Warum ist in Estland der 24. Februar ein Feiertag? Manche können sich offenbar nicht so richtig erinnern. Oder wollen es nicht.
Der Präsident - gegenwärtig eine Präsidentin - lädt gewöhnlich am Nationalfeiertag zu einem Staatsempfang ein. Es gab schon Jahre, wo Fernsehen und Printmedien aus diesem Anlass endlose Reihen von am "first couple" vorbei defilierenden Gästen zeigte - mit wem bist Du da? Krawatte oder Fliege? Welcher Blauton für die Frau? Ein wirkliches Sehen und Gesehenwerden.
Aber es gibt ja immer Leute, die haben etwas anderes vor. Der 24. Februar 2020 wird auf einen Montag fallen - eine gute Chance, ein verlängertes Ski-Wochenende mit der Familie zu verbringen (in Deutschland zudem: Rosenmontag!).
Was dem einfachen Bürger, der Bürgerin, sicher verziehen wird - beim Ministerpräsident fällt es auf. Er sei an diesem Tage nicht in Tallinn, lässt Juri Ratas (Zentrumspartei) verlauten.
Der Ministerpräsident "habe das Recht, den Unabhängigkeitstag im Kreise seiner Familie verbringen zu wollen", rechtfertigt Außenminister Reinsalu (Partei "Isaamaa") den Regierungschef. Offenbar fühlt sich Ratas durch die zuletzt sich häufenden kritischen präsidialen Anmerkungen doch persönlich stärker getroffen, so dass er nun weder ein "Jahresendtreffen" mit Präsidentin Kaljulaid begehen werde, noch im Februar Zeit für einen Präsidialbesuch finden könne. Kaljulaid hatte Ratas zuletzt offen die Entlassung des rechtpopulistischen Innenministers Helme (EKRE) empfohlen und bezeichnete diesen als "Risiko für die Sicherheit Estlands". (Postimees)
Aktuell bekennt Ratas in einem Interview: "Ich will nicht Präsident werden." Und er fügt an: "Ich mache lieber konkrete Dinge." (err) - Die nächsten Präsidentschaftswahlen stehen in Estland 2021 an.
Eines konnte dann am 30. Dezember doch noch gefeiert werden: der 50.Geburtstag von Präsidentin Kersti Kaljulaid. Allerdings auch dies ohne die führenden Vertreter der gegenwärtigen Regierung.
Ist Estland eigentlich "baltisch"? Die estnische Sprache ist ja dem Finnischen ähnlich (finno-ugrisch), und das sogenannte "Baltikum" ist sowieso ein Behelfsbegriff ohne Grundlage. Noch viel zu wenig ist in Deutschland bekannt über Kultur und Geschichte, über Politik und Gesellschaft in Estland. Die jungen Europäer in Deutschland und Estland werden die Zukunft prägen! Wir rufen auf zur Diskussion.
Dienstag, Dezember 31, 2019
Februar schon verplant
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Mittwoch, Dezember 18, 2019
Peinliche Stammesbrüder
"Ich habe nicht für die ganze Regierung gesprochen, nur für unsere Partei" - zur Zeit vergeht kaum eine Woche, in der sich Estland nicht für seine Regierungsverantwortlichen entschuldigen muss - oder, genauer gesagt: für die wohl peinlichsten estnischen Amtsträger seit der Sowjetzeit.
In Finnland regiere mit der jungen Regierungschefin Sanna Marin nun eine "Allianz der Roten", die "Finnland zerstören wolle und es zur EU-Provinz verkommen lasse". (err) So sagte es Mart Helme, amtierender estnischer Innenminister. Und nicht nur das. In einem Radiointerview soll er auch, mit Blick auf die neue Regierung in Finnland, gesagt haben: "Nun sehen wir, wie eine Verkäuferin Premierministerin wird, und andere ungebildete Leute werden Regierungsmitglieder." (err)
Nein, mit Diplomatie haben solche Äußerungen wohl nichts zu tun. Empörte Reaktionen kamen somit von nahezu allen Seiten: Vertreter aller Oppositionsparteien im estnischen Parlament verurteilten die Aussagen ebenso wie die "Zentrumspartei", die zusammen mit der konservativen "EKRE" die Regierungskoalition bildet (mit Mart Helme als Vorsitzendem).
Auch in anderen EU-Ländern erregten diese Äußerungen Wellen (ORF / BBC "Die Presse"). Auch bei "Eurotopics" wurde "Undiplomat" Helme zum Thema: wegen "ihrer einfachen Herkunft" sei die neue finnische Regierungschefin kritisiert worden - so die dort dokumentierten Kommentare - "weil sie schon mit 15 Jahren ihr eigenes Brot verdienen musste". Auch die Antwort der Finnin wird zitiert: "Sie hat erklärt, stolz zu sein auf Finnland, wo ein Kind aus einer armen Familie sich hoch qualifizieren und auch eine Kassiererin Premierministerin werden kann." (siehe auch: Blog Sanna Marin)
Da stützt nur noch die Allianz der Familie Helme. "Nicht verurteilen, sondern loben" solle man Helmes Äußerungen, meint Sohn Martin Helme, Finanzminister der gegenwärtigen Regierung Ratas (err). Die ganze Diskussion sei "ein Sturm im Wasserglas" - auch eine Entschuldigung gegenüber Finnland sei daher nicht nötig. Papa Helme selbst klagt inzwischen die Presse an, "falsche Dinge zu betonen", so dass es möglicherweise zu "Missverständnissen" gekommen sei.
Das sehen sowohl Regierungschef Jüri Ratas (Zentrumspartei) und auch Präsidentin Kersti Kaljulaid entschieden anders. Beide haben sich inzwischen eindeutig geäußert - wobei Ratas lediglich betont, Helme spreche nicht für die estnische Regierung. Warum Ratas überhaupt diese Art der Koalition gewählt hat? Nicht nur bei den Zentrums-Wähler/innen bleiben viele Fragenzeichen.
Helme hatte seine Äußerungen bei "TRE RAADIO" getätigt - einem Sender, der als EKRE-nah gilt. Gründer, Eigentümer und Geschäftsführer ist hier Siim Pohlak, ein Parteikollege der Helmes. Hatte also vielleicht Parteifreund Helme gedacht, er sei gewissermaßen "unter sich", könne sich also nach Herzenslust profilieren?
Am 17. Dezember überstand Innenminister Helme ein gegen ihn gerichtetes Misstrauensvotum im Parlament - nur 44 der 101 Abgeordneten stimmten dafür, 11 Abgeordete des Koalitionspartners der Vaterlandspartei ("Isamaa") enthielten sich der Stimme (err).
Drei Minister musste die rechtspopulistische EKRE bereits austauschen, seit dem Start des zweiten Regierungskabinetts Ratas im April 2019. Die rechtspopulistische EKRE hatte bei den Wahlen am 3. März 2019 17,8% der Stimmen für sich verbuchen können.
"Ihre Äußerungen zielen einfach auf die eigenen Anhänger - die anderen Estinnen und Esten müssen dann sehen, wie sie damit fertigwerden," so schätzt es Politikwissenschaftler Tõnis Saarts ein (ERR). Und er meint auch: "die beiden anderen Regierungsparteien, sowohl die Zentrumspartei wie auch Isaamaa, werden ohne die gegenwärtige Koalition einfach wichtige Ziele nicht durchsetzen können. Daher haben sie Angst vor deren Zerfall; somit hat EKRE sogar die angenehmste Lage hier am Tisch", meint er.
Die Neujahrswünsche jedoch dürften bereits bei vielen Estinnen und Esten sortiert sein.
In Finnland regiere mit der jungen Regierungschefin Sanna Marin nun eine "Allianz der Roten", die "Finnland zerstören wolle und es zur EU-Provinz verkommen lasse". (err) So sagte es Mart Helme, amtierender estnischer Innenminister. Und nicht nur das. In einem Radiointerview soll er auch, mit Blick auf die neue Regierung in Finnland, gesagt haben: "Nun sehen wir, wie eine Verkäuferin Premierministerin wird, und andere ungebildete Leute werden Regierungsmitglieder." (err)
Supermarktkasse oder Ministeramt? Für welchen Job mehr Qualifikation verlangt wird, bleibt in Estland offen |
Auch in anderen EU-Ländern erregten diese Äußerungen Wellen (ORF / BBC "Die Presse"). Auch bei "Eurotopics" wurde "Undiplomat" Helme zum Thema: wegen "ihrer einfachen Herkunft" sei die neue finnische Regierungschefin kritisiert worden - so die dort dokumentierten Kommentare - "weil sie schon mit 15 Jahren ihr eigenes Brot verdienen musste". Auch die Antwort der Finnin wird zitiert: "Sie hat erklärt, stolz zu sein auf Finnland, wo ein Kind aus einer armen Familie sich hoch qualifizieren und auch eine Kassiererin Premierministerin werden kann." (siehe auch: Blog Sanna Marin)
Da stützt nur noch die Allianz der Familie Helme. "Nicht verurteilen, sondern loben" solle man Helmes Äußerungen, meint Sohn Martin Helme, Finanzminister der gegenwärtigen Regierung Ratas (err). Die ganze Diskussion sei "ein Sturm im Wasserglas" - auch eine Entschuldigung gegenüber Finnland sei daher nicht nötig. Papa Helme selbst klagt inzwischen die Presse an, "falsche Dinge zu betonen", so dass es möglicherweise zu "Missverständnissen" gekommen sei.
Das sehen sowohl Regierungschef Jüri Ratas (Zentrumspartei) und auch Präsidentin Kersti Kaljulaid entschieden anders. Beide haben sich inzwischen eindeutig geäußert - wobei Ratas lediglich betont, Helme spreche nicht für die estnische Regierung. Warum Ratas überhaupt diese Art der Koalition gewählt hat? Nicht nur bei den Zentrums-Wähler/innen bleiben viele Fragenzeichen.
Helme hatte seine Äußerungen bei "TRE RAADIO" getätigt - einem Sender, der als EKRE-nah gilt. Gründer, Eigentümer und Geschäftsführer ist hier Siim Pohlak, ein Parteikollege der Helmes. Hatte also vielleicht Parteifreund Helme gedacht, er sei gewissermaßen "unter sich", könne sich also nach Herzenslust profilieren?
Am 17. Dezember überstand Innenminister Helme ein gegen ihn gerichtetes Misstrauensvotum im Parlament - nur 44 der 101 Abgeordneten stimmten dafür, 11 Abgeordete des Koalitionspartners der Vaterlandspartei ("Isamaa") enthielten sich der Stimme (err).
Drei Minister musste die rechtspopulistische EKRE bereits austauschen, seit dem Start des zweiten Regierungskabinetts Ratas im April 2019. Die rechtspopulistische EKRE hatte bei den Wahlen am 3. März 2019 17,8% der Stimmen für sich verbuchen können.
"Ihre Äußerungen zielen einfach auf die eigenen Anhänger - die anderen Estinnen und Esten müssen dann sehen, wie sie damit fertigwerden," so schätzt es Politikwissenschaftler Tõnis Saarts ein (ERR). Und er meint auch: "die beiden anderen Regierungsparteien, sowohl die Zentrumspartei wie auch Isaamaa, werden ohne die gegenwärtige Koalition einfach wichtige Ziele nicht durchsetzen können. Daher haben sie Angst vor deren Zerfall; somit hat EKRE sogar die angenehmste Lage hier am Tisch", meint er.
Die Neujahrswünsche jedoch dürften bereits bei vielen Estinnen und Esten sortiert sein.
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Freitag, November 29, 2019
Deutschbalten ins Museum?
Viele behaupten ja, die Geschichte der Deutschbalten - also der deutschen Minderheit, Ex-Oberschicht in Estland und Lettland - hätte mit der erzwungen-freiwilligen Aussiedlung "Heim-ins-Reich" 1939/40 geendet. Historisch gesehen ist das sicher richtig - auch wenn es heute noch Personen und Organisationen gibt, die an "deutschbaltisches Erbe" nicht nur erinnern wollen, sondern auch nach Konzepten suchen diese Traditionen heute, von welchem Ort aus auch immer, fortsetzen zu können. Marika Valk, Kunsthistorikerin und Direktorin der Museen in Lihula and Hanila, schlägt nun vor: gründen wir in Estland ein Museum für die Deutschbalten! (err / Lääne Elu)
Valk, die auch schon beim Aufbau des Museums für moderne Kunst in Tallinn (KUMU) beteiligt war, will ihren eigenen Worten zufolge damit eine bessere Verfügbarkeit des Wissens über die Geschichte der Deutschbalten erreichen - aus estnischer Sicht, so würden es die Deutschbalten selbst wahrscheinlich kommentieren. Während Valk eine "Informationsdatenbank" vorschlägt, "eine Sammlungen mit Informationen über Häuser, Kunstwerke, Bildung, Theater der Deutschbalt/innen, dazu entsprechende Forschungsergebnisse", könnte dieser Vorstoß für manche traditionsgebundenen Funktionäre der deutschbaltischen Verbände auch ein wenig befremdlich wirken. So versuchen doch die meist auf ihren alten Traditionen beharrenden Verbände gern nur immer sich selbst das Zentrum aller deutschbaltischen Bezüge zu Estland hinzustellen: ob nun Herder-Institut Marburg, Carl-Schirren-Gesellschaft und "Nord-Ost-Institut" in Lüneburg, Deutsch-Baltische Gesellschaft (ehemals "Deutsch-Baltische Landsmannschaft") in Darmstadt, oder die immer noch existierende "Estnische Ritterschaft" - vom Brömse- bis zum Baltenhaus sammeln alle fleißig neue "deutschbaltische" Mitstreiter.
Dabei verstehen sich die Mitglieder solcher Organisationen offenbar nicht einfach als "Deutsche", sondern vielmehr als "Angehörige einer Gemeinschaft mit verbindenden Wertvorstellungen" (Zitat "Estnische Ritterschaft"). Allerdings beschränken sich die Aktivitäten solcher Reste alter Strukturen meist auf gelegentliche Reisen in die alten Heimat, Pflege alter Gräber und humanitäre Hilfe.
Nun will Frau Valk bereits über ihre Idee mit deutschbaltischen Organisationen (mit welchen genau, das lässt sich aus den Pressemeldungen nicht herauslesen) gesprochen haben. Auch die lettische Presse hat den Vorschlag bereits aufgenommen und weiter verbreitet (Latvijas Avize). Können wir also zukünftig mal einen neuen Blick auf deutschbaltische Kulturgeschichte erwarten, diesmal aus der Sicht der (von Oberschichtgehabe) betroffenen Völker? Das wäre doch mal etwass Neues - und könnte uns vielleicht doch die eine oder andere der verkrusteten Strukturen in Deutschland überflüssig machen. Und auf Konferenzen und Tagungen würden nicht mehr Deutschbalten "über sich selbst" referieren, sondern endlich nur noch richtige Wissenschaftler/innen. Puuh - hoffentlich ist das jetzt nicht wieder eine zu klare Sprache.Auf gehts, Frau Valk!
Valk, die auch schon beim Aufbau des Museums für moderne Kunst in Tallinn (KUMU) beteiligt war, will ihren eigenen Worten zufolge damit eine bessere Verfügbarkeit des Wissens über die Geschichte der Deutschbalten erreichen - aus estnischer Sicht, so würden es die Deutschbalten selbst wahrscheinlich kommentieren. Während Valk eine "Informationsdatenbank" vorschlägt, "eine Sammlungen mit Informationen über Häuser, Kunstwerke, Bildung, Theater der Deutschbalt/innen, dazu entsprechende Forschungsergebnisse", könnte dieser Vorstoß für manche traditionsgebundenen Funktionäre der deutschbaltischen Verbände auch ein wenig befremdlich wirken. So versuchen doch die meist auf ihren alten Traditionen beharrenden Verbände gern nur immer sich selbst das Zentrum aller deutschbaltischen Bezüge zu Estland hinzustellen: ob nun Herder-Institut Marburg, Carl-Schirren-Gesellschaft und "Nord-Ost-Institut" in Lüneburg, Deutsch-Baltische Gesellschaft (ehemals "Deutsch-Baltische Landsmannschaft") in Darmstadt, oder die immer noch existierende "Estnische Ritterschaft" - vom Brömse- bis zum Baltenhaus sammeln alle fleißig neue "deutschbaltische" Mitstreiter.
Dabei verstehen sich die Mitglieder solcher Organisationen offenbar nicht einfach als "Deutsche", sondern vielmehr als "Angehörige einer Gemeinschaft mit verbindenden Wertvorstellungen" (Zitat "Estnische Ritterschaft"). Allerdings beschränken sich die Aktivitäten solcher Reste alter Strukturen meist auf gelegentliche Reisen in die alten Heimat, Pflege alter Gräber und humanitäre Hilfe.
Deutschbaltische Archive - bald mit estnischem Standort? |
Nun will Frau Valk bereits über ihre Idee mit deutschbaltischen Organisationen (mit welchen genau, das lässt sich aus den Pressemeldungen nicht herauslesen) gesprochen haben. Auch die lettische Presse hat den Vorschlag bereits aufgenommen und weiter verbreitet (Latvijas Avize). Können wir also zukünftig mal einen neuen Blick auf deutschbaltische Kulturgeschichte erwarten, diesmal aus der Sicht der (von Oberschichtgehabe) betroffenen Völker? Das wäre doch mal etwass Neues - und könnte uns vielleicht doch die eine oder andere der verkrusteten Strukturen in Deutschland überflüssig machen. Und auf Konferenzen und Tagungen würden nicht mehr Deutschbalten "über sich selbst" referieren, sondern endlich nur noch richtige Wissenschaftler/innen. Puuh - hoffentlich ist das jetzt nicht wieder eine zu klare Sprache.Auf gehts, Frau Valk!
Freitag, Oktober 11, 2019
Modell Narva
Wenn von einem "Modell Narva" die Rede ist, dann ist bisher meistens wenig Positives gemeint. Als Estland Anfang der 1990iger Jahre seine Unabhängigkeit wieder erlangte, wollten 1993 manche per Referendum die Stadt für "autonom" erlären.
Wer in Narva (Narwa?) estnisch sprechen möchte, muss außerhalb der eigenen Familie lange suchen: um die 95% sind russischsprachig, es wird viel russisches Staatsfernsehen geschaut. Blau, rot oder grau - das ist hier die Frage: die Menschen hier haben entweder den blauen estnischen Pass, den roten russischen, oder den grauen Pass der "Nichtbürger" - die aber doch Einwohner Estlands sind. Staatsbürger ohne Bürgerschaft - ein immer noch existierendes Absurdum.
Narva als Objekt des Medieninteresses: gelegentlich als "möglicher Konfliktherd mit Russland" benannt ("The Atlantic"), oder bildhaft "Wo der Westen endet" (Tages-Anzeiger), "Getrennte Zwillinge" (DRadio), oder auch "letzter Halt vor Russland" ("Westfälischen Nachrichten"). Nun hat in Narva ein "Haus der estnischen Sprache" (Eesti Keele Maja) eröffnet (err). Ob es den vielen Russischsprachigen beim Aufbau einer estnischen Identität helfen kann? Eine Devise scheint für das Projekt wichtig: alle Varianten des Estnisch-Lernens sollen kostenfrei angeboten werden. Die Initiatoren, darunter mehrere estnische Ministerien, stellten es bei der Eröffnung auch als Standortvorteil heraus, dass die neue Einrichtung direkt nebenan zu mehreren anderen Einrichtungen liegt: dem Kunstzentrum "Vaba Lava", dem Studio Narva des estnischen Rundfunks- und Fernsehens ERR, und einem "object business incubator".
Doch eines dürfte klar sein: auch wenn davon die Rede ist "lasst uns eine gemeinsame Sprache finden", dann dürfte hier nicht irgend eine beliebige Sprache gemeint sein. Gemeinsame Sprache Estnisch? Zur "Estonianness" ist es bisher immer noch ein weiter Weg.
Wer in Narva (Narwa?) estnisch sprechen möchte, muss außerhalb der eigenen Familie lange suchen: um die 95% sind russischsprachig, es wird viel russisches Staatsfernsehen geschaut. Blau, rot oder grau - das ist hier die Frage: die Menschen hier haben entweder den blauen estnischen Pass, den roten russischen, oder den grauen Pass der "Nichtbürger" - die aber doch Einwohner Estlands sind. Staatsbürger ohne Bürgerschaft - ein immer noch existierendes Absurdum.
Narva als Objekt des Medieninteresses: gelegentlich als "möglicher Konfliktherd mit Russland" benannt ("The Atlantic"), oder bildhaft "Wo der Westen endet" (Tages-Anzeiger), "Getrennte Zwillinge" (DRadio), oder auch "letzter Halt vor Russland" ("Westfälischen Nachrichten"). Nun hat in Narva ein "Haus der estnischen Sprache" (Eesti Keele Maja) eröffnet (err). Ob es den vielen Russischsprachigen beim Aufbau einer estnischen Identität helfen kann? Eine Devise scheint für das Projekt wichtig: alle Varianten des Estnisch-Lernens sollen kostenfrei angeboten werden. Die Initiatoren, darunter mehrere estnische Ministerien, stellten es bei der Eröffnung auch als Standortvorteil heraus, dass die neue Einrichtung direkt nebenan zu mehreren anderen Einrichtungen liegt: dem Kunstzentrum "Vaba Lava", dem Studio Narva des estnischen Rundfunks- und Fernsehens ERR, und einem "object business incubator".
Doch eines dürfte klar sein: auch wenn davon die Rede ist "lasst uns eine gemeinsame Sprache finden", dann dürfte hier nicht irgend eine beliebige Sprache gemeint sein. Gemeinsame Sprache Estnisch? Zur "Estonianness" ist es bisher immer noch ein weiter Weg.
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Donnerstag, September 26, 2019
Das Gold von Saaremaa
Meistens seien Hobbyarchäologen bereits glücklich, mal eine alte Münze oder ein Stück Keramik zu finden - so beschreibt es auch die estnische Nachrichtenagentur ERR. Auf Saaremaa wurden vor wenigen Tagen goldene Armreife gefunden, offenbar 1700 Jahre alt. "Wahrscheinlich der wertvollste Einzelfund, der je in Estland
ausgegraben wurde“, so sagt es die leitende Archäologin Marika Mägi von
der Universität Tallinn. Jegor Klimov, "ein Mann mit einem Metalldetektor" sei der Finder, so heißt es in verschiedenen Pressemeldungen dazu; er hatte Archäologen bei Ausgrabungen geholfen, die an dieser Stelle vorher nichts gefunden hatten. Er gab auf ein ganz schwaches Signal seines Geräts reagiert. "Aber ich kenne mein Gerät gut, ich ahnte sofort dass dort etwas ist," sagte er.
Auch in Deutschland waren eifriger Detektoren diese Woche Thema. Beim Südwestrundfunk heißt es, allein in Deutschland seien 10.000 solche sogenannte "Sondengänger" unterwegs. Nach deutschen Recht gehören wissenschaftlich bedeutsame Funde - egal wer sie findet - immer zwingend der Allgemeinheit; niemand kann sich daran bereichern oder Ansprüche stellen, auch nicht die Finder. Und sogar wissenschaftlich nicht bedeutsame Stücke gehören in Deutschland nicht allein dem Finder, sondern auch dem Grundstückseigentümer, auf dessen Grund die Stücke gefunden wurden. Im aktuellen estnischen Fall aber war der Finder sowieso im Auftrag der Archäologen unterwegs.
Vielleicht muss nun die Frühgeschichte der Insel Saaremaa neu geschrieben werden, schreibt die estnische "Postimees". War da nicht mal was? Hatte nicht auch der estnische Ex-Präsident Lennart Meri die These vertreten, der mystische Ort "Thule" (oder "Ultima Thula") könnte auf Saaremaa gelegen haben ("Silberweiß" / "Hõbevalge")?
Oder sind es vielleicht goldene Ringe des sagenhaften Riesen Suur Tõll, von dem alte Geschichten erzählen? Vielleicht hat er seine Ringe in der Sauna vergessen? Oder ist vielleicht ein schmuckbehangener, außerirdischer Münchhausen auf dem Meteorit geritten, der bei Kaali einschlug? Oder vielleicht auch der "nordische Frosch", der als verwunschener Prinz die goldenen Ringe seiner Prinzessin aus dem Brunnen geholt hat?
Die seriöseren Schlußfolgerungen wird sicher die Archäologin Marika Mägi ziehen, die sich schon seit Jahren mit Ausgrabungen auf Saaremaa beschäftigt - allerdings war sie bisher eher auf die Zeit der Wikinger konzentriert. Der kürzliche Fund könnte sogar der bisher wertvollste archäologische Fund aller Zeiten in Estland sein.
Auch in Deutschland waren eifriger Detektoren diese Woche Thema. Beim Südwestrundfunk heißt es, allein in Deutschland seien 10.000 solche sogenannte "Sondengänger" unterwegs. Nach deutschen Recht gehören wissenschaftlich bedeutsame Funde - egal wer sie findet - immer zwingend der Allgemeinheit; niemand kann sich daran bereichern oder Ansprüche stellen, auch nicht die Finder. Und sogar wissenschaftlich nicht bedeutsame Stücke gehören in Deutschland nicht allein dem Finder, sondern auch dem Grundstückseigentümer, auf dessen Grund die Stücke gefunden wurden. Im aktuellen estnischen Fall aber war der Finder sowieso im Auftrag der Archäologen unterwegs.
der glückliche Finder |
Oder sind es vielleicht goldene Ringe des sagenhaften Riesen Suur Tõll, von dem alte Geschichten erzählen? Vielleicht hat er seine Ringe in der Sauna vergessen? Oder ist vielleicht ein schmuckbehangener, außerirdischer Münchhausen auf dem Meteorit geritten, der bei Kaali einschlug? Oder vielleicht auch der "nordische Frosch", der als verwunschener Prinz die goldenen Ringe seiner Prinzessin aus dem Brunnen geholt hat?
Die seriöseren Schlußfolgerungen wird sicher die Archäologin Marika Mägi ziehen, die sich schon seit Jahren mit Ausgrabungen auf Saaremaa beschäftigt - allerdings war sie bisher eher auf die Zeit der Wikinger konzentriert. Der kürzliche Fund könnte sogar der bisher wertvollste archäologische Fund aller Zeiten in Estland sein.
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Freitag, August 23, 2019
Mrs. President is not amused
Ungewöhnliche Zeiten für Estland: Da haben doch Marketingexperten jahrelang am positiven Bild Estlands im Ausland gearbeitet, und ausgerechnet Präsidentin Kersti Kaljulaid stellt fest: "So geht es nicht weiter!"
Für manche sieht das Erscheinungsbild Estlands im Ausland - das sogenannte "Image" - immer noch ähnlich aus wie es 2011 der "Spiegel" beschrieb: Wirtschaftsfreundlich, komplett digital organisiert, transparente Verwaltungsstrukturen, Tallinn als "Mittelalter-Wunderland" für Touristen. Das Handelsblatt meint gar, im Vergleich zu Deutschland, "Länder wie Estland liegen weit vor uns." Endlich wird Tallinn nicht mehr mit irgend einem Ort auf Island verwechselt (Trump: "Kann ich das kaufen?"), aber Estlands Präsidentin äußerte nun schon mehrfach deutliche Ungeduld.
Dass der estnische Ministerpräsident Ratas zur Absicherung des eigenen Machterhalts die Rechtsaußenpartei EKRE in die Regierung mit aufzunahm, erzeugte auch international viele Irritationen (zusammen verfügen EKRE und Zentrumspartei über 53 der 101 Sitze im Parlament). Vor allem den guten Ruf Estlands sehen viele Presseberichte bedroht (Financial Times, Postimees, Süddeutsche, Estonian World). "Rechtsradikale in Estland an der Macht - ganz im Sinne von Putin-Russland" mahnen andere (OpenDemocracy). Und in der "Welt" ist zu lesen: "Estland verliert seinen Wunderland-Status." Zumindest einen "Chaosfaktor" stellt auch "Telepolis" fest, und die "Süddeutsche" titelt: "Vom Musterschüler zum Rabauken".
Vielleicht war also die Aufnahme Estlands als nichtständiges Mitglied im UN Sicherheitsrat (DW) der vorläufig letzte estnische Erfolg, basierend auf einem mühsam aufgebauten guten Image. Aktuell heute, zum 23. August 2019, möchten sich offenbar auch Regierungskritiker in Hongkong einem vermeintlichen "guten Beispiel" anschließen:in Gedenken an den "Baltischen Weg" sollten die heutigen Protestaktionen als "Honkonger Weg" veranstaltet werden.
Da gibt es ja noch einen anderen Spruch; im Deutschen beginnt er mit "ist der Ruf erst ruiniert ..." Petar Kehayov, ein Bulgare, geht in einem Blogbeitrag den möglichen Gründen für die unterschiedliche Sichtweise auf Estland - in diesem Fall im Vergleich mit Bulgarien - nach. "Mit 21 kam ich zum Studium nach Estland und lebte dort 16 Jahre, bevor meine Frau – eine Estin – und ich vor ein paar Jahren nach Deutschland zogen", schreibt er. "Immer wieder erstaunt es mich, wie schlecht Bulgarien von hier aus aussieht und wie positiv Estland."
Zumindest Kersti Kaljulaid hat nun offenbar die Geduld verloren mit denen, die ihrer Ansicht nach den guten Ruf Estlands mutwillig zerstören. Im Fokus ihrer Kritik stand in der vergangenen Woche der estnische Innenminister Mart Helme. Dessen Versuch, den Chef der estnischen Polizei- und Grenztruppen, Elmar Vaher, aus dem Amt zu drängen, verurteilt die Präsidentin öffentlich: "solches Verhalten stellt die Gültigkeit estnischer Gesetzgebung in Frage," meint Kaljulaid (ERR).
"Eher sollte Frau Präsidentin sebst zurücktreten!" giftete Martin Helme, seines Zeichens Innenministers Sohn und selbst Finanzminister, im perfekten "Bäumchen-wechsel-dich"-Spiel zurück (ERR). "Sinnloser Hysterie" seien die präsidialen Äußerungen seiner Meinung nach zuzurechnen. Papa Helme traf sich aber daraufhin mit Vaher, und erklärte die "Meinungsverschiedenheiten" für beigelegt. Ministerpräsident Ratas schloss sich an (ERR).
Also alles nur ein "Sturm im estnischen Wasserglas"? Auf die Medien jedenfalls scheint der Streit schon jetzt verwirrend zu wirken: Leser/innen des "Handelblatt" und Hörer/innen der "Deutschen Welle" etwa können sicher nur schwer erkennen, wen nun Präsident Kaljulaid mit ihrer Kritik meinte: Innenminister Helme (Vater) oder Finanzminister Helme (Sohn). Im Zweifel beide. Da bleibt vorläufig nur Ironie: Egal, Helme oder was - Hauptsache Island!
Für manche sieht das Erscheinungsbild Estlands im Ausland - das sogenannte "Image" - immer noch ähnlich aus wie es 2011 der "Spiegel" beschrieb: Wirtschaftsfreundlich, komplett digital organisiert, transparente Verwaltungsstrukturen, Tallinn als "Mittelalter-Wunderland" für Touristen. Das Handelsblatt meint gar, im Vergleich zu Deutschland, "Länder wie Estland liegen weit vor uns." Endlich wird Tallinn nicht mehr mit irgend einem Ort auf Island verwechselt (Trump: "Kann ich das kaufen?"), aber Estlands Präsidentin äußerte nun schon mehrfach deutliche Ungeduld.
Vielleicht war also die Aufnahme Estlands als nichtständiges Mitglied im UN Sicherheitsrat (DW) der vorläufig letzte estnische Erfolg, basierend auf einem mühsam aufgebauten guten Image. Aktuell heute, zum 23. August 2019, möchten sich offenbar auch Regierungskritiker in Hongkong einem vermeintlichen "guten Beispiel" anschließen:in Gedenken an den "Baltischen Weg" sollten die heutigen Protestaktionen als "Honkonger Weg" veranstaltet werden.
Da gibt es ja noch einen anderen Spruch; im Deutschen beginnt er mit "ist der Ruf erst ruiniert ..." Petar Kehayov, ein Bulgare, geht in einem Blogbeitrag den möglichen Gründen für die unterschiedliche Sichtweise auf Estland - in diesem Fall im Vergleich mit Bulgarien - nach. "Mit 21 kam ich zum Studium nach Estland und lebte dort 16 Jahre, bevor meine Frau – eine Estin – und ich vor ein paar Jahren nach Deutschland zogen", schreibt er. "Immer wieder erstaunt es mich, wie schlecht Bulgarien von hier aus aussieht und wie positiv Estland."
Zumindest Kersti Kaljulaid hat nun offenbar die Geduld verloren mit denen, die ihrer Ansicht nach den guten Ruf Estlands mutwillig zerstören. Im Fokus ihrer Kritik stand in der vergangenen Woche der estnische Innenminister Mart Helme. Dessen Versuch, den Chef der estnischen Polizei- und Grenztruppen, Elmar Vaher, aus dem Amt zu drängen, verurteilt die Präsidentin öffentlich: "solches Verhalten stellt die Gültigkeit estnischer Gesetzgebung in Frage," meint Kaljulaid (ERR).
"Eher sollte Frau Präsidentin sebst zurücktreten!" giftete Martin Helme, seines Zeichens Innenministers Sohn und selbst Finanzminister, im perfekten "Bäumchen-wechsel-dich"-Spiel zurück (ERR). "Sinnloser Hysterie" seien die präsidialen Äußerungen seiner Meinung nach zuzurechnen. Papa Helme traf sich aber daraufhin mit Vaher, und erklärte die "Meinungsverschiedenheiten" für beigelegt. Ministerpräsident Ratas schloss sich an (ERR).
Also alles nur ein "Sturm im estnischen Wasserglas"? Auf die Medien jedenfalls scheint der Streit schon jetzt verwirrend zu wirken: Leser/innen des "Handelblatt" und Hörer/innen der "Deutschen Welle" etwa können sicher nur schwer erkennen, wen nun Präsident Kaljulaid mit ihrer Kritik meinte: Innenminister Helme (Vater) oder Finanzminister Helme (Sohn). Im Zweifel beide. Da bleibt vorläufig nur Ironie: Egal, Helme oder was - Hauptsache Island!
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Dienstag, Juli 30, 2019
Estnisch lernen für Est/innen
In Tõstamaa trafen sich in den vergangenen Tagen alle diejenigen, die Estnisch im Ausland unterrichten, meldet ERR. Das wirft Fragen auf. Erstens: wo ist Tõstamaa? Eine Landgemeinde in der Nähe von Pärnu, ehemals bekannt durch ein Rittergut, dessen letzter Besitzer, Alexander Wilhelm Baron
Stael von Holstein, Professor für Sanskrit und tibetanische Sprachen war,
Direktor des Harward-Indian Instituts in Peking, wo er 1937 starb - soviel erfahren wir auf der Internetpräsentation der Familie Stael von Holstein.
1921 wurde in dem Gebäude die Schule von Testama untergebracht. Der Ex-Eigentümer war also so etwas wie ein Sprachgenie - ob er auch Estnisch konnte, ist an dieser Stelle nicht überliefert. Wikipedia ergänzt: obwohl er enteignet wurde, nahm er die estnische Staatsbürgerschaft an.
Immerhin sechzig Lehrerinnen und Lehrertrafen sich jetzt also in Tõstamaa zu Erfahrungsaustausch und Weiterbildung. Insgesamt 4000 Kinder sollen es sein, so ist in den Berichten über das Treffen zu lesen, die Estnisch lernen. Es geht hier allerdings in diesem Fall nicht um deutsche Studierende oder andere Kurse für Deutschsprachige - es dreht sich hier zumeist um Kinder von im Ausland lebenden Esten und Estinnen.
Für Deutschland finden sich in der Aufstellung des Estnischen Instituts (Eesti Instituut) erstaunlicherweise gleich sieben Angebote: mit der "Europäischen Schule" (Frankfurdi Euroopa Kool) und der "Estnischen Schule in Frankfurt" (Frankfurdi Eesti Kool) zwei sehr namensähnliche in Deutschlands Bankenhauptstadt. Und auch München mit doppeltem Angebot, und sehr ähnlicher Namensverwirrung: die "Europäische Schule München" (Müncheni Euroopa Kool) und die Estnische Schule in München (Müncheni Eesti Kool). In NRW gibt es eine Kölner estnische Schule für Kinder ab 4 Jahre, wo vor allem gespielt, gesungen und gebastelt wird (im Pfarrheim Aegidius in Köln-Wahn). Auch in Hamburg betreibt die Estnische Volksgemeinschaft einige Kindergruppen (Hamburgi Eesti Kool). Und Berlin darf natürlich nicht fehlen: hier trifft sich die "Berliini Eesti Kool" im Familienzentrum Mehringdamm.
Einen noch breiteren Fokus auf's Estnische soll die letzte Woche im September 2019 bekommen - sie soll zur "Woche der estnischen Sprache" ausgerufen werden, mit dem Ziel, drei Millionen Menschen zu erreichen und für das Erlernen des Estnischen zu interessieren. Und übrigens: nicht wundern, wenn im Zusammenhang mit Kindern im Estnischen immer von "last" die Rede ist - hier hilft nur: Sprache lernen und verstehen, dass auch die Est/innen absolut kinderfreundlich sind.
1921 wurde in dem Gebäude die Schule von Testama untergebracht. Der Ex-Eigentümer war also so etwas wie ein Sprachgenie - ob er auch Estnisch konnte, ist an dieser Stelle nicht überliefert. Wikipedia ergänzt: obwohl er enteignet wurde, nahm er die estnische Staatsbürgerschaft an.
Immerhin sechzig Lehrerinnen und Lehrertrafen sich jetzt also in Tõstamaa zu Erfahrungsaustausch und Weiterbildung. Insgesamt 4000 Kinder sollen es sein, so ist in den Berichten über das Treffen zu lesen, die Estnisch lernen. Es geht hier allerdings in diesem Fall nicht um deutsche Studierende oder andere Kurse für Deutschsprachige - es dreht sich hier zumeist um Kinder von im Ausland lebenden Esten und Estinnen.
Für Deutschland finden sich in der Aufstellung des Estnischen Instituts (Eesti Instituut) erstaunlicherweise gleich sieben Angebote: mit der "Europäischen Schule" (Frankfurdi Euroopa Kool) und der "Estnischen Schule in Frankfurt" (Frankfurdi Eesti Kool) zwei sehr namensähnliche in Deutschlands Bankenhauptstadt. Und auch München mit doppeltem Angebot, und sehr ähnlicher Namensverwirrung: die "Europäische Schule München" (Müncheni Euroopa Kool) und die Estnische Schule in München (Müncheni Eesti Kool). In NRW gibt es eine Kölner estnische Schule für Kinder ab 4 Jahre, wo vor allem gespielt, gesungen und gebastelt wird (im Pfarrheim Aegidius in Köln-Wahn). Auch in Hamburg betreibt die Estnische Volksgemeinschaft einige Kindergruppen (Hamburgi Eesti Kool). Und Berlin darf natürlich nicht fehlen: hier trifft sich die "Berliini Eesti Kool" im Familienzentrum Mehringdamm.
Einen noch breiteren Fokus auf's Estnische soll die letzte Woche im September 2019 bekommen - sie soll zur "Woche der estnischen Sprache" ausgerufen werden, mit dem Ziel, drei Millionen Menschen zu erreichen und für das Erlernen des Estnischen zu interessieren. Und übrigens: nicht wundern, wenn im Zusammenhang mit Kindern im Estnischen immer von "last" die Rede ist - hier hilft nur: Sprache lernen und verstehen, dass auch die Est/innen absolut kinderfreundlich sind.
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Dienstag, Juli 02, 2019
Ab sofort nur noch baltisch?
Bei den "Geburtstagsfeiern" Ende März 2018 hatte alles noch ganz anders geklungen: "Nordica", die "Fluggesellschaft Estlands", zähle, Zitat, "zu den wettbewerbsfähigsten in der Region" (tip). Und damit nicht genug. Jaan Tamm, der Vorstandsvorsitzende von Nordica, wurde mit den Worten zitiert: "was Nordica ausmacht, sind die Menschen in Estland." Am 21. Juni 2019 gab "Nordica" nun per Pressemeldung bekannt, ab Ende Oktober alle Passagierflüge einstellen zu wollen.
Ja, wo sind sie denn geblieben, die "Menschen in Estland"? Vermutlich sind sie lieber mit "Ryanair", "Wizzair" und anderen Billigjets gefolgen, und haben sich nicht darum gekümmert, dass die eigene Regierung viel Geld dafür aufwendete, Flieger mit estnischer Flagge auf den Flughäfen der Welt erleben zu dürfen.
Nun wollten doch die Estinnen und Esten so gerne "nordisch" sein - bleiben sie nun "baltisch"? "AirBaltic", die lettische Schwester (bisher Konkurrentin), gegenwärtig zu 80% im Besitz des lettischen Staates, bietet sich schon mal als neue "Wahl des Herzens" an, und fliegt neuerdings mit einem estnisch lackierten Flieger durch Europa. Der Rest ist wahrscheinlich eine Frage der Presseschlagzeilen (also = Image). "AirBaltic will die Herzen der Esten erobern", titelt die "Flugrevue". Estnische Herzensfragen - eine reine Flaggenzeremonie? Vorsichtshalber wird schon mal der moralische Zeigefinger ausgefahren: 1000 Arbeitsstunden habe die Lackierung gekostet, betonen die Auftraggeber. Vielleicht haben die Ärbalten auch noch die Meldungen des Jahres 2016 im Kopf, als es hieß: "Estlands Nationalairline ärgert Air Baltic" (AeroTelegraf).
Auch damals gab es Schlagzeilen der Art "Baltische Airline ist pleite" (fvw) - gemeint war Estonian Airlines. Schon um Gleichlautendes jetzt zu verhindern, dafür hat sich vermutlich der Flugzeuganstrich schon gelohnt. Und in der sonst eher als zurückhaltend bekannten Schweizer Presse weht der Duft unritterlicher Feldzüge: "Air Baltic zeigt mit Lackierung Anspruch auf Estland" (nau.ch).
Wer will, kann auch Schlagzeilen mit negativerer Tönung lesen. "Nordica ist am Ende" (fvw),"Nordica gibt auf" (AustrianWings), oder, etwas geschickter formuliert: "Estonia’s flag carrier forced to change its business model" (rusaviainsider).
Was die "estnischen Herzen" angeht, so kann man auch bei Nordica-Finanzmanagerin Kristi Ojakäär nachlesen; sie wird zitiert wird mit der Aussage, mit den Billigpreisen habe man nicht mithalten können, und ganz besonders mache "Nordica" die lettische "AirBaltic" zu schaffen. "Wo die Liebe hinfällt", heißt es da wohl. Oder, anders gesagt: auch Ojakäär wurde erst Anfang 2019 neu eingestellt und hatte vorher Erfahrung im Glückspiel-Business (Casinos).
Jaan Tamm (der mit den "Menschen in Estland") ist inzwischen seines Postens enthoben und fand in Gunnar Kobin einen Nachfolger. Es gibt erste Stimmen aus der estnischen Politik, denen zufolge der estnische Staat nun lieber seine Anteile an "Nordica" loswerden will - das heißt dann in Pressesprech: gesucht wird ein "strategischer Investor".
Trotz Steigerung bei Einnahmen und Passagieren um 30% habe "Nordica" 2018 5,4 Millionen Euro Verluste gemacht, schreibt ERR. 765.000 Menschen seien im Jahr 2018 mit der Airline geflogen (wie viele Est/innen unter ihnen waren, wurde nicht bekannt). Dem stehen die Statistiken von AirBaltic entgegen: 210.000 Passagiere seien es auf den Strecken von und nach Estland in den ersten fünf Monaten 2019 gewesen (ERR / AirBaltic), eine Steigerung um 32%. Ab sofort werde "AirBaltic" zwei ihre Flieger des Typs Airbus A220-300 in Tallinn stationieren. Auf der Flugroute Riga-Tallinn sind gegenwärtig jede Woche etwa 7.000 Passagiere unterwegs.
Zumindest die Szene der "PlaneSpotter" (Menschen, die Fotos machen von möglichst vielen Flugmaschinen) reagiert erregt: der blau-schwarz-weiße Flieger wurde schon in Wien (AviationNetonline), in Olso (Planespotters) und auch in Berlin gesehen (Berlin-spotter). Es spottet also jeder Beschreibung - will sagen: die Werbewelle rollt.
Nun warten wir alle gespannt auf die Eröffnung der Schnellzug-Route "Rail-Baltica" nach Tallinn. Der erste Zug wird dann sicherlich in Nationalfarben auf die Reise geschickt werden - vielleicht in digitaler Form an der Außenhaut, so dass die Flaggen jeweils gewechselt werden können, wie es gerade zum Image passt.
Ja, wo sind sie denn geblieben, die "Menschen in Estland"? Vermutlich sind sie lieber mit "Ryanair", "Wizzair" und anderen Billigjets gefolgen, und haben sich nicht darum gekümmert, dass die eigene Regierung viel Geld dafür aufwendete, Flieger mit estnischer Flagge auf den Flughäfen der Welt erleben zu dürfen.
Nun wollten doch die Estinnen und Esten so gerne "nordisch" sein - bleiben sie nun "baltisch"? "AirBaltic", die lettische Schwester (bisher Konkurrentin), gegenwärtig zu 80% im Besitz des lettischen Staates, bietet sich schon mal als neue "Wahl des Herzens" an, und fliegt neuerdings mit einem estnisch lackierten Flieger durch Europa. Der Rest ist wahrscheinlich eine Frage der Presseschlagzeilen (also = Image). "AirBaltic will die Herzen der Esten erobern", titelt die "Flugrevue". Estnische Herzensfragen - eine reine Flaggenzeremonie? Vorsichtshalber wird schon mal der moralische Zeigefinger ausgefahren: 1000 Arbeitsstunden habe die Lackierung gekostet, betonen die Auftraggeber. Vielleicht haben die Ärbalten auch noch die Meldungen des Jahres 2016 im Kopf, als es hieß: "Estlands Nationalairline ärgert Air Baltic" (AeroTelegraf).
Auch damals gab es Schlagzeilen der Art "Baltische Airline ist pleite" (fvw) - gemeint war Estonian Airlines. Schon um Gleichlautendes jetzt zu verhindern, dafür hat sich vermutlich der Flugzeuganstrich schon gelohnt. Und in der sonst eher als zurückhaltend bekannten Schweizer Presse weht der Duft unritterlicher Feldzüge: "Air Baltic zeigt mit Lackierung Anspruch auf Estland" (nau.ch).
Wer will, kann auch Schlagzeilen mit negativerer Tönung lesen. "Nordica ist am Ende" (fvw),"Nordica gibt auf" (AustrianWings), oder, etwas geschickter formuliert: "Estonia’s flag carrier forced to change its business model" (rusaviainsider).
Was die "estnischen Herzen" angeht, so kann man auch bei Nordica-Finanzmanagerin Kristi Ojakäär nachlesen; sie wird zitiert wird mit der Aussage, mit den Billigpreisen habe man nicht mithalten können, und ganz besonders mache "Nordica" die lettische "AirBaltic" zu schaffen. "Wo die Liebe hinfällt", heißt es da wohl. Oder, anders gesagt: auch Ojakäär wurde erst Anfang 2019 neu eingestellt und hatte vorher Erfahrung im Glückspiel-Business (Casinos).
Jaan Tamm (der mit den "Menschen in Estland") ist inzwischen seines Postens enthoben und fand in Gunnar Kobin einen Nachfolger. Es gibt erste Stimmen aus der estnischen Politik, denen zufolge der estnische Staat nun lieber seine Anteile an "Nordica" loswerden will - das heißt dann in Pressesprech: gesucht wird ein "strategischer Investor".
Trotz Steigerung bei Einnahmen und Passagieren um 30% habe "Nordica" 2018 5,4 Millionen Euro Verluste gemacht, schreibt ERR. 765.000 Menschen seien im Jahr 2018 mit der Airline geflogen (wie viele Est/innen unter ihnen waren, wurde nicht bekannt). Dem stehen die Statistiken von AirBaltic entgegen: 210.000 Passagiere seien es auf den Strecken von und nach Estland in den ersten fünf Monaten 2019 gewesen (ERR / AirBaltic), eine Steigerung um 32%. Ab sofort werde "AirBaltic" zwei ihre Flieger des Typs Airbus A220-300 in Tallinn stationieren. Auf der Flugroute Riga-Tallinn sind gegenwärtig jede Woche etwa 7.000 Passagiere unterwegs.
Zumindest die Szene der "PlaneSpotter" (Menschen, die Fotos machen von möglichst vielen Flugmaschinen) reagiert erregt: der blau-schwarz-weiße Flieger wurde schon in Wien (AviationNetonline), in Olso (Planespotters) und auch in Berlin gesehen (Berlin-spotter). Es spottet also jeder Beschreibung - will sagen: die Werbewelle rollt.
Nun warten wir alle gespannt auf die Eröffnung der Schnellzug-Route "Rail-Baltica" nach Tallinn. Der erste Zug wird dann sicherlich in Nationalfarben auf die Reise geschickt werden - vielleicht in digitaler Form an der Außenhaut, so dass die Flaggen jeweils gewechselt werden können, wie es gerade zum Image passt.
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Donnerstag, Juni 20, 2019
Start der Citybienen
Nicht nur die Verkehrsplaner in Deutschland erwarten gegenwärtig den großen Boom der E-Scooter - auch in Estland sind die Verleiher startbereit. Schon zur angelaufenen Touristensaison werden die Gäste in Tallinn E-Scooter ausleihen können.
"Bzzzz is coming", wirbt eine der neuen Scooter-Verleiher, die Firma CITYBEE, ein Start-up aus Litauen, der auch in Estland bisher mit Carsharing-Angeboten bekannt wurde. Doch wird die "Bzzz-Freude" wirklich so groß sein? Der Domberg ist steil und führt über Pflasterstein-Straßen, der Weg zum Museum wie das "Kumu" oder zum Flughafen wird von Gästegruppen meist mit dem Bus zurückgelegt. Vom Hafen ins Stadtzentrum - eine zu kurze Strecke. Wo also sollen E-Scooter überhaupt fahren? Quer durch Kalamaja, oder rund um die Altstadt? Bisher ist es wohl nur der Reiz des Neuen.
So ist es vielleicht auch typisch,dass es E-Scooter in Tallinn nur als ergänzendes Angebot zum Autoverleih / Carsharing geben wird. Oder vielleicht werden wir auch Leihwagen-Fahrer/innen sehen, die am See Peipsi wieder aussteigen und dort dann ihren E-Scooter auspacken, als Anreiz für die ganze Familie? Allerdings wird in Estland die E-Scooternutzung auf Personen ab 18 Jahren beschränkt werden.
Mit etwa 15 Euro pro Tag liegt die Ausleihgebühr leicht über der für ein Fahrrad. Die Nutzer/innen sollen allerdings verpflichtet werden, die Scooter nur an festgelegten Orten wieder zurückzulassen, so der zweite Tallinner Anbieter "Bolt" (bisher "Taxify"). "Tallinn ist die Heimatstadt von Bolt", so wirbt das Unternehmen für seine Dienste. Grundlage ist immer die Nutzung per Smartphone und App. "Bolt" sei in Estland auch der große Konkurrent des Verkehrsdienstleisters "Uber", so berichtete bereits die "New York Times". Es ist vor allem eine schöne Story über Markus Villig, der mit 19 Jahren "Bolt" gründete, auf Saaremaa aufwuchs und die Skype-Gründer seine Vorbilder nennt. Wie die deutsche AHK weiß, wird diese Firma auch von der deutschen Daimler unterstützt.
Sind E-Scooter also nur scheinbar eine umweltfreundliche, weil abgasfreie Alternative im Verkehr? Auch bei massenhaftem Einsatz von E-Autos - sofern das so kommen wird - ist ja noch nicht bewiesen, dass so die Umwelt tatsächlich besser wegkommt. Erste Richtlinie scheint vor allem zu sein: "alles easy"! Easy nutzen, easy bezahlen. Vielleicht sollten wir also die E-Scooter vorerst als das nehmen, was sie sind: ein weiteres Spielzeug für die Spaßgesellschaft. Und natürlich eine Option für diejenigen, die sich in Estland sowieso an den digitalen Angeboten orientieren.
Oder, weitere Option: die Angebote werden genutzt, weil sie von anderswo her bereits bekannt sind. "Bolt" zum Beispiel ist auch in Helsinki, London, Paris, Riga und Vilnius aktiv, ja sogar in Melbourne und Moskau. Da dürfte doch der Ausflug nach Estland für den Kunden/ die Kundin eine der leichteren Übungen sein - und andere Firmen ziehen sicherlich nach.
"Bzzzz is coming", wirbt eine der neuen Scooter-Verleiher, die Firma CITYBEE, ein Start-up aus Litauen, der auch in Estland bisher mit Carsharing-Angeboten bekannt wurde. Doch wird die "Bzzz-Freude" wirklich so groß sein? Der Domberg ist steil und führt über Pflasterstein-Straßen, der Weg zum Museum wie das "Kumu" oder zum Flughafen wird von Gästegruppen meist mit dem Bus zurückgelegt. Vom Hafen ins Stadtzentrum - eine zu kurze Strecke. Wo also sollen E-Scooter überhaupt fahren? Quer durch Kalamaja, oder rund um die Altstadt? Bisher ist es wohl nur der Reiz des Neuen.
So ist es vielleicht auch typisch,dass es E-Scooter in Tallinn nur als ergänzendes Angebot zum Autoverleih / Carsharing geben wird. Oder vielleicht werden wir auch Leihwagen-Fahrer/innen sehen, die am See Peipsi wieder aussteigen und dort dann ihren E-Scooter auspacken, als Anreiz für die ganze Familie? Allerdings wird in Estland die E-Scooternutzung auf Personen ab 18 Jahren beschränkt werden.
Mit etwa 15 Euro pro Tag liegt die Ausleihgebühr leicht über der für ein Fahrrad. Die Nutzer/innen sollen allerdings verpflichtet werden, die Scooter nur an festgelegten Orten wieder zurückzulassen, so der zweite Tallinner Anbieter "Bolt" (bisher "Taxify"). "Tallinn ist die Heimatstadt von Bolt", so wirbt das Unternehmen für seine Dienste. Grundlage ist immer die Nutzung per Smartphone und App. "Bolt" sei in Estland auch der große Konkurrent des Verkehrsdienstleisters "Uber", so berichtete bereits die "New York Times". Es ist vor allem eine schöne Story über Markus Villig, der mit 19 Jahren "Bolt" gründete, auf Saaremaa aufwuchs und die Skype-Gründer seine Vorbilder nennt. Wie die deutsche AHK weiß, wird diese Firma auch von der deutschen Daimler unterstützt.
Sind E-Scooter also nur scheinbar eine umweltfreundliche, weil abgasfreie Alternative im Verkehr? Auch bei massenhaftem Einsatz von E-Autos - sofern das so kommen wird - ist ja noch nicht bewiesen, dass so die Umwelt tatsächlich besser wegkommt. Erste Richtlinie scheint vor allem zu sein: "alles easy"! Easy nutzen, easy bezahlen. Vielleicht sollten wir also die E-Scooter vorerst als das nehmen, was sie sind: ein weiteres Spielzeug für die Spaßgesellschaft. Und natürlich eine Option für diejenigen, die sich in Estland sowieso an den digitalen Angeboten orientieren.
Oder, weitere Option: die Angebote werden genutzt, weil sie von anderswo her bereits bekannt sind. "Bolt" zum Beispiel ist auch in Helsinki, London, Paris, Riga und Vilnius aktiv, ja sogar in Melbourne und Moskau. Da dürfte doch der Ausflug nach Estland für den Kunden/ die Kundin eine der leichteren Übungen sein - und andere Firmen ziehen sicherlich nach.
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Freitag, Juni 14, 2019
Saufende Populisten?
Es heißt, das Ende von Zar Nikolai II. habe sich bereits abgezeichnet, als er 1914 ein Alhoholverbot aussprach. Damals kam es zu Plünderungen von Gaststätten und Weinlagern. Als Alkoholersatz mussten Spiritus, Politurmittel oder sogar Lacke herhalten, und für einen Selbstgebrannten nahm man Rüben oder sogar Holzspäne.
Auch Gorbatschow schränkte 1986 den Alkoholverkauf ein, und es war wieder die Rede davon, dass eine alkoholfreie Hochzeitsfeier ja eigentlich gar keine Feier sei.
Auch in Estland ist die Steuer auf Alkoholisches wie immer eine Fragen entweder des Schutzes vor zuviel Alkoholismus, oder der staatlichen Einnahmen.Nach Einführung des erhöhten Steuersatzes sollen die Staatseinnahmen um 80 Mio. € zurückgegangen sein (NZZ). Die geringeren Einnahmen bedeuteten allerdings nicht automatisch auch geringeren Konsum: nun wurde es populär, kurz über die lettische Grenze einkaufen zu fahren (Blogbeitrag). Dagegen ging der Strom der Alkoholtouristen aus Richtung Helsinki stark zurück - noch im Jahr 2014 "stammte 1/3 des Alkohols in Finnland aus Estland", behauptete "Nordisch.info". Und auch die Finnen fuhren nun einfach ein paar km weiter bis über die Grenze nach Lettland, wenn sie auf der Suche nach billigem Alkohol waren.
Nun also wird der Alkohol in Estland wieder billiger. Ein Schritt, den auch die oppositonelle Reformpartei mit unterstützt. Der Gesetzesvorschlag, ab dem 1. Juli 2019 den Steuersatz auf Bier, Schnaps und Cidre um 25% zu senken, wurde am 15. Juni vom estnischen Parlament (Riigikogu) mit großer Mehrheit verabschiedet (err).
Kritik kommt u.a. von kirchlicher Seite. "Aus christlicher Perspektive sollte eher das Prinzip liebe deinen Nächsten Priorität haben," meint Urmas Viilma, Erzbischof der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche ( EELK),"beim Umgang mit Alkohol sollten eher das Leben der Menschen, die Gesundheit und Sicherheit Vorrag haben, nicht die Steuerbilanzen." (err/ Eesti Kirik) "Es wird mir ein wenig zu viel nur darüber gesprochen, ob nun estnisches Steuergeld nach Lettland, oder finnisches in Estland bleibt," meint er. "12 EuroCent auf einen halben Liter Bier sparen zu können, sollte für einen Christen nicht die entscheidende Frage sein." Eher solle man schauen, wie die Zahl der Unfälle unter Alkoholeinfluß, die Verbrechen und die Fälle häuslicher Gewalt reduziert werden könnten.Auch sei es immer noch erlaubt, selbst für Kinder alkoholhaltige Mixgetränke zu verkaufen (sogenannter "Kinder-Sekt"). Und auch bei Sportveranstaltungen sei der extensive Alkoholkonsum noch immer nicht in Frage gestellt. "In einer Zeit, wo so viel Wert gelegt wird auf Umweltschutz, gesunde Ernährung, ökologisch erzeugte Produkte, vegane Lebensmittel, körperliche Fitness und einen gesunden Lebensstil müsse teilweise oder völliger Verzicht auf Alkohol zumindest als Option möglich sein," meint der Kirchenmann.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie des estnischen Instituts für Wirtschaftsforschung (KI) hatte einen 10-Jahres-Tiefststand des Alkoholkonsums in Estland ergeben - gegenwärtig 10,1 Liter (pro Erwachsene Person im Jahr 2018). In einer Studie der Welt-Gesundheitsorganisation wird die These vertreten, ein Angeben des Preises auf Alkohol um 1% würde den Alkoholkonsum um 0,5% senken. Ob eine solche Rechnung auch beim 25fachen in die gegensätzliche Richtung aufgeht, wird die Zukunft zeigen müssen.
In derselben Studie ist ein Rückblick auf die finnische Steuersenkung auf Alkohol um 33% nachzulesen - das geschah 2004 weil Estland der EU beigetreten war.Daraufhin lag der Alkoholkonsum in Finnland 2005 um 12% höher - und der private Import von alkoholischen Getränken verdoppelte sich trotzdem (machte 17% des gesamten Alkoholverbrauchs aus). Die Steuereinnahmen auf Alkohol gingen 2005 in Finnland im Vergleich zu 2003 dennoch um 29% zurück. 2008 und 2009 wurde hob die finnische Regierung dann den Steuersatz sogar mehrfach wieder an - mit dem Ergebnis, dass die Steuereinnahmen um 27% anstiegen (2010, verglichen mit 2007), der Konsum aber nur um 7% zurückging. Die WHO nennt das "die Asymetrie der Elastizität".
Zuletzt noch eine Stellungnahme der AHK (Auslands-Handelskammer) zum Thema. "Die Bewohner der baltischen Staaten geben europaweit den größten Anteil des Haushaltseinkommens für alkoholische Getränke aus", heißt es hier in einer Pressemeldung unter Berufung auf Zahlen von "Eurostat": "in Estland sind es 5,2 Prozent, in Lettland 4,9 Prozent und in Litauen 4,0 Prozent." In Deutschland liegt der Anteil nur bei 1,4% - na, mal gut, dass die Deutschen nicht direkt neben den Est/innen wohnen., oder?
Auch Gorbatschow schränkte 1986 den Alkoholverkauf ein, und es war wieder die Rede davon, dass eine alkoholfreie Hochzeitsfeier ja eigentlich gar keine Feier sei.
Auch in Estland ist die Steuer auf Alkoholisches wie immer eine Fragen entweder des Schutzes vor zuviel Alkoholismus, oder der staatlichen Einnahmen.Nach Einführung des erhöhten Steuersatzes sollen die Staatseinnahmen um 80 Mio. € zurückgegangen sein (NZZ). Die geringeren Einnahmen bedeuteten allerdings nicht automatisch auch geringeren Konsum: nun wurde es populär, kurz über die lettische Grenze einkaufen zu fahren (Blogbeitrag). Dagegen ging der Strom der Alkoholtouristen aus Richtung Helsinki stark zurück - noch im Jahr 2014 "stammte 1/3 des Alkohols in Finnland aus Estland", behauptete "Nordisch.info". Und auch die Finnen fuhren nun einfach ein paar km weiter bis über die Grenze nach Lettland, wenn sie auf der Suche nach billigem Alkohol waren.
Nun also wird der Alkohol in Estland wieder billiger. Ein Schritt, den auch die oppositonelle Reformpartei mit unterstützt. Der Gesetzesvorschlag, ab dem 1. Juli 2019 den Steuersatz auf Bier, Schnaps und Cidre um 25% zu senken, wurde am 15. Juni vom estnischen Parlament (Riigikogu) mit großer Mehrheit verabschiedet (err).
Kritik kommt u.a. von kirchlicher Seite. "Aus christlicher Perspektive sollte eher das Prinzip liebe deinen Nächsten Priorität haben," meint Urmas Viilma, Erzbischof der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (
Eine kürzlich veröffentlichte Studie des estnischen Instituts für Wirtschaftsforschung (KI) hatte einen 10-Jahres-Tiefststand des Alkoholkonsums in Estland ergeben - gegenwärtig 10,1 Liter (pro Erwachsene Person im Jahr 2018). In einer Studie der Welt-Gesundheitsorganisation wird die These vertreten, ein Angeben des Preises auf Alkohol um 1% würde den Alkoholkonsum um 0,5% senken. Ob eine solche Rechnung auch beim 25fachen in die gegensätzliche Richtung aufgeht, wird die Zukunft zeigen müssen.
In derselben Studie ist ein Rückblick auf die finnische Steuersenkung auf Alkohol um 33% nachzulesen - das geschah 2004 weil Estland der EU beigetreten war.Daraufhin lag der Alkoholkonsum in Finnland 2005 um 12% höher - und der private Import von alkoholischen Getränken verdoppelte sich trotzdem (machte 17% des gesamten Alkoholverbrauchs aus). Die Steuereinnahmen auf Alkohol gingen 2005 in Finnland im Vergleich zu 2003 dennoch um 29% zurück. 2008 und 2009 wurde hob die finnische Regierung dann den Steuersatz sogar mehrfach wieder an - mit dem Ergebnis, dass die Steuereinnahmen um 27% anstiegen (2010, verglichen mit 2007), der Konsum aber nur um 7% zurückging. Die WHO nennt das "die Asymetrie der Elastizität".
Zuletzt noch eine Stellungnahme der AHK (Auslands-Handelskammer) zum Thema. "Die Bewohner der baltischen Staaten geben europaweit den größten Anteil des Haushaltseinkommens für alkoholische Getränke aus", heißt es hier in einer Pressemeldung unter Berufung auf Zahlen von "Eurostat": "in Estland sind es 5,2 Prozent, in Lettland 4,9 Prozent und in Litauen 4,0 Prozent." In Deutschland liegt der Anteil nur bei 1,4% - na, mal gut, dass die Deutschen nicht direkt neben den Est/innen wohnen., oder?
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Montag, April 22, 2019
Das Kaljul-Ei
Ein Überraschungsei hatte Estlands Präsidentin Kersti Kaljulaid zu Ostern für ihre Landsleute und die internationale Öffentlichkeit parat: ein Besuch bei Russlands Präsident Putin am Gründonnerstag. Anlass war die Wiedereröffnung der Estnischen Botschaft in Moskau. "Ich bin lieber an einem Tisch, als auf der Speisekarte" zitierte die "Moskau Times" ("I’d rather be at the table than on the menu").
Von estnischer Seite sei zur Sprache gebracht worden das noch immer nicht vom russischen Parlament ratifizierte estnisch-russische Grenzabkommen und die umstrittene Gaspipeline Nordstream II, hieß es. Putin habe seinerseits eine "Glorifizierung des Nazismus" in Estland thematisiert, ebenso wie die Situation der Nichtstaatsbürger und der russischsprachigen Schulen in Estland. Eine gemeinsame Pressekonferenz gab es jedoch nicht.
"Wir sprachen über schwierige Themen und zeigten gegenseitigen Respekt auch in den schwierigsten Momenten," gab Kaljulaid der Presse zu Protokoll. "Es gibt in den Beziehungen zweier Nachbarn immer Themen von gemeinsamem Interesse, und wir können etwas tun für die Menschen und für die Wirtschaft." Sie habe den russischen Präsidenten eingeladen beim finn-ugrischen Weltkongress 2020 in Tartu dabei zu sein.
Kritik und irritierte Anmerkungen gab es von mehreren Seiten. Aus Litauen meldete sich Außenminister Linas Linkevičius mit dem Appell zu mehr "Absprachen" - beim Dialog mit Moskau sei "Vorsicht geboten" (err). Litauen jedenfalls sei nichts über die Themen der Diskussion zwischen Putin und Kaljulaid bekannt gewesen.
Bezüglich Russland führe "zu viel Enthusiasmus regelmäßig zu Enttäuschung", bemerkte Ex-General Riho Terras, der erst kürzlich seinen Einstieg in die Politik mit dem Beitritt zur estnischen Vaterlandspartei "Isamaa" und die Kandidatur für einen Sitz im Europaparlament gekannt gegeben hatte. Die Initiative der estnischen Präsidentin wiederspreche auch dem Prinzip eines einheitlichen Vorgehens aller NATO-Mitglieder (err / skaties)
Das deutsche ZDF meldete das Treffen als "seltener Kontakt". Die Putin-treue Moskauer Presse versuchte, eine angebliche "Nervosität" der estnischen Präsidentin herauszustellen: immerhin habe es seit 2008 keine offiziellen Treffen mehr gegeben, und trotz der großen Nähe der estnischen Boschaft zum Kreml habe Kaljulaid es vorgezogen, mit dem Auto bei Putin vorfahren zu wollen (youtube / Russia Inside). Estland strebe nach einem Sitz als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrats der vereinten Nationen (UN), und sei durch die EU-Sanktionen gegen Russland selbst wirtschaftlich stark geschädigt. - Angesichts des strahlend blauen Kostüms der Präsidentin sparte die russische Presse selbst Modefragen nicht aus: ausführlich wurde Kaljulaids oft praktizierte Angewohnheit herausgestellt, sich bei Staatsbesuchen an den Flaggenfarben des Gastlandes zu orientieren.
Die estnische Tageszeitung "Postimees" zitiert den Sicherheitsexperten Kalev Stoicescu mit dem Hinweis, Kaljulaid habe noch 2017 geäussert Putin nicht eher besuchen zu wollen, bis wenigstens das Grenzabkommen von der russischen Seite ratifiziert sei. Dieses Thema sei vielleicht auch das wichtigste dieses Treffens gewesen - denn Putin habe jederzeit die Möglichkeit dieses Thema voranzubringen, während von Seiten der neuen estnischen Regierung eher wenig Einigkeit zu erwarten sei. Kristi Raik, Direktorin des Estnischen Aussenpolitischen Instituts, wies darauf hin dass Kommunikatrion auf diplomatischer Ebene jederzeit notwendig sei. (Postimees)
In einer Rede anläßlich der Wiedereröffnung der Botschaft hatte Kaljulaid die erste Botschaft aus dem Jahr 1921 in Erinnerung gerufen und betont, dies sei nicht nur die älteste Botschaft der Republik Estland, sondern damals auch die erste Vertretung eines europäischen Landes im bolschewistischen Russland.
Rede von Präsidentin Kaljulaid zur Botschaftseröffnung / Statement Kreml
Von estnischer Seite sei zur Sprache gebracht worden das noch immer nicht vom russischen Parlament ratifizierte estnisch-russische Grenzabkommen und die umstrittene Gaspipeline Nordstream II, hieß es. Putin habe seinerseits eine "Glorifizierung des Nazismus" in Estland thematisiert, ebenso wie die Situation der Nichtstaatsbürger und der russischsprachigen Schulen in Estland. Eine gemeinsame Pressekonferenz gab es jedoch nicht.
"Wir sprachen über schwierige Themen und zeigten gegenseitigen Respekt auch in den schwierigsten Momenten," gab Kaljulaid der Presse zu Protokoll. "Es gibt in den Beziehungen zweier Nachbarn immer Themen von gemeinsamem Interesse, und wir können etwas tun für die Menschen und für die Wirtschaft." Sie habe den russischen Präsidenten eingeladen beim finn-ugrischen Weltkongress 2020 in Tartu dabei zu sein.
Kritik und irritierte Anmerkungen gab es von mehreren Seiten. Aus Litauen meldete sich Außenminister Linas Linkevičius mit dem Appell zu mehr "Absprachen" - beim Dialog mit Moskau sei "Vorsicht geboten" (err). Litauen jedenfalls sei nichts über die Themen der Diskussion zwischen Putin und Kaljulaid bekannt gewesen.
Bezüglich Russland führe "zu viel Enthusiasmus regelmäßig zu Enttäuschung", bemerkte Ex-General Riho Terras, der erst kürzlich seinen Einstieg in die Politik mit dem Beitritt zur estnischen Vaterlandspartei "Isamaa" und die Kandidatur für einen Sitz im Europaparlament gekannt gegeben hatte. Die Initiative der estnischen Präsidentin wiederspreche auch dem Prinzip eines einheitlichen Vorgehens aller NATO-Mitglieder (err / skaties)
Das deutsche ZDF meldete das Treffen als "seltener Kontakt". Die Putin-treue Moskauer Presse versuchte, eine angebliche "Nervosität" der estnischen Präsidentin herauszustellen: immerhin habe es seit 2008 keine offiziellen Treffen mehr gegeben, und trotz der großen Nähe der estnischen Boschaft zum Kreml habe Kaljulaid es vorgezogen, mit dem Auto bei Putin vorfahren zu wollen (youtube / Russia Inside). Estland strebe nach einem Sitz als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrats der vereinten Nationen (UN), und sei durch die EU-Sanktionen gegen Russland selbst wirtschaftlich stark geschädigt. - Angesichts des strahlend blauen Kostüms der Präsidentin sparte die russische Presse selbst Modefragen nicht aus: ausführlich wurde Kaljulaids oft praktizierte Angewohnheit herausgestellt, sich bei Staatsbesuchen an den Flaggenfarben des Gastlandes zu orientieren.
Die estnische Tageszeitung "Postimees" zitiert den Sicherheitsexperten Kalev Stoicescu mit dem Hinweis, Kaljulaid habe noch 2017 geäussert Putin nicht eher besuchen zu wollen, bis wenigstens das Grenzabkommen von der russischen Seite ratifiziert sei. Dieses Thema sei vielleicht auch das wichtigste dieses Treffens gewesen - denn Putin habe jederzeit die Möglichkeit dieses Thema voranzubringen, während von Seiten der neuen estnischen Regierung eher wenig Einigkeit zu erwarten sei. Kristi Raik, Direktorin des Estnischen Aussenpolitischen Instituts, wies darauf hin dass Kommunikatrion auf diplomatischer Ebene jederzeit notwendig sei. (Postimees)
In einer Rede anläßlich der Wiedereröffnung der Botschaft hatte Kaljulaid die erste Botschaft aus dem Jahr 1921 in Erinnerung gerufen und betont, dies sei nicht nur die älteste Botschaft der Republik Estland, sondern damals auch die erste Vertretung eines europäischen Landes im bolschewistischen Russland.
Rede von Präsidentin Kaljulaid zur Botschaftseröffnung / Statement Kreml
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Donnerstag, April 18, 2019
Auf ein Wort
Estland macht sich Sorgen. Um die Zukunft? Die neue Regierung? Das auch. Aber die Estinnen und Esten beschäftigen sich offenbar auch mit sehr "estnischen" Fragen. Wir lernen: auch die Eigenschaft "estnisch" an sich ist offenbar noch zu steigern. Gesucht wurde in Estland nämlich kürzlich "das allerestnischte" - oder wie soll man sagen? Das am meisten Estland-typische .... Wort.
"Schande - häbi!" könnte es einem spontan entfahren, angesichts der Merkwürdigkeiten der aktuellen Regierungsbildung. Aber nein, ein Wort mit nur vier gewöhnlichen Buchstaben, das war natürlich gar nicht in der engeren Auswahl. "Jäääär" - kommt mir als nächstes in den Sinn; wahrscheinlich schon viel "estnischer", und mit vierfach-Vokal: eine estnische Band, und, einige Jahre lang ein in Berlin beliebtes estnisches Café (zur Zeit nur noch in den Facebook-Memories existent).
"Tööö" oder "Kuuuurija" schlägt uns der Blog "Auf in den Norden" als herausragende estnische Worte vor (Nachtarbeit, Mondforscher). Nicht ohne zu ergänzen, dass es auch Wörter gäbe im Estnischen, die nur zu beschreiben, aber nicht zu übersetzen seien - aber selbst ein schönes Wort wie "Hauaööõudused" kam beim estnischen Wettbewerb nicht ganz nach vorn.
Sõnajalaõis - die "Farnblüte" soll es jetzt also sein. Das "estnischte", sozusagen (ERR). "Eine fantastische Wahl!" jubelt Rain Kooli (Eesti Rahvusringhääling / Estnischer Rundfunk ERR). In diesem Wort seien ethnisch-mystische Aspekte genauso enthalten wie die Sehnsucht nach Glück. 7000 Stimmen wurden insgesamt abgegeben. Auch eine gesungene Version mit diesem Titel soll es bereits geben.
Da irritiert nur eine Mitteilung im "Looduskalender", geschrieben bereits 2010. Dort heißt es:
"In der estnischen Volksüberlieferung ist der Rainfarn, sõnajalaõis, eine magische Blume. Sie blüht nur für sehr kurze Zeit in der Mitsommernach, und soll dem Finder Glück bringen können, sowie die Fähigkeit, die Tiersprache zu verstehen, Unsichtbarkeit, Reichtum und vieles mehr."-
Trösten wir uns, vermutlich ist da nicht "Rainfarn" (Tanacetum vulgare) gemeint, eine Pflanze die zumindest in Deutschland sehr gewöhnlich und weit verbreitet ist. Wie wir u.a. auf "Kostbare-Natur" nachlesen können, gehört dieser nicht zu den Farnen, sondern zu den Korbblütlern. Früher soll man in Livland Wurmkuren für Pferde mit Rainfarn zubereitet haben, so berichten alte Enzyklopädien. Auch Johannes Brobowski soll übrigens schon den Rainfarn als Übersetzung für "Farnblüte" missverstanden haben - lernen wir beim "Deutschlandfunk" (siehe auch: Planet Lyrik). Vielleicht kommt das daher, wie wir in den Annaberger Annalen nachlesen können, dass es bei Brobowski sogar eine eigene Erzählung mit dem deutschen Titel "Rainfarn" gibt - die von einem Kraut erzählt das unsichtbar macht.
Wie auch immer: ob nun reale "Sõnajalaõis", oder nur fantasierte - vermutlich werden die Estinnen und Esten auch dieses Jahr zu Mitsommer nicht mit dem schlichten Rainfarn (Harilik soolikarohi) am Wegesrand zufrieden sein. Einige haben schon begonnen damit, im Internet "Fake-Sõnajalaõis" zu posten - also angeblich in der Mitsommernacht gefundene Farnblüten. Für alle, die mehr als nur EIN Wort Estnisch lernen wollen: den Wortschatz zum Mitsommer-Feiern hat bereits der "Eestikultuurist" zusammengetragen. Nehmen wir - als Deutsche - das Ganze mal als Ermutigung, von der schönen Sprache des Estnischen doch mehr als nur "Terviseks" zu lernen (ganz deutsch betont auf der letzten Silbe ...).
"Schande - häbi!" könnte es einem spontan entfahren, angesichts der Merkwürdigkeiten der aktuellen Regierungsbildung. Aber nein, ein Wort mit nur vier gewöhnlichen Buchstaben, das war natürlich gar nicht in der engeren Auswahl. "Jäääär" - kommt mir als nächstes in den Sinn; wahrscheinlich schon viel "estnischer", und mit vierfach-Vokal: eine estnische Band, und, einige Jahre lang ein in Berlin beliebtes estnisches Café (zur Zeit nur noch in den Facebook-Memories existent).
"Tööö" oder "Kuuuurija" schlägt uns der Blog "Auf in den Norden" als herausragende estnische Worte vor (Nachtarbeit, Mondforscher). Nicht ohne zu ergänzen, dass es auch Wörter gäbe im Estnischen, die nur zu beschreiben, aber nicht zu übersetzen seien - aber selbst ein schönes Wort wie "Hauaööõudused" kam beim estnischen Wettbewerb nicht ganz nach vorn.
Sõnajalaõis - die "Farnblüte" soll es jetzt also sein. Das "estnischte", sozusagen (ERR). "Eine fantastische Wahl!" jubelt Rain Kooli (Eesti Rahvusringhääling / Estnischer Rundfunk ERR). In diesem Wort seien ethnisch-mystische Aspekte genauso enthalten wie die Sehnsucht nach Glück. 7000 Stimmen wurden insgesamt abgegeben. Auch eine gesungene Version mit diesem Titel soll es bereits geben.
Da irritiert nur eine Mitteilung im "Looduskalender", geschrieben bereits 2010. Dort heißt es:
"In der estnischen Volksüberlieferung ist der Rainfarn, sõnajalaõis, eine magische Blume. Sie blüht nur für sehr kurze Zeit in der Mitsommernach, und soll dem Finder Glück bringen können, sowie die Fähigkeit, die Tiersprache zu verstehen, Unsichtbarkeit, Reichtum und vieles mehr."-
Trösten wir uns, vermutlich ist da nicht "Rainfarn" (Tanacetum vulgare) gemeint, eine Pflanze die zumindest in Deutschland sehr gewöhnlich und weit verbreitet ist. Wie wir u.a. auf "Kostbare-Natur" nachlesen können, gehört dieser nicht zu den Farnen, sondern zu den Korbblütlern. Früher soll man in Livland Wurmkuren für Pferde mit Rainfarn zubereitet haben, so berichten alte Enzyklopädien. Auch Johannes Brobowski soll übrigens schon den Rainfarn als Übersetzung für "Farnblüte" missverstanden haben - lernen wir beim "Deutschlandfunk" (siehe auch: Planet Lyrik). Vielleicht kommt das daher, wie wir in den Annaberger Annalen nachlesen können, dass es bei Brobowski sogar eine eigene Erzählung mit dem deutschen Titel "Rainfarn" gibt - die von einem Kraut erzählt das unsichtbar macht.
Wie auch immer: ob nun reale "Sõnajalaõis", oder nur fantasierte - vermutlich werden die Estinnen und Esten auch dieses Jahr zu Mitsommer nicht mit dem schlichten Rainfarn (Harilik soolikarohi) am Wegesrand zufrieden sein. Einige haben schon begonnen damit, im Internet "Fake-Sõnajalaõis" zu posten - also angeblich in der Mitsommernacht gefundene Farnblüten. Für alle, die mehr als nur EIN Wort Estnisch lernen wollen: den Wortschatz zum Mitsommer-Feiern hat bereits der "Eestikultuurist" zusammengetragen. Nehmen wir - als Deutsche - das Ganze mal als Ermutigung, von der schönen Sprache des Estnischen doch mehr als nur "Terviseks" zu lernen (ganz deutsch betont auf der letzten Silbe ...).
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Donnerstag, April 11, 2019
Digitalisiert, aber ungesund?
Auf der Suche nach dem Glück - bekannt ist vielleicht die Umfrage, der zufolge angeblich die Dänen die glücklichsten Menschen Europas sind.Viele Estinnen und Esten sind wahrscheinlich nicht sehr glücklich über die neue Regierung, die sich gerade gebildet hat - ab sofort werden nicht mehr nur die sowjetromantischen Ideologen aus Moskau auf Rechtsradikale in Estland hinweisen.
Nein, Umgang und Ausmaß des Glückes wird ja in Europa gern in Form von Statistiken gemessen. Und ein sehr wichtiger Bestandteil - bei den guten Wünschen für die Zukunft immer ganz vorn - ist die Gesundheit. Nun könnten wir annehmen, ein so naturnahes und gleichzeitig von Modernisierungen geprägtes Leben wie in Estland kann doch nur gesund sein - aber oh Schreck! Hier wurden nicht die Ärzte gefragt, sondern die betroffenen Menschen. Und siehe da: nur jeder zweite Este fühlt sich gesund.
Was ist da passiert? Wurden die Befragungen am Flughafen Tallinn gemacht, wo vielleicht arbeitslose, frustrierte Est/innen kurz vor dem Abflug zur Arbeitssuche nach irgendwohin stehen? Oder im Hafen an den Anlegern der Schiffe nach Helsinki?
Dass die Est/innen ein klein wenig besser dastehen wie ihre Nachbarn aus Lettland und Litauen (wie so oft!), nein das ist kein Trost. Auch nicht, dass selbst in Deutschland, wo sicher viele Tausende Euro pro Patient und Einwohner mehr für das Gesundheitswesen verwendet wird als in Estland, das Grundgefühl eher ins Negative schwankt. Gesund und glücklich offenbar (mal wieder?) diejenigen, die nach Irland ausgewandert sind.
Auffällig auch der große Unterschied zwischen den Geschlechtern: 63,4% der estnischen Männer fühlen sich gesund, aber nur 53,7% der Frauen (eurostat). Hier fällt auf, dass in den ärmeren EU-Ländern dieser Unterschied sehr viel größer ausfällt als in den reicheren. Während es in Deutschland nur 3,8%, in Dänemark nur 1,6% und in Luxemburg sogar nur 0,4% Unterschied sind, fällt diese Kluft in Litauen mit 11,4% und in Lettland mit 12,5% besonders groß aus. Glückliche Frauen dagegen in Irland: hier fühlen sich sogar mehr Frauen als Männer gesund.
Eine der möglichen Ursachen wäre das Alter: die Aussage man fühle sich gesund geht mit dem Alter zurück, und durchschnittlich werden Frauen älter als Männer. Aber mehr sagt uns die Eurostat-Statistik an dieser Stelle nicht. Hoffentlich macht es nicht krank, solche Statistiken zu lesen - ähnlich, wie es beim Anblick der neuen estnischen Regierung gehen könnte ...
Nein, Umgang und Ausmaß des Glückes wird ja in Europa gern in Form von Statistiken gemessen. Und ein sehr wichtiger Bestandteil - bei den guten Wünschen für die Zukunft immer ganz vorn - ist die Gesundheit. Nun könnten wir annehmen, ein so naturnahes und gleichzeitig von Modernisierungen geprägtes Leben wie in Estland kann doch nur gesund sein - aber oh Schreck! Hier wurden nicht die Ärzte gefragt, sondern die betroffenen Menschen. Und siehe da: nur jeder zweite Este fühlt sich gesund.
Was ist da passiert? Wurden die Befragungen am Flughafen Tallinn gemacht, wo vielleicht arbeitslose, frustrierte Est/innen kurz vor dem Abflug zur Arbeitssuche nach irgendwohin stehen? Oder im Hafen an den Anlegern der Schiffe nach Helsinki?
Dass die Est/innen ein klein wenig besser dastehen wie ihre Nachbarn aus Lettland und Litauen (wie so oft!), nein das ist kein Trost. Auch nicht, dass selbst in Deutschland, wo sicher viele Tausende Euro pro Patient und Einwohner mehr für das Gesundheitswesen verwendet wird als in Estland, das Grundgefühl eher ins Negative schwankt. Gesund und glücklich offenbar (mal wieder?) diejenigen, die nach Irland ausgewandert sind.
Auffällig auch der große Unterschied zwischen den Geschlechtern: 63,4% der estnischen Männer fühlen sich gesund, aber nur 53,7% der Frauen (eurostat). Hier fällt auf, dass in den ärmeren EU-Ländern dieser Unterschied sehr viel größer ausfällt als in den reicheren. Während es in Deutschland nur 3,8%, in Dänemark nur 1,6% und in Luxemburg sogar nur 0,4% Unterschied sind, fällt diese Kluft in Litauen mit 11,4% und in Lettland mit 12,5% besonders groß aus. Glückliche Frauen dagegen in Irland: hier fühlen sich sogar mehr Frauen als Männer gesund.
Eine der möglichen Ursachen wäre das Alter: die Aussage man fühle sich gesund geht mit dem Alter zurück, und durchschnittlich werden Frauen älter als Männer. Aber mehr sagt uns die Eurostat-Statistik an dieser Stelle nicht. Hoffentlich macht es nicht krank, solche Statistiken zu lesen - ähnlich, wie es beim Anblick der neuen estnischen Regierung gehen könnte ...
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Montag, März 11, 2019
Tunnelchinesisch
Schon häufig wurden Varianten eines möglichen Tunnelbaus zwischen Tallinn und Helsinki diskutiert - bereits die bestehenden intensiven Beziehungen zwischen den beiden Hauptstädten ließen manche von "Talsinki" reden. Der Begriff soll auf ein Essay des Schriftstellers Jaan Kaplinski aus dem Jahr 1992 zurückgehen. 1994 soll es die ersten Gespräche über ein Tunnelprojekt gegeben haben, 2008 wurde zwischen den beiden Stadtoberhäuptern eine Absichtserklärung zum Bau eines unterirdischen Eisenbahntunnels unterzeichnet (Baltic Times). Eine Machbarkeitsstudie wurde in Auftrag gegeben, aufgrund deren Ergebnisse die EU eine Mitfinanzierung 2009 ablehnte.
Dennoch hielten manche estnischen Politiker einen Tunnelbau lange für wichtiger als den Bahnausbau des RAIL-BALTICA-Projekts.
Gern wird das Projekt mit dem 1994 eröffneten Tunnel zwischen Frankreich und Großbritannien verglichen, das bei einer Bauzeit von sechs Jahren mehr als 15 Milliarden Euro kostete. Erst 20 Jahre nach seiner Fertigstellung erwirtschaftete der Eurotunnel erste Gewinne - also ein absehbar jahrelang teures Ingenieursvergnügen. Ein Tunnel zwischen Helsinki und Tallinn würde 60 - 80 km lang sein müssen.
"Ein Tunnel würde alle wirtschaftlichen Probleme lösen," so ließ sich 2013 der Finne Joakim Helenius zitieren, der als möglicher Inmvestor angesehen wurde (err). Der einige Jahre für Verkehrsfragen zuständige EU-Kommissar Siim Kallas hielt ein Tunnelprojekt allerdings immer für unrentabel (err). 2014 kam der Name "Talsinkifix" für das Projekt auf, oder auch "FinEst Link". Inzwischen wurden schon 9 Milliarden Euro als Baukosten genannt (yle). Ein Stück Land wurde auf der Halbinsel Viimsi bereits dafür auserkoren eventueller Tunneleingang zu werden, es gab einen Ideenwettbewerb für Architekten, und in E-Estonia hat das Projekt natürlich auch inzwischen bereits eine eigene Webseite (siehe auch: Talsinki.info)
2017 kamen Vermutungen auf, das Tunnelprojekt könnte das Interesse chinesischer Investoren erregen (fin-land.net). Entsprechende Kontakte wollte unter anderm der finnische Unternehmer Peter Vesterbacka geknüpft haben. "Ich habe gehört, dass viele Menschen in Finnland sagen, dass sie das Gefühl haben, auf einer Insel zu leben. Aber es muss nicht so sein," so ließ sich auch der estnische Ministerpräsident Ratas zitieren (dw).
Allerdings gibt es wohl einen Unterschied zwischen allgemeinen Überlegungen von Politiker/innen und Beamt/innen, und manchmal geradezu ihm Stile von Marktschreiern vorgetragenen Ideen derjenigen, die gerne beim Geldeinsammeln für ein solches Projekt selbst viel Geld verdienen würden. So jemand ist zweifellos Vesterbacka, der sich selbst ausgezeichnet gut zu vermarkten versteht. Es gelang ihm erst kürzlich wieder, das Projekt erneut in die Schlagzeilen zu bringen - angeblich soll es nun konkrete Angebote der "Touchstone Capital Partners" aus China geben, so berichten estnische und finnische Medien (err / reuters)
Seit 2016 arbeitet Vesterbackas Beteiligungsunternehmen "FinEst Bay Area Development" an eigenen Plänen für ein Tunnelprojekt und beabsichtigt nach Informationen des Unternehmens in den nächsten Monaten die Einzelheiten einer Zusammenarbeit mit "Touchstone" auszuarbeiten. Bisher sei eine Finanzierung aus zwei Drittel Krediten und ein Drittel Risikokapital vorgesehen. Touchstone strebe dabei eine Beteiligung an dem Projekt an, die Mehrheit der Anteile würden aber in finnischem Besitz bleiben.
Finnen und Chinesen sorgen für das Wohl von Estland? Urmas Paet, Ex-Kultur- und Ex-Aussenminister und eigentlich der neoliberalen Seite zugeneigt, zur Zeit Abgeordneter im Europaparlament, rät zur Vorsicht mit chinesischen Investitionen in Europa (err). Tunnelexperten aus der Schweiz meinen zu wissen, die Chinesen wollten mit einem "Monsterbohrer" mit 17m Durchmesser in Estland anrücken (wo doch der Bohrer beim Bau des Gotthard-Tunnels nur Meter 9,5m Durchmesser hatte!) (blick) Und mit dem Aushub, der beim Tunnelbau übrig bleibt, könne angeblich eine neue Insel aufgeschüttet werden, die 50.000 Menschen Platz zum Wohnen biete. Der "Martime Herald" möchte gleich auch noch japanische oder chinesische Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Helsinki und Tallinn zum Einsatz bringen - einmal unter der Ostsee hindurch in nur 20 Minuten, allerdings pro Fahrt für 50 -100 Euro.
Zur Befeuerung der einen oder anderen Fantasie scheint das Thema jedenfalls gut zu taugen.Inzwischen ist aber bereits von 15 - 20 Milliarden Euro Kosten die Rede. Aber selbst wenn dieses Geld plötzlich von irgend einer Druckpresse hergestellt würde - eine Fertigstellung vor 2040 wird es wohl nicht geben. Schlagzeilen macht immer derjenige, der eine frühere Fertigstellung verspricht. "Warum sollen wir langsamer als die Chinesen fahren?" so die rhetorische Frage von Peter Vesterbacka (Huvudstadbladet). Kritischere Stimmen haben ausgerechnet, dass selbst nach Fertigstellung Finnland und Estland Unterhaltungskosten von jährlich 280 Millionen Euro tragen müssten - gerechnet auf einen Zeitraum von 40 Jahren. Da freut sich jede/r estnische Lokalpolitiker/in, der/die auch auf dem Lande mal eine Straße ausgebessert haben möchte.
eine finnische Variante der Tunnelträume |
Gern wird das Projekt mit dem 1994 eröffneten Tunnel zwischen Frankreich und Großbritannien verglichen, das bei einer Bauzeit von sechs Jahren mehr als 15 Milliarden Euro kostete. Erst 20 Jahre nach seiner Fertigstellung erwirtschaftete der Eurotunnel erste Gewinne - also ein absehbar jahrelang teures Ingenieursvergnügen. Ein Tunnel zwischen Helsinki und Tallinn würde 60 - 80 km lang sein müssen.
auch ein eigenes Wappen haben findige Finnen bereits erschaffen |
2017 kamen Vermutungen auf, das Tunnelprojekt könnte das Interesse chinesischer Investoren erregen (fin-land.net). Entsprechende Kontakte wollte unter anderm der finnische Unternehmer Peter Vesterbacka geknüpft haben. "Ich habe gehört, dass viele Menschen in Finnland sagen, dass sie das Gefühl haben, auf einer Insel zu leben. Aber es muss nicht so sein," so ließ sich auch der estnische Ministerpräsident Ratas zitieren (dw).
Allerdings gibt es wohl einen Unterschied zwischen allgemeinen Überlegungen von Politiker/innen und Beamt/innen, und manchmal geradezu ihm Stile von Marktschreiern vorgetragenen Ideen derjenigen, die gerne beim Geldeinsammeln für ein solches Projekt selbst viel Geld verdienen würden. So jemand ist zweifellos Vesterbacka, der sich selbst ausgezeichnet gut zu vermarkten versteht. Es gelang ihm erst kürzlich wieder, das Projekt erneut in die Schlagzeilen zu bringen - angeblich soll es nun konkrete Angebote der "Touchstone Capital Partners" aus China geben, so berichten estnische und finnische Medien (err / reuters)
Seit 2016 arbeitet Vesterbackas Beteiligungsunternehmen "FinEst Bay Area Development" an eigenen Plänen für ein Tunnelprojekt und beabsichtigt nach Informationen des Unternehmens in den nächsten Monaten die Einzelheiten einer Zusammenarbeit mit "Touchstone" auszuarbeiten. Bisher sei eine Finanzierung aus zwei Drittel Krediten und ein Drittel Risikokapital vorgesehen. Touchstone strebe dabei eine Beteiligung an dem Projekt an, die Mehrheit der Anteile würden aber in finnischem Besitz bleiben.
Finnen und Chinesen sorgen für das Wohl von Estland? Urmas Paet, Ex-Kultur- und Ex-Aussenminister und eigentlich der neoliberalen Seite zugeneigt, zur Zeit Abgeordneter im Europaparlament, rät zur Vorsicht mit chinesischen Investitionen in Europa (err). Tunnelexperten aus der Schweiz meinen zu wissen, die Chinesen wollten mit einem "Monsterbohrer" mit 17m Durchmesser in Estland anrücken (wo doch der Bohrer beim Bau des Gotthard-Tunnels nur Meter 9,5m Durchmesser hatte!) (blick) Und mit dem Aushub, der beim Tunnelbau übrig bleibt, könne angeblich eine neue Insel aufgeschüttet werden, die 50.000 Menschen Platz zum Wohnen biete. Der "Martime Herald" möchte gleich auch noch japanische oder chinesische Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Helsinki und Tallinn zum Einsatz bringen - einmal unter der Ostsee hindurch in nur 20 Minuten, allerdings pro Fahrt für 50 -100 Euro.
Zur Befeuerung der einen oder anderen Fantasie scheint das Thema jedenfalls gut zu taugen.Inzwischen ist aber bereits von 15 - 20 Milliarden Euro Kosten die Rede. Aber selbst wenn dieses Geld plötzlich von irgend einer Druckpresse hergestellt würde - eine Fertigstellung vor 2040 wird es wohl nicht geben. Schlagzeilen macht immer derjenige, der eine frühere Fertigstellung verspricht. "Warum sollen wir langsamer als die Chinesen fahren?" so die rhetorische Frage von Peter Vesterbacka (Huvudstadbladet). Kritischere Stimmen haben ausgerechnet, dass selbst nach Fertigstellung Finnland und Estland Unterhaltungskosten von jährlich 280 Millionen Euro tragen müssten - gerechnet auf einen Zeitraum von 40 Jahren. Da freut sich jede/r estnische Lokalpolitiker/in, der/die auch auf dem Lande mal eine Straße ausgebessert haben möchte.
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Donnerstag, März 07, 2019
E-Land im Winter zum D-Land
Vom e-Land zum d-Land - so könnte dieser Tage eine Schlagzeile lauten. Oder, etwas zynisch: alles, was in Estland nicht komlett digital laufen kann, schafft Probleme. Der anlässlich der Nordischen Skiweltmeisterschaften in Österreich bekannt gewordene Dopingskandal hat vor allem ein estnisches Gesicht.
Nun hat auch noch der 33-jährige estnische Ski-Langläufer Algo Kärp in einem Interview mit der Tageszeitung Ohtuleht gestanden, zu dem in Erfurt festgenommenen Sportarzt Mark S. Kontakt gehabt und mit dessen Hilfe Blutdoping betrieben zu haben (sportschau).
Kärp spricht von Reue - spricht aber gleichzeitig auch davon, seine Leistungen seien vor dem Doping besser gewesen als danach. "Ich war vorher nicht besser als 20. gewesen, und ich dachte so könnte ich unter die besten 10 kommen." Kann man so eine Reue ernst nehmen? Oder soll man es lieber zynisch kommentieren: "na, wenn der Rest der besten 20 eben auch gedopt ist, dann bringt es eben nichts!"
Es gibt auch Berichte über Nebenwirkungen des Dopings. Depressionen zum Beispiel. In diesem Zusammenhang wirkt es logisch: nicht in Form sein, mit Doping Leistungssteigerung erhoffen, diese nicht erreichen, und in Depressionen versinken.
"Zum Glück sind die anderen Doper die Esten, nicht die Letten", so ein Kommentar aus Österreich, "sonst wäre die Farbkombination unserer Flagge demnächst gleichgesetzt mit einer Doper-Flagge!" (Standard)
In den estnischen Medien gibt sich Mati Alaver, Skitrainer und Vorsitzender des estnischen Skiverbandes, zerknirscht:er selbst sei es gewesen, der den estnischen Sportlern den Kontakt zu dem Erfurter Arzt vermittelt habe. Nun spricht Alaver vom "größten Fehler meines Lebens" - nun ja. Estlands Präsidentin Kaljulaid sah sich bereits bemüßigt, Alaver alle bisher verliehenen Orden wieder zu entziehen (err).
Im Fokus ist das "Team Haanja", dem alle drei erwischten Sportbetrüger (Andreas Veerpalu, Algo Kärp, Karel Tammjärv) angehörten. Der estnische Baukonzern "Merko" soll bereits angekündigt haben, die Zusammenarbeit mit dem "Team Haanja" beenden zu wollen.(tt)
Leichter haben es da die Funktionäre: Urmas Sõõrumaa, Chef des Estnischen Olympischen Komitees, äußerte sich enttäuscht und schockiert über den Skandal (err). Sõõrumaa erklärte die estnischen Dopingkontrollen für ausreichend: "Sünder gibt es überall!"
Die estnische Presse beobachtete auch genau den Umgang der Ertappten Doper mit der Öffentlichkeit: während Karel Tammjärv sich noch in Österreich auf einer Pressekonferenz erklärte, waren Vater Andrus und Sohn Andreas Veerpalu erst mal einige Tage "verschwunden". Eine spätere Stellungnahme schickte dann Mama Angela Veerpalu den estnischen Medien. Diese liest sich so: "Ich wollte ja nicht abhauen, ich wollte nur zurück zu meiner Familie." (err) Dabei war die "Familie" - der Vater, 2013 selbst schon mal Objekt von Doping-Anklagen - ja die ganze Zeit selbst dabei.
Der bisherige Kulturminister Indrek Saar, ein Sozialdemokrat, äusserte Überlegungen, Doping in Estland gesetzlich zu einer Straftat zu erklären.Er wird allerdings voraussichtlich nach den Wahlen jetzt nicht Mitglied der Regierung bleiben.
In diesen Tagen beginnt in Schweden die Biathlon-WM. Auch die nicht auf den Skisport fixierte Magazine wie der "Kicker" haben nun offenbar den Tenor öffentlicher Generalverdächigungen aufgenommen und schon mal vorab Biathlonstar Martin Fourcade gefragt. Halten Sie Doping auch beim Biathlon für möglich? Darauf Fourcade: "Ich wäre nicht überrascht."
Es sollen ja bei dem jetzt angeklagten Erfurter Arzt noch ca. 40 weitere Blutbeutel gefunden worden sein, nur mit Codenamen versehen. Die Untersuchungskommission wird versuchen, diese mit vorhandenen Blutproben verschiedener Sportler zu vergleichen. Man darf gespannt sein, was in dieser Sache noch zu Tage gefördert wird.
Nun hat auch noch der 33-jährige estnische Ski-Langläufer Algo Kärp in einem Interview mit der Tageszeitung Ohtuleht gestanden, zu dem in Erfurt festgenommenen Sportarzt Mark S. Kontakt gehabt und mit dessen Hilfe Blutdoping betrieben zu haben (sportschau).
"Ich kann doch nichts dafür!" Den anderen Sportlern im estnischen "Team Haanja" - wie hier Marko Kilp, estnisches Meister im Skispint - bleibt im Moment nur ratlose Irritation |
Es gibt auch Berichte über Nebenwirkungen des Dopings. Depressionen zum Beispiel. In diesem Zusammenhang wirkt es logisch: nicht in Form sein, mit Doping Leistungssteigerung erhoffen, diese nicht erreichen, und in Depressionen versinken.
"Zum Glück sind die anderen Doper die Esten, nicht die Letten", so ein Kommentar aus Österreich, "sonst wäre die Farbkombination unserer Flagge demnächst gleichgesetzt mit einer Doper-Flagge!" (Standard)
noch am 3.Februar 2019 stolz auf Instagram gepostet: Andreas Veerpalu als estnischer Meister |
Im Fokus ist das "Team Haanja", dem alle drei erwischten Sportbetrüger (Andreas Veerpalu, Algo Kärp, Karel Tammjärv) angehörten. Der estnische Baukonzern "Merko" soll bereits angekündigt haben, die Zusammenarbeit mit dem "Team Haanja" beenden zu wollen.(tt)
Leichter haben es da die Funktionäre: Urmas Sõõrumaa, Chef des Estnischen Olympischen Komitees, äußerte sich enttäuscht und schockiert über den Skandal (err). Sõõrumaa erklärte die estnischen Dopingkontrollen für ausreichend: "Sünder gibt es überall!"
Die estnische Presse beobachtete auch genau den Umgang der Ertappten Doper mit der Öffentlichkeit: während Karel Tammjärv sich noch in Österreich auf einer Pressekonferenz erklärte, waren Vater Andrus und Sohn Andreas Veerpalu erst mal einige Tage "verschwunden". Eine spätere Stellungnahme schickte dann Mama Angela Veerpalu den estnischen Medien. Diese liest sich so: "Ich wollte ja nicht abhauen, ich wollte nur zurück zu meiner Familie." (err) Dabei war die "Familie" - der Vater, 2013 selbst schon mal Objekt von Doping-Anklagen - ja die ganze Zeit selbst dabei.
Der bisherige Kulturminister Indrek Saar, ein Sozialdemokrat, äusserte Überlegungen, Doping in Estland gesetzlich zu einer Straftat zu erklären.Er wird allerdings voraussichtlich nach den Wahlen jetzt nicht Mitglied der Regierung bleiben.
In diesen Tagen beginnt in Schweden die Biathlon-WM. Auch die nicht auf den Skisport fixierte Magazine wie der "Kicker" haben nun offenbar den Tenor öffentlicher Generalverdächigungen aufgenommen und schon mal vorab Biathlonstar Martin Fourcade gefragt. Halten Sie Doping auch beim Biathlon für möglich? Darauf Fourcade: "Ich wäre nicht überrascht."
Es sollen ja bei dem jetzt angeklagten Erfurter Arzt noch ca. 40 weitere Blutbeutel gefunden worden sein, nur mit Codenamen versehen. Die Untersuchungskommission wird versuchen, diese mit vorhandenen Blutproben verschiedener Sportler zu vergleichen. Man darf gespannt sein, was in dieser Sache noch zu Tage gefördert wird.
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Montag, März 04, 2019
Reform vorn, Koaliton unklar
Die vorläufigen amtlichen Endergebnisse der Parlamentswahlen in Estland ergeben folgendes Bild:
REFORMPARTEI 28,8% - 34 Mandate (+4)
ZENTRUM 23,0% - 26 Mandate (-1)
Rechtskonservative EKRE 17,8% - 19 Mandate (+12)
ISAMAA 11,4% - 12 Mandate (-2)
Sozialdemokraten SDE 9,8% - 10 Mandate (-5)
EESTI200 4,5%
GRÜNE (Rohelised) 1,8%
Estnische Freie Partei (Vabaerakond) 1,2% - 0 Mandate (-8)
Biodiversitätspartei (Elurikkus) 1,2%
Nach Angaben des estnischen Wahlamtes waren 883.075 Estinnen und Esten als wahlberechtigt in den Listen verzeichnet. 64.2% haben sich beteiligt, das entspricht genau 566.670 Personen.
Da die elektronisch abgegebenen Stimmen (E-Votes) getrennt gezählt wurden, wurde auch hier das Kräfteverhältnis klar: 40% stimmten hier für die Reformpartei. Mit weitem Abstand folgenden drei weitere Parteien: die rechtskonservative EKRE mit 13,5%, das Zentrum mit 11,7% und die Sozialdemokraten SDE mit 11,4%.
Elektronisch überspringt hier auch die neu gegründete "Estland200" mit 5,5% noch die Hürde um ins Parlament zu kommen.
2015 hatte es bei den E-Votes krasse Unterschiede vor allem bei der Zentrumspartei gegeben: nur 7.7% Stimmen elektronisch, aber insgesamt 24.8%.
Zusammen genommen stieg die Zahl der Internet-Wähler/innen auf eine neue Rekordzahl: 247.232 Personen nutzen diese Möglichkeit. Rechnet man noch die Zahl (nach traditioneller Methode) Vorab-Wählenden dazu (99.163), dann hatten 39,3% aller Wahlberechtigten (346.395) bereits vor dem eigentlichen Wahltag ihre Wahl getroffen.
Damit fiel der Vorsprung der Reformpartei vor der Zentrumspartei klarer aus als von manchen Beobachtern vorher angenommen (so auch der Tagesschau). Nun wird Parteichefin Kaja Kallas für die Reformpartei die Fäden für eine Regierungsbildung in die Hand bekommen. Zwei Optionen dafür scheint es zu geben: entweder zusammen mit der Zentrumspartei (60 Sitze), oder mit Isaamaa und Sozialdemokraten (56 Sitze). Kaja Kallas, Tochter des Ex-EU-Kommissars Siim Kallas, erreichte mit 19793 persönlichen Stimmen auch das beste Einzelergebnis (Ratas nur 9263).
Mit der rechtskonservativen EKRE, die in etwa das vorher erwartete gute Ergebnis erreichte und auf Platz 3 landete, will niemand der anderen Parlamentsparteien koalieren. Zwar brachte Parteichef Helme am Wahlabend eine mögliche Koalition mit Zentrum und Isaamaa ins Spiel, aber das war wohl nicht mehr als ein Versuchsballon.
Die neu gegründete "Eesti200" scheiterte an der 5%-Hürde - es fehlten knapp 3000 Stimmen.
Ein lustiges - fast Estland-typisches Ereignis im Wahlkampf: Mitgliedern der Jugendorganisation der Reformpartei gelang es, den bisherigen Regierungschef Ratas während einer Fernsehdiskussion fast aus der Fassung zu bringen: sie riefen ihn einfach ständig auf dem Handy an, und so wurde Ratas ein wenig das Opfer des ständigen Erreichbarkeitsbestrebens - mindestens 12x soll das Handy des Premiers während der Fernsehdebatte geklingelt haben. Kristo Enn Vaga, Chef der Jugend-Reformer, erläuterte dazu, man habe verhindern wollen dass Ratas, wie sonst häufig, sich während der Diskussionen Hilfe aus dem Internet hole (err).
Infos Estnisches Wahlamt
REFORMPARTEI 28,8% - 34 Mandate (+4)
ZENTRUM 23,0% - 26 Mandate (-1)
Rechtskonservative EKRE 17,8% - 19 Mandate (+12)
ISAMAA 11,4% - 12 Mandate (-2)
Sozialdemokraten SDE 9,8% - 10 Mandate (-5)
EESTI200 4,5%
GRÜNE (Rohelised) 1,8%
Estnische Freie Partei (Vabaerakond) 1,2% - 0 Mandate (-8)
Biodiversitätspartei (Elurikkus) 1,2%
Kaja Kallas |
Da die elektronisch abgegebenen Stimmen (E-Votes) getrennt gezählt wurden, wurde auch hier das Kräfteverhältnis klar: 40% stimmten hier für die Reformpartei. Mit weitem Abstand folgenden drei weitere Parteien: die rechtskonservative EKRE mit 13,5%, das Zentrum mit 11,7% und die Sozialdemokraten SDE mit 11,4%.
Elektronisch überspringt hier auch die neu gegründete "Estland200" mit 5,5% noch die Hürde um ins Parlament zu kommen.
2015 hatte es bei den E-Votes krasse Unterschiede vor allem bei der Zentrumspartei gegeben: nur 7.7% Stimmen elektronisch, aber insgesamt 24.8%.
Zusammen genommen stieg die Zahl der Internet-Wähler/innen auf eine neue Rekordzahl: 247.232 Personen nutzen diese Möglichkeit. Rechnet man noch die Zahl (nach traditioneller Methode) Vorab-Wählenden dazu (99.163), dann hatten 39,3% aller Wahlberechtigten (346.395) bereits vor dem eigentlichen Wahltag ihre Wahl getroffen.
Damit fiel der Vorsprung der Reformpartei vor der Zentrumspartei klarer aus als von manchen Beobachtern vorher angenommen (so auch der Tagesschau). Nun wird Parteichefin Kaja Kallas für die Reformpartei die Fäden für eine Regierungsbildung in die Hand bekommen. Zwei Optionen dafür scheint es zu geben: entweder zusammen mit der Zentrumspartei (60 Sitze), oder mit Isaamaa und Sozialdemokraten (56 Sitze). Kaja Kallas, Tochter des Ex-EU-Kommissars Siim Kallas, erreichte mit 19793 persönlichen Stimmen auch das beste Einzelergebnis (Ratas nur 9263).
Mit der rechtskonservativen EKRE, die in etwa das vorher erwartete gute Ergebnis erreichte und auf Platz 3 landete, will niemand der anderen Parlamentsparteien koalieren. Zwar brachte Parteichef Helme am Wahlabend eine mögliche Koalition mit Zentrum und Isaamaa ins Spiel, aber das war wohl nicht mehr als ein Versuchsballon.
Estlands neue politische Landkarte: Gebiete wo das Zentrum vorn liegt (grün), Gebiete mit der Reformpartei als führende Kraft (gelb), und Bezirke wo sogar die EKRE auf Platz 1 landete (schwarz) |
Ein lustiges - fast Estland-typisches Ereignis im Wahlkampf: Mitgliedern der Jugendorganisation der Reformpartei gelang es, den bisherigen Regierungschef Ratas während einer Fernsehdiskussion fast aus der Fassung zu bringen: sie riefen ihn einfach ständig auf dem Handy an, und so wurde Ratas ein wenig das Opfer des ständigen Erreichbarkeitsbestrebens - mindestens 12x soll das Handy des Premiers während der Fernsehdebatte geklingelt haben. Kristo Enn Vaga, Chef der Jugend-Reformer, erläuterte dazu, man habe verhindern wollen dass Ratas, wie sonst häufig, sich während der Diskussionen Hilfe aus dem Internet hole (err).
Infos Estnisches Wahlamt
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