Montag, Juni 17, 2013

Hanse in Herford: die Zukunft sei Wirtschaft

Gut vorbereitet zum Hansetag:
Sprachenkundige Souvenirverkäufer
Treffen der Hansestädte. Da sind Tallinn, Pärnu, Narwa, Tartu und Viljandi dabei - ebenso wie Riga, Danzig, oder in Deutschland Stralsund, Wismar oder Rostock. Ach, und nicht zu vergessen auch Lübeck - denn der "Städtebund Die Hanse" - wie sich die neue Vereinigung nennt, deren gemeinsame Hansetage zunächst in den 1980er Jahren in den Niederlanden, Deutschland und Schweden, danach auch wieder rund um die Ostsee stattfinden, hat sich eine Satzung gegeben der zufolge Lübeck immer den Präsidenten stellt. Wenigstens über diese neue Hanse darf Lübeck präsidieren, wo die Stadt doch sonst manches der früheren Bedeutung verloren ging. So aber darf Bernd Saxe, als gebürtiger Westfale in Lübeck exakt genau so lange im Bürgermeisteramt wie die Bestimmung des Hansebunds zur automatischen Präsidentschaft Lübecks gilt, Jahr für Jahr Hansetage eröffnen. Diesmal also in Herford.

Nicht wundern, wen solche Menschen
im Stadtbild überraschen sollten:
es ist Hansetag.
Lübeck voran! 
Einer von vier Stellvertretern Saxes, die sich einer Wahl durch die Versammlung der Städtedelegierten stellen müssen, ist Manfred Schürkamp, seines Zeichens Stadtkämmerer und Genußmensch, beim Hansetag offenbar unverzichtbarer als der Herforder Bürgermeister. Zusammen mit Marion Köhn als Vertreterin der Wirtschaftsförderung Herford wurde die Herforder Seite nicht müde, zwei Dinge zu betonen: erstens habe "der Herforder" sich inzwischen gut mit der Idee der Hanse vertraut gemacht, zweitens sei man gerade dabei endlich auch die Wirtschaft einzubeziehen. Gut, was das Erste betrifft, in der Herforder Lokalpresse war nachzulesen dass die Stadt die Ortseingangsschilder nun umgerüstet hat: ab sofort heißt es nun: "Hansestadt Herford"! Weniger willkommen war der einheimischen Wirtschaft die deutliche Erhöhung der Standgebühren an diesen Tagen: traditionell wurde gleichzeitig das "Hoeker-Fest" und parallel auch noch ein "Weindorf" angeboten. Die Hansetage - durchaus das Herforder Highlight des Jahres also.

Drei Hansebund-Präsidiumsmitglieder:
Bernd Saxe (links), Manfred Schürkamp (rechts)
mit Inger Harlevi von der Traditionsstadt Visby
auf Gotland
Allein gestellt?
Ob bei den vorangegangenen 32.Hansetagen sich die Wirtschaft tatsächlich irgendwie vernachlässigt vorgekommen ist - mir als Besucher erschließt sich das nur aus Sicht der Herforder Wirtschaftsförderung. Noch letztes Jahr in Lüneburg kann ich mich erinnern, dass es bei einem rundrum gelungenen Festival der Hansekulturen auch riesige Sponsorenflaggen gab, deren Größe die Kennzeichnung der Wegzeichen und des Bühnenprogramms weit überragte. Als erstes hoffe ich also - egal was die Herforder Wirtschaft, die offensichtlich eine "Inspiration" gut gebrauchen kann sich erhofft - dass die Hansetage der Zukunft nicht völlig von Verkaufszwang und Konsumrausch überrollt werden. Und in Kenntnis der vielen Netzwerke rund um die Ostsee, von denen viele bezogen auf die Wirtschaft sind (von den Außenhandels-Handelskammern über das "Baltic Sea Forum" und das "Baltic Development Forum" bis sogar zum "Hanseparlament" - um nur die größten zu nennen) klingt die Antwort auf die Frage, warum gerade in Herford noch etwas völlig neues - nach eigenen Worten ohne vorherige Analyse der bereits bestehenden Netzwerke - gegründet werden muss, etwas dürftig. Von einem "Alleinstellungsmerkmal" war die Rede (klingt englisch abgekürzt noch bedeutungsvoller: USP). Nach einer gewissen Anlaufzeit, wo sich manche in der neuen "Wirtschaftshanse" vielleicht noch mehr Kontakte und zusätzliche Finanzmittel versprechen wird sich zeigen müssen, wer am Ende allein gestellt stehen bleibt.

Aitäh, Estland!
Mir gefällt an Hansetagen vor allem die kulturelle Vielfalt. Es dürfen auch fremde Sprachen, Speisefolgen und ungewohnte Ideen des Miteinanders sein! Auch die hätte ja bessere Förderung nötig! Und wieder einmal überrascht, wie stark Estland präsent ist. Fragt in Tallinn, Tartu, Pärnu oder Viljandi denn niemand, warum Geld für reisende Künstler, Kunsthandwerker und Touristikfachkräfte ausgegeben werden muss um in Herford ("Kuhu te peate kogunema?") dabei zu sein? Estland präsentierte sich frisch, frech, bunt und vielseitig.
Altes und Neues als Hansetags-Mischung:
so präsentierte sich Herford optisch 
Ein Vergleich mit den lettischen Nachbarn bietet sich ja immer an. Die hatten vielleicht dieses Jahr zwei Handicaps: das große lettische Sängerfest steht Anfang Juli direkt bevor (wer kann sich da Extra-Reisen leisten?), und es wird in ein paar Wochen auch noch ein Deutsch-Lettisches Partnerschaftstreffen geben (in Melle bei Osnabrück). Aber auch das Motto der Aktivitäten war unterschiedlich: traten die Letten bewußt mit "Labi, ka reiz bija ta" (Gut wie es einst war) als ins Bild gesetzte Vergangenheit auf (Volkslieder und Tanz, wie inzwischen allen Lettland-Besuchern bekannt), so mischen die Esten ihre Traditionen neu auf. Da wird zwar handwerklich gefilzt, geschmiedet und gebacken, doch was präsentiert wird darf auch nach "neu" aussehen schmecken. Der Eindruck liegt nahe: Estland, ein Land für moderne Trends und junge Leute.

Mit etwas Glück bekam man es
in Herford zu Trinken:
spezielles Hansetags-Wasser
Offen und spontan: auch das ist Hansetag!
Auch musikalisch wich der estnische Beitrag der Band "PAABEL" durchaus etwas ab vom sonst oft verwendeten Hanse-Motiv der Shantychöre und Volkstänze: hier werden Jazz, beliebte Melodien, E-Gitarre, Saxophon, Dudelsack und Mundorgel gespielt, und da passt es hinein, wenn der Schlagzeuger oder der Gitarrist mal sein kreatives Solo auf ein paar Minuten ausdehnt. Hier zeigt sich auch ein Vorteil von Herford, den Lüneburg (gezwungenermaßen) nicht hatte: Lüneburg hat so viele Denkmalschutzbestimmungen, dass strenge Vorschriften für den Bühnenaufbau und die Aufführungen und Präsentationen gelten mussten. In Herford war das offensichtlich anders: so konnte auch PAABEL nach dem offiziellen Auftritt schnell noch einen "inoffiziellen" Nachschlag ankündigen und die eigene Anlage in der Nähe des Viljandi-Standes auf einer Freifläche aufbauen. Ein Auftritt mitten im Publikum! Was kann sich ein Musiker besseres wünschen, als umgeben zu sein von begeisterten, mittanzenden und laut Beifall klatschenden Menschen!
Mitreissende Auftritte unterm Hanselogo:
PAABEL aus Estland
Das bleibt als Frage durchaus an die Organisatoren des Hansetags-Bühnenprogramms stehen: der Gegensatz zwischen den Interessen der auf "das gewohnte Wochenend-Verhalten" beharrenden Einheimischen und den "Kultur- und Länderfans" (so wie ich), die sich durchaus nicht einfach beim Bier oder Kaffee und Kuchen von "irgendwas" berieseln lassen wollen. Jedes Jahr muss es ein sogenanntes "musikalisches Highlight" sein - die Herforder Presse stellte also die Auftritte von Manfred Mann (den gibts auch noch!) und Roman Lob (den gibts immer noch!) heraus. Für die Steigerung der Besucherzahlen und des Getränkeumsatzes mags gut sein. Für den anderen Teil der Veranstaltung, der sich Hansetag nennt, und wo es auch neue Städte und Regionen zu entdecken galt, da ist es wichtig dass hier jedem gratis etwas Käse, Brot und Bier gereicht wird und alle sich zusammen wohlfühlen (kurzer Estnisch-Kurs inbegriffen!).
Außer den weißen Papierschiffchen waren
Infostände aus Pappe und diese
umgestalteten "Ruhezonen" ein Hinweis auf
eine gewollte Verknüpfung zur Recycling-Idee

"Ehrbar" in die Zukunft
Was bleibt also als Bilanz? Hansetage in Städten, bei denen nur wenige ihre Verbindung zur historischen oder neuen Hanse ahnen, werden wohl immer etwas anders verlaufen. Es gab Sprüche in den Herforder Presseerklärungen und in der Lokalpresse wie "Herford als Vorreiter für Europa und die Welt"! (siehe bsw. Westfalen-Blatt). Auch die Rede davon, dass in der neuen "Wirtschaftshanse" nun "ehrbare Kaufleute" sich zusammentun (Zitat aus dem sogenannten "Kodex": "Es gibt ein Wort für Handel, Vertrauen, Qualität und Zuverlässigkeit: Wirtschafts-HANSE"), wird andere, die bereits seit Jahren und Jahrzehnten im Ostseeraum vernetzt sind wohl eher Stirnrunzeln ins Gesicht treiben - konsequenterweise haben sich bei näherem Hinsehen neben der agilen Herforder Wirtschaftsförderung auch zunächst mal nur Städtevertreter aus eher "Ostsee-fernen" Ländern hier zusammengetan: England, Frankreich, die Niederlande und - Deutschland und Polen, von denen beide bekannt ist, dass sie den Ostseefragen eigentlich keine überregionale Bedeutung beimessen. Ob das mit dem Logo "ehrbarer Kaufmann" nun besser geht? Zu hoffen bleibt, dass am Ende nicht wieder - wie kürzlich in der Finanzkrise - die Wirtschaft vom Volk vor den eigenen großspurigen Ideen gerettet werden muss (Stichwort: Steuergelder für Bankenrettung).
Die bunte Kultur der Hansestädte wird hoffentlich erhalten bleiben: auch aus estnischer Sicht. Ebenso die Vielfalt an Sprachen und Kulturen, die gerade auf den bisherigen Hansetagen noch nicht gleichmäßig über den einen (kommerziellen) Kamm geschoren scheint. Ein Fest auch für Individualisten mit ausgefallenen Hobbys.

Mehr (auch ganz ehrbar Hörbares) zum Hansetag Herford gibt es in der Sendung der "Baltischen Stunde" am Dienstag den 2.Juli ab 19 Uhr bei Radioweser.tv (auch per Livestream).
2015 findet der Internationale Hansetag dann wieder in Estland statt: in Viljandi. Falls Sie Lübeck 2014 übersehen sollten: die Musiker/innen von PAABEL warten schon!

Infos: Hansetag Herford / Die Wirtschaftshanse / Einladung "Hanse-Business-Forum" / Städtebund "Die Hanse" / Hansestädte Tallinn, Narwa, Viljandi, Tartu, Pärnu

Eindrücke von den Hansetagen Herford in bewegten Bildern:

Film 1 (Lettland) / Film 2 (Lettland) / Film 3 (Lettland)
Film 4 - Film 5 - Film 6 - Film 7 (PAABEL in Konzert, Tanzgruppe "Vabajalg")

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen