parteien sind. Voraussichtlich wird die Zentrumspartei im Stadtrat Tallinns über 46 von 79 Sitze verfügen können.

In der englischsprachigen Wochenzeitung "Baltic Times" war Kritik daran nachzulesen, dass die estnischen Parteien fast keine Mühe darauf verwandten, ihre Wahlprogramme den Wählerinnen und Wählern klar zu machen - vieles hing von den Werbekampagnen rund um die Spitzenkandidaten ab.

Der Anteil der Wähler, die ihre Stimme per Internet abgaben, ging verglichen mit den letzten Parlamentswahlen leicht zurück (133.661), stieg aber um 30% im Vergleich zu den Kommunalwahlen 2009. Die Zahl der Wähler, die vorab bereits ihre Stimme abgaben (E-Voting + Briefwahl) stieg auf einen Rekordwert von 42,3% aller abgegebenen Stimmen an.
Die Wahlbeteiligung lag diesmal nur bei 57,68% gegenüber 60,6% zuvor.

Estnisches Wahlamt

Samstag, Oktober 19, 2013

Aussenminister Urmas Paet in Seoul auf der International Conference on Cyberspace

Ich glaube, da haben sich Koreaner und Esten einiges zu sagen, wenn es um Sicherheit im Internet geht. Mal schauen, ob über die Konferenz berichtet wird.

Update. Hm, es ist wie immer. Steuerzahler geben am Ende das Geld für diese Konferenzen aus, die in den Anfangsansprachen auch ihre Wichtigkeit erhalten. Aber dann ist Sendepause. Keine Infos, keine Diskussionen oder Skripte im Internet. Das nervt sowas, und ist so von gestern. Ich habe reichlich gegoogelt und nur zwei englischsprachige Freaks gefunden, die in Seoul wohnen. Die haben dazu was Substantielles geleistet. Als Vorleistung zur Konferenz. Acht Videos, selbstgestrickt: Super Bassette Brothers Estland, Korea. Ich dachte wir sind im Internetzeitalter.

Samstag, Oktober 05, 2013

Wer geht noch zur Wahl?

Die nächsten Termine für Wahlberechtige in Estland kommen in schöner Regelmäßigkeit: 2014 die Europawahlen, 2015 die Parlamentswahlen, 2016 die Präsidentschaftswahlen. Was ist also 2013 noch abzuarbeiten? Richtig, die Kommunalwahlen, mit Bürgermeisterwahlen auch in der Hauptstadt Tallinn. Am 20.Oktober ist Wahltag in den Städten und Gemeinden, aber das Wahlamt verkündet überraschend: nur noch 5 Tage bis zur Wahl!

Das zielt auf die sogenannten "E-Wähler". Mit 60,6% war zwar die Wahlbeteiligung insgesamt durchaus nicht überragend, aber der Anteil derjenigen Wählerinnen und Wähler, die mit Hilfe ihrer ID-Karte und einem Lesegerät per Internet ihre Stimme abgaben, ist erheblich angewachsen. Als diese Möglichkeit bei den Kommunalwahlen 2005 erstmals angeboten wurde, nutzeten das lediglich 0,9% der Wahlberechtigten (= 1,9% derjenigen, die an der Wahl teilnahmen). Damals waren die Schlagzeilen von Estland als einem der ersten Staaten in Europa mit Stimmabgabemöglichkeit per Internet weitaus größer als der tatsächliche Teilnahmeeffekt. Seitdem ist aber viel Zeit vergangen: bei den Parlamentswahlen 2007 wurden schon 5,5% der Stimmen elektronisch gezählt, bei den Europawahlen 2009 waren es 14,7%, bei den Kommunalwahlen im selben Jahr 15,8%. Und bei den Parlamentswahlen 2011 nutzten dann schon 24,3% die virtuellen Möglichkeiten. Also: für mindestens 1/4 der Wahlberechtigten könnte also auch diesmal gelten: schon in 5 Tagen beginnt die Wahl!

Der Spruch "Geh zur Wahl!" trifft in Estland also nicht mehr so ganz das beabsichtigte Anliegen. Allerdings hat die Internet-Euphorie auch nicht zu einer erheblich höheren Wahlbeteiligung beigetragen: 60% wären schon zufriedenstellend, für estnische (Kommunalwahl-)Verhältnisse. Die fürs E-Voting vorgesehene Periode läuft vom 10. bis zum 16 Oktober.

Etwas weniger vorhersehbar sind da natürlich die Ergebnisse der Wahlen. In Tallinn kann laut Umfragen Amtsinhaber Savisaar auf die Stimmen von etwa 44% der Hauptstädter hoffen, seine Gegenkandidaten Eerik-Niiles Kross (Pro Patria and Res Publica Union IRL) kommen nur auf 15%, Andres Anvelt (Sozialdemokrat SDE) auf 9%, und Valdo Randpere (Reformpartei) auf 7%.
Auch eine Art "Wahlomat" wurde in Estland kürzlich gestartet und heißt hier "Parlamendikompass". Ausserhalb der Hauptstadt machen die Kommunalwahlen derzeit noch wenig Schlagzeilen. Mal sehen, ob das Wahlergebnis daran etwas ändern wird.

Statistik zum Internet-Voting in Estland  / Details zur Wahl per Internet / Estnisches Kommunalwahlgesetz (engl. Übersetzung)

Dienstag, September 10, 2013

Schuhe aus Tartu

"Schuster, bleib bei deinen Leisten!"
diesen Wahlspruch wird Sille Sikmann
sicher gern beherzigen, denn die
Leidenschaft fürs Schuhwerk ist
gerade erst frisch entdeckt
"Estnische Männer haben besondere Füße!" Diese Ansicht vertritt die Estin Sille Sikmann, und sie scheint einen besonderen Blick für diese Thematik zu haben. Als gelernte Designerin ging sie für ein Semester nach Helsinki. Aus einer Übungsaufgabe, Entwürfe für Schuhe zu machen, wurde ihre Passion: "Ich habe gemerkt: das ist meine Sache! Es fiel mir leicht - wo andere nur einen Entwurf hinbekommen haben, da hatte ich schon fünf fertig ..."

Nach einer weiteren Auslandserfahrung in Ungarn und einer Studie zum Markt für Männerschuhe wagte Sille den Schritt in die Selbständigkeit. Ihre Werkstatt ist in der Antoniusgilde in Tartu zu finden, und von hier aus knüpfen sich langsam "Schuhmacher-Kontakte" über ganz Estland und darüber hinaus. Manche Frauen äussern sich offenbar manchmal kritisch dazu, dass Sille sich ausschließlich Männerschuhen gewidmet hat - andererseits schien die Idee interessant genug, und so schaute auch das estnische Fernsehen schon zur Berichterstattung vorbei.
Teil des Scheckmann'schen
Designkonzepts:
Stoff und Leder kombiniert

Dabei gibt es viel Grundlegendes aus dem Schuhmacherhandwerk neu zu entdecken: alle bisherigen Aufträge waren Maßanfertigungen. Hölzerne Leisten (Sikmann: "wer noch alte Leisten zu Hause hat, kann sie gerne vorbeibringen!") sind hier noch genauso in Gebrauch wie Aufrauhbürste, Ahle und Absatzraspel. Das Leder stammt von verschiedenen Lieferanten in Europa.
Teil der Geschäftsidee ist auch der Firmenname: eigentlich habe der Name Sikmann deutschbaltische Ursprünge, erläutert Sille. "Meinem Vater habe ich mal versprochen, dass ich etwas Bleibendes aus diesem traditionsreichen Namen mache." So wurde dann "Scheckmann" die Trademark, und "schicke Schuhe von Scheckmann" hört sich ja auch auf Deutsch recht gut an.

Und wie entsteht ein Schuh? Sille zeigt es gern an den Beispielen von drei Kunden: drei Charaktäre, drei Wunschschuhe. Das Kundenspektrum reicht vom Künstler, der zur Vernissage gerne etwas Besonderes an den Füßen haben wollte bis zum Fahrradliebhaber, dessen Bezug zum Rad sich auch am Schuhwerk wiederspiegelt. "Manchmal dauert es auch monatelang, denn inzwischen habe ich Kunden in ganz Estland, und die haben nicht immer so schnell Zeit mal für eine Anprobe vorbeizuschauen," erzählt Sille.

Schuh hat Charakter - und soll Charakter zeigen
Gibt es in Estland eine Schuhmacher-Tradition? Immerhin heißt "Schuh" estnisch "King" - als ist nicht nur der Kunde, sondern schon der Schuh König? Der estnische Exportwegweiser weist drei Firmen des Schuhmachergewerbes auf: eine in Tartu, eine in Tallinn und eine im Bezirk Võru.
"Ja, ich hatte auch schon Angebote, für solche Firmen zu arbeiten", gibt auch Sille zu. Allerdings: so schöne Männerschuhe - wo hat man das schon gesehen?

"Erstmal macht es mir viel Spaß, dazuzulernen," sagt Sille zu den eigenen Perspektiven, "jedes Projekt ist wieder eine Herausforderung." Damit ist auch die Notwendigkeit gemeint, einen Teil der Arbeiten von Partnerfirmen ausführen lassen zu müssen. "Vielleicht finde ich ja noch jemand, der wie ich mit ähnlichem Ernst und Engagement an die Arbeit geht," meint Sille. "Zu zweit wäre manches leichter." Aber obwohl die Maßanfertigung von Schuhen ja keine ganz billige Sache sein kann - vorerst gibt es genug Interessenten. "Bis Ende des Jahres bin ich ausgelastet," freut sich Sille - und wendet sich wieder der Arbeit zu: dem scheckmannschen Männerschuhwerk.

Antonius-Gilde / Antoniuse Õu Tartu

Scheckmann-Schuhe

Werkstatt-Video

Sonntag, September 08, 2013

Sie haben es wieder getan

Estland-Niederlande in der WM-Qualifikation für Brasilien. Und beinahe hätten sie gewonnen. Doch die Niederländer trafen noch gerade rechtzeitig zum 2:2. Damit hat sich das estnische Nationalteam in Qualifikationen schon öfter achtbar geschlagen. Die Tendenz ist eher positiv. Konstantin Vassiljev gehört zu den wichtigsten Spielern. Uefa:
"In der Schlussphase hatten wir Pech, aber ein 2:2 gegen die Niederlande ist ein tolles Ergebnis", sagte Vassiljev, dessen Frau vor kurzem die zweite Tochter des Paares zur Welt brachte. "Natürlich war das eines unserer besten Spiele aller Zeiten. Wenn wir gewonnen hätten, wäre es sogar das beste gewesen. Wir haben alles gegeben und haben uns das Unentschieden verdient." Kapitän Ragnar Klavan hofft, dass dieses Ergebnis seiner Mannschaft zusätzliches Selbstvertrauen verleiht. "Aus solchen Spielen zieht man Kraft und Energie", so der Innenverteidiger vom FC Augsburg. "Ich bin mir sicher, dass kein einziger Fan hier ohne Emotionen war. Aus diesem Grund gehen die Leute ins Stadion!"
Glücksgefühle bei Georgien und Estland Eine Journalistin mit vielen Fotos vom Spiel: Catherine Kõrtsmik

Sonntag, September 01, 2013

Käsmu - Estlands nördlicher Charme

Eine spätsommerliche Erinnerung an die Bucht von Käsmu:



Es ist wirklich ähnlich einem "Millionen-Dollar-Blick", wer am Meeresmuseum auf die Bucht auf die nordöstliche Ostsee hinausschaut.

Hier noch zwei weitere Möglichkeiten der Teilhabe:

Webcam des Meeresmuseums (Looduskalender)

Panoramablick bei "Estonia360"

Lied "Käsmu laht", gespielt und gesungen von "Väikeste Lõõtspillide Ühing" (Text)

Donnerstag, August 29, 2013

Kalamaja, frisch gefegt

Der Tallinner Stadtteil Kalamaja (Fischerhaus) gilt seit einiger Zeit als Stadtviertel, in dem sich Lebenskünstler und Liebhaber eines alternativen Lebenstils versammeln. Wem die Enge der von Touristen bedrängten Altstadtgassen zu viel wurde, dem wurde der Charme von Holzhäuschen und romantischen Ecken in Kalamaja empfohlen.

Neues "Branding" für Tallinns Ex-Fischerviertel: jetzt verkehrsberuhigt,
jedes Haus bekommt von der Stadt einen einheitlich gestalteten
Eingangsbereich spendiert
Aber wie so oft, nagt auch an diesem sogenannten "Geheimtipp" der Strom der Zeit: längst sind verfallene und vernachlässigte Häuser abgerissen, und schmutzige Straßenecken weichen schmucken Neubauprojekten, Cafes und Restaurants. Die "jungen Kreativen", die sich in Kalamaja versammeln, zählen offenbar auch zu den neuen Aufsteigern: etliche Investitionsprojekte siedelten sich hier an (z.B. das Projekt des Architekten Ülo Peil), und die "Bohemians, die Jungen und die Sorglosen" - wie Stadtführer wie "Citytour" die Einwohner bezeichnen - werden einerseits über die "Aufhübschung" ihres Viertels erfreut sein, andererseits nicht mehr ganz so "sorglos" in den Tag hinein leben können (wenn sie kein Geld haben).
Kalamaja - jetzt mit Tempo-30-Zone und Fahrradwegen ausgestattet

"Wenn Sie es leid sind überall in Tallinn Englisch zu hören, überall nur Bernstein zu sehen, auf Pflastersteinen gehen zu müssen - denn ist Kalamaja eine perfekte Alternative und das Gegenteil zum touristisch aufgepeppten Mittelalter der Altstadt Tallinns!"- diese Feststellung von Ann Vaida aus dem Traveller.ee-Blog gilt jedoch vorerst noch immer.
Kalamaja-Impressionen ...

Tallinns "Prenzlauer Berg" (paradisi.de) wird sich wandeln, soviel ist sicher. Wie viel dabei privaten Investoren und deren Gewinnabsichten überlassen wird, und wieviel für "Ökos und Flohmärkte" bleibt, wird sich zeigen. Noch 2009 stellte Dirk Matzen in seinem Blog bezüglich Kalamaja fest: "Touristenströme findet man dort allerdings nicht, und eben auch keine touristische Infrastruktur: Keine Cafés, keine Restaurants, keine Shops." Das ist schon mal definitiv anders geworden. 2010 nannte Giovanni Angioni (Estonian Free Press) den Stadtteil noch einen "authentischen Juwel".
Mit der Eröffnung des "Lennusadam" (Seaplane Harbour) ist ein weiteres touristisches Highlight hinzugekommen, um nach Erforschung der besten Ecken von Kalamaja den Spaziergang in diese Richtung fortzusetzen.

Samstag, Juli 20, 2013

Esten machen Ernst mit Demokratie

Demokratie heißt Volksherrschaft. Und wenn das in vielen Demokratien vorwiegend bedeutet, einmal in vier Jahren zur Wahl zu gehen, dann haben die Esten im letzten Herbst Ernst gemacht mit der Einberufung eines rundes Tisches aus Ottos Normalverbrauchern, also durchaus auch nicht organisierten Menschen.

Grund für diesen Schritt war eine weit verbreitete Stimmung, die in Deutschland unter dem Begriff Politikverdrossenheit bekannt ist. Und das vor einem überraschenden Hintergrund. Estland gilt als baltischer Tiger unter den postsozialistischen Ländern, hat 2011 den Euro eingeführt und mit Ministerpräsident Andrus Ansip einen liberalen Regierungschef, der seit 2005 im Amt ist – ein einsamer Rekord unter den Transformationsstaaten im Osten Europas. Und obwohl er nun in den vergangenen Jahren immer wieder gewählt worden war, regte sich seit 2012 mehr und mehr Unmut über einsame Entscheidungen der politischen Elite und den Regierungsstil Ansips.

Ins Rollen kamen die Proteste durch den ehemaligen generalsekretär der Reformpartei, Silver Meikar, der vergangenes Jahr an Die Öffentlichkeit ging und berichtete, er habe über Jahre geld aus anonymen Quellen erhalten und wie ihm geheißen an die Partei weitergeleitet. Zunächst reagierte diese darauf mit einer generellen Leugnung und schmiß den Politiker aus ihren Reihen. Doch der Skandal zog schnell weitere Kreise und schließlich mußte Justizminister Kristen Michal zurücktreten.

Das führte im Herbst 2012 zu Massendemonstrationen, weldeh die Hauptstadt Tallinn lange nicht gesehen hatte. Intellektuelle verfaßten eine Charte, in der sie vom Zerbröseln der Demokratie im Lande sprachen, die inzwischen von fast 20.000 Menschen online im Internet unterzeichnet worden ist. An der Spitze der bewegung stand Marju Lauristin, eine Aktivistin aus der Umbruchszeit zum Ende der Sowjetunion, die in den 90er Jahren einmal Ministerin war und den Sozialdemokraten angehörte, im Hauptberuf jedoch als Universiotätsprofessorin wirkte.

Die Politik mußte schließlich handeln. An die Spitze setzte sich Präsident Toomas Hendrik Ilves , der im November Vertreter der Zivilgesellschaft in den alten Eiskeller des Schlosses Kadriorg, dem alten Amtssitz einlud. Nicht ganz unerwartet für ein Land, das sich gerne auch E-stonia nennt, wurde die Protestbewegung weitgehend über das Internet organisiert. Über eine eigens eingerichtete Seite konnte jeder Einwohner Estlands Vorschläge unterbreiten, womit sich die Politik dringend einmal beschäftigen müsse. Diese wurden dann von Experten gesichtet und strukturiert, so daß am Ende 18 Arbeitspunkte dem vom Präsidenten einberufenen Runden Tisch zur Diskussion vorgelegt.

Dieser Runde Tisch bestand aus ca. 300 Personen von mehr als 500 ausgewählten, welche sich dann tatsächlich die Mühe machten, in die Hauptstadt zu fahren. Ausgewählt wurden sie weitgehend nach dem Zufallsprinzip. Es handelte sich also nicht um ein Gremium von Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft. Gerade aus den ländlichen Gebieten waren zahlreiche Kandidaten nicht angereist, wofür es vermutlich vesrchiedene Gründe gibt. Neben Zeit- und Geldmangel mag es sicher auch der Respekt vor der Öffentlichkeit gewesen sein. Die Politik vor dem Fernseher zu kritisieren ist schließlich einfacher, als in der Hauptstadt seine Themen persönlich vor einem großen Publikum vortragen zu müssen. Auf diese Weise fehlten besonders Vertreter der russischen Minderheit wie auch von Bürgern mit geringerem Bildungsniveau.

Der Runde Tisch erwies sich schließlich als weniger poulistisch als man hätte erwarten können. So wurde etwa die auch in anderen parlamentarischen Demokratien gerne geforderte Direktwahl des Präsidenten abgelehnt. Alle weiteren Vorschläge wurden via Präsident Ilves an das Parlament weitergeleitet, wo die Beratungen erst ergeben müssen, welche Ideen aus dem Volk auch dort eine Mehrheit finden. In jedem Fall sind zahlreiche Intellektuelle hier noch skeptisch.

Freitag, Juli 12, 2013

Ilves wünscht mehr Wolken

Obwohl in Estland inzwischen nicht mehr die blauen Schilder mit dem Internet-Logo vom Straßenrand grüßen (Wifi hat die Internetportale abgelöst) gibt es immer wieder neue Stichworte die zeigen, dass die Esten ihren Ruf als Internet-Vorreiter gerne halten wollen.

Wolken über Estland (hier am Südstrand von Saaremaa) - für
Präsident Ilves formen sich Wolken in Zukunft auch digital.
Nach Auffassung des estnischen Präsidenten Ilves muss Europa eigene "Datenwolken" aufbauen. "95% der Clouds die heute genutzt werden gehörden US-Firmen," weiß Ilves, und fügt hinzu: "Sorge um den Schutz der Privatsphäre darf aber nicht dazu führen, dass einzelne Länder eigene Systeme aufbauen. Im Gegenteil: wir müssen europaweite Datensicherheit erreichen." (estnisches Außenministerium)

Beim Aufbau solcher europaweiten "Wolken" setzt der estnische Präsident offenbar vor allem auf große Firmen, denn sie seien eher in der Lage große Datenmengen zu sammeln als einzelne Staaten dies könnten. Zunächst müsse die Gesetzeslage im Bereich Datenschutz "modernisiert" werden, so meint Ilves, dann empfiehlt er eine Zusammenarbeit mit "führenden Firmen" wie Amazon, Ericsson, F-Secure und Telefonica Digital. Na, Herr Präsident, ob dann wohl alle Europäerinnen und Europäer gemeinsam auf diese Ilves-Wolke steigen wollen? Warten wir es ab.

Dienstag, Juni 25, 2013

Montag, Juni 17, 2013

Hanse in Herford: die Zukunft sei Wirtschaft

Gut vorbereitet zum Hansetag:
Sprachenkundige Souvenirverkäufer
Treffen der Hansestädte. Da sind Tallinn, Pärnu, Narwa, Tartu und Viljandi dabei - ebenso wie Riga, Danzig, oder in Deutschland Stralsund, Wismar oder Rostock. Ach, und nicht zu vergessen auch Lübeck - denn der "Städtebund Die Hanse" - wie sich die neue Vereinigung nennt, deren gemeinsame Hansetage zunächst in den 1980er Jahren in den Niederlanden, Deutschland und Schweden, danach auch wieder rund um die Ostsee stattfinden, hat sich eine Satzung gegeben der zufolge Lübeck immer den Präsidenten stellt. Wenigstens über diese neue Hanse darf Lübeck präsidieren, wo die Stadt doch sonst manches der früheren Bedeutung verloren ging. So aber darf Bernd Saxe, als gebürtiger Westfale in Lübeck exakt genau so lange im Bürgermeisteramt wie die Bestimmung des Hansebunds zur automatischen Präsidentschaft Lübecks gilt, Jahr für Jahr Hansetage eröffnen. Diesmal also in Herford.

Nicht wundern, wen solche Menschen
im Stadtbild überraschen sollten:
es ist Hansetag.
Lübeck voran! 
Einer von vier Stellvertretern Saxes, die sich einer Wahl durch die Versammlung der Städtedelegierten stellen müssen, ist Manfred Schürkamp, seines Zeichens Stadtkämmerer und Genußmensch, beim Hansetag offenbar unverzichtbarer als der Herforder Bürgermeister. Zusammen mit Marion Köhn als Vertreterin der Wirtschaftsförderung Herford wurde die Herforder Seite nicht müde, zwei Dinge zu betonen: erstens habe "der Herforder" sich inzwischen gut mit der Idee der Hanse vertraut gemacht, zweitens sei man gerade dabei endlich auch die Wirtschaft einzubeziehen. Gut, was das Erste betrifft, in der Herforder Lokalpresse war nachzulesen dass die Stadt die Ortseingangsschilder nun umgerüstet hat: ab sofort heißt es nun: "Hansestadt Herford"! Weniger willkommen war der einheimischen Wirtschaft die deutliche Erhöhung der Standgebühren an diesen Tagen: traditionell wurde gleichzeitig das "Hoeker-Fest" und parallel auch noch ein "Weindorf" angeboten. Die Hansetage - durchaus das Herforder Highlight des Jahres also.

Drei Hansebund-Präsidiumsmitglieder:
Bernd Saxe (links), Manfred Schürkamp (rechts)
mit Inger Harlevi von der Traditionsstadt Visby
auf Gotland
Allein gestellt?
Ob bei den vorangegangenen 32.Hansetagen sich die Wirtschaft tatsächlich irgendwie vernachlässigt vorgekommen ist - mir als Besucher erschließt sich das nur aus Sicht der Herforder Wirtschaftsförderung. Noch letztes Jahr in Lüneburg kann ich mich erinnern, dass es bei einem rundrum gelungenen Festival der Hansekulturen auch riesige Sponsorenflaggen gab, deren Größe die Kennzeichnung der Wegzeichen und des Bühnenprogramms weit überragte. Als erstes hoffe ich also - egal was die Herforder Wirtschaft, die offensichtlich eine "Inspiration" gut gebrauchen kann sich erhofft - dass die Hansetage der Zukunft nicht völlig von Verkaufszwang und Konsumrausch überrollt werden. Und in Kenntnis der vielen Netzwerke rund um die Ostsee, von denen viele bezogen auf die Wirtschaft sind (von den Außenhandels-Handelskammern über das "Baltic Sea Forum" und das "Baltic Development Forum" bis sogar zum "Hanseparlament" - um nur die größten zu nennen) klingt die Antwort auf die Frage, warum gerade in Herford noch etwas völlig neues - nach eigenen Worten ohne vorherige Analyse der bereits bestehenden Netzwerke - gegründet werden muss, etwas dürftig. Von einem "Alleinstellungsmerkmal" war die Rede (klingt englisch abgekürzt noch bedeutungsvoller: USP). Nach einer gewissen Anlaufzeit, wo sich manche in der neuen "Wirtschaftshanse" vielleicht noch mehr Kontakte und zusätzliche Finanzmittel versprechen wird sich zeigen müssen, wer am Ende allein gestellt stehen bleibt.

Aitäh, Estland!
Mir gefällt an Hansetagen vor allem die kulturelle Vielfalt. Es dürfen auch fremde Sprachen, Speisefolgen und ungewohnte Ideen des Miteinanders sein! Auch die hätte ja bessere Förderung nötig! Und wieder einmal überrascht, wie stark Estland präsent ist. Fragt in Tallinn, Tartu, Pärnu oder Viljandi denn niemand, warum Geld für reisende Künstler, Kunsthandwerker und Touristikfachkräfte ausgegeben werden muss um in Herford ("Kuhu te peate kogunema?") dabei zu sein? Estland präsentierte sich frisch, frech, bunt und vielseitig.
Altes und Neues als Hansetags-Mischung:
so präsentierte sich Herford optisch 
Ein Vergleich mit den lettischen Nachbarn bietet sich ja immer an. Die hatten vielleicht dieses Jahr zwei Handicaps: das große lettische Sängerfest steht Anfang Juli direkt bevor (wer kann sich da Extra-Reisen leisten?), und es wird in ein paar Wochen auch noch ein Deutsch-Lettisches Partnerschaftstreffen geben (in Melle bei Osnabrück). Aber auch das Motto der Aktivitäten war unterschiedlich: traten die Letten bewußt mit "Labi, ka reiz bija ta" (Gut wie es einst war) als ins Bild gesetzte Vergangenheit auf (Volkslieder und Tanz, wie inzwischen allen Lettland-Besuchern bekannt), so mischen die Esten ihre Traditionen neu auf. Da wird zwar handwerklich gefilzt, geschmiedet und gebacken, doch was präsentiert wird darf auch nach "neu" aussehen schmecken. Der Eindruck liegt nahe: Estland, ein Land für moderne Trends und junge Leute.

Mit etwas Glück bekam man es
in Herford zu Trinken:
spezielles Hansetags-Wasser
Offen und spontan: auch das ist Hansetag!
Auch musikalisch wich der estnische Beitrag der Band "PAABEL" durchaus etwas ab vom sonst oft verwendeten Hanse-Motiv der Shantychöre und Volkstänze: hier werden Jazz, beliebte Melodien, E-Gitarre, Saxophon, Dudelsack und Mundorgel gespielt, und da passt es hinein, wenn der Schlagzeuger oder der Gitarrist mal sein kreatives Solo auf ein paar Minuten ausdehnt. Hier zeigt sich auch ein Vorteil von Herford, den Lüneburg (gezwungenermaßen) nicht hatte: Lüneburg hat so viele Denkmalschutzbestimmungen, dass strenge Vorschriften für den Bühnenaufbau und die Aufführungen und Präsentationen gelten mussten. In Herford war das offensichtlich anders: so konnte auch PAABEL nach dem offiziellen Auftritt schnell noch einen "inoffiziellen" Nachschlag ankündigen und die eigene Anlage in der Nähe des Viljandi-Standes auf einer Freifläche aufbauen. Ein Auftritt mitten im Publikum! Was kann sich ein Musiker besseres wünschen, als umgeben zu sein von begeisterten, mittanzenden und laut Beifall klatschenden Menschen!
Mitreissende Auftritte unterm Hanselogo:
PAABEL aus Estland
Das bleibt als Frage durchaus an die Organisatoren des Hansetags-Bühnenprogramms stehen: der Gegensatz zwischen den Interessen der auf "das gewohnte Wochenend-Verhalten" beharrenden Einheimischen und den "Kultur- und Länderfans" (so wie ich), die sich durchaus nicht einfach beim Bier oder Kaffee und Kuchen von "irgendwas" berieseln lassen wollen. Jedes Jahr muss es ein sogenanntes "musikalisches Highlight" sein - die Herforder Presse stellte also die Auftritte von Manfred Mann (den gibts auch noch!) und Roman Lob (den gibts immer noch!) heraus. Für die Steigerung der Besucherzahlen und des Getränkeumsatzes mags gut sein. Für den anderen Teil der Veranstaltung, der sich Hansetag nennt, und wo es auch neue Städte und Regionen zu entdecken galt, da ist es wichtig dass hier jedem gratis etwas Käse, Brot und Bier gereicht wird und alle sich zusammen wohlfühlen (kurzer Estnisch-Kurs inbegriffen!).
Außer den weißen Papierschiffchen waren
Infostände aus Pappe und diese
umgestalteten "Ruhezonen" ein Hinweis auf
eine gewollte Verknüpfung zur Recycling-Idee

"Ehrbar" in die Zukunft
Was bleibt also als Bilanz? Hansetage in Städten, bei denen nur wenige ihre Verbindung zur historischen oder neuen Hanse ahnen, werden wohl immer etwas anders verlaufen. Es gab Sprüche in den Herforder Presseerklärungen und in der Lokalpresse wie "Herford als Vorreiter für Europa und die Welt"! (siehe bsw. Westfalen-Blatt). Auch die Rede davon, dass in der neuen "Wirtschaftshanse" nun "ehrbare Kaufleute" sich zusammentun (Zitat aus dem sogenannten "Kodex": "Es gibt ein Wort für Handel, Vertrauen, Qualität und Zuverlässigkeit: Wirtschafts-HANSE"), wird andere, die bereits seit Jahren und Jahrzehnten im Ostseeraum vernetzt sind wohl eher Stirnrunzeln ins Gesicht treiben - konsequenterweise haben sich bei näherem Hinsehen neben der agilen Herforder Wirtschaftsförderung auch zunächst mal nur Städtevertreter aus eher "Ostsee-fernen" Ländern hier zusammengetan: England, Frankreich, die Niederlande und - Deutschland und Polen, von denen beide bekannt ist, dass sie den Ostseefragen eigentlich keine überregionale Bedeutung beimessen. Ob das mit dem Logo "ehrbarer Kaufmann" nun besser geht? Zu hoffen bleibt, dass am Ende nicht wieder - wie kürzlich in der Finanzkrise - die Wirtschaft vom Volk vor den eigenen großspurigen Ideen gerettet werden muss (Stichwort: Steuergelder für Bankenrettung).
Die bunte Kultur der Hansestädte wird hoffentlich erhalten bleiben: auch aus estnischer Sicht. Ebenso die Vielfalt an Sprachen und Kulturen, die gerade auf den bisherigen Hansetagen noch nicht gleichmäßig über den einen (kommerziellen) Kamm geschoren scheint. Ein Fest auch für Individualisten mit ausgefallenen Hobbys.

Mehr (auch ganz ehrbar Hörbares) zum Hansetag Herford gibt es in der Sendung der "Baltischen Stunde" am Dienstag den 2.Juli ab 19 Uhr bei Radioweser.tv (auch per Livestream).
2015 findet der Internationale Hansetag dann wieder in Estland statt: in Viljandi. Falls Sie Lübeck 2014 übersehen sollten: die Musiker/innen von PAABEL warten schon!

Infos: Hansetag Herford / Die Wirtschaftshanse / Einladung "Hanse-Business-Forum" / Städtebund "Die Hanse" / Hansestädte Tallinn, Narwa, Viljandi, Tartu, Pärnu

Eindrücke von den Hansetagen Herford in bewegten Bildern:

Film 1 (Lettland) / Film 2 (Lettland) / Film 3 (Lettland)
Film 4 - Film 5 - Film 6 - Film 7 (PAABEL in Konzert, Tanzgruppe "Vabajalg")

Sonntag, Mai 19, 2013

Mittwoch, Mai 08, 2013

Keine Damen in Paris

Laine Mägi, in Estland
schon seit den 1980er
Jahren vor allem als
Theaterschauspielerin
bekannt. Oder dadurch,
dass sie einmal mit
Musiker Tõnis Mägi
verheiratet war und mit
ihm eine gemeinsame
Tochter hat
Ja, vielleicht musste es so kommen? Wenn drei Länder einen Film zusammen produzieren ist das Resultat eben für andere Länder nicht geeignet. Das muss sich zumindest der Arsenal-Filmverleih vorwerfen lassen, der für die deutsch synchronisierte Fassung von Ilmar Raag's "Eestlanna Pariisis" („Une Estonienne á Paris") den ziemlich irreführenden Titel "Eine Dame in Paris" erfand. Kinogänger in Deutschland, geleitet nur durch oberflächliche Kinokritiken, könnte dieser Titel dazu verleiten anzunehmen, der international weniger bekannte Ilmar Raag ("Klass") habe durch unverdientes Glück nur die gealterte Jeanne Moreau abfilmen wollen. Jeanne Moreau - eine Dame in Paris?
Jeanne Moreau - diesmal als
mürrische Alte mit
estnischen Wurzeln
Diesem Mißverständnis folgen offenbar eine ganze Reihe deutscher Filmkritiken, wie Gerhard Midding in "DIE WELT", Birgit Roschy in DIE ZEIT, oder Christiane Peitz für den NDR. Wer den Film aber gesehen hat - ein wenig Estland-Kenntnis hilft dabei - wird zu dem Schluß kommen: die versprochenen Damen in Paris gibt es in diesem Film nicht. Aber wer eine Spur interkulturelles Verständnis aus verschiedenen Ländern mibringt, wer jemals allein in einem fremden Land Arbeit suchte, wer französische und estnische Mentalitäten und Charakteristika kennt, der wird Freude und Glück in diesem Film empfinden - durch das was zu Sehen und zu Hören geboten wird.

Da zitiere ich doch lieber "Giustino" aus seinem Blog "Itching for Eestimaa": "Da war etwas in dem Film, das mir die Tränen in die Augen trieb. Ich weiß nicht genau warum. Vielleicht war es der betrunkene Ex-Ehemann, die brave Großmutter mit ihrer Demenz, das stille Begräbnis mit einem Schuß Vodka, die unrenovierte Wohnung mit den Möbeln aus der Sowjetzeit, die gestylten, egozentrischen Kids die keine Zeit für eine Beerdigung haben weil sie so viel arbeiten, ganz zu schweigen von der Dunkelheit und dem Schnee. Das rührte mich zu Tränen - vielleicht, weil es so gut beobachtet ist."
Ja, genau - auch ich war überrascht dass der Film fast 30Minuten Leben in Estland zeigt - obwohl Verleih und Medien ihn offenbar gern auf das verkürzen wollen, was Deutsche so von Frankreich, Paris und französischen Schauspielerinnen zu kennen glauben. Das gibt jedem Zuschauer die Chance, sich einzufinden in estnische Befindlichkeiten: zart, zurückhaltend, leise, wortkarg - wie Estinnen und Esten eben so sind.
In der deutschen Kritik wird es dann einem "schwachen Drehbuch" angekreidet, teilweise auch dem Regisseur, dessen erster Film "Klass" ja viele Szenen bot die Stoff für den Klatsch unter Facebook-Freunden sein können.

Das Estland-Missverständnis
Vielleicht steht die bisherige deutsche Rezeption des Films auch für eine Reihe heutiger, ganz typischer Missverständisse im europäischen Zusammenleben. Ein Film aus Estland, na und? In diesem Film spielt niemand mit dem Handy herum, geht drahtlos ins Internet, fährt als Einwohner Tallinns kostenlos Bus, oder fabuliert vom angeblichen "Baltikum". Vielleicht sollte man zweimal hinschauen (wer im genauen Hinschauen nicht so geübt ist)?

...aber sehr wohl Estinnen und
Französinnen in Europa?
Und, ein zweiter Tipp: unbedingt diesen Film im Kino ansehen! Nur so lassen sich die hervorragenden Kameraeinstellungen, die fein justierte Ausleuchtung vieler Szenen, die hervorragende Filmmusik ("Dez Mona" - über die außer im Abspann leider nirgendwo Infos zu bekommen sind) und sogar die für jede Stimmungslage anders hergerichteten Frisuren, Kleidungsstücke, Gesten und Blicke richtig genießen.
Ein weiteres Mißverständnis: vergessen Sie Jeanne Moreau, entdecken Sie Laine Mägi! Wer von Beginn des Films an auf Jeanne Moreau wartet, der macht sowieso etwas entscheidendes falsch, und Moreau läuft erst dann zu Höchstform auf, als Mägi (als Anne) ihr als Charakter ebenbürtig entgegentritt und sie einen adäquaten Gegenpart bekommt.

Also - um bei den deutschen Filmkritiken zu bleiben - da ist Carsten Beyer vom "Kulturradio" schon eher zuzustimmen, der den Film "wegen den Hauptdarstellern sehenswert" findet. Allerdings unterschlägt auch er, dass sich der Zuschauer schon ein wenig mit Estland befassen sollte, und nicht nur damit, wieviele Männer die Filmfigur "Frida" (Jeanne Moreau) nun eigentlich hatte. Es geht hier um das Zusammentreffen zweier Kulturen, und auch mehrerer Generationen: nur zu gern würde ich Näheres darüber lesen, wie Estinnen und Esten in Estland die dargestellte "Ex-Exil-Estnische Gemeinde" in Paris sehen, so wie sie Ilmar Raag auftreten lässt. Kurze Szenen nur, die aber Folgen für Generationen haben: zerstritten und missgünstig, ewig gleiche Diskussionen in einzelnen Sätzen eingefroren und wie Tropäen ausgesprochen vor sich hertragend, wortkarge Menschen, die sich gegenseitig selbst die wenigen Worte noch verbieten wollen. Bissig oder ironisch? Schade, dass nicht jeder Deutsche zusammen mit einem/einer Esten/Estin ins Kino gehen kann - immerhin besteht die Chance, erst nach Estland zu fahren und dann sich den Film anzusehen. Oder: mit weniger vorgefertigten Schablonen den Film anschauen und sich auf das durchaus vorhandene typisch estnische konzentrieren (Jeanne Moreau kommt dann von selbst und ist natürlich unverzichtbar!).
Hier noch ein Lob an die deutsche Synchronisierung: die deutsch eingesprochenen Szenen der im Film in Frankreich lebenden Esten sind ziemlich gut getroffen, und diesmal glücklicherweise nicht mit "irgendwelchen radebrechenden Osteuropäern" besetzt worden.

Sehnsucht nach Frankreich - und nach sich selbst
Vielleicht kann man Ilmar Raag, der ja auch das Drehbuch schrieb, doch an einigen Stellen kritisieren - vor allem für den Schluß. Es wirkt etwas unentschlossen sowohl zwischen den Figuren schwebend wie in Bezug auf die vorher so betonten verschiedenen Gefühlswelten, wenn am Schluß Fridas junger Liebhaber Anne leicht über die Backe streichelt, und Frida energisch Anna bedeutet: "Du bist doch hier zu Hause!"

Die tatsächlich in Estland auch historisch verankerten Frankreich-Bezüge Estlands kann ein europäischer Kinobesucher hier ja nicht ahnen: man muss nämlich gar nicht die angeblich so vorherrschenden Sowjet-Sehnsüchte nach "freiem Reisen" hervorkramen, um Frankreich-Sehnsüchte in Estland zu begründen; manch wohlmeinender Deutscher wird hier vielleicht auch "Ossi-Gaby und ihre Banane" vor Augen haben, also vermeintlich eher ahnungslose Illusionen. Nein, Estland hatte, ähnlich wie die Nachbarländer Finnland oder Lettland, schon zur Jahrhundertwende 1900 oder in der Zwischenkriegszeit ein derart reges Kulturleben, das sich von Paris anregen und verzaubern ließ. Auch Französisch als "Sprache der Kultur" (gegenüber Englisch als Sprache des Business, Russisch und Deutsch als Sprache der übermächtigen Großmächte) trägt das seinige dazu bei. Im Film wird das nur kurz angerissen - im Drehbuch gibt es keine Figuren aus dieser Zeit, etwa Annes oder Fridas Vorfahren. Aber immerhin können Estland-Kenner sich auch an diesen Details erfreuen, die stimmig eingebaut werden und auch ein Teil des Beziehungsgeflechts bilden, warum Esten sich mit Frankreich auseinandersetzen - ganz abgesehen von der Qualität der Croissants.

Am Schluß bliebt festzustellen: ich möchte gerne den Film nochmal sehen, und zwar in französicher Fassung. Denn auch mein Urteil ist natürlich subjektiv, geprägt von deutscher und estnischer Erfahrung. Ein Blick von Frankreich aus auf Estland wäre neu.
Ilmar Raags Film entzaubert beide "Damen" gleichermaßen: die zurückhaltende Estin muss erkennen, dass Sehnsucht nach Harmonie, moralisch geprägten Partnerbeziehungen und nachgeholten Jugendträumen nicht das einzig mögliche Lebensmodell ist. Genauso wichtig aber, dass auch die Französin mit estnischen Wurzeln hier nicht als "Besserwisserin" auftreten kann, je länger der Film dauert. Ob ihre lange als "freie Lebensart" empfundenen dunstigen Beziehungen zu verschiedenen Männern wirklich dauerhaft und wichtig sind, wird sie neu entscheiden müssen - auch in ihrem hohen Alter. Vielleicht ist also am Ende wichtiger, dass Frida in Anne eine ziemlich ebenbürtige Freundin gefunden hat - egal was der einzig verbliebene, und scheinbar ziemlich überforderte Mann (Patrik Pineau) dann noch zu tun gedenkt (ganz so wie es auch der TAGESSPIEGEL schreibt).
Also, Endversion 1: Anne mit Koffer vor dem riesigen Eiffelturm (ein paar Minuten wegschneiden also).
Version 2: Anne begleitet Frida nach Estland, das Flugzeug über den Lichtern Tallinns. Ende.
Version 3: Anne und Frida gehen zusammen einfach mal in ein anderes Café. Und reden, und reden ....

Die schönsten und berührendsten Momente im Film, in dem nun wirklich eher zwei Estinnen als zwei Damen präsentiert werden, sind für mich immer dann, wenn ein Mensch innehält, eine Tür leise geschlossen wird, ein Mensch geht hinaus und der andere bleibt zurück. Ein Plädoyer vielleicht dafür, auch im eigenen Leben mal ein wenig innezuhalten und genauer hinzusehen. Oder die lärmenden Geräusche von draußen einfach mal abzuschalten - und Momente der Einsamkeit nicht als Verlassenwerden zu begreifen, sondern als Chance: entweder bleiben und beharren, oder ändern und Wagnis - beides ist möglich, beides ist gleichviel wert. Zwei, drei Sekunden des Sich-Bewußtwerdens über diese Momente nur, das reicht. Und - sicherheitshalber für diejenigen hinzugefügt, die glauben alle Esten suchten einfach eine Chance im "Westen" zu bleiben: Estinnen sind beharrlich. Nicht nur weil sie an der Wohnungstür sich gewöhnlich die Schuhe ausziehen. Wer's nicht glaubt, wird einen Film mit Damen wie Jeanne Moreau in Estland machen müssen.

Infoseite zum Film des französischen Co-Produzenten "TS Productions"
UniFrance Films / Filminfos bei AMRION, dem estnischen Co-Producer /
Infos bei "Filmstarts.de" / Webseite zur deutschen Fassung / ARSENAL-Filmverleih /
Infos zur Schauspielerin Läine Mägi /

Dienstag, Mai 07, 2013

UEFA lobt Estlands Frauen

Stolz auf steigende Popularität des Fußballs
auch beim weiblichen Nachwuchs: Keith Boanes
und seine starken Frauen
Estlands erste Frauenfußball-Konferenz war kürzlich für den europäischen Dachverband UEFA Grund genug für ein Lob für die sportlichen estnischen Frauen. Der Frauenfußball sei "auf dem Weg nach oben", so verkündet es der Verband.
Europaweit gibt es insgesamt inzwischen 1,8 Millionen Fußballspielerinnen, in Estland wurden entsprechende Vereine erst in den 1990er Jahren gegründet. In den beiden obenen Ligen Estlands spielen insgesamt 15 Teams.

Schottisches Training, geizig nur bei Gegentoren
Als Keith Boanas 2009 von Schottland nach Estland zog um hier Frauenfußball-Nationaltrainer zu werden, musste er zunächst mit zwei 0:12 Niederlagen seines frisch formierten Eesti-Teams gegen Island und auch gegen Frankreich verkraften. Boanas hatte auch in England bereits Frauenfußball-Teams der Premiere-League trainiert und war auch Manager gewesen - beinahe hätten ihn die "Lincoln-Ladies" für 2013 auch erfolgreich mit einem neuen Vertrag locken können (siehe Bericht der BBC) - aber er entschied sich für Estland (ebenfalls BBC).Diese Gespräche zwischen England und Estland seien zumeist - typisch estnisch? - via Skype gelaufen, berichtet Boanas bei "Womensoccerunited". In Estland habe er Möglichkeiten die er in England nicht bekommen könne, und dabei sei Geld nicht das allein entscheidende gewesen.

Frauen und Fußball -inzwischen
in Estland auch ein zunehmend
interessantes Thema für eine
breitere Öffentlichkeit
Boanas schreibt auch ausführlich über seine Estland-Erfahrungen im britischen Frauenfußball-Portal "She kicks". Und wohl genauso regelmäßig machen sich die Soccer-Ladies der Insel Hoffnungen er könne zurückkehren.Auch in Estland würde bei denjenigen Klubs, die finanzielle Schwierigkeiten haben, oft zuerst am Frauenfußball gespart, berichtet er. Aber dennoch hätten es bereits drei estnische Fußballfrauen zu Verträgen in den USA, in Schweden und Italien gebracht.Aber immer noch sind es nur etwa 500 registrierte Frauenfußball-Spielerinnen in Estland, berichtet Boanas.
Obwohl es bei einer Trainertätigkeit in einem anderen Land einige der üblichen Schwierigkeiten gäbe - Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede - der Respekt und die Anerkennung seiner Arbeit in Estland beeindrucke ihn immer wieder. Die Spielerinnen seien immer bereit, vier- bis fünfmal die Woche zu trainieren - trotz aller Belastungen in der Schule oder bei der Arbeit. Mangel herrsche aber an gut ausgebildeten Trainer/innen. Auch qualitative Sportanlagen seien nicht immer vorhanden, und manche Eltern hätten noch Vorurteile wenn ihre Mädchen sich fürs Fußballspielen interessierten. 

Estnisches Frauen-Nationalteam vor
dem Spiel am 20.3. gegen Luxemburg (1:1)
Auch privat ist Boanas eng mit dem Frauenfußball verbunden: Pauline Cope, genannt "Copey", eine der bekanntesten weiblichen Fußballtorwarte auf der britischen Insel, spielte zwischen 1995 und 2004 fürs englische Nationalteam und ist heute seine Frau (Cope debütierte 1995 im Spiel gegen Deutschland in Bochum, als Silvia Neid noch selbst mitspielte und Birgit Prinz als junges Talent eingewechselt wurde und das Siegtor schoss).
In Estland ist die "Frau an seiner Seite" (Co-Trainerin) Katrin Kaarna, die als eine der ersten Estinnen die Trainer-A-Lizenz im Frauenfußball erreichte. Mit Anne Rei gibt es im Fußballverband EJL inzwischen auch eine weibliche Generalsekretärin. Inzwischen ist die Anzahl der estnischen Fußballerinnen bereits auf 800 angestiegen und der Verband hofft bald die 1.000-Grenze zu übersteigen.
Und sportlich? Schon 2010 gab es erste überraschende Erfolge: Nord-Irland wurde geschlagen, Kroatien sogar auswärts, und die Niederlagen gegen Frankreich mit 0:6 "halbierten" sich sozusagen. Das estnische Nationalteam nimmt heute zumindest für sich in Anspruch, das beste Frauenfußballteam der baltischen Staaten zu sein - am 30.März wurde Lettland in Riga 5:3 besiegt.

Webseite Estnisches Nationalteam Frauen / UEFA-Bericht zur Frauenfußball-Konferenz

Montag, April 22, 2013

Estland zum Beispiel

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der estnische Regierungschef Andrus Ansip loben sich gerne gegenseitig - soviel haben wir gelernt in der vergangenen Woche. Oder, wie es bei "Reuters" nachzulesen ist: "Deutschland und Estland preisen sich als Modelle der EU".
Aus deutscher Sicht mögen ja die Presseerklärungen und das Selbstlob, was Politiker bei solchen Anlässen gern verbreiten, eher nebensächliche Bedeutung haben - vielleicht ist es in den Augen der deutschen Öffentlichkeit bestenfalls eine Anerkennung dafür das Estland inzwischen nicht mehr ganz unbekannt ist in Europa. Estland seinerseits arbeitet daran in Deutschland nicht als eines derjenigen Länder gesehen zu werden, die "nur an unser Geld wollen", wie es Kritiker der EU-Erweiterung manchmal sagen.
Wie "typisch estnische Schlagzeilen" liest sich da der Estland Bericht den die WAZ am 12.4. brachte: "Ein Besuch in der ersten Internet-Republik". Gäbe es ein Land wie Estland nicht - denken sich dabei vielleicht die Leser - so könnte es auch virtuell erfunden sein. Die deutsche Seite fügt das Thema Datensicherheit hinzu - und schon kann die Diskussion ziemliche Längen einnehmen.

Regierungsmüde? Wir nicht.
Wer nur ein Jahrzehnt zurückschaut wird aus estnischer Sicht vielleicht feststellen, dass fast  "nebenbei" nun Wirklichkeit geworden ist, was Estland ebenso wie Lettland und Litauen anzustreben versuchten: noch vor wenigen Jahren fanden deutsch-estnische Treffen fast nur "auf dem Weg zu" statt. Kurz vor Treffen mit russischen Politikern meistens, oder vor Gipfeltreffen mit osteuropäischen Themen. Heute hat ein deutsch-estnisches Treffen seine eigene Agenda. Das ist anerkennenswert, auch aus Sicht der deutschen Politik, und empfehlenswert auch für zukünftige Regierungschefs. Da bleibt das sogenannte "Baltikum" allenfalls der Wetterkarte vorbehalten - von Estland ist die Rede.

Die gewählten Schwerpunktthemen entsprechen natürlich den politischen Prägungen der beiden Hauptakteure. Ansip, wie Merkel naturwissenschaftlich ausgebildet (er Chemiker, sie Physikerin), hat ebenfalls Erfahrung mit einer ungewöhnlich langen Amtszeit als Regierungschef: seit April 2005 ist er ununterbrochen Estlands Ministerpräsident, und damit ein paar Monate länger noch als seine deutsche Kollegin. Und da Estland momentan mit der Einführung des Euro noch einen Schritt mehr gewagt hat als seine südlichen "baltischen" Nachbarn, kann in den entsprechenden Presseerklärungen auch allein vom "Modell Estland" die Rede sein. Ansip seinerseits stellt sich deutlich an die Seite Deutschlands und Merkels, wenn er sagt: "Ich bin davon überzeugt, dass meine Kollegin Angela Merkel nicht nur Deutschland gut führt, sondern sie ist auch eine gute Führungskraft für die ganze EU. Ich bin davon überzeugt, dass sie in der Europäischen Union auch Estland vertritt. " (siehe: Pressekonferenz 17.4.)

Estland für die Wirtschaft, Estland für die Bayern
Nun könnte man spitzfindig sein und sagen: nun ja, Russland liegt ja auch außerhalb der EU, und die Esten behalten es sich vor, zum nahen Nachbarn im Osten eine eigene Meinung zu haben. Hierzu gäbe es in der CDU sicherlich verschiedene Meinungen: wenn Putin gerade bei einem wichtigen Wirtschaftstreffen wie der Hannover-Messe stürmisch kritisiert wird sind die meisten CDU-Wirtschaftspolitiker wahrscheinlich doch eher peinlich berührt. Ansip sagte hierzu nichts - er wurde aber auch nicht danach gefragt. Lieber erklärte er den Ausbau der Bahnstrecke nach Estland ("Rail Baltica") für wichtig für alle drei baltischen Staaten (im Wissen, dass zumindest Lettland bei diesem Thema momentan sehr zögerlich agiert). Oder der Ausbau der Verbindungen im Energiesektor sei vordringlich. Wie schon bekannt.
Nur die vom Büro des Regierungschefs in Estland verbreitete Meldung enthält sehr feine Kritik, wenn man das denn so lesen möchte: Deutschland rangiert bei den Investitionen in Estland "nur" auf Rang acht, aus der Sicht Estlands ist Deutschland Handelspartner Nr.5, beim estnischen Außenhandel hält Deutschland einen Anteil von 7,5%. Und der Anteil deutscher Touristen in Estland stieg (gemäß statistischen Daten) im dritten Jahr in Folge an und liegt jetzt bei 111.251 deutsche Gäste in Estland im Jahr 2012; auch das kann sicherlich noch mehr werden - lediglich 6% der Übernachtungen in Estland buchen deutsche Touristen, und sehr viele übernachten selten außerhalb von Tallinn, und sehr wenige buchen mehr als zwei Übernachtungen.

Selbstdarstellung in weiß-blau: Bayern prägt
dieses Jahr das Deutschland-Bild in Tallinn
Auch Ansip besuchte ja diesmal "nur" Berlin. In Tallinn gibt es diesertage allerdings auch genug "Deutsches" - einen "deutschen Frühling", zu dem die Deutsche Botschaft, das Goethe-Institut und das Land Bayern eingeladen hatten (Programm siehe "Saksa Kevad"). Nun distanziert sich Rest-Deutschland, besonders der nördliche Teil, ja sowieso gern von den Bajuwaren und wird wahrscheinlich eher mit dem Kopf schütteln, wenn der "deutsche" Beitrag einer Ausstellung im Kunstmuseum KUMU ausgerechnet in "bunt angemalten BMWs" besteht ("bayrische Kultur", oder schlicht "Poduct Placement"?). Den estnischen Erwartungen wird es allerdings wahrscheinlich entsprechen: Autos, Bier, "Volksmusik" und Billig-Einkauf - was soll Deutschland auch sonst bieten? Vielleicht hatten die Bayern Glück, dass sie mangels estnischer Fußball-Begeisterung nicht auch noch mit Deutschlands reichstem Fußballklub auftraten - angesichts der nun bekannt gewordenen Hoeneß-Verfehlungen. Jeder weitere Kommentar sei aber denjenigen Estinnen und Esten vorbehalten, die den "deutschen Frühling" (der meteorologisch ja eher auf sich warten ließ) miterlebt haben.

Dienstag, April 02, 2013

Blumen, Sonne, Sex und Rock'n Roll

Menschen auf der Suche nach der Frühlingssonne? Fast.
Jedenfalls ein Foto aus Estland. Teil einer neuen Ausstellung "Sowjet-Hippies - psychodelischer Untergrund im Estland der 1970er Jahre". Sex, drugs and Rock'n Roll hinter dem "Eisernen Vorhang"! Auch in Sowjet-Estland gab es sowas wie "Flower-Power" - begünstigt vielleicht durch die dünne Besiedlung des Landes, wo es natürlich viele Ausweichorte gab für das, was öffentlich nicht gern gesehen war.
Seit einigen Wochen arbeitet Kuratorin Terje Toomistu an einer Ausstellung, die zunächst mal im Estnischen Nationalmuseum in Tartu angesiedelt ist.Auch ein Dokumentarfilm ist noch in der Entstehung.
Filmteam und Protagonisten
"Als Breschnew  an die Macht kam, hatten wir nicht mehr viel Hoffnung auf ein kleines bischen persönliche Freiheit. Die Generation die in den späten 1960igern aufwuchs musste erkennen dass die Welt eine große Lüge ist - und man sich lieber mit eigenen Dingen beschäftigt als mit Politik. Die im Westen ausgelebten Freiheiten wurden verehrt, ein wenig inspiriert von östlichen Philosophien. Daher waren die Sowjet-Hiipies ein Kulturgemisch, aber immer underground.
Es war ein Trend der Zeit damals, wo durchaus auch Künstler, Lebenskünstler und Akademiker zusammen angetroffen werden konnten. "In" war Rockmusik und das Propagieren von Liebe und Pazifismus, Reisen wohin immer möglich und mit einem Outfit das absolut nicht zu einem Sowjetbürger passte. Estnische Hippies orientierten sich an ihren eigenen Frontfiguren und lasen verbotene Samiszdat-Literatur. Hosen durften nicht weiter geschnitten sein als 33cm,  einige wurden als "Landstreicher" ständig verhaftet, andere steckte der KGB auch schon mal in geschlossene Anstalten. Aber je strenger sich die Ordnungsmacht gebärte, desto mehr bekam auch die Bewegung der Blumenkinder Zulauf."
(aus dem Ausstellungstext)


Zur Webseite der Ausstellung  /  Filmtrailer