Donnerstag, November 30, 2006

Das tägliche Ärgernis

Anders kann ich es nicht nennen. Dieses Unverständnis gegenüber der Geschichte Osteuropas. Hier ein jüngstes Beispiel:
Aber es ist durchaus nachzuvollziehen, schliesslich war Estland in seiner Geschichte nur zweimal selbständig; von 1918 bis zur Besetzung durch die Deutschen im Jahre 1939 und jetzt wieder, seit es sich 1991 die Unabhängigkeit von der Sowjetunion friedlich erkämpft hat.

Es ist der Text einer 16-jährigen und da mache ich der 16jährigen im Austauschjahr weniger einen Vorwurf, weil bekanntlich die historischen Vorgänge in Baltikum kompliziert sind. Und über die Einzelheiten erfährt man wohl nicht viel in deutschen Schulen in diesem Alter. Aber Redakteure der WAZ werden das gegengelesen haben. Das kann kein Flüchtigkeitsfehler sein. 1939 marschierten Sowjetsoldaten ins Baltikum, nach Estland, ab 1940 wird Estland zwangsweise eingegliedert in die Sowjetunion. 1941 rollen die Transportzüge mit tausenden Inhaftierten Richtung GULAG und während die Züge nach Osten rollen (kein Witz), überfällt die Wehrmacht die SU.

Dienstag, November 28, 2006

Warten auf Präsident Bush

Höchste Sicherheitsstufe, schulfrei. Der erste Staatsbesuch eines amerikanischen Präsidenten in Estland kurz nach der Ankunft in Tallinn. Hier von weitem beobachtet von Siim Teller, einem der bekanntesten Blogger in Estland.



Bei youtube hat jemand einen kurzen Beitrag von etv Szene von der Zeremonie am Präsidentenpalast Kadriorg hochgeladen. Ilves scheint im Wechsel die beiden Flagen zu betrachten, vielleicht denkt er an seine amerikanische Zeit zurück, wer weiss?

Der erste Staatsbesuch

Noch nie war ein amtierender amerikanischer Präsident in Estland, das historische bei diesem Ereignis überwiegt. Nicht so sehr, welche Politik die jetzige US-Regierung betreibt.
Und ein estnischer Präsident, Hendrik Ilves, kann in Augenhöhe seine Sicht der Weltpolitik schildern:
The Estonian leader said Russia "seems to treat democracy on its borders, be it Estonian, Ukrainian, Georgian, as a security threat and sees despotism on its borders -- Turkmenistan, Belarus -- as being a good thing as it represents stability. . . . That kind of view is not one which is very conducive and helpful to the security situation on our continent."

Ilves is one of several Baltic leaders who spent large chunks of their lives in North America; Bush will also meet with Latvian President Vaira Vike-Freiberga, who was a professor of psychology at the University of Montreal. Ilves was born in Sweden to Estonian exiles and moved to the town of Leonia, in northern New Jersey, at age 3.

Washington Post.

Montag, November 27, 2006

Sagt was, deutsche Diplomaten!

Öffentliche Stellungnahmen, Pressemitteilungen irgendwas - und zwar, dass es alle lesen oder hören können. Das Deutsche Reich hatte 1939 Freundschaft mit der Sowjetunion geschlossen. Damit konnte der zweite Weltkrieg beginnen. Mit der Aufteilung Europas, in der Mitte, von Finnland bis Rumänien. Deutsche und Sowjetsoldaten reichten sich die Hände, in Polen. Die Letten wurden gezwungen Lebensmittel an Nazideutschland zu liefern, ein eher harmloser Nebeneffekt dieser Vorgänge. Für unseren Teil wissen wir ziemlich genau, was die Deutschen getrieben haben, aber die Wissenslücke im Osten wird ausgenutzt für regelmäßige Desinformationskampagnen alten Stils, sei es von Ministerien, Parlament oder von Historikern in Moskau. Erst war von einem freiwilligen Anschluss des Baltikums an die Sowjetunion die Rede, jetzt wird was anderes hervorgehoben: Die Amerikaner und Briten hätten für die Sowjets Grünes Licht signalisiert und noch einige andere neue Thesen. Deutschsprachige Medien greifen das Thema nicht auf. Das sagt alles. Wenigstens wird es in der englischsprachigen Blogosphäre diskutiert und analysiert. Bei Peteris Cedrins lohnt der Einstieg, hier der aktuelle Teil II. Über Jams o Donnell gelangt man zu weiteren Posts.
Vielleicht sind die Informationen, die Cedrins und andere sammeln und kommentieren, einfach unbekannt in unseren Politikerkreisen. Das würde das dauerhafte Schweigen erklären.

Freitag, November 24, 2006

Kein Weg zurück

Während die Niederländer, Auslandsniederländer durften per Internet wählen, skeptisch beim e-Voting bleiben, ist die Entwicklung in Estland kaum mehr aufzuhalten. Über 80% Prozent haben ihre Steuerklärung durchs Netz gejagt. Die Hemmschwelle, mit der Entertaste auch die Wahlstimme abzugeben ist weiter gesunken. Alle Elektronische-Daten-Bedenkenträger in Deutschland werden Estland jetzt am Abgrund sehen.
Meine Meinung: Nur die technische Verbesserung des Systems ist noch möglich ein zurück zur Zettelwirtschaft aber nicht mehr.

AFP heute:
The Baltic nation of Estonia is a pioneer - it is the only country in the world to offer formal e-voting for its 920,000-strong electorate.
Estonians were able to cast their first mouse-click ballot in local elections in October 2005, and will get their next chance in a parliamentary poll next March.
Ivar Tallo, director of Estonia's E-Governance Academy, is convinced that Internet voting will soon be widespread.
He pointed to the rapid rise of online tax declarations - in 2000, only 9 percent of Estonians chose the Internet option, but the figure had jumped to 82 percent by last year.

Neue EU-Mitglieder: Elli berichtet aus Zypern

how the hell did Cyprus get in EU?!

Wie zum Teufel haben es die Zyprioten geschafft, in die EU aufgenommen zu werden, fragt die Estin Elli in ihrem Blog. Es ist ihr zweiter Post von der Mittelmeerinsel Zypern, einem neuen EU-Mitglied. Ebenso wie Estland.
Wer ihren Beobachtungen folgen möchte, hier ist der Beitrag "You must be joking".

Donnerstag, November 23, 2006

MS/Estonia -Es ist schon wieder passiert

Die Endlosgeschichte geht weiter. Ein nicht völlig aufgeklärter Schiffsuntergang in der Ostsee 1994 und die Reihe der Untersuchungspannen über die Ursachen der Tragödie setzt sich fort. Ein Videofilm von den ersten Inspektionen am Wrack ist verschwunden, spurlos:

A film that may hold vital clues to the mystery surrounding the worst disaster in the Baltic Sea in modern times, the shipwreck of the passenger ferry Estonia, has vanished.
"We don't have a clue about its whereabouts. This is deeply regrettable," Johan Franson, chief of Sweden's Shipping Inspectorate, told Swedish magazine Ny Teknikk.
In August Sweden's State Forensic Laboratory (SKL) asked for the film to be delivered there after beginning a comprehensive investigation of existing film and photographic evidence from the shipwreck.
The Inspectorate has searched for the film for three months without success, and cannot explain how it has disappeared from its archives.

Aftenposten aus Norwegen berichtet.
Das wird der estnischen Initiative zum Heben des Wracks weiteren Auftrieb geben.
Die Baltic Times gestern:
According to Bildt, the constant raising of the subject reopens old wounds for the victims' relatives. In his opinion, certain politicians are trying to make political profit from the September 1994 tragedy. Estonian Foreign Minister Urmas Paet added that the sinking of the ferry Estonia has been thoroughly investigated and he is skeptical about new circumstances coming to light.

Trotzdem, mir ist nicht verständlich, warum Flugzeugunglücke bis ins Detail untersucht werden, aber hier einige schummrige Videoaufnahmen und simulierte Untergansgszenarien und nicht klar bewertbare Beobachtungen am Schiffsrumpf ausreichen. Na ja, Politiker, ohne Experten sein zu müssen, entscheiden was eine gründliche Untersuchung bedeutet. Sie haben bis jetzt das letzte Wort.

Mittwoch, November 22, 2006

Jaan Kross, Finnland und andere Betrachtungen

Diesen Post habe ich erst jetzt entdeckt, schon ein Monat alt, aber das Thema ist fast zeitlos. Gerade richtig bevor wieder die Weltpolitik angesagt ist, in Riga und Tallinn. Ich meine das kommende NATO-Treffen und den Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten.
Ein Finne über Estland:
...
But we are also divided by this closeness as it hides the differences: whereas Finland still enjoying the long period of post-war peace and stability looks towards Scandinavia, many of the structures of the deeply wounded Estonian culture are more Central European. There is also much too little understanding in Finland of the cruel trials and traumas of recent Estonian history, and too much easy Nordic arrogance that comes with this profound lack of imagination and knowledge.
...
Hier der ganze Text von Stockholm Slender.

Sonntag, November 19, 2006

Was bleibt?


Die Architektur? Die Bindung an Europa? Schwierige Fragen. Es wird stiller um die "Deutschbalten", die 1939 heimgekehrt waren, ins "Warthegau",. Aber das war nur bis 1944. Das sogenannte Warthegau liegt heutzutage in der Mitte von Polen. Was bleibt von deutscher Kultur in Estland, die dort 700 Jahre lang die Stadtlandschaft und die Herrschaftsverhältnisse auf dem Lande geprägt haben? Die russisch - estnischen, oder baltisch- russisch Auseinandersetzunegen lassen da nicht viel Spielraum. Die Zeit ist darüber hinweggegangen. Das Dokument erinnert an den Einschnitt, der Nichtwiederkehr.

Freitag, November 17, 2006

Heinz Valk


Heinz Valk
Originally uploaded by Jens-Olaf.
Estnische Selbstbetrachtung. Heinz Valk war einer der Wortgeber der Singenden Revolution. " Am Ende werden wir doch siegen". Im Moment läuft ein Bilder- beziehungsweise Denkmal-"krieg" mit Russland. Das estnische Parlament hat beschlossen, dass sowjetische Kriegsdenkmäler abgerissen werden können. Wer die Hintergründe jüngster estnischer Symbolik verstehen möchte ist hier gut bedient:
What we have now seen from the discussion above is that Estonians have made good use of symbolic convergence in a few cases. Yet there are also negative myths that might reinforce self-destructive behaviour (the slavery myth and the dying out myth). It also seems that Estonians lack the myth that would give justification and goal for the nation at the time of freedom: the questions of what is the reason for the Estonian nation, what is its mission in this world are not symbolically answered. Until there is an answer to this, freedom could be quite dangerous - without a rhetorical vision a nation is like an HIV positive - even simple and harmless infections can have large-scale devastating effects.

Mittwoch, November 15, 2006

E-Voting - Materialien erhältlich

Zur E-Voting Konferenz in Estland (27./28.Oktober 2006) haben die Veranstalter inzwischen umfangreiches Infomaterial im Internet abrufbar bereit gestellt.





Auf TEHNOKRATT ist abrufbar (jeweils als Tonmitschnitt und als Powerpoint-Präsentation, Sprache: Englisch):

- Studie von Aleksander Trechsel zu E-Voting in Estland (ppt / mp3)
Hier ist unter anderem nachzulesen, dass 2005 in Estland 54,5% der "E-Voter" ihre Stimme von zu Hause aus abgaben, 36,6% vom Arbeitsplatz, und nur 3,8% von einem Cafe oder einem anderen Platz aus. Nur 3,2% begaben
sich zur Stimmabgabe an einen kostenlos zugänglichen öffentlichen Internetplatz, 1,9% stimmten von einer Bank aus ab.

- Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen für E-Voting-Projekte (ppt / mp3)

- Michael Remmert: Empfehlungen des Europarats für E-Voting Standards (ppt / mp3)
- Jonathan Stonestreet: Wahlbeobachtung und neue Technologien (ppt / mp3)

Interessant auch ein Beitrag von Thad Hall (ppt / mp3) zum Nutzen von Internet in politischen Kampagnen - er verwendet zur Verdeutlichung Beispiele aus den aktuellen Kampagnen von Hillary Clinton.

Weitere Infos gibt es auch bei der estnischen E-Governance Academy. Auch zu den Konferenzmitschnitten ist dort eine Übersicht eingerichtet.

Wintereinbruch Anfang November


20061105 108
Originally uploaded by andres_toode.
Andres hat beeindruckende Aufnahmen des frühen Winters in Estland aus der ersten Novemberwoche auf seinen Flickr-Photostream hochgeladen, danach gab es bereits eine geschlossene Schneedecke. Tauwetter allerdings auch wieder. Auf das Foto geklickt erscheinen weitere Eisbilder von Andres.

Montag, November 13, 2006

Rumstochern in der Geschichte

Die Kreml-Protokolle. Das SPIEGEL Titelthema der Woche. Warum zerfiel die Sowjetunion, und wer war dafür verantwortlich? Das Baltikum bleibt wiedereinmal Randgeschichte. Das habe ich zwar anders in Erinnerung. Der Spiegel setzt die Gorbimania aber fort und ausserdem bringen die deutschen Medien wieder etwas exklusiv aussehendes, was in englischsprachigen längst durchgenudelt wurde. Zum Beispiel in der New Times aus Russland im September. Dort meinen sie zum Schluß, dass es nur eines begabten Führers gefehlt habe, der aber unter den Millionen Parteimitgliedern nicht zu finden war. Mann, wie lange hängen sie noch ihren Großmachtfantasien nach?
Sie hatten nicht die falschen Politiker, sie waren am Ende:
Having reached a total economic and political impasse, the Soviet leadership was forced to look for new ways to keep the empire together. Despite the official aims of Mikhail Gorbachev's restructuring of the Soviet political system (perestroika), glasnost offered an opportunity for various democratic forces to begin voicing protests against environmental damage, forced industrialization, russification and the repression of national culture.

Und die Esten haben die erste Möglichkeit ergriffen, den Verein zu verlassen.

Einladende Einkaufspassage in Tartu, in der es nichts zum Kaufen gibt kurz nach dem Ende der Sowjetunion. Aber vorher auch schon nicht. Es lebe das Kurzzeitgedächtnis, nicht wahr?
Der Blick auf die Kreml-Protokolle verengt das Bild. Selbst der Westen half am Anfang mit allen Kräften die Sowjetunion zu retten. So lange bis es nicht mehr opportun war. So sieht es ein damaliger Unterstützer estnischer Unabhängigkeitsbestrebungen:
I also saw the George W. H. Bush Administration play what I still consider a duplicitous great power game – and don’t let anyone try to convince you otherwise. James Baker, Bush’s Secretary of State at the time, and Bush’s “real politick” foreign policy inner circle remained enchanted with the personable Mikhail Gorbachev even after it had become clear to those of us living in Europe that he had long lost the confidence of the Russian people. In Bush and Baker’s desperate attempts to keep Gorbachev in power and - to their credit - the hardliners at bay, as well as the Soviet Union in one piece, the tiny Baltic Republics were seemingly caught in a vise.

Samstag, November 11, 2006

Neue Heimat ohne Illusionen

Das Thema "Auswandern" ist in Deutschland noch immer populär. Doch waren es früher mal Länder wie Australien, Spanien, die USA oder Norwegen, die ganz oben auf der Beliebtheitsskala standen, kommt nun auch Estland ins Visier der Paradiessucher.

SPIEGEL ONLINE hat ein Diskussionsforum eröffnet und berichtet nun über die gesammelten Eindrücke in einem eigenen Beitrag. "Ich schufte mitunter 20 Stunden", berichtet dort Auswanderin Ute Wohlrab, die auch uns schon einige Jahre bekannt ist und in erster Linie durch ihren Einsatz für die estnischen Tori-Pferde bekannt ist. SPIEGEL ONLINE macht daraus: "Ute Wohlrab hat erlebt, dass das Abenteuer Ausland zum Alptraum werden kann". - Ist das so? Zitiert wird immerhin auch der Satz: "Der Entschluss, "dass meine Biographie von mir geschrieben wird, hat schnell festgestanden", und: "Heute habe ich ein Gestüt mit 24 Pferden. Ich bin meine eigene Chefin, schufte mitunter 20 Stunden am Stück. Ich würde trotzdem niemals tauschen wollen."

Vor einigen Jahren berichtete Wohlrab bei INFOBALT über ihre ersten Eindrücke in Estland. Bei SPIEGEL ONLINE berichtet sie heute: "Nach zwölf Jahren bekomme ich noch zu hören, dass ich doch bitte nach Deutschland verschwinden solle, wenn ich offensichtliche Missstände kritisiere". Auch in unserem Estland-Forum haben wir sie schon zitiert, damals mit Äusserungen über die Finnen in Estland. (Foto: Homepage Hargu Talu)

Inzwischen gibt es auch estnische Presseartikel über die zähe deutsche Pferdeliebhaberin, so bei KROONIKA, LEMMIK oder POSTIMEES. Auch in estnischsprachigen Internetforen ist Wohlrab aktiv, und nicht nur zu Pferden, sondern auch zu im Sommer 2006 so beliebten Bärenthema meldet sie sich zu Wort.

Es bleibt also festzustellen: ein konsequentes, hartnäckiges Auswandererleben in Estland hat Ute Wohlrab angefangen und bis heute durchgehalten, ohne es sich zu einfach zu machen. Heute, unter den Rahmenbedingungen der EU-Mitgliedschaft Estlands, ohne Visapflicht und andere Erschwernisse (die es ja lange Jahre gab), fragen manchmal ganz andere Leute - die vielleicht einfach mit ihrem bisherigen Leben irgendwie unzufrieden sind - nach einfachen, und möglichst sofort umsetzbaren Arbeitsmöglichkeiten in Estland (Bequemlichkeiten wir möglichst kostenlose Hilfe anderer inklusive).
Also, Leute: überlegt es euch gut, nutzt nicht die estnischen Einkommensunterschiede einfach aus (als relativ reiche Wessis), sondern schaut euch das Land an, und seht dann, ob ihr mit Menschen und Mentalitäten klarkommt. Dann können Beispielen von Leuten, die Estlland inzwischen zu ihrer neuen Heimat gemacht haben, vielleicht auch als Beispiel dienen.

Freitag, November 10, 2006

Vorstadt- Freaksport

Ich gestehe, ich bin nicht mehr auf dem Laufenden was Großstadt-Vorstadt-Freizeit in Estland und anderswo bedeutet. Hier die selbstgewählten Parcours, ich habe diesen Sport das erste Mal gesehen. Wahrscheinlich ist das alles noch ziemlich unorganisiert, oder gibt es schon Meisterschaften? Video bei Youtube von fOld.

Mittwoch, November 08, 2006

Skype und der Abeitsmarkt

In der IT-Welt zieht Skype weiter seine Kreise. Jörg Weisner bekennt in seinem Blog, ihm sei bis jetzt nicht bewusst gewesen, dass das Internetprogramm vor allem in Tallinn gestaltet werde. Er verweist auch auf ein Interview mit Sten Tamkivi, der sich Gedanken über die Rekrutierungprobleme des Unternehmens macht:
He told us that the number of Tallinn-based employees doubled last year to about 270, overwhelmingly technical. There has been extremely low turnover since the acquisition—perhaps 5-6 people. One problem that is emerging is that the technical talent pool in little Estonia, of 1.4 million may get tapped. Proportionally, Skype's 250 Estonian engineers would be equivalent to a US company employing about 250,000 engineers.

Sten told us that Skype has begun to look elsewhere, attracting people from 33 other countries, mostly in the EU. He’d like to tap in to the rich and available Ukranian and Russian talent pools but the government is reluctant to issue them visas.

Sten Tamkivi ist 28 und CEO, aber das ist keine Überraschung. Irgendwo wird auch zurechtgerückt, dass das Eqivalent nicht 250 000 sondern eher eine Nullziffer geringer ausfällt.

Montag, November 06, 2006

Das Grenzabkommen


Mit wem wohl? Mit der Russischen Förderation. Ist diese auch wirklich eine? Ach egal, es geht um diesen Kompromiss: Titel eines Buches von 1996. Zehn Jahre sind vergangen "auf der Suche nach einem würdigen Kompromiss". Der Grenzvertrag war letztes Jahr fertig, aber die Esten konnten sich nicht verkneifen auf 1920 hinzuweisen. Sie haben in ihrer Version auf den Friedensvertrag von 1920 verwiesen, in dem die UDSSR auf ewig die Estnische Republik anerkannte. Ewig bedeutet heutzutage nicht viel. Fast nur eine Menschengeneration und alles ist wieder in Frage gestellt. Das gegenwärtige Problem: Estland war früher (zwischen 1920 und 1940) größer. Es gehörten auch Orte und Landstriche jenseits der heutigen Grenze hinzu. Russland unterstellt, dass mit der Anerkennung von 1920 auch die jetzige Grenze in Frage gestellt werden könnte. Da gibt es ein Kommunikationsproblem. Estland möchte endlich anerkannt werden, ganz, ohne wenn und aber. Und ohne 1920 gäbe es kein unabhängiges Estland. Das erste Mal übrigens seit 700 Jahren Fremdherrschaft. Die Russen feiern ja auch ihre Befreiung von den Tartarentributen. Oder hat die Mongolei noch Ansprüche heutzutage an Rußland?
Egal, als selbstreklamierte Großmacht stellt Russland weitere Forderungen: Respektierung der Minderheitenrechte. Nein, Einhaltung der Menschenrechte gegenüber den Minderheiten. Aber das ist absurd. Die Mehrheit der Minderheit besitzt mittlererweile einen estnischen Pass: Während in Estland ALLE russischsprachigen Kinder weitestgehend in russchischsprachige Schulen gehen, auch wenn die MEHRHEIT dieser Minderheit den estnischen Pass besitzt, sieht es in Russland ganz anders aus. Ein Blick auf die Situation der finno-ugrischen Minderheiten genügt. Muttersprachlicher Unterricht bleibt häufig ein visionärer Wunschtraum in Russland. Eher werden Aktivisten der Minderheiten verfolgt. Dagegen macht Russland Druck auf europäische Institutionen, sich der russischsprachigen Minderheit anzunehmen. Aber was soll erreicht werden? Wenn estnischsprachiger Unterricht an russischen Schulen gefordert wird, so dient das auch der INTEGRATION der Minderheiten. Wie sonst will man einen Job bei der expandierenden Medienbranche in Estland bekommen? Der letzte Post handelt von Nagi und diese neue Fotowebseite ist nur auf estnisch zu bedienen. Mit exzellenten Russischkenntnissen auch?
Hier ein Beispiel aus den Berichten des Europarats, auf die sich die offizielle Kritik Russlands bezieht:
An increasing number of parents belonging to national minorities have requested that their children be enrolled in regular Estonian-medium pre-schools and schools. The Advisory Committee considers that introducing classes with pupils from both majority and minority communities can be a valuable way not only to improve the pupils’ language skills but also to promote intercultural dialogue, provided the required specific pedagogical skills and tools and careful planning are ensured. There is a need to consider ways to further initiatives of this nature. This may need to involve changes in the current regulatory framework, which provides inter alia that, in order to enrol pupils in a school, they must have the sufficient proficiency in the language of instruction of the school concerned.


Images: Edgar Mattisen, Searching for a dignified compromise, Ilu Print, Tallinn, 1996. ISBN 9985-57-114-2

Nagi - Konkurrenz für Flickr?

Nagi und Flickr sind Fotowebseiten. Flickr hat sich zu dem bekanntesten Fotoprogramm weltweit entwickelt. Besonders als englischsprachige Webseite mit Nutzern aus allen Kontinenten. Jetzt kommt Nagi, aus Estland dazu, nicht die erste estnische Fotoseite, aber mit dem Ziel den Markt dort bald zu dominieren. Nur: von vornherein ist die Seite für die lokalen Bedürfnisse ausgelegt, Jüri Kaljundi erklärt warum. Klingt in etwa wie global denken, lokal handeln:
Many people have asked us, why should anyone use a local photo site as opposed to something like Flickr. Many reasons. Localisation does not mean just translation. You also have things like integration with other local services, for example ordering photo prints. Nagi works with 4 local companies in this sphere, while Flickr at best just gives you an error message about being in unspported country. Being in Europe, local is always faster, even with Google's, Yahoo's and other shared data centres. But it is also a local feeling, local places, local people being part of the service. Photo services or communities in general in many European countries have shown they need to be local.

Hier der ganze Post.
Einigen Lesern wird aufgefallen sein, dass viele Fotos des Estlandblogs von Flickr-Mitgliedern stammen. Zum Beispiel von einem Japaner, von einem Nutzer aus der Karibik aber auch von Esten. Das ist meiner Meinung nach genau das richtige Instrument Estland "draussen" bekannt zu machen. Aber es geht ja auch beides, global und lokal.

Freitag, November 03, 2006

Die Voitka-Brüder

Eine fast unglaubliche Geschichte, aber sie hat stattgefunden. Umgesetzt wurde sie in einen Film, der vor zwei Jahren auf den 46. Nordischen Filmtagen Lübeck vorgestellt wurde. Es geht um die Voitka-Brüder. Hier ein Auszug der Filmbeschreibung:
Im Jahre 1986 – die UdSSR steht im Afghanistan-Krieg – entziehen sich die beiden estnischen Brüder Aviar und Ulo Voitka ihrer Einberufung in die Rote Armee und fliehen in die tiefen Wälder. Sie bleiben dort und halten sich mit Diebstählen und Raubüberfällen am Leben – vierzehn Jahre lang.Am 29. Februar 2000 werden Aivar und Ulo Voitka in einer Aufsehen erregenden Polizeiaktion festgenommen. Um ihre Geschichte entspinnt sich seither ein Heldenmythos, der die beiden Brüder im kollektiven Bewusstsein auf eine Stufe stellt mit den estnischen Partisanen.Die Geschichte der Voitka-Brüder erzählt vom Traum zweier junger Männer von der totalen Freiheit und ihrem tragischen Scheitern. Sie beschreibt, auf welche Weise in den Medien aus einfachen Kleinkriminellen Volkshelden wurden. Und sie gibt Einblick in die innere Verfassung der estnischen Gesellschaft, die sich am Beginn ihrer staatlichen Unabhängigkeit nach kultureller Identität und einem modernen Volksmythos sehnt.

Hier weiterlesen...
Lesenswert und mit vielen Erläuterungen zu den Hintergründen: THE SAGA OF THE VOITKA BROTHERS IN THE ESTONIAN PRESS:THE RISE AND FALL OF A HEROIC LEGEND
von Eda Kalmre

Auszug:
...
Regardless of the fact that they were searched by all police forces
in Estonia, the brothers remained in flight for almost another
ten months. On July 2 Helju Voitka, their mother, pleaded Aivar
and Ülo to come out of the woods. On August 25 the brothers
sent a public letter to two major dailies containing a plea to the
government of Estonia, where they asked for immunity and a
permission to come out. The papers published their letter, which
swarmed with spelling mistakes and had been signed - along with
their names - as ‘Voitkas, the forest brothers’. The government
did not comment on the letter as its authenticity was question-
able and it was not sent to the government through routine chan-
nels
...

Donnerstag, November 02, 2006

1. Weltkrieg und der Fotofund

Die unbekannten Fotos von der Ostfront im 1. Weltkrieg, worüber es hier schon eine längere Beitragsfolge gab, sind seit einiger Zeit auch Bestandteil des deutschen Wikipedia-Artikels "1.Weltkrieg". Der gesamte Artikel wurde als "exzellent" qualifiziert. So haben die Aufnahmen, die teils im hervorragenden sich aber auch im physikalischen Endstadium befinden einen würdigen Platz gefunden. Denn das Fotomaterial ist rar über den östlichen Kriegsschauplatz von 1914-1918. Dagegen prägt uns das übermächtige Bild der Westfront, wie Verdun oder Orte in Flandern. Übrigens gehören die Fotos auch zum englischsprachigen Artikel der Online-Enzyklopädie Wikipedia Eastern Front (World War I).

Mittwoch, November 01, 2006

Sie reden miteinander

Interfax hat den estnischen Präsidenten Ilves interviewt. Zwei wunde Punkte im Verhältnis zwischen Russland und Estland werden angesprochen. Der ausstehende Grenzvertrag und die "Bronzestatue" in Tallinn, die einen Sowjetsoldaten als "Befreier" darstellt. Ich meine, Ilves findet den richtigen Ton. Wenn es hier eher um das Gedenken an die gefallenen Soldaten ginge, führe dies vielleicht zu einer akzeptablen Umdeutung des Denkmals:

As for suggestions made in Estonia to demolish or move the monument to Soviet liberators in Tallinn Ilves said: "Let me ask a question in return - is it a monument to the victorious Red Army, a monument to the fallen victors or a gravestone for the dead?"
"I respect the commemoration of those who died in the war. However, glorifying foreign conquerors is alien to any people or culture, including the Russian people, of course," he said.
Ilves suggested giving a broader symbolic meaning to the monument.
"I support changing the meaning of the Bronze Soldier [as the monument is unofficially called in Estonia] that it would cover everything related to the Red Army - both the ouster of the Nazis and the sufferings that later befell the Estonian people," he said.
"Unfortunately, it happened so that for the Estonian people in 1944 one criminal regime was replaced by another," Ilves said.

Und noch etwas, das an der Bronzestatue stört: Der dargestellte Soldat erinnert an andere Heroenfiguren aus der Sowjetzeit, die alle unter Muskeldoping zu leiden scheinen. Zeitgemäß ist diese Art von Gedenken jedenfalls nicht. Siehe Foto oben: Monument für die Delegierten des I. Kongresses der Gewerkschaften Estlands, 1964.