Dienstag, September 10, 2013

Schuhe aus Tartu

"Schuster, bleib bei deinen Leisten!"
diesen Wahlspruch wird Sille Sikmann
sicher gern beherzigen, denn die
Leidenschaft fürs Schuhwerk ist
gerade erst frisch entdeckt
"Estnische Männer haben besondere Füße!" Diese Ansicht vertritt die Estin Sille Sikmann, und sie scheint einen besonderen Blick für diese Thematik zu haben. Als gelernte Designerin ging sie für ein Semester nach Helsinki. Aus einer Übungsaufgabe, Entwürfe für Schuhe zu machen, wurde ihre Passion: "Ich habe gemerkt: das ist meine Sache! Es fiel mir leicht - wo andere nur einen Entwurf hinbekommen haben, da hatte ich schon fünf fertig ..."

Nach einer weiteren Auslandserfahrung in Ungarn und einer Studie zum Markt für Männerschuhe wagte Sille den Schritt in die Selbständigkeit. Ihre Werkstatt ist in der Antoniusgilde in Tartu zu finden, und von hier aus knüpfen sich langsam "Schuhmacher-Kontakte" über ganz Estland und darüber hinaus. Manche Frauen äussern sich offenbar manchmal kritisch dazu, dass Sille sich ausschließlich Männerschuhen gewidmet hat - andererseits schien die Idee interessant genug, und so schaute auch das estnische Fernsehen schon zur Berichterstattung vorbei.
Teil des Scheckmann'schen
Designkonzepts:
Stoff und Leder kombiniert

Dabei gibt es viel Grundlegendes aus dem Schuhmacherhandwerk neu zu entdecken: alle bisherigen Aufträge waren Maßanfertigungen. Hölzerne Leisten (Sikmann: "wer noch alte Leisten zu Hause hat, kann sie gerne vorbeibringen!") sind hier noch genauso in Gebrauch wie Aufrauhbürste, Ahle und Absatzraspel. Das Leder stammt von verschiedenen Lieferanten in Europa.
Teil der Geschäftsidee ist auch der Firmenname: eigentlich habe der Name Sikmann deutschbaltische Ursprünge, erläutert Sille. "Meinem Vater habe ich mal versprochen, dass ich etwas Bleibendes aus diesem traditionsreichen Namen mache." So wurde dann "Scheckmann" die Trademark, und "schicke Schuhe von Scheckmann" hört sich ja auch auf Deutsch recht gut an.

Und wie entsteht ein Schuh? Sille zeigt es gern an den Beispielen von drei Kunden: drei Charaktäre, drei Wunschschuhe. Das Kundenspektrum reicht vom Künstler, der zur Vernissage gerne etwas Besonderes an den Füßen haben wollte bis zum Fahrradliebhaber, dessen Bezug zum Rad sich auch am Schuhwerk wiederspiegelt. "Manchmal dauert es auch monatelang, denn inzwischen habe ich Kunden in ganz Estland, und die haben nicht immer so schnell Zeit mal für eine Anprobe vorbeizuschauen," erzählt Sille.

Schuh hat Charakter - und soll Charakter zeigen
Gibt es in Estland eine Schuhmacher-Tradition? Immerhin heißt "Schuh" estnisch "King" - als ist nicht nur der Kunde, sondern schon der Schuh König? Der estnische Exportwegweiser weist drei Firmen des Schuhmachergewerbes auf: eine in Tartu, eine in Tallinn und eine im Bezirk Võru.
"Ja, ich hatte auch schon Angebote, für solche Firmen zu arbeiten", gibt auch Sille zu. Allerdings: so schöne Männerschuhe - wo hat man das schon gesehen?

"Erstmal macht es mir viel Spaß, dazuzulernen," sagt Sille zu den eigenen Perspektiven, "jedes Projekt ist wieder eine Herausforderung." Damit ist auch die Notwendigkeit gemeint, einen Teil der Arbeiten von Partnerfirmen ausführen lassen zu müssen. "Vielleicht finde ich ja noch jemand, der wie ich mit ähnlichem Ernst und Engagement an die Arbeit geht," meint Sille. "Zu zweit wäre manches leichter." Aber obwohl die Maßanfertigung von Schuhen ja keine ganz billige Sache sein kann - vorerst gibt es genug Interessenten. "Bis Ende des Jahres bin ich ausgelastet," freut sich Sille - und wendet sich wieder der Arbeit zu: dem scheckmannschen Männerschuhwerk.

Antonius-Gilde / Antoniuse Õu Tartu

Scheckmann-Schuhe

Werkstatt-Video

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