Wenn in dieser Woche der Film "Klass" ("Die Klasse") von Ilmar Raag auf den Nordischen Filmtagen in Lübeck gezeigt werden, sollten sich die Besucher/innen auf einen harten Stoff gefaßt machen. Und wer bisher keinen persönlichen Kontakt zum Thema "Gewalt an Schulen" hatte, der wird nach dem Film sicher einen nachhaltigen Eindruck mit nach Hause nehmen.
Mir ging es so, dass ich vom Verlauf der Story doch etwas überrascht wurde. Gut, also dass es Außenseiter in einem Klassenverband gibt, dass diese oft gemobbt, gemieden und ungerecht behandelt werden - wer kennt das nicht. Auch Schlägereien gibt es hier und da. Ursache für Gewaltanwendung wird aber oft entweder bei "schlecht erzogenen" oder sozial benachteiligten Jugendlichen gesucht. Hier treten aber zwei Filmhelden auf, die beide aus ihrer Abneigung zum Thema Gewalt eigentlich keinen Hehl machen. Der eine, Joosep, als Neuling in der Klasse benachteiligt, mag sich so überhaupt nicht wehren gegen die Gewalt - einen muskelstarken, aber psychisch schwachen Vater zu Hause vor Augen, der es gerne anders hätte. Dann Kaspar, der die Haltung "alle gegen einen" nicht lange mitmacht, aber durch Tricks und Hinterhältigkeiten gerade der Urheberschaft der Prügeleien angeschwärzt wird - jedenfalls gegenüber seiner ängstlichen Oma, die zu Hause abseits aller Schulrealitäten auf ihren "guten Jungen" hofft. Beide "Gewaltlosen" wandeln sich dann im Laufe des Films zu denjenigen, die das blutige Ende herbeiführen - nicht ohne einen großen Teil der Sympathien der Zuschauer mitzunehmen.
"Wie kam es dazu?" das ist ja die beliebte Frage, wenn international blutige Ereignisse in Schulen durch die Nachrichten geistern. Ilmar Raag läßt seinen Film nicht einfach mit einem simplen Schuß und einem mahnenden Zeigefinder enden. Es breitet sich ein quälendes Szenario aus, das auch den Aspekt mit beleuchtet, dass eben mit einem Schuß nicht alles zu Ende und die Erleichterung der Täter vollkommen wäre. Da gibt es Verletzte, zufällig Getroffene, aus Versehen Erschossene und am Schluß einen ratlosen Kaspar, der vor seiner schwer verletzten Freundin am Ende doch die Entschlossenheit zu nur einer einzigen Lösung verliert.
Die Menschen in Ländern, wo "die Klasse" gezeigt wird, werden sich jeweils an die dunkelsten und blutigsten Stunden auf Schulhöfen und in Universitäten erinnert sehen. Auch der New York Times fällt natürlich das Massaker auf dem Gelände der Columbine High School ein, und für Deutschland steht zum Beispiel der Name Erfurt. Auch Diskussionsbeiträge und Blogs zum Film gibt es in estnischer Sprache einige. Darunter sind auch Beiträge, die sich dafür aussprechen den Film in die Lehrmaterialien an allen Schulen aufzunehmen.
Ilmar Raag (Foto rechts) war auch schon in vielen anderen Funktionen für den estnischen Film aktiv. Für die estnische Filmstiftung, als Direktor des Estnischen Fernsehens ETV. Nun bekam Raag ein besonderes "Ehrenzeichen" von seinem Heimatland: Estland hat "Klass" für die Oskar-Verleihung 2008 anmelden lassen. Kontakt zu Raag aufzunehmen dürfte ebenso nicht schwer sein: er pflegt seinen eigenen Blog.
"Class" bei den Nordischen Filmtagen Lübeck 2007
New York Times
Liste der für den Titel "bester ausländischer Film" (Oscar 2008) eingereichten Filme
Blogbeitrag von Thalia Kell zu "Klass" (engl.)
Ilmar Raag's Blog (estnisch)
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