Auch Gorbatschow schränkte 1986 den Alkoholverkauf ein, und es war wieder die Rede davon, dass eine alkoholfreie Hochzeitsfeier ja eigentlich gar keine Feier sei.
Auch in Estland ist die Steuer auf Alkoholisches wie immer eine Fragen entweder des Schutzes vor zuviel Alkoholismus, oder der staatlichen Einnahmen.Nach Einführung des erhöhten Steuersatzes sollen die Staatseinnahmen um 80 Mio. € zurückgegangen sein (NZZ). Die geringeren Einnahmen bedeuteten allerdings nicht automatisch auch geringeren Konsum: nun wurde es populär, kurz über die lettische Grenze einkaufen zu fahren (Blogbeitrag). Dagegen ging der Strom der Alkoholtouristen aus Richtung Helsinki stark zurück - noch im Jahr 2014 "stammte 1/3 des Alkohols in Finnland aus Estland", behauptete "Nordisch.info". Und auch die Finnen fuhren nun einfach ein paar km weiter bis über die Grenze nach Lettland, wenn sie auf der Suche nach billigem Alkohol waren.
Nun also wird der Alkohol in Estland wieder billiger. Ein Schritt, den auch die oppositonelle Reformpartei mit unterstützt. Der Gesetzesvorschlag, ab dem 1. Juli 2019 den Steuersatz auf Bier, Schnaps und Cidre um 25% zu senken, wurde am 15. Juni vom estnischen Parlament (Riigikogu) mit großer Mehrheit verabschiedet (err).
Kritik kommt u.a. von kirchlicher Seite. "Aus christlicher Perspektive sollte eher das Prinzip liebe deinen Nächsten Priorität haben," meint Urmas Viilma, Erzbischof der Estnischen Evangelisch-Lutherischen Kirche (
Eine kürzlich veröffentlichte Studie des estnischen Instituts für Wirtschaftsforschung (KI) hatte einen 10-Jahres-Tiefststand des Alkoholkonsums in Estland ergeben - gegenwärtig 10,1 Liter (pro Erwachsene Person im Jahr 2018). In einer Studie der Welt-Gesundheitsorganisation wird die These vertreten, ein Angeben des Preises auf Alkohol um 1% würde den Alkoholkonsum um 0,5% senken. Ob eine solche Rechnung auch beim 25fachen in die gegensätzliche Richtung aufgeht, wird die Zukunft zeigen müssen.
In derselben Studie ist ein Rückblick auf die finnische Steuersenkung auf Alkohol um 33% nachzulesen - das geschah 2004 weil Estland der EU beigetreten war.Daraufhin lag der Alkoholkonsum in Finnland 2005 um 12% höher - und der private Import von alkoholischen Getränken verdoppelte sich trotzdem (machte 17% des gesamten Alkoholverbrauchs aus). Die Steuereinnahmen auf Alkohol gingen 2005 in Finnland im Vergleich zu 2003 dennoch um 29% zurück. 2008 und 2009 wurde hob die finnische Regierung dann den Steuersatz sogar mehrfach wieder an - mit dem Ergebnis, dass die Steuereinnahmen um 27% anstiegen (2010, verglichen mit 2007), der Konsum aber nur um 7% zurückging. Die WHO nennt das "die Asymetrie der Elastizität".
Zuletzt noch eine Stellungnahme der AHK (Auslands-Handelskammer) zum Thema. "Die Bewohner der baltischen Staaten geben europaweit den größten Anteil des Haushaltseinkommens für alkoholische Getränke aus", heißt es hier in einer Pressemeldung unter Berufung auf Zahlen von "Eurostat": "in Estland sind es 5,2 Prozent, in Lettland 4,9 Prozent und in Litauen 4,0 Prozent." In Deutschland liegt der Anteil nur bei 1,4% - na, mal gut, dass die Deutschen nicht direkt neben den Est/innen wohnen., oder?
Es ist nicht ganz klar, ob bei 10,1 Liter / Kopf der lettische Alkohol auch enthalten ist. Wird nur der Verkauf in den estnischen Läden gemessen, oder werden die Verbraucher gefragt?
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