Sonntag, Januar 20, 2019

Zuwachs für Politkampagnen

Kurz vor Registrierungschluß der Kandidatenlisten für die Parlamentswahl in Estland gibt es einige überraschende Neuzugänge. Offenbar sind einige der Parteien der Auffassung, ihre Wahlkampagnen noch durch ein paar bekannte Namen auffrischen zu müssen.

So überraschen die estnischen Grünen (Erakond Eestimaa Rohelised), seit 2011 nicht mehr im Parlament vertreten, mit Anu Saagim als Kandidatin, bisher Kreativdirektorin bei der Zeitung "Õhtuleht".Aber auch andere Parteien haben versucht aus anderen Bereichen bekannte Persönlichkeiten an sich zu binden. So kandidiert Kaido Höövelson ("Baruto Kaido"), ein Sumo-Ringer, für die Zentrumspartei, der Musiker, Schauspieler und Fernsehmoderator Mart Sander entschied sich für die neue Partei "Estland200", und die ehemalige Skiläuferin und zweifache Olympiasiegerin Kristina Šmigun (verheiratete Vähi) entschied sich für die Reformpartei anzutreten. (ERR)

Insgesamt 10 Parteien und dazu noch 18 unabhängige Kandidat/innen haben sich bis zum Meldeschluß am 17.Januar zur Wahl am 3.März registrieren lassen (ERR). Landesweit überall treten an die Reformpartei, die Zentrumspartei, die Sozialdemokraten, die Konservative Volkspartei (EKRE), Pro Patria, die estnischen Grünen, "Estland200" sowie die rechtskonservative Freiheitliche Partei. Eine Besonderheit der Parlamentswahlen in Estland ist das Verbot von Aussenwerbung für politische Parteien in der "heißen" Wahlkampfphase; deren Beginn wurde auf den 23.Januar festgelegt. Ein anderer Effekt dieser Regelung war es, dass in vielen Gemeinden schon Ende 2018 Wahlplakate zu sehen waren - sowas zählt inzwischen als "Vorwahlkampf". Aktuell werden die neu geworbenen prominenten Unterstützer/innen - neben ihren persönlichen Wahlkampfterminen - wohl fast ausschließlich, ganz estnisch, digital zu bewundern sein. (Estnisches Wahlamt)

Donnerstag, Januar 17, 2019

Alt in Estland

"Estland first" - das bestätigt auch eine Schlagzeile der Zeitung "Die Presse" aus Österreich. Nur, dass es diesmal nicht positiv gemeint ist: zitiert wird hier eine europaweite Studie, der zufolge 46,1% aller Rentnerinnen und Rentner in Estland armutsgefährdet sind. Am anderen Ende stehen die Franzosen - die offenbar wissen, wofür sich das streiken lohnt: nur 7% der Alten sind dort tendenziell auch arm (siehe auch: ERR).

Die drei baltischen Staaten an der Spitze: in Lettland wird die Armutsgefährdung für Ältere bei 43,7% diagnostiziert, in Litauen bei 36,7% - dahinter folgen alle übrigen EU-Länder (Deutschland 17,5%, Österreich 12,1%). Wie auch ein Rückblick auf die vergangenen Jahre zeigt, hat das Armutsrisiko in Europa eher zugenommen (Destatis). Weiterhin sind ältere Frauen mehr armutsgefährdet als ältere Männer.

Die Tücken der Statistik zeigt diese Grafik: da die Armutsrate immer
im Vergleich zum statistisch durchschnittlichen Einkommen
berechnet wird, sinkt die Armut scheinbar genau dort,
wo das Durchschnittseinkommen geringer ist. Statistisch
gilt dann: keine Armut in der Krise!
Einziges Manko dieser Zahlen: in den Medien die solche Zahlen verwenden wird nicht exakt Bezug genommen auf eine Quelle und das Datum der Datenerhebung. Noch im Oktober 2018 gab die EU Zahlen heraus, die sich auf die Gesamtbevölkerung beziehen. Demnach gäbe es nur drei EU-Länder, wo mehr als ein Drittel der Menschen armutsgefährdet seien: Bulgarien, Rumänien und Griechenland. In dieser Statistik wird Estland mit nur 23,4% Armutsgefährdung genannt. Eine ähnliche Größenordnung verwenden auch viele deutschsprachige Internetportale. Auch das estnische Statistikamt bestätigt das, und nennt auch konkrete Zahlen: wer weniger als 523 Euro im Monat hat, gilt als von Armut gefährdet. Und eine weitere Tatsache wird klar: der Prozentsatz der von Armut gefährdeten Personen wird nur durch Sozialleistungen geringer gehalten - ohne diese läge der Anteil der Geringverdienenden bei 40% (der Gesamtbevölkerung).

Die EU rechnet drei Armutsfaktoren gesondert: die Quote gemessen an Sozialleistungen, die Anzahl von Personen die in Haushalten mit geringer Erwerbsquote leben, und die Quote der sogenannten "erheblichen materiellen Deprivation" - eingeschränkte Lebensbedingungen aufgrund fehlender Mittel. Wo hier der Unterschied liegt - werden die drei Faktoren zusammengerechnet? Das ist leider nicht auf Anhieb für jeden verständlich. 

Wo liegt die Wahrheit? Welche Schlußfolgerungen sind nötig? Offenbar macht jede Zeitung, jedes Internetportal eigene Schlagzeilen daraus. "DIE ZEIT" entdeckte in Deutschland das "EU-weit höchste Armutsrisiko" - allerdings, wenn man genau liest, nur "bei Arbeitslosen". Demnach seien 70,8% aller Arbeitslosen in Deutschland armutsgefährdet (60,5% in Litauen, 55,8% in Lettland und 54,8% in Estland). Das "Pech" der Balten ist dabei wohl, auch schon bei vorhandenem Arbeitsplatz arm zu sein (und nicht nur "gefährdet").

Also, eines scheint klar: wenn beides zusammen kommt, also in Estland alt + arbeitslos zu sein, erzeugt Armut - soviel scheint sicher.Über die Höhe eventueller Renten braucht hier wohl nicht spekuliert werden.
Die estnischen Experten beurteilen die Lage etwas anders. Ein Zitat aus dem Sozialbericht 2015: "Obwohl viele Rentner in relativer Armut leben (Prozentsatz für 2015 war 44,6%), reicht diese Armut nicht sehr tief. Die Durchschnittsrenten liegen sehr nahe an der Grenze zur Armutsgefährdung. Das bedeutet, dass auch geringe Lohnerhöhungen für die Haushalte rein statistisch viele Rentner zu den Armutsgefährdeten rechnet, obwohl ihre tatsächlichen Bedürfnisse sich nicht viel ändern." (Eesti Statistika Kvartalikiri)

Viele Estinnen und Esten bleiben offenbar grundsätzlich optimistisch. So kommentierte Jevgeni Ossinovski, Sozialdemokrat und ehemaliger Gesundheitsminister, die Lage so: "die nächste Statistik wird definitiv besser werden, denn dann wird sich die Steuerreform auswirken." Die gegenwärtige estnische Regierung, eine Koalition aus Zentrumspartei, Sozialdemokraten und Vaterlandspartei, will einen größeren Teil geringer Einkommen von der Besteuerung freistellen.

Dienstag, Januar 08, 2019

Durchgezählt

Stolz vermelden estnische Behörden ein leichtes Wachstum der Bevölkerung des Landes. Bei bisher 1.361.683 in Estland lebende Menschen (Stand: 1.1.2018) liegt der Gedanke ja auch vielleicht nahe, beinahe für jede/n Einzelne/n sorgen zu müssen. Immerhin schrumpfte ja die Bevölkerung der Nachbarländer Lettland und Litauen in den zurückliegenden Jahren um mehrere Zehntausende.

Estland hat neu durchgezählt zum 1.Januar 2019. Nun sind es insgesamt 1.366.020 Einwohnerinnen und Einwohner, also 4337 Personen mehr als vor einem Jahr.
Genauer aufgeschlüsselt: 1.146.171 Personen sind im Besitz der estnischen Staatsbürgerschaft (1802 mehr als vor einem Jahr), 88.785 Einwohner Estlands besitzen die russische Staatsbürgerschaft, 76.148 haben keine Staatsbürgerschaft und 9771 sind Bürger der Ukraine. Darüber hinaus wohnen in Estland 8800 Finn/innen, 5648 Lett/innen, 3607 Deutsche, 2534 Litauer/innen, 2013 Italienier/innen und 1974 Beloruss/innenen / Weißruss/innen. (ERR / Baltic Course / Statistics Estonia)

In den Jahren zwischen 2000 und 2015 hatte die Bevölkerung Estlands um 88.000 Menschen abgenommen (6,5%). In den drei Jahren darauf hatte es (bis 2018) bereits ein Wachstum um 3.000 Personen gegeben.Dabei gab es über die Jahre verschiedene Trends. Während Anfang des Jahrtausends noch das natürliche Wachstum die Tendenz stärker beeinflusste - es gab 5.000 bis 6.000 weniger Geburten als Sterbefälle pro Jahr - wendete sich dieser Trend zwischen 2008 und 2012 sogar ins positive, und liegt gegenwärtig ganz leicht negativ. Die Lebenserwartung für Männer liegt in Estland bei 73,2 Jahren, für Frauen bei 81,9 Jahren. Zwar sterben gegenwärtig sogar mehr Frauen als Männer, statistisch gesehen, aber 75% aller Menschen in Estland über 80 Jahre sind Frauen.

Zwischen 2000 und 2011 haben 23.000 Menschen Estland verlassen - offiziell. Inoffiziell, also ohne formale Ummeldung, rechnen die Behörden aber mit weiteren 19.000 Abgewanderten, also 42.000 insgesamt. Unter den Ausgewanderten sind etwa zwei Drittel Frauen. Seit 2015 ist die Wanderungsbilanz wieder positiv: es ist das Ergebnis der Zuwanderung aus anderen EU-Staaten, darunter besonders viele Finn/innen und Lett/innen. Unter den Menschen mit estnischer Staatsbürgerschaft kamen im Jahr 2017 500 mehr nach Estland zurück als das Land verließen. (Eesti Statistica)