"Typisch russische Pressemitteilung" - ja, dass die NOVOSTI ihren deutschsprachigen Dienst seit Anfang 2005 erheblich erweitert hat, habe ich auch schon gemerkt.
Diese Meldungen sind wohl eher mit dem Begriff "Propaganda" zu kennzeichnen. Schon in ihrer beliebigen Mischung von Nachricht und Kommentar sind sie charakteristisch (aber sowas wollen Ideologen wohl lesen - pure Info, ohne ideologische Leitschnur, das geht eben nicht!).
Übrigens hat NOVOSTI, nach einer ersten Meldung zu den russisch-finnischen Gesprächen, dann mit einer Meldung über die OSZE nachgelegt. NOVOSTI scheint nahezu gegründet nur dazu, um der Vielfalt der westlischen Pressemeldungen mal etwas "russisch Gefärbtes" entgegenzusetzen. Da ist es dann oft erstaunlich, wie unterschiedlich der Eindruck sein kann, wenn man mit einfachen Bürgern Russlands spricht. Mit Meínungsvielfalt hat NOVOSTI nichts zu schaffen - obwohl auf der dazugehörigen Internetseite auch eine Möglichkeit eingebaut ist, ein Leserfeedback an die Redaktion zu schreiben. Aber angesichts des durchweg demagogischen und teilweise nationalistischen Tonfalls der Meldungen ist dies vielleicht nur als Rückversicherung und Kontrolle gedacht, ob die Meldungen tatsächlich jemand liest? Ohne jemand zu ärgern, lohnt sich ja der Aufwand nicht :-) Und angesichts dessen, was die baltischen Staaten in letzter Zeit geschafft haben - nämlich beständig, dauerhaft und auf vielen höheren diplomatischen Ebenen immer wieder an die Tatsache der Okkupation ihrer Länder hinzuweisen, ist für eine Großmacht wie Russland eben Grund genug, im Tonfall immer "bissíger" zu werden.
Ein weiteres Beispiel ist die Meldung von NOVOSTI vom 3.August 2005 (Zitate daraus im Folgenden gekennzeichnet) zur Lage in der OSZE. Diese beginnt mit dem erstaunlichen Satz:
"Die Staatschefs der Sowjetunion, der USA und Kanadas sowie von 32 europäischen Staaten haben am 1. August 1975 ihre Unterschriften unter die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) gesetzt."
Ja genau! Möchte man da direkt ausrufen, deshalb haben sich ja die Menschen in den zwangsweise sowjetisierten Ländern besser wehren können, und schließlich mit vielen Mühen die Unabhängigkeit wieder erlangt. Doch NOVOSTI übergeht dieses Kapitel, und schlägt ein anderes auf:
"Das neue Russland hat im Laufe der 90er Jahre beharrlich versucht, die OSZE zur Grundlage für das europäische politische System zu machen."
Das neue Russland? Beharrlich? Sind nicht fast alle demokratischen Ansätze in Russland unter Putin wieder zurückgenommen worden? Stört sich denn Russland an internationale Vereinbarungen, wenn es mal darauf ankommt? (siehe die Weigerung, die Ostsee zu schützen, und die Ölbohrung vor Kalningrad zu unterlassen!)
NOVOSTI strickt weiter an Legenden. Aber es wird auch mit berechtigten Befürchtigungen gearbeitet, die bei all denen vorhanden sein mögen, die nicht an die Allmacht der Großmächte und deren "Führer" glauben.
"Tatsächlich, die Organisation fing an, sich mit jedem Jahr weiter von ihren Zielen zu entfernen und sich immer mehr in ein Instrument zur Bedienung der Interessen nur einer kleinen Gruppe ihrer Mitglieder oder sogar einzelner Staaten zu verwandeln." .... Dabei schrecken die Experten der Organisation nicht vor Doppelstandards zurück, wenn sie daran gehen, die Situation um die Menschenrechte, die Qualität einer Wahlkampagne oder das Maß an Freiheit in nationalen Massenmedien einzuschätzen. Geht es um die Wahlen in der Ukraine oder in Tschetschenien, so neigen OSZE-Beobachter dazu, alles schwarz zu malen. Sind es die Wahlen in Afghanistan, im Kosovo oder in Irak, wo Hunderttausenden Menschen das Recht auf Willensäußerung entzogen wurde, klatschen dieselben Beobachter 'dem Triumph der Demokratie' Beifall."
Soweit also ganz bedenkenswert. Aber sind die sozialistischen Ideologen auch die besseren Demokraten? Da sollte dann wohl doch das "kritische Bewußtsein" wach werden, auf das sich auch die Sozialisten so gerne berufen. Von Russland lernen? Ja, vielleicht. Ich kenne viele Russen, und da kann man manches lernen, zumal es gerade wegen dieser schwierigen Situation der Medien, die nicht neutral und offen berichten, nicht einfach ist, sich ein Urteil zu bilden (das ist es übrigens bei "westlichen" Medien auch nicht - nur haben wir da mehr Auswahl, und der Bürger selbst hat mehr Freiheiten).
Aber nun kommt NOVOSTI zum Kern der Aussage. Warum die ganze Mühe, die OSZE zu verunglimpfen, und ein wenig "kritischen Journalismus" aufzuschminken? Ja richtig, wir haben es uns ja schon gedacht: Um wieder mal - ohne wirkliche Fakten liefern zu müssen - auf die Balten losschlagen zu können.
"Die Experten der Organisation umgehen seit Jahren die himmelschreiende Diskriminierung der russischsprachigen nationalen Minderheiten in Lettland und Estland mit Schweigen. Dabei hätte Europa vor Scham rot anlaufen müssen, denn in seiner Mitte entstand eine regelrechte Apartheidzone. Mehr als 700 000 Menschen, die in Lettland und Estland leben, besitzen Pässe anderer Farbe, welche sie zum erniedrigenden Status eines Nichtbürgers verdammen. Die Juristen der Bürgerrechtszentren haben 62 Unterschiede in den Rechten der Bürger und der russischsprachigen Außenseiter in Lettland und 46 solche Unterschiede in Estland aufgedeckt.
Das Verhalten der Behörden dieser beiden Länder, die erst vor kurzem der EU beigetreten sind, hat mit den Prinzipien der Demokratie, wie diese in der Schlussakte von Helsinki gedeutet werden, deren 30-jähriges Bestehen zurzeit begangen wird, nichts gemein. Trotz all der Versuche Russlands, die Aufmerksamkeit auf die skandalöse Situation zu lenken, wahrt die Organisation Schweigen, und ihr Schweigen wird naturgemäß als Einverständnis mit den sehr ernsthaften Abweichungen von den gesamteuropäischen Normen durch Riga und Tallinn aufgenommen.
Dieses Missverhältnis im Bürgerrechtsprozess steht in krassem Widerspruch zu den Zielen, für die die OSZE-Struktur denn auch ins Leben gerufen wurde: einen unteilbaren gesamteuropäischen Sicherheitsraum mit für alle gleichen Demokratiegeboten schaffen."
Diskriminierung von Menschen anderer Hautfarbe? Ach nein, bitte genau lesen: Nur die Pässe haben eine andere Farbe. Und was ist daran diskriminierend, bitte schön? Wieder einmal werden nur die absoluten Zahlen russischsprachiger (-stämmiger) Einwohner genannt, aber nicht diejenigen, die sich bisher bereits haben einbürgern lassen, oder auch derjenigen, die gar nicht die Einbürgerung anstreben. Zählt man diese beiden Gruppen ab, bleiben nämlich gar nicht mehr so viele "ungerechtfertigt schlecht Behandelte" übrig. Schließlich hat jeder die Möglichkeit, sich einbürgern zu lassen, und vorbei sind die Zeiten, in denen man darauf jahrelang warten musste. Diskutieren könnte man natürlich auch die Bedingungen der "Sprachprüfung" oder ähnliches, aber nein, dazu muss man wissen: die sozialistisch geprägten Russen in Lettland oder Estland (und sie sind weit davon entfernt, die Mehrheit der Russen in den beiden Staaten zu repräsentieren!) skandieren "Integration, unser Staliningrad!" (Slogan auf entsprechenden Plakaten).
Ja, was soll man mit ideologisch verblendeten Menschen machen, die auch noch gegen die Integration agitieren? In den Meldungen der NOVOSTI kommt davon natürlich nichts zum Ausdruck, und so lassen sich viele der schwungvoll in Lettland oder Estland demonstrierenden Jugendlichen oder Rentner aussenpolitisch von der russisch-nationalistischen Sturmfront für deren Zwecke missbrauchen.
Ich kann nur sagen: Wer nur Englisch, oder nur Russisch kann, wird die schwierige Situation zwischen Esten und Russen, oder Letten und Russen, niemals richtig verstehen. Denn schließlich ist die baltische Region nicht "Russland", sondern die Esten und Letten haben ein Recht auf ihren eigenen Staat, der ihnen mehrfach von Nationalsozialisten und Bolschewisten geraubt wurde, und der von vielen Deutschbalten bis 1939 immer stark angezweifelt und unterminiert wurde. Darum halte ich mich auch als Deutscher zurück in einer Empfehlung - aber gegenüber Einmischung aus Russland, die sich auch noch der Unterstützung aus Deutschland sicher glaubt (siehe Strickjacken Kohl und Jelzin, oder Schröder und Putin!) sicher glaubt.
Und nun der Clou der ganzen NOVOSTI mühen. Die OSZE scheint Russland lästig zu werden - NOWOSTI plädiert schlicht für eine Abschaffung! (das hätte man sich wohl 1975 schon erträumt!!)
Trotz all der Versuche Russlands, die Aufmerksamkeit auf die skandalöse Situation zu lenken, wahrt die Organisation Schweigen, und ihr Schweigen wird naturgemäß als Einverständnis mit den sehr ernsthaften Abweichungen von den gesamteuropäischen Normen durch Riga und Tallinn aufgenommen.
Dieses Missverhältnis im Bürgerrechtsprozess steht in krassem Widerspruch zu den Zielen, für die die OSZE-Struktur denn auch ins Leben gerufen wurde: einen unteilbaren gesamteuropäischen Sicherheitsraum mit für alle gleichen Demokratiegeboten schaffen.
Eben deshalb besteht Moskau auf einer allumfassenden Reform zur Optimierung der Arbeit der OSZE-Institute und ihres Sekretariats.
Optimierung der OSZE? Ja schön, aber "Schweigen" herrscht nun wirklich nicht. Ständig setzen sich estnische und lettische Behörden und Institutionen mit Kritik an Menschenrechten, in Einzelfällen wie auch auf politischer Ebene, auseinander. Nur geschieht dies offensichtlich nicht im Sinne Moskaus, und dessen Schäferhündchen (namens NOWOSTI).
Also nochmals: Lasst euch nicht zu anti-russischen Statements hinreissen, wenn ihr solche Pressemitteilungen lest. Nur: Infos über die Situation in Estland und Lettland bekommt ihr doch besser woanders -von den Menschen in den betreffenden Ländern selbst, oder von demokratisch orientierten Institutionen. Und vielleicht werden dann auch die ideologisch geschulten Agitatoren verstehen: mit Verunglimpfungen übelster Art ("Apartheid") könnt ihr nichts erreichen - wer ohne richtig zu überlegen Hass säht, muss überlegen, was er erntet. Das wissen auch die meisten Russen in Estland und Lettland, die sich entschieden haben, weiter dort zu leben, und lassen sich nicht so leicht zum Spielball durchsichtiger politischer Interessen machen.
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