Montag, Oktober 16, 2017

Estlands Kommunalwahl: viel E-Vote bei verhaltener Begeisterung

Nicht nur in Österreich und im deutschen Bundesland Niedersachsen wurde am vergangenen Sonntag gewählt: in Estland fanden Kommunalwahlen statt.

E-Wahl-Rekord
Ein erstes interessantes Ergebnis war schon vor Schließung der Wahllokale bei den heutigen Kommunalwahlen in Estland bekannt: es gibt einen neuen "E-Rekord" - 27,6% der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme online ab; das war während einer zehntägigen Zeitspanne vor der Wahl möglich. Zusammengezählt wählten 306.508 Estinnen und Esten vorab, 186.034 davon digital.

Stabiles Zentrum, weniger Vaterland, viel unabhängig
Der locker Jogger: aus einem
Wahlspot der "Zentrumspartei"
Die "Eesti Keskerakond" (Zentrumspartei) erhielt 27.3% der Stimmen, 26,8% entfielen auf unabhängige Wahllisten, und 19,5% erreichte die Estnische Reformpartei (Eesti Reformierakond). Weitere 10,3% Stimmen erreichten die Sozialdemokraten (Sotsiaaldemokraatlik Erakond), 8% die Vaterlandspartei & Res Publica (Erakond Isamaa ja Res Publica Liit IRL), 6,7% die Konservative Volkspartei (Eesti Konservatiivne Rahvaerakond EKRE), während die estnischen Grünen (Erakond Eestimaa Rohelised) estlandweit lediglich 0,8% der Stimmen auf sich vereinen konnten (siehe auch: estnisches Wahlamt).Die Veränderungen gegenüber der Wahl 2013 sind schwierig zu berechnen, da es diesmal einen neuen Zuschnitt der Wahlbezirke gab. Landesweit verlor die konservative IRL durch einen Absturz von 17.2% auf 8% am meisten, während die nationalkonservative EKRE erstmals antrat. Die Reformpartei gewann landesweit 5,8% hinzu, die Zentrumspartei verlor 4,6%, für die Sozialdemokraten entschieden sich 2,2,% weniger.

Tartu und Tallinn konstant
Estlands größte Städte bleiben poltisch da, wo sie schon bisher waren: in Tallinn gewann die Zentrumspartei 40 der 79 Mandate und damit die absolute Mehrheit (44,4% der Stimmen); eine Besonderheit war dabei allerdings, dass Ex-Taekwondo-Sportler Mihhail Kõlvart mit 24.712 Personenstimmen weit mehr Zustimmng auf sich vereinen konnte als der eigentliche Bürgermeisterkandidat des Zentrums, Taavi Aas. Kõlvart trat im Stadtteil Lasnamäe an, dort wo Ex-Parteichef Savisaar immer gute Resultate eingefahren hatte. Savisaar selbst war nicht mehr als Spitzenkandidat nominiert worden, trat aber auf einer eigenen Liste an und gewann so ein Direktmandat im Stadtrat. Allerdings steht er noch wegen einer Korruptionsanklage vor Gericht - der Ausgang wird darüber entscheiden, ob er sein Mandat antreten darf.
Beobachter schließen aber nicht aus, dass wegen der knappen Mehrheit im Stadtrat Tallinn die Zentrumspartei dennoch einen Koalitionspartner einladen könnte. 
In Tartu blieb die Reformpartei mit 37,4% an der Spitze der Beliebtheit - das reicht für 20 von 50 Stadtratssitzen. Bürgermeister bleibt also wahrscheinlich Urmas Klaas. Die Sozialdemokraten folgen mit 8, das Zentrum mit 7 Sitzen. Die EKRE bekommt noch 6, die IRL 3 Mandate. Die konservative IRL verlor auch hier am stärksten: ein Absturz von 21,08% auf 7,4%.

Estnische Kommentatoren weisen vor allem darauf hin, dass es die Zentrumspartei von Regierungschef Jüri Ratas geschafft hat, auch ohne Edgar Savisaar in Tallinn wieder die absolute Mehrheit zu holen. Die teilweise problematische Vergangenheit von Savisaar sei nun Geschichte und habe für die Zentrumspartei keine Bedeutung mehr, heißt es.
Außerdem sei es ein klares Zeichen, dass wiederum über 180.000 Wählerinnen und Wähler dem "E-Vote" vertrauten, trotz kürzlich offenbarten theoretisch möglichen Manipulationsmöglichkeiten. Estinnen und Esten vertrauen eben E-Estonia. Allerdings zeigte die vergleichsweise niedrige Wahlbeteiligung von 53,4% (2013 = 57,97%) nur lauwarme Begeisterung für die wichtigen politischen Fragen an.

Samstag, Oktober 07, 2017

Online wählen als Event

Kelle valite kohaliku omavalitsuse volikogusse? Wer diese Frage mit '"ja" ("jah") beantworten kann (denn wählen gehen funktioniert in Estland nur auf Estnisch), der wird in diesen Tagen wieder seine estnische "ID-Karte" nutzen wollen (98% aller Estinnen und Esten haben eine) und online wählen.
Die zuständigen estnischen Behörden haben das E-Wahlsystem und die ID-Karte inzwischen sogar weiterentwickelt: es reicht jetzt aus, eine spezielle Karte für das Smartphone zu nutzen - die gesonderte Karte, die vorher dazu diente, sie in speziellen Lesegeräten einzuführen, wird damit überflüssig.

Die ganze Identität auf dem Mobilphone! Während die einen angesichts dieser Situation schon ins zililisationskritische Grübeln kommen (wer bin ich eigentlich? Bin ich schon mein Smartphone, oder auch noch etwas anderes?) - haben die anderen erkannt, dass es auch noch außerhalb der digitalen Welt Maßnahmen braucht um die Akzeptanz dieses Systems zu erhöhen. Zwar werden wieder etwa 25-30% aller Estinnen und Esten am 16. Oktober, wenn die Kommunalwahl vorbei ist, ihre Stimme online abgegeben haben (siehe "Heise"). Vielleicht sogar noch mehr. Aber immerhin hatte es, nach über 10 Jahren Erfahrung des estnischen E-Voting-Systems in der Praxis, kürzlich Hinweise gegeben, die einen Angriff auf die geheimen Identitätscodes der ID-Cards für möglich hielten - wenn auch nur für den Fall, wenn eine riesige Rechnerkapazität dafür zur Verfügung stehen würde (siehe FAZ, Heise, Futurezone).

Betroffen davon sind nach offiziellen Angaben rund 750.000 ID-Karten. Bei ihnen könne der öffentliche Schlüssel der digitalen Identität "theoretisch" auch ohne die Karte und die PIN ermittelt werden. Dazu sei aber eine riesige Rechenkapazität und ein spezielles Programm notwendig, um den dazugehörigen geheimen Schlüssel zu errechnen.

Derweil hat in Estland wieder der Zeitraum begonnen, während dem die OnlineWahl (Kommunalwahl) möglich ist - diesmal zwischen dem 5.-11. Oktober. Die estnische Präsidentin Kersti Kaljulaid nahm das am vergangenen Donnerstag zum Anlaß für den Besuch einer Schule in Jüri. So konnten Schülerinnen und Schüler direkt aus dem Mund der höchsten Vertreterin des Staates von der Möglichkeit erfahren, dass diesmal sogar auch 16- und 17-Jährige bereits mitwählen dürfen. (ERR) Für die Beteiligung der Jugend wirbt Frau Präsidentin - ganz im Sinne der sozialen Medien - mit einem eigenen "Hashtag": #nooredvalima. Auf Facebook, oder auch, unterstützt von der "League of young voters", per Youtube-Video (schon seit 2014).

Übrigens haben auch (derzeit) 182.841 Nicht-Staatsbürger Estlands (registrierte Einwohner, die weder die russische noch eine andere Staatsbürgerschaft besitzen) diesmal das (Kommunal-)Wahlrecht (zu diesem Zweck gibt es auch Ratgeber in Englisch und Russisch).