Dienstag, November 20, 2018

Migrierende Regierungskoalition

Auch in Estland wird momentan die internationale Diskussion um Migration und Flüchtlinge zu einem entscheidenden Faktor, ob die estnische Regierung noch zusammenarbeiten kann oder nicht. Auslöser war Justizminister Urmas Reinsalu, der namens seiner rechtskonservativen Partei "Pro Patria" vergangene Woche sein Veto einlegte gegen die Zustimmung zum neu ausgehandelten UN Flüchtlingspakt bzw. zum Bericht des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (siehe Text).

Gemeinsame Stellungnahmen der Regierung Ratas -
gegenwärtig nicht immer garantiert
Bei einer Ablehnung würde sich Estland in eine Reihe mit den USA, Tschechien, Bulgarien, Österreich, Ungarn und Australien stellen. Nun gerät allerdings Regierungschef Ratas unter Druck, der in dieser Frage seinem Justizminister nachgab - während seine Zentrumspartei und auch die Sozialdemokraten von Außenminister Sven Mikser das Abkommen befürworten. Nach Meinung von Reinsalu sei das Abkommen zwar kein bindender Vertrag, aber: "In der späteren Praxis könnte es als internationales Gewohnheitsrecht für die unterzeichnenden Staaten ausgelegt werden.“ (eurotopics / delfi)


Dabei gibt es durchaus Unterschiede zwischen den Diskussionen der Ländervertreter/innen im EU-Parlament, und der innenpolitischen Diskussion im jeweiligen Heimatland (Wiener Zeitung). Die drei gegenwärtigen Regierungsparteien in Estland (Zentrumspartei, Pro Patria und Sozialdemokraten) suchen momentan noch nach Wegen zu einer Einigung. Die nationalkonservative Oppositionspartei EKRE startete eine Unterschriftenkampagne gegen das Abkommen. "Dieses Abkommen ist hinter dem Rücken der Nationalstaaten entstanden, um uns zu einem Zielland für Immigration zu machen", sagte EKRE-Vizevorsitzender Martin Helme (err).

Dagegen hatte Parlamentspräsident Eiki Nestor, ein Sozialdemokrat, am Montag eine Stellungnahme pro UN-Migrationspakt verfasst, die von 39 der 101 Abgeordneten unterstützt wurde - Sozialdemokraten und Zentrumspartei (err). Im Parlament sind gegenwärtig 25 Abgeordnete der Zentrumspartei, 14 Sozialdemokraten, 7 der nationalkonservativen EKRE, 30 der Reformpartei, 11 der Vaterlandspartei (Isamaa), 6 der Freiheitspartei und 8 franktionslose Abgeordnete vertreten (Riigikogu).

"Die Frage ist nicht nur, ob Estland dem UN-Flüchtlingspakt zustimmt oder nicht," mahnt Präsidentin Kaljulaid, "sondern zur Debatte steht hier auch die Stabilität der Regierungskoalition." Sie kündigte an, nicht zum UN-Gipfel in Marrakesch fliegen zu wollen, wenn sie seitens Estlands keine einheitliche Haltung dort präsentieren könne. Kaljulaid hatte in Gesprächen mit den Parteichefs der Regierungskoalition auch eine Diskussion zum UN-Flüchtlingspakt im Parlament (tt) vorgeschlagen - eine Position, der sich auch Marko Mihkelson, Parlamentarier der oppositionellen Reformpartei, anschloss. Inzwischen ist für Montag 26.November eine Diskussion im Parlament terminiert (err).

Die estnische Reformpartei, jetzt zwei Jahre nicht mehr an der Regierung beteiligt, versucht derweil die Gelegenheit zu nutzen und erklärt ihre Bereitschaft zur Regierungsübernahme (err). Seit einigen Monaten hat hier Kaja Kallas, Tochter des Partei-Urgesteins Siim Kallas, den Chefsessel eingenommen. Unter gewissen Bedingungen kündigte die Reformpartei ihre Unterstützung für den Entschließungsentwurf der Sozialdemokraten an - sicher in der Hoffnung, so einen Keil in die Regierungskoalition treiben zu können. Justizminister Urmas Reinsalu übrigens, der die andauernde Diskussion ausgelöst hatte., war übrigens auch schon unter Reformpartei-Premier Taavi Rõivas Justizmnister.
Zum Teil wirkt die gegenwärtige Diskussion auch wie ein Vorgeschmack auf den kommenden Wahlkampf: bis zum 3. März 2019, dem Termin der nächsten estnischen Parlamentswahlen, sind es nur noch wenige Wochen.

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