Eigentlich ist er schon seit vielen Jahren eine echte Größe in der estnischen Kulturlandschaft, wenn auch noch kein einziges Buch von ihm ins Deutsche übersetzt worden ist. Er gilt als scharfzüngiger, formulierungsstarker Beobachter der gesellschaftlichen Entwicklung in Estland, der die ganze Bandbreite von zarter Poesie bis hin zum politischen Engagement für die estnische Unabhängigkeit wie auch als Parlamentsabgeordneter ausprobiert; einer der einflußreichsten Lyriker Estlands bekam jetzt den Europäischen Literaturpreis zugesprochen: Jaan Kaplinski.
Als Sohn eines polnischen Vaters und einer estnischen Mutter 1941 in Tartu geboren, sind ihm Sichtweisen, die abseits liegen von verbohrtem Nationalismus, scheinbar geradezu in die Wiege gelegt. Deutschsprachige Leseinteressenten von Kaplinskis Werken müssen jedoch bisher lange suchen - Auszüge oder einzelne Gedichte sind bisher nur in einigen Ausgaben der inzwischen wieder eingestellten Zeitschrift "Estonia" zu finden (zuletzt im Hempen-Verlag erschienen), in einem Sonderheft der Literaturzeitschrift "Wespennest" des Jahres 2002, auch in dem 1999 erschienenen Band der Edition "Die Horen" von Georg Laschen "Die Freiheit der Kartoffelkeime - estnische Literatur". Bereits 1992 erschien eine Auswahl estnische Autor/innen bei der "Edition Junge Poesie" in Karlsruhe. Nichts darunter, was man in einer deutschen Buchhandlung heute noch finden könnte.
Der Europäische Literaturpreis wurde seit 2005 jetzt zum 11.Mal vergeben: Kaplinski ist der erste Preisträger der baltischen Staaten. Auszug aus der Laudatio:
"Kaplinski studierte Linguistik an der Universität Tartu. Er arbeitete wissenschaftlich in den Bereichen der Linguistik, Soziologie, Ökologie und als Übersetzer aus mehreren Sprachen ins Estnische. Er ist interessiert an keltischer Mythologie, den Indianern der USA und klassischer chinesischer Philosophie und Dichtung.
Während der Perestroika und der estnischen Unabhängigkeitsbewegung war er als Journalist aktiv, sowohl in Estland wie im Ausland. 1992-95 war er Abgeordneter des Estnischen Parlaments (Riigikogu). Er lehrte Geschichte der westlichen Zivilisation an der Universität Tartu. Er veröffentlichte mehrere Bücher mit Dichtung und Essays in Estnisch, Finnisch und Englisch. Seine Werke wurden bisher übersetzt in Norwegisch, Schwedisch, Lettisch, Russisch und Tschechisch.
Beeinflußt von Vertretern des Modernismus wie Rimbaud, Eliot und Pound sowie von der klassischen chinesischen Dichtung übersetzte er auch Werke aus dem Französischen, Englischen, Spanischen, Chinesischen und Schwedischen (Gedichte von Tomas Tanströmer). Er unternahm Reisen in viele Länder, darunter China, die Türkei und Russland. Er ist Mitglied mehrere Bildungsgesellschaften sowie der Universal Academy of Cultures, geleitet von Elie Wiesel."
Vielleicht sollte jemand mal Jaan Kaplinski fragen, was er dazu sagt, dass ihn der deutsche Buchmarkt bisher so ausdrücklich ignoriert hat - oder wird da noch was kommen?
Mehr zu Jaan Kaplinski: Wikipedia - Jaan-Kaplinski-Webseite (engl.) -
Online-Übersetzung der Geschichte "Wenn Heidegger ein Mordwinier gewesen wäre" (Übersetzung von Carola Haentsch)
"Eis und Heide" (zu finden auf der Jaan-Kaplinski-Webseite)
Jaan-Kaplinski-Blog (estnisch)