Montag, März 11, 2019

Tunnelchinesisch

Schon häufig wurden Varianten eines möglichen Tunnelbaus zwischen Tallinn und Helsinki diskutiert - bereits die bestehenden intensiven Beziehungen zwischen den beiden Hauptstädten ließen manche von "Talsinki" reden. Der Begriff soll auf ein Essay des Schriftstellers Jaan Kaplinski aus dem Jahr 1992 zurückgehen. 1994 soll es die ersten Gespräche über ein Tunnelprojekt gegeben haben, 2008 wurde zwischen den beiden Stadtoberhäuptern eine Absichtserklärung zum Bau eines unterirdischen Eisenbahntunnels unterzeichnet (Baltic Times). Eine Machbarkeitsstudie wurde in Auftrag gegeben, aufgrund deren Ergebnisse die EU eine Mitfinanzierung 2009 ablehnte.
eine finnische Variante der Tunnelträume
Dennoch hielten manche estnischen Politiker einen Tunnelbau lange für wichtiger als den Bahnausbau des RAIL-BALTICA-Projekts.

Gern wird das Projekt mit dem 1994 eröffneten Tunnel zwischen Frankreich und Großbritannien verglichen, das bei einer Bauzeit von sechs Jahren mehr als 15 Milliarden Euro kostete. Erst 20 Jahre nach seiner Fertigstellung erwirtschaftete der Eurotunnel erste Gewinne - also ein absehbar jahrelang teures Ingenieursvergnügen. Ein Tunnel zwischen Helsinki und Tallinn würde 60 - 80 km lang sein müssen.
auch ein eigenes Wappen haben
findige Finnen bereits erschaffen
"Ein Tunnel würde alle wirtschaftlichen Probleme lösen," so ließ sich 2013 der Finne Joakim Helenius zitieren, der als möglicher Inmvestor angesehen wurde (err). Der einige Jahre für Verkehrsfragen zuständige EU-Kommissar Siim Kallas hielt ein Tunnelprojekt allerdings immer für unrentabel (err). 2014 kam der Name "Talsinkifix" für das Projekt auf, oder auch "FinEst Link". Inzwischen wurden schon 9 Milliarden Euro als Baukosten genannt (yle). Ein Stück Land wurde auf der Halbinsel Viimsi bereits dafür auserkoren eventueller Tunneleingang zu werden, es gab einen Ideenwettbewerb für Architekten, und in E-Estonia hat das Projekt natürlich auch inzwischen bereits eine eigene Webseite (siehe auch: Talsinki.info)

2017 kamen Vermutungen auf, das Tunnelprojekt könnte das Interesse chinesischer Investoren erregen (fin-land.net). Entsprechende Kontakte wollte unter anderm der finnische Unternehmer Peter Vesterbacka geknüpft haben. "Ich habe gehört, dass viele Menschen in Finnland sagen, dass sie das Gefühl haben, auf einer Insel zu leben. Aber es muss nicht so sein," so ließ sich auch der estnische Ministerpräsident Ratas zitieren (dw).

Allerdings gibt es wohl einen Unterschied zwischen allgemeinen Überlegungen von Politiker/innen und Beamt/innen, und manchmal geradezu ihm Stile von Marktschreiern vorgetragenen Ideen derjenigen, die gerne beim Geldeinsammeln für ein solches Projekt selbst viel Geld verdienen würden. So jemand ist zweifellos Vesterbacka, der sich selbst ausgezeichnet gut zu vermarkten versteht. Es gelang ihm erst kürzlich wieder, das Projekt erneut in die Schlagzeilen zu bringen - angeblich soll es nun konkrete Angebote der "Touchstone Capital Partners" aus China geben, so berichten estnische und finnische Medien (err / reuters)
Seit 2016 arbeitet Vesterbackas Beteiligungsunternehmen "FinEst Bay Area Development" an eigenen Plänen für ein Tunnelprojekt und beabsichtigt nach Informationen des Unternehmens in den nächsten Monaten die Einzelheiten einer Zusammenarbeit mit "Touchstone" auszuarbeiten. Bisher sei eine Finanzierung aus zwei Drittel Krediten und ein Drittel Risikokapital vorgesehen. Touchstone strebe dabei eine Beteiligung an dem Projekt an, die Mehrheit der Anteile würden aber in finnischem Besitz bleiben.

Finnen und Chinesen sorgen für das Wohl von Estland? Urmas Paet, Ex-Kultur- und Ex-Aussenminister und eigentlich der neoliberalen Seite zugeneigt, zur Zeit Abgeordneter im Europaparlament, rät zur Vorsicht mit chinesischen Investitionen in Europa (err). Tunnelexperten aus der Schweiz meinen zu wissen, die Chinesen wollten mit einem "Monsterbohrer" mit 17m Durchmesser in Estland anrücken (wo doch der Bohrer beim Bau des Gotthard-Tunnels nur Meter 9,5m Durchmesser hatte!) (blick) Und mit dem Aushub, der beim Tunnelbau übrig bleibt, könne angeblich eine neue Insel aufgeschüttet werden, die 50.000 Menschen Platz zum Wohnen biete. Der "Martime Herald" möchte gleich auch noch japanische oder chinesische Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Helsinki und Tallinn zum Einsatz bringen - einmal unter der Ostsee hindurch in nur 20 Minuten, allerdings pro Fahrt für 50 -100 Euro.

Zur Befeuerung der einen oder anderen Fantasie scheint das Thema jedenfalls gut zu taugen.Inzwischen ist aber bereits von 15 - 20 Milliarden Euro Kosten die Rede. Aber selbst wenn dieses Geld plötzlich von irgend einer Druckpresse hergestellt würde - eine Fertigstellung vor 2040 wird es wohl nicht geben. Schlagzeilen macht immer derjenige, der eine frühere Fertigstellung verspricht. "Warum sollen wir langsamer als die Chinesen fahren?" so die rhetorische Frage von Peter Vesterbacka (Huvudstadbladet). Kritischere Stimmen haben ausgerechnet, dass selbst nach Fertigstellung Finnland und Estland Unterhaltungskosten von jährlich 280 Millionen Euro tragen müssten - gerechnet auf einen Zeitraum von 40 Jahren. Da freut sich jede/r estnische Lokalpolitiker/in, der/die auch auf dem Lande mal eine Straße ausgebessert haben möchte.

1 Kommentar:

  1. Ein Tunnel ist sinnlos. Als Teil der neuen Seidenstrasse taugt er nicht, denn es gibt schon eine gute Eisenbahnverbindung zwischen St.Petersburg und Helsinki, da werden die Waren darüber transportiert. Als Verlängerung der Rail Baltica macht es eventuell Sinn, aber da muss zuerst Rail Baltica ihre Rentabilität beweisen. Aus meiner Sicht wäre es für Finnland viel sinnvoller ein Tunnel nach Stockholm zu bauen, so dass der Weg über Dänemark kürzer wäre. Die Beteiligung von Chinesen sehe ich kritisch, Montenegro soll hier als warnendes Beispiel dienen, die mit der Finanzierung eines von chinesischen Banken bezahlten Autobahn komplett überfordert sind.

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