Für manche sieht das Erscheinungsbild Estlands im Ausland - das sogenannte "Image" - immer noch ähnlich aus wie es 2011 der "Spiegel" beschrieb: Wirtschaftsfreundlich, komplett digital organisiert, transparente Verwaltungsstrukturen, Tallinn als "Mittelalter-Wunderland" für Touristen. Das Handelsblatt meint gar, im Vergleich zu Deutschland, "Länder wie Estland liegen weit vor uns." Endlich wird Tallinn nicht mehr mit irgend einem Ort auf Island verwechselt (Trump: "Kann ich das kaufen?"), aber Estlands Präsidentin äußerte nun schon mehrfach deutliche Ungeduld.
Vielleicht war also die Aufnahme Estlands als nichtständiges Mitglied im UN Sicherheitsrat (DW) der vorläufig letzte estnische Erfolg, basierend auf einem mühsam aufgebauten guten Image. Aktuell heute, zum 23. August 2019, möchten sich offenbar auch Regierungskritiker in Hongkong einem vermeintlichen "guten Beispiel" anschließen:in Gedenken an den "Baltischen Weg" sollten die heutigen Protestaktionen als "Honkonger Weg" veranstaltet werden.
Da gibt es ja noch einen anderen Spruch; im Deutschen beginnt er mit "ist der Ruf erst ruiniert ..." Petar Kehayov, ein Bulgare, geht in einem Blogbeitrag den möglichen Gründen für die unterschiedliche Sichtweise auf Estland - in diesem Fall im Vergleich mit Bulgarien - nach. "Mit 21 kam ich zum Studium nach Estland und lebte dort 16 Jahre, bevor meine Frau – eine Estin – und ich vor ein paar Jahren nach Deutschland zogen", schreibt er. "Immer wieder erstaunt es mich, wie schlecht Bulgarien von hier aus aussieht und wie positiv Estland."
Zumindest Kersti Kaljulaid hat nun offenbar die Geduld verloren mit denen, die ihrer Ansicht nach den guten Ruf Estlands mutwillig zerstören. Im Fokus ihrer Kritik stand in der vergangenen Woche der estnische Innenminister Mart Helme. Dessen Versuch, den Chef der estnischen Polizei- und Grenztruppen, Elmar Vaher, aus dem Amt zu drängen, verurteilt die Präsidentin öffentlich: "solches Verhalten stellt die Gültigkeit estnischer Gesetzgebung in Frage," meint Kaljulaid (ERR).
"Eher sollte Frau Präsidentin sebst zurücktreten!" giftete Martin Helme, seines Zeichens Innenministers Sohn und selbst Finanzminister, im perfekten "Bäumchen-wechsel-dich"-Spiel zurück (ERR). "Sinnloser Hysterie" seien die präsidialen Äußerungen seiner Meinung nach zuzurechnen. Papa Helme traf sich aber daraufhin mit Vaher, und erklärte die "Meinungsverschiedenheiten" für beigelegt. Ministerpräsident Ratas schloss sich an (ERR).
Also alles nur ein "Sturm im estnischen Wasserglas"? Auf die Medien jedenfalls scheint der Streit schon jetzt verwirrend zu wirken: Leser/innen des "Handelblatt" und Hörer/innen der "Deutschen Welle" etwa können sicher nur schwer erkennen, wen nun Präsident Kaljulaid mit ihrer Kritik meinte: Innenminister Helme (Vater) oder Finanzminister Helme (Sohn). Im Zweifel beide. Da bleibt vorläufig nur Ironie: Egal, Helme oder was - Hauptsache Island!
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