Der neue Präsident der Republik Österreich hatte estnische Vorfahren - ein besonders enges Verhältnis zum heutigen Estland gibt es aber offenbar bisher nicht. Oder sind die Wurzeln eher russisch, wie auch prompt das Portal "Russland.ru" meldet?
"Er bezeichnet sich als 'Flüchtlingskind', obwohl er in Wien
geboren ist und auch jetzt wieder seit längerer Zeit in Wien wohnt," so formulieren es van der Bellens Kritiker.
Geboren wurde er wohl als estnischer Staatsbürger - als seine Mutter Alma (geborene Siebold, eine Russland-Deutsche) mit dem kleinen Alexander 1944 in Wien ankam, galten sie als estnische Flüchtlinge. Ursprünglich hatte die Familie holländische Wurzeln, und war 1917 schon einmal gefohen: die gutbürgerlichen, kleinadeligen Vorfahren wollten nichts mit den Bolschewiki zu tun haben, änderten den Namen "von Bellen" in Berufung auf das Niederländische in "van der Bellen" und gingen ins unabhängige Estland. Alexander van der Bellens Vater, ein Bankmanager, wurde 1934 estnischer Staatsbürger. 1940/41, als die Sowjets Estland besetzten, konnten die van der Bellens offenbar die Vereinbarungen des Hitler-Stalin-Paktes nutzen; wer als "Volksdeutscher" galt, konnte ausreisen. Zunächst ging es nach Laugszargen in Ostpreußen (heute Lauksargiai / Litauen), dann in ein Flüchtlingslager in Werneck (zwischen Würzburg und Schweinfurt gelegen). Schließlich weiter nach Wien, wo 1944 der Sohn Alexander geboren wurde. Als sich die Rote Armee näherte, ging die Familie noch weiter nach Tirol (van der Bellen: "mit mir als Baby im Rucksack"), ins Kaunertal in den Ötztaler Alpen.1958 erhielt Alexander van der Bellen die Staatsbürgerschaft Österreichs.
Über seine Wahl zum Bundespräsidenten freuen sich, der österreichischen Presse zufolge, sowohl Esten wie auch Russen; estnische Verwandte wie auch Menschen aus dem russischen Pskov, der Geburtsstadt der Eltern (Tiroler Tageszeitung). Es werden auch positive Aussagen zweier estnischer Politiker zitiert, Sven Mikser und Urmas Paet. Einer Auskunft des estnischen Aussenministeriums zufolge kann van der Bellen tatsächlich nicht nur theoretisch auch heute noch als Este gerechnet werden: Kinder von Bewohnern des 1940 besetzten unabhängigen Estlands, die vor
dem 16. Juni 1940 über die estnische Staatsbürgerschaft verfügten, haben automatisch Anspruch auf die Staatsbürgerschaft des heutigen Estlands.
Zu den politischen Gegnern gehört - außer der Freiheitlichen Partei FPÖ - sicherlich auch ÖVP-Politiker Herwig van Staa, der einst behauptete, van der Bellens Vater sei ein Nazi gewesen (siehe "der Standard"). "Tarnen,
Täuschen und Tricksen – Alexander van Bellen ist ein Rattenfänger" - so werden FPÖ-Politiker zitiert. Andere werden wohl (ganz im Sinne von Putin-diktierten Medien) sagen wollen: "Wie kann man denn vor den Befreiern fliehen?" - Angekreidet wird van der Bellen außerdem, dass er sich zum Dienst im österreichischen Bundesheer zwar mustern ließ, der Dienstantritt aber dann wegen Studium, dann wegen Heirat immer wieder verschoben wurde. Und bei Pressekonferenzen schauen Journalisten manchmal ganz genau hin - und notieren zum Beispiel, wenn van der Bellen keinen Ehering trägt, obwohl er verheiratet ist (zum zweiten Mal - nach seiner ersten Frau Brigitte, mit der er einen Sohn hat, nun mit Doris Schmidauer, einer Parteikollegin bei den Grünen - siehe news.at).
Zu namentlichen Unterstützern der Wahlkampagne Alexander van der Bellens zählen die auch in Deutschland bekannten Reinhold Messner und André Heller.
Also: wir sind gespannt auf die neuen Aspekte der Beziehungen zwischen Estland und Österreich. In einem Interview mit der Kronen-Zeitung verriet van der Bellen, dass er noch nie gemeinsam mit seinem Sohn in Estland war - das kann ja noch kommen!
Webseite Alexander van der Bellen
Ist Estland eigentlich "baltisch"? Die estnische Sprache ist ja dem Finnischen ähnlich (finno-ugrisch), und das sogenannte "Baltikum" ist sowieso ein Behelfsbegriff ohne Grundlage. Noch viel zu wenig ist in Deutschland bekannt über Kultur und Geschichte, über Politik und Gesellschaft in Estland. Die jungen Europäer in Deutschland und Estland werden die Zukunft prägen! Wir rufen auf zur Diskussion.
Dienstag, Mai 24, 2016
Estnischer Tiroler?
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Mittwoch, Mai 18, 2016
Marina, Mailis oder lieber Siim?
manch eine Politiker/innen- Karriere sähe mit einem Präsidentenauftrag sicher sehr viel glänzender aus ... |
Zumindest international sind die bisher bekannten Kandidaten ziemlich unbekannt. Mailis Reps, zweifache Ex-Bildungsministerin (mit wechselnden Haarfarben), wurde unlängst von der Zentrumspartei zur Präsidentschaftskandidatin gekürt (ERR, Postimees). Sie bringt eine interessante familiäre Voraussetzung mit: sie ist mit einem lettischen Anwalt verheiratet (Agris Repšs). Würde sie gewählt, fände eine estnisch-lettische Verbindung im Präsidentenamt eine Fortsetzung (Ilves ist in dritter Ehe mit der Lettin Ieva Kupce verheiratet).
Auch Ex-EU-Kommissar Siim Kallas gilt als Kandidat fürs Präsidentenamt, und schaut auf seiner eigenen Webseite schon mal zuversichtlich-präsidial in die Zukunft.
Allerdings wählt in Estland das Parlament den Präsidenten - und die (mit)-regierende Reformpartei scheint außer Kallas auch Außenministerin Marina Kaljurand für eine gute Kandidatin zu halten - dass sie nie eine Mitgliedschaft in der Reformpartei angestrebt hat, gilt für die Ex-Badminton-Sportlerin offenbar nicht als Nachteil, und ihr Plus ist jahrelange diplomatische Erfahrung. Auch bei ihr wäre ein gemischter ethnischer Hintergrund gegeben: der Vater war Lette, die Mutter Russin. Kaljurand gilt als beliebt und baut auf gute Umfragewerte (ERR). Auch Europaparlamentarier Indrek Tarand, 2011 noch selbst Präsidentschaftskandidat, sprach sich in einem Interview zugunsten von Kaljurand aus.
Kallas, der schon zu sowjetestnischen Zeiten seine politische Karriere aufbaute, 2002/2003 kurz Ministerpräsident, hätte das Amt des Regierungschefs als Nachfolger von Andrus Ansip auch 2014 gerne wieder übernommen - aber diese Aufgabe übernahm dann Taavi Rõivas.
Auch der langjährige Ex-Außenminister Urmas Peat erklärte sich bereit zu einer Kandidatur (ERR) - auch er ist Mitglied der Reformpartei, hat aber offenbar weniger Unterstützer hinter sich. Von den übrigen im estnischen Parlament vertretenen Parteien (Sozialdemokraten SDE, Freie Partei EVA und Konservative Partei EKRE) ist bisher nur bekannt, dass sich alle für einen möglichst überparteilichen Kandidaten ausgesprochen haben; die "Pro-Patria- und Res-Publica-Union" (IRL) scheint eher mit sich selbst zu tun zu haben und mit Umfrageergebnissen, welche die Partei unter 5% Wählerzustimmung sehen. Auch der Name von Schriftsteller und Kurzzeit-Verteidigungsminister Jaak Jõerüüt wurde schon einmal als möglicher Kandidat genannt, scheint aber außer bei der Freien Partei kein großes Wohlwollen zu genießen.
Mindestens 21 Parlamentsabgeordete müssen eine Kandidatur unterstützen um zugelassen zu werden - am Ende wird es also eine recht übersichtliche Anzahl Präsidentschaftsanwärter und -anwärterinnen sein. Die Wahl eines neuen estnischen Präsidenten ist für den 29. August vorgesehen.
Info zu den estnischen Präsidentschaftswahlen (engl.)
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