Montag, Januar 20, 2025

Aber bitte mit Sahne!

Manchen mag es ja als gute Regel gelten, von fremden Sprachen jeden Tag ein neues Wort zu lernen. Also nehmen wir uns auch mal wieder etwas Estnisches vor: Vastlakukkel. Die Bäckereien Estlands melden bereits seit Jahresanfang unruhige Kundinnen und Kunden, denn bald beginnt die Jahreszeit für diese Köstlichkeit - so meldet es die estnische Presse. (err)

Süße Jahreszeiten

Doch was ist das? Kommt uns dies nicht irgendwie bekannt vor? Zumindest wer nur die Abbildung sieht, könnte sich an verschiedenes erinnern, das auch in deutschen Landen bekannt ist: ein "Berliner" mit Sahne? Oder vielleicht ein "Berliner Pfannkuchen"? Ein Krapfen? Ein Kräppel oder Puffel? 

Irgendwo scheint es auch mal die Bezeichnung "Faschingskrapfen" oder "Fastnachtsküchle" gegeben zu haben - und da sind wir dann offenbar auf der richtigen Spur.  

Und es gibt auch Spuren nach Skandinavien: "semla" (Schwedisch), "fastlagsbulle" (finnlandschwedisch), oder "laskiaispulla" (finnisch). Teilweise mit Füllung, teilweise mit heißer Milch serviert, heißt es.

"Shrove croissants" in Tallinn

Fasten, oder schlemmen? 

Und eben das estnische "vastlakukkel". Das estnische Wikipedia meint dazu: "traditionelles Gebäck, das in Skandinavien, Island, Finnland und den baltischen Ländern am Neujahrstag vor dem Fasten hergestellt wird. In Estland sind diese Brötchen vor allem als Neujahrsessen bekannt." Hinzugefügt wird hier, dieses Gebäck sei vor allem in Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark, Island, den Färöer-Inseln, Estland, Lettland, Litauen und "einigen Regionen Deutschlands" bekannt. Ok, vielleicht ist das estnische Selbstbewußtsein ja in diesem Fall ähnlich hoch wie beim Marzipan - von dem ja auch behauptet wird, es sei in Tallinn erfunden worden (siehe Jaan Kross: "Marts Brot"), und nicht etwa in Lübeck. Also: etwas sehr estnisches .... und irgendwo in Deutschland auch noch. 

Ein "Vastlakukkel" wird, gemäß der estnischen Beschreibung, aus Hefeteig plus evtl. Schlagsahne, Kardamom, Marzipan, Mandelbrösel oder Vanillecreme hergestellt. Dazu wird uns erklärt, dass die strenge Einhaltung der Fastenzeit "nach der Reformation verschwunden sei" (offenbar gilt das für Estland). Heute seien diese "Neujahrskuchen" von Januar bis Ostern in vielen Lebensmittelgeschäften und Konditoreien in Estland zu haben.

Geht weg, wie warme ...

Durchschnittlich 100 Stück Vastlakukkel, am Wochenende bis zu 200 verkauft derzeit die Bäckerei "La Boulangerie" in Tallinn, verrät der Eigentümer (ERR) - obwohl der Slogan gerade dieser Bäckerei eher "ein Stück Frankreich in Estland" ist. Und Kenneth Karjana, Eigentümer der Bäckerei "Karjase Saia" sagt, er würde dieses Gebäck "die ganze kalte Jahreszeit durch" herstellen (dort angegeboten als "Shrove Croissants"). Ob man nun den Stückpreis von 4-5 Euro akzeptabel findet, ist wohl den Genießerinnen und Genießern zu überlassen. Der Bäcker selbst scheint Sorge zu haben, ein Preis von über 5 Euro könne "sich eine estnische Familie nicht mehr leisten". (ERR)

In einem früheren Beitrag ist bei ERR dann allerdings doch zu lesen, die Esten hätten diese Tradition wahrscheinlich doch eher von den Deutschen übernommen, die zu früheren Zeiten im Lande gewohnt hätten. So wird wohl die Behauptung von "nach der Reformation verschwunden" eher zu "mit dem Ende der deutschen Vorherrschaft verändert". Professorin Reet Bender, Expertin für deutsche Sprache und Kultur, führt das auf Rezepte aus dem 18. Jahrhundert zurück, wo es als "heiße Wecken" in Estland verkauft worden sei. Die Deutschbalten hätten es früher sogar gern mit Rosinen und sogar Rosenwasser gebacken. Die Sahne sei dann in den 1920iger und 1930iger Jahren dazugekommen, denn Estland, als Agrarland, habe damals ausreichend viel davon produziert, und man habe es dann zu vielen Speisen hinzugenommen. Heute sei es ja manchmal auch ein Massenprodukt, so Bender, aber zu Hause könne es natürlich jeder und jede gern so üppig wie gewünscht herstellen.

Frisch empfohlen

Auch einige "Influencer" und Blogger haben das Gebäck schon entdeckt. Beim "Schneehörnchen" heißt es "auf zum Semlor essen"; die estnische Variante wird erwähnt, das Rezept ist wohl eher schwedisch. "Nordic Estonia" präsentiert "Vastlapäev" mit dem zugehörigen Gebäck, versteigt sich aber beim Blick aufs Nachbarland Lettland darauf, dasselbe würde dort "vēja kūkas" ("Windkuchen") heißen - nun ja, da sind wir doch eher beim Windbeutel, Elair, oder Blätterteig (ich kenne es aus Riga mit der Bezeichnung "Vēcrīga", Rezept hier). Die Sahne kommt hier nicht drauf, sondern hinein. 
"Estoniancuisine" klärt uns darüber auf, dass es in Estland zwei Fraktionen gäbe: die einen meinen, es gehöre ausschließlich Schagsahne auf den Vastlakukkel, aber die anderen wollen auch Marmalade drauf haben. Und eine Regel: lieber ein frisch gebackener Vastlakukkel am Morgen, als zehn alte pro Tag. Wie auch immer: nicht nur zur Fastenzeit ...

Mittwoch, Dezember 18, 2024

Bauen für die Skyline

 "Himmelskratzer" heißen sie auf Englisch, im Deutschen werden die Wolken gekratzt, der estnische Begriff "Pilvelõhkuja" scheint sogar eine "Sprengung" der Wolken zu beabsichtigen.

"Wolkenkratzer, die das Stadtbild sichtbar prägen, finden sich eher in den Skylines wirtschaftlich prosperierender Großstädte", so schreibt es zumindest das estnische Wikipedia, und weist zusätzlich darauf hin, dass Gebäude in Tallinn von einer Höhe über 45m als "Hochhäuser" und höher als 124m als "Wolkenkratzer" bezeichnet werden. Warum gerade 124 Meter? Nun, die Oleviste-Kirche (Olaikirche) in Tallinn ist, inklusive Turm, 123,7 Meter hoch. Auch das 2007 fertig gestellte "Swissôtel Tallinn" erreicht nur 117 Meter (der Fernsehturm von Tallinn ist mit 314 Metern allerdings höher).

Hochhäuser als Symbole

Und noch einmal Wikipedia: "Heutzutage sind Wolkenkratzer häufig an Orten zu finden, an denen Land knapp und teuer ist, beispielsweise im Zentrum von Großstädten. Wenn der Eigentümer die Etagen des Gebäudes vermietet, kann er pro Grundstückseinheit unter dem Gebäude ein sehr hohes Einkommen erzielen." 

Nun will Tallinn wieder hoch hinaus. Welche Symbolik dabei Leitfaden ist, bleibt vorerst unbekannt. Aber bis 2035 sollen drei weitere Male die Wolken "gesprengt" werden. Das Stichwort dazu heißt "Maakri" - ein Teil der Innenstadt in Tallinn, wo auch schon in den vergangenen Jahrzehnten moderne Gebäude errichtet wurden. 

Geschichte und Gegenwartsmix

Maakri ist stolz auf seine Geschichte: es seien Keramikfragmente gefunden worden, so teilt uns "Maakri-Hub" mit, die von menschlichen Aktivitäten an diesem Ort schon in der Zeit zwischen 200 v. Chr. und 200 n. Chr. künden würden. Und im 15. und 16. Jahrhundert seien an dieser Stelle Gebäude errichtet worden, ab dem 18. Jahrhundert war der Stadtteil unter der Bezeichnung "Kivisilla" bekannt. Auf alten deutschen Landkarten ist unter anderem die "Maker Straße" zu erkennen. 

Und weiter erfahren wir, dass rund um die Maakri-Straße alles bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts alles aus Kopfsteinpflasterstraßen bestand, später aus asphaltierten Gehwegen. In den 1980iger und 1990iger Jahren sei aber vieles abgerissen worden was hier stand - auch eine der Grundlagen für die gegenwärtigen Planungen. 

Wie Pilze aus der Maakri-Straße ...

Es gibt aber auch noch denkmalgeschützte Gebäude in der Maakri-Straße, und so entstand in der letzten Zeit eine sehr "kontrastreiche" Bebauung, allein schon was die Gebäudehöhen angeht. Nun wurden die Gewinner eines Architekturwettbewerbs bekannt gegeben zur weiteren Entwicklung dieses Stadtteils. Hier ist unter anderem interessant, dass sämtliche Wettbewerbsunterlagen ausschließlich in estnischer Sprache eingereicht werden mussten, und auch Englisch nicht zugelassen war. 

Koordiniert wurde die Ausschreibung vom Unternehmen "Capital Mill", ein 2008 gegründetes Unternehmen, das Dienstleistung zur Entwicklung von Immobilien anbietet. Die prämierten Entwürfe mit der Bezeichnung "Trinity" stammen vom Architekturbüro "Molumba". Drei separate Hochhäuser sollen gebaut werden: mit offen zugänglichen Zwischengeschossen. Das höchste der drei neuen Bauwerke innerhalb des Maakri-Komplexes erreicht 30 Stockwerke und damit über 100 m Höhe (structurae). Den Wettbewerbsvorgaben zufolge muss fast die Hälfte des Quartiers in einen landschaftlich gestalteten Stadtpark umgewandelt werden, von dem die Entwickler hoffen, dass er zum Herzstück des Gebietes wird. (err)

Es wird geschätzt, dass der gesamte Planungsprozess etwa 10 Jahre dauern könnte. Spätestens dann wird sich also die Skyline der Stadt Tallinn wieder weithin sichtbar verändern.

Donnerstag, November 07, 2024

Oben ohne

Es gibt ja manchmal eine Diskussion darüber, wie dieses in Estland und den baltischen Nachbarn beliebte und bekannte Verkehrsmittel deutsch übersetzt werden sollte: Oberleitungs-Bus, O-Bus, oder doch lieber Trolleybus? Als im Juli 1965 in Tallinn der Betrieb von elektrisch betriebenen Bussen samt Oberleitungen eröffnet wurde, gab es sie in Vilnius (seit 1956) und Riga (seit 1947) schon lange. (tlt)

Wer jemals in überfüllten Trolleybussen unterwegs war, den wird vielleicht auch nicht verwundern, dass die Betreibergesellschaft "Tallinna Linnatransport TLT" ganz offiziell 8 Passagiere Aufnahmekapazität pro Quadratmeter Busfläche berechnete. Reisebuchautor Klaus Schameitat ist offenbar ein Fan der Tallinner Oberleitungs-Gefährte, denn er hat eine umfangreiche Infoseite dazu, illustriert mit zahlreichen eigenen Fotos, ins Internet gestellt.

Ab jetzt, oder sehr bald: Akutrolle

Ab dem 1. November wurden die 4 bisherigen Trolleybuslinien in Tallinn eingestellt; auf diesen Strecken werden jetzt - vorübergehend, wie es heißt - herkömmliche Busse eingesetzt (err). Dies bedeutete aber nicht die Abschaffung der Trolleybusse, so Bürgermeister Mihhail Kõlvart (tallinn.ee). "Wir wollen ein möglichst breites Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln bereitzustellen, um den Bedürfnissen der Stadtbewohner gerecht zu werden“, so Kõlvart. Ziel sei es, den öffentlichen Nahverkehr bis 2035 emmissionfrei zu betreiben.

Ab 2026 sollen also 40 neue batteriebetriebene Busse auf den bisherigen Linien eingesetzt werden - estnisch "Akutrolle" genannt. (tallinn.ee) Die bisher eingesetzten Fahrzeuge hätten ihre maximale Nutzungsdauer erreicht, 38 ausrangierte Trolleybusse der Marke Solaris Trollino sollen jetzt im Rahmen einer Auktion verkauft werden. Die Gesamtkosten dieses fünf bis sechs Jahre dauernden Umstellungsprojektes werden auf 40 bis 50 Millionen Euro veranschlagt.

Im Stadtzentrum werde nun das unnötig gewordene Oberleitungsnetz abgebaut, während in der Mustamäe- und der Sõprus-Straße eine für die neuen Trolleys geeignete Ladeinfrastruktur gebaut werden soll - die Busse sollen mindestens 25km mit einer Aufladung fahren können.  

Trauer, oder Vorfreude? 

Inzischen gibt es Reaktionen von Trolleybusfans. Videoclips mit der Bezeichnung "Trolleybus auf seiner letzten Fahrt in Tallinn" gibt es gleich mehrere auf den gängigen Portalen (Youtube1 / Youtube2 / instagram) zu finden. Andere schreiben von einer "Trolleybus Renaissance". 

Trolleybus-Oberleitungsnetz in Tallinn
Zu Spitzenzeiten betrieb Tallinn schon einmal neun Linien mit Trolleybussen - einige wurden inzwischen auf reguläre Busse umgestellt.

Ob sich auch die Bezeichnungen für die neuen akkubetriebenen Gefährte in Tallinn ändern wird? Oder wird sich vielleicht die Bezeichnung "Akutrolle" auch im Englischen und Deutschen durchsetzen?

Beim baltischen Nachbar in Vilnius spielen Trolleybusse offenbar auch in Zukunft noch eine größere Rolle als in Tallinn. Gerade erst wurden für Vilnius 73 neue Fahrzeuge angeschafft (siehe auch: Youtube), und am internationalen "Tag ohne Auto" (gelegentlich auch "Mobilitätswoche" genannt) fahren in Vilnius "Retro-Trolleybusse" als Attraktion. Den Vergleich mit Riga hingegen scheut Kaido Padar, Chef von TLT, nicht: immerhin sei der Fahrpreis pro km in der estnischen Hauptstadt rund 30% günstiger als beim lettischen Nachbarn (err).

Freitag, November 01, 2024

10 Minuten gegen die 22

Es gibt Tage, wo niemand danach fragt, ob nun Reformationstag, Halloween oder Allerheiligen gefeiert wird. So ein Tag brach am Donnerstag dieser Woche in Estland an: "Jätku leiba" ("mehr Brot", oder auch "möge das Brot ausreichen") war das Motto. Nein, hier geht es nicht um Bäcker und Backstuben, sondern um die von der estnischen Regierung geplante allgemeine Erhöhung der Mehrwertsteuer: ab 2025 soll diese 24% (bisher 22%) betragen und auf nahezu alle Dienstleistungen angewandt werden (vatcalc).

"Nur Norwegen und Dänemark noch höhere Mehrwertsteuersätze", klagt der estnische Hotel- und Restaurantverband. 360 Restaurants, Cafés und Hotels schlossen sich am 31.10. dem Protest an und legten für die Zeit zwischen 12:30 und 12:40 Uhr die Arbeit nieder (es wurden keine Kundinnen und Kunden bedient). "Statt den Export anzukurbeln und die Wirtschaft zu fördern, erhöht der Staat einfach die Steuern, ohne in die wirtschaftliche Erholung zu investieren", so Protestkoordinatorin Killu Maid. Auch der Tourismus habe sich noch nicht vollständig von den pandemischen Zeiten erholt. (ERR)

Die estnische Regierung, allen voran Regierungschef Kristen Michal, benennt ganz offen, warum die Steuern erhöht werden. Eine "Verteidigungssteuer" aus drei Elementen soll es geben: Anhebung des Mehrwertsteuersatzes um 2 Prozentpunkte ab 1. Juli 2025, eine zusätzliche Steuer von 2 Prozent auf das steuerpflichtige Einkommen natürlicher Personen ab 2026, und eine Steuer von 2 Prozent auf Unternehmensgewinne. (ERR). Das Verteidigungsministerium hatte einen zusätzlichen Finanzbedarf von 1,6 Milliarden Euro angemeldet. Alle Ministerien werden aufgefordert, in den nächsten drei Jahren jeweils 10% ihres Budgets einzusparen. Laut Michal sollen nur Renten, innere Sicherheit, Polizei und Lehrpersonal von den Kürzungen ausgenommen werden.

Verantwortliche Stellen im Nachbarland Lettland verkünden, dass dort keine Erhöhung der Mehrwertsteuer geplant sei (sehr wohl aber die Steuern auf Alkohol, Treibstoff, Tabak und Glücksspiel). Die Protestaktion des Gastgewerbes fand aber dennoch gleichzeitig in allen drei baltischen Ländern statt - die Gastronomie werde in diesen Ländern ähnlich wie in Estland höher besteuert als anderswo in Europa, und Aufgrund des Anstiegs der Rohstoff- und Arbeitskosten machen sie sich auch Sorgen um die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Dienstleistungen.(ERR / Postimees)

Samstag, Oktober 05, 2024

Virtuelle Nachbarn

"Ihre digitale Identität, ihre Firma, ihre Freiheit!" So bewirbt Estland die Möglichkeit gerade für Firmeninhaber, sich digital an das estnische Kommunikationssystem anzudocken. 

"Die E-Residency ist in Estland eine von der Regierung ausgestellte digitale Identität, die globalen Unternehmern Fernzugriff auf das digitalste Land der Welt ermöglicht", so die regierungsamtliche Information. Eine sichere Authentifizierung online werde ebenso geboten wie ein Weg, Dokumente mit elektronischen Signaturen zu signieren. Natürlich könne man ein Unternehmen überall gründen (auch online). Eine "positive Kapitalrendite für globale Unternehmer" wolle man schaffen. "Estland war das erste Land, das 2014 E-Residency anbot. Es ist nach wie vor das beliebteste Programm seiner Art für ambitionierte Unternehmer." (e-resident.gov.ee)

Verläufige Bilanz nach 10 Jahren: 59.644 ausländische Staatsbürger mit "E-Residenz" gibt es inzwischen. Gebührenfrei ist die Registrierung allerdings nicht: 100-120 Euro nimmt der estnische Staat pro Person ein. 

Unerwünschte Elemente? 

Nun müssen die digitalbegeisterten Estinnen und Esten allerdings feststellen, dass sich natürlich auch zwei Länder unter insgersamt 170 virtuell vernetzten Nationen befinden, zu denen seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine die Beziehungen kompliziert geworden sind: Russland und Belarus. 

Eigentlich habe man schon seit März 2022 keine E-Residency mehr an Antragsteller aus diesen beiden Ländern vergeben, so Oscar Õun, Risokomanager für das E-Residency-Programm gegenüber ERR. Und da die E-Residency nach einem Gültigkeitszeitraum von fünf Jahren erneuert werden muss, sei auch die Gesamtzahl der Registrierten leicht gefallen. Einige dieser erneuten Antragsteller habe man also nicht wieder zugelassen. 

Noch im Februar 2022 sollen sich 8,5 Prozent aller gültigen estnischen E-Residency-Karten im Besitz russischer und weißrussischer Staatsbürger gewesen sein - bis zum Ende des Sommers 2024 ist dieser Wert auf 5 Prozent gesunken. Genauer gesagt seien es 4.421 russische und 902 belarussische Bürgerinnen und Bürger mit E-Residency-Status gewesen, verblieben sind noch 2.573 bzw. 565 – ein Rückgang um 42 Prozent. 

Sanktionsfrei

Die estnischen Behörden betonen, dass es bisher keinerlei Sanktionen gäbe, die russischen Bürgerinnen und Bürgern untersagen würden, sich an estnischen Unternehmen zu beteiligen oder sie zu besitzen - ob nun mit E-Residency oder ohne. „Selbst wenn die digitale E-Residency-ID einer Person widerrufen wird, beendet dies nicht die Geschäftstätigkeit der mit dieser Person verbundenen Unternehmen in Estland“, sagt Anita Preinvalts, Sprecherin der Polizeibehörde (Politsei- ja Piirivalveamet). 

Ein Unternehmen von überall führen zu können, und doch an das digitale System der "Residenz" angeschlossen zu sein - gerade damit hatte Estland ja sehr aktiv geworben. Reduzierung von Bürokratie und Papierkram sowie eine globale Community werde geboten - die bereit ist, Wissen und Erfahrungen auszutauschen. Der Status einer E-Residency bedeutet nicht, dass man tatsächlich in Estland ansässig ist.

Sonntag, September 08, 2024

Estnische Gardinen

In deutschen Medien wurde in letzter Zeit eine spezielle estnische Serviceleistung angekündigt: angeblich wolle Estland Insassen von Gefängnisssen aus anderen EU-Ländern übernehmen. Schon Ende 2023 gab es einen entsprechenden Bericht über die Absicht von Großbritannien, Gefangene nach Estland zu verlegen.  Von "Zellen anmieten" war da die Rede.  

30 Millionen Euro Einnahmen für Estland? 

Im Juni 2024 besuchte eine Delegation des Obersten estnischen Gerichtshofs das Deutsche Bundesverfassungsgericht, danach stieg auch die deutsche Presse auf das Thema ein: "Estland will Deutschland die Knackis abnehmen", so titelt die BILD.  Und die Berliner Zeitung hat auch gleich eine Begründung parat: Estland brauche Geld für einen möglichen Krieg. Etwa 3000 Euro im Monat koste die Unterbringung eines Gefangenen in Estland, so zitiert die britische BBC die estnische Justizministerin Liisa Pakosta (Eesti200), die gleichzeitig bestätigte, dass britische Offizielle bereits ein Gefängnis in Tartu besichtigt hätten (andere Quellen sprechen von 90 Euro pro Tag). Während in Großbritannien die Regierung beinahe gezwungen sei, Inhaftierte wegen Überfüllung der Gefängnisse zu entlassen, seien in Estland die Anstalten nur zu 67% belegt - allerdings verfüge Estland auch nur über drei Gefängnisse für insgesamt 3041 Personen (Independent). Allerdings hat die britische Regierung bereits ein Informationspaket für den Fall bereitgestellt, dass es in Estland Gefängnisinsassen aus Großbritannien geben sollte. 

Bedenken gegen Kriminellen-Import

Innenminister Lauri Läänemets (SDE) äußerte sich jedoch skeptisch gegenüber den Plänen, Gefangene ausländischer Staatsangehöriger in estnischen Sicherheitseinrichtungen unterzubringen. Er habe Bedenken, kriminelle Banden aus verschiedenen Ländern könnten sich hinter estnischen Gefängnismauern treffen, so weitere krmininelle Aktivitäten starten und Estland zu einem weniger sicheren Land machen, äußerte Läänemets gegenüber der estnischen "Aktuaalne Kaamera". (ERR)

Berichten zufolge könnten die drei Gefängnisse Estlands in Tallinn, Tartu und Jõhvi insgesamt etwa tausend zusätzliche Insassen beherbergen. Tartu wurde als wahrscheinlicher Bestimmungsort für den Großteil der im Rahmen des Plans zu vermietenden Gefängnisräume ausgewählt. Das Gefängnis in Tartu bietet derzeit Platz für 933 Insassen, aber eines seiner Gebäude mit 600 Plätzen wurde stillgelegt und die Auslastung beträgt jetzt nur noch 29 Prozent. (ERR)

Rait Kuuse, Leiter des estnischen Gefängnisdienstes, wies darauf hin dass nur vier Länder in Europa einen Rückgang von Gefängnisinsassen in Höhe von 5% aufweisen: Estland, Litauen, Irland und Griechenland. Als weitere Option im Hinblick auf eine Reform des Gefängniswesens in Estland sieht er aber auch die Möglichkeit, doppelt belegte Zellen zu Einzelzellen umzuwandeln. (ERR)

Die Delegation aus Großbritannien jedenfalls habe nach der Besichtigung des Gefängniskomplexes in Tartu einen guten Eindruck gehabt, betonte Justizministerin Pakosta (ERR).

Mittwoch, August 28, 2024

Bitte mit weißem Eimer

In Estland verirren sich jedes Jahr über 200 Personen in den Wäldern  Warum? Das können wohl nur diejenigen fragen, die nicht wissen, was viele Menschen tun, wenn sich der Sommer dem Ende zuneigt. Wie in der ganzen Region zieht es viele zum Pilzesuchen - immer auf der Suche nach guten Stellen, die noch niemand anderes entdeckt hat. 

In diesem Jahr fühlt fühlt sich die estnische Polizei veranlasst zu eine Warnung. "Es ist ja keine Schande, per Telefon die 112 anzurufen," meint Polizeivorsteher Pirko Pärila im estnischen Fernsehen. Sobald jemand das Gefühl hat, verloren zu sein und den Weg aus dem Wald nicht mehr zu finden, sollte er sofort anrufen. "Denn wenn jemand damit länger wartet, könnte es draußen auch schnell dunkler werden", so Pärila (err)

Zur Ausrüstung des Pilzesuchers gehören, so die Empfehlung der estnischen Polizei, vor allem drei Dinge: ein Mobiltelefon mit voll geladenem Akku, eine warme Jacke, und: ein weißer Eimer. Ein weißer Eimer sei aus der Luft am einfachsten zu erkennen, empfiehlt die estnische Polizei; sei es von einer Hubschrauberbesatzung, Drohnensuchgeräten oder sogar bei einfacher Bewegung im Gelände. Der weiße Eimer sei das Schlüsselelement, das der Polizei helfe, eine Person sehr schnell zu lokalisieren. 

Natürlich sei es auch gut, andere vorher zu informieren, welche Waldgebiete man aufzusuchen gedenke. Und selbstverständlich solle man sich auch darauf vorbereiten, mal eine Nacht im Wald zubringen zu müssen - selbst dann, wenn kein Notfall eintritt.

Dienstag, Juli 23, 2024

Nicht alles ist olympisch

25 Athleten und Athletinnen, dazu ein 49-köpfiges Betreuerteam, und auch ein Pferd werden Estland bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 vertreten (err). (zum Vergleich: Team Deutschland 427 Athletinnen und Athleten, dazu 44 als Ersatz, die genaue Zahl der Pferde ist mir nicht bekannt). 

Die Estin Kristin Tattar allerdings fährt einen Sieg nach dem anderen ein, 2022 wurde sie als erste Estin überhaupt in ihrer Sportart Weltmeisterin, 2023 wurde sie Europameisterin und verteidigte ihren Weltmeisterschaftstitel erfolgreich. Mit Olympia 2024 hat sie allerdings nichts zu tun - denn Disc Golf, ihre Sportart, ist nicht olympisch. 

Als Jugendliche hatte Tattar es zunächst mit Skilanglauf probiert - musste das aber wegen einiger gesundheitlicher Schwierigkeiten aufgeben und suchte dann nach neuen Wegen sich sportlich zu betätigen. 2023 gewann sie alle sogenannten "Disc Gold Grand Slam"-Turniere, und in diesem Jahr, als "Comeback" nach einer Verletzung, auch schon wieder ein Turnier in Finnland (ERR). 

Das Runde muss ins Kettige

Aber wahrscheinlich hat sich Kristin inzwischen daran gewöhnt, dass vieles, was ihre Sportart betrifft, im Detail noch verbessert werden kann. Oder dass sie es sogar selbst in die Hand nehmen muss. Zusammen mit schwedischen Partnern gründete sie "Latitude 64°", und wer sich hier das angebotene Sortiment anschaut wird vielleicht endgültig das Vorurteil los, die "Disc-Golfer" würden nur mit einfachen Frisbee-Scheiben herumspielen ("Frisbee" ist ein geschützer Markenname einer bestimmten Firma). 

"Disc Golf wird nach ähnlichen Regeln wie Golf gespielt", so viel können wir auch beim "Discgolf Deutscher Frisbee Verband" lernen. International gibt es die PDGA (Professional Disc Golf Association), die zum Beispiel Spielregeln festlegt und Zulassungen erteilt für jede einzelne Scheibe, die bei Turnieren eingesetzt werden darf. So wie auch beim neuesten Modell "Sinus" - 176 Gramm schwer, und 21,2 cm Durchmesser. Die PDGA-Statistik verrät uns außerdem, dass Kristin Tattar bei ihren bisherigen 96 Turniersiegen (Stand Juli 2024) insgesamt 306,567.40 Dollar an Preisgeld einstreichen konnte (die besten deutschen PDGA-Profis liegen da eher so bei 2.000 Dollar). 

Mehr Männer an der Scheibe


Die PDGA-Statistiken sagen auch, dass sehr viel mehr Männer professionell Disc-Golf spielen als Frauen (etwa 120.000 gegenüber 10.000). Und in Europa liegt Deutschland zwar bei den bei der PDGA angemeldeten Profis mit 819 auf Platz sechs - weit davor liegen aber Schweden, Finnland und Norwegen, auf Platz 4 dann Estland (1447 Profis), noch vor Dänemark.

Wer also einmal Disc-Golf-Scheiben oder -Ausrüstung mit einem KT sehen sollte - Kristin Tattar hinterlässt ihre Spuren. Neben KT-Wurfscheiben sind inzwischen auch T-Shirts, Schirme oder spezielle Rucksäcke mit dem Tattar-Signet erhältlich. 

Aber da Disc-Golf ja voraussichtlich auch in den nächsten Jahren kaum olympiareif werden wird, und häufig (wie in Deutschland) eher als Randsportart gilt, tut Kristi Tattar einiges, um ihre Sportart bekannter zu machen. Wenn möglich, auch in Form von kommerziell orientierten Interviews. Da bekennt sie zum Beispiel, ihr Vater, ein Bauunternehmer, habe mit ihr auf estnischen Waldwegen Autofahren geübt - als Symbol für die Freiheit, sich fortbewegen zu können (Porsche ist Geschäftspartner und Sponsor von Kristin). (porsche.ee)
Die Antwort darauf, wie sie Privatleben als Ehefrau und Mutter mit dem Sportlerinnenalltag vereinbaren kann, fällt der inzwischen 32-Jährigen leicht: "Mein Partner ist ebenfalls Disc-Golf-Spieler" (zuca-europe). 10 Jahre ist es jetzt hier, seitdem sie erstmals estnische Meisterin im Disc-Golf wurde. Eines lässt sich inzwischen sicher sagen: mag auch bei Olympia niemand diese Sportart so recht schätzen - in Europa ist Estland eine Disc-Golf-Hochburg!

Freitag, Juni 14, 2024

Wieder zehnfach

Achttausendsiebenhundertvierundsechzig Punkte - was sagt uns das? Die estnische Presse jubelt: nur 51 Punkte weniger als der legendäre Erki Nool! (ERR)

Also schlagen wir mal genauer nach. Es stimmt: immer wenn Esten (in diesem Fall sind nur die Männer gemeint) irgendwo in der Leichtathletik auftauchten, sei es Speerwerfen, Laufen oder Diskuswerfen, früher oder später kam immer die Rede auf Erki Nool. Ein Aushängeschild des estnischen Sports, im wieder unabhängig gewordenen, kleinen, aber stolzen Land. Weniger bekannt dagegen ist der Name Valter Külvet - der erste Este, der im Zehnkampf mehr als 8500 Punkte erreichte - 8506 Punkte am 3.Juli 1988 in Minsk. Külvet startete aber bei Olympia 1988 noch unter der Flagge der Sowjetuion, und musste dort am zweiten Wettkampftag verletzungsbedingt aufgeben. Er starb bereits 1998, im Alter von nur 34 Jahren (durch einen Raubüberfall!). 

Neuer Held

Nun also holte Johannes Erm bei den Leichtathletik-Europameisterschaften in Rom erneut eine Goldmedaille im Zehnkampf für Estland. Die Gesamtpunktzahl von 8764 ist das zweitbeste Ergebnis in der estnischen ewigen Rangliste. Erki Nool holte 51 Punkte mehr, als Vizeweltmeister des Jahres 2001. Als Nool jedoch erstmals Europameister wurde, im Jahr 1998 in Budapest, holte er diesen Titel mit nur 8667 Punkten - 97 weniger als Erm. Sogar als Olympiasieger in Sydney 2000 reichten Nool lediglich 8641 Punkte - von daher kann Erm mit seinem Ergebnis in Rom wirklich zufrieden sein.

Gestern kam Johannes Erm zurück nach Estland. Er wird mit den Worten zitiert: "Schon während der Wettkampftage hatte ich Schwierigkeiten zu schlafen - jetzt kann ich es immer noch nicht!" Aber auch: "Ich will so bald wie möglich wieder trainieren." (err) Und an anderer Stelle: "Ich bin einfach in Emotionen ertrunken. Tausende und Abertausende Arbeitsstunden sind in diese Errungenschaft geflossen!" (postimees) Und Estland ist offenbar froh, in der gegenwärtig so angespannten politischen Lage, nahe an Russland, derart positive Nachrichten vermelden zu können. 

Mittwoch, Juni 12, 2024

Estland - ein bisschen französisch, oder was?

Wird sich jemand für das Ergebnis der Europawahlen in Estland interessieren? Vielleicht wäre ein Vergleich mit Frankreich hilfreich: auch hier verlor die Partei von Regierungschefin Kaja Kallas (Reformpartei) deutlich - aber es wird in Estland dennoch keine Neuwahlen geben. Unsicher allerdings weiterhin, ob Kallas Regierungschefin bleibt, oder "Brüssel ruft" (siehe Beitrag). 

Die gegenwärtige Regierungskoalition aus Reformpartei, Eesti 200 und den estnischen Sozialdemokraten verfügt im Parlament über 60 der 101 Sitze - allein 37 davon belegt die Reformpartei (Eesti Reformierakond).

37,5% der Wahlberechtigten, das sind in Estland 368.925 Menschen, haben sich diesmal an den Europawahlen beteiligt - 153.269 davon online. Aber die "Chefin-Partei" stürzte diesmal ab: nur magere 17,9 %. Bei den Parlamentswahlen 2019 waren es noch 28,9%, und zuletzt im Frühjahr 2023 sogar 31,2% gewesen. (valimised) Im Europaparlament wird die Reformpartei nur noch mit einem Abgeordneten vertreten sein, statt bisher zwei.

Ganz anders sieht es bei der oppositionellen "Isamaa" (Vaterlandspartei) aus. Nur 8,2% bei den Wahlen 2023 hatten lediglich acht Sitze im Parlament ergeben - allerdings sind inzwischen sowohl Ex-Regierungschef Jüri Ratas zur "Isamaa" übergetreten, wie auch Ex-Umweltminister Tõnis Mölder und mit Jaanus Karilaid ein weiterer Abgeordneter. (riigikogu.ee). Bei den Europawahlen erreichte "Isamaa" nun 21,5% und zwei Mandate für das Europaparlament. 

Also nur konservative Siegerinnen und Sieger? Nicht ganz. Erstens, weil die ultrakonservative EKRE (Eesti Konservatiivne Rahvaerakond) mit 14,8% (und einem Mandat) Vorlieb nehmen musste - nach 16,1% bei den Parlamentswahlen 2023. Und zweitens, weil die estnischen Sozialdemokraten 19,3% und damit zwei Mandate erreichten (wie bisher). Und drittens, weil die neu gegründete "Erakond Parempoolsed" (kann vielleicht mit "Partei Die Rechte" übersetzt werden) zwar 6,8% erreichte aber kein Mandat. Und auch die Zentrumspartei bekommt mit ihren 12,4% noch ein Mandat. (valimised)

Nun warten also vermutlich viele in Estland zunächst einem darauf, was weiter mit Kaja Kallas passiert. Vorläufig gelten folgende Personen als gewählt: Marina Kaljurand (Sozialdemokraten, mit über 45.000 Stimmen "wiedergewählt", höchste individuelle Stimmenzahl), Urmas Paet (Reformpartei, ebenfalls "wieder gewählt"), Jüri Ratas (Isamaa), Jaak Madisson (EKRE, auch ein erneuertes Mandat), Mihhail Kõlvart (Zentrum), Riho Terras (Isamaa) und Sven Mikser (Sozialdemokraten, "wiedergewählt"). (valimised)

Dienstag, Juni 04, 2024

Mehr EU in Estland

Das estnische Statistikamt hat es genau ausgerechnet: im Jahr 2000 kamen Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft noch vorwiegend aus Finnland, Lettland oder Litauen - diese drei Länder machten fast 90 % aller Bürger/innen (aus heutigen EU-Ländern) aus, die im Jahr 2000 in Estland lebten (1.410 aus Lettland, 1.100 aus Litauen und 930 aus Finnland). Und nur für Menschen aus Schweden und Deutschland ließ sich damals eine Zahl größer als 100 feststellen. 

Bis 2011 war die Zahl der in Estland lebenden Menschen mit Pass eines EU-Landes auf insgesamt 6500 Personen gestiegen. Der Anteil der oben genannten Nachbarländer war auf 72% gefallen, und als Herkunftsländer mit mehr als 100 in Estland lebenden Personen kamen jetzt Frankreich, Italien, Spanien, die Niederlande und Polen dazu. 

2021 lebten dann 21.600 EU-Bürger/innen in Estland. Weiterhin viele aus Lettland (5.000) und Finnland (4.700). Die Anzahl der Litauer/innen war eher stabil geblieben, und insgesamt machten die drei Länder noch 54% aller in Estland lebenden EU-Bürger/innen aus. Inzwischen liegt die Zahl der Menschen mit deutschem Pass bei 1.800, dazu 1300 aus Frankreich und 1270 aus Italien. Jetzt sind es 15 Länder, die mit mehr als 100 Personen repräsentiert sind. (bei der Volkszählung 2021 wurden 1.331.824 Personen gezählt, 84.7% davon besaßen die estnische Staatsbürgerschaft)

Zwei Drittel aller heute in Estland lebenden Menschen mit Pass eines anderen EU-Landes sind Männer. Das einzige Land, aus dem mehr Frauen als Männer kammen, ist Tschechien (von allerdings nur 172 insgesamt). Den Gegensatz dazu stellen Personen mit niederländischem Pass dar: auf eine Frau kommen mehr als vier Männer (283 Männer von 347 insgesamt). 

Die regionale Verteilung sind so aus: zwei Drittel leben im Kreis Harju, also rund um Tallinn (auch 46% der Gesamtbevölkerung Estlands lebt hier). In Tartu sind noch 11% aller EU-Auslände/innen in Estland zu finden, und in Valga (dank der Lettinnen und Letten) noch 7%.  (stat.ee) (detaillierte Übersicht)

Donnerstag, Mai 30, 2024

Estnischer Sommer: Hungern, Holzski und Skandale?

 Manchmal sind auch touristische Infos irritierend, wenn es um Estland geht. Sagen wir mal so: man sollte sich rechtzeitig orientieren, worum es wirklich geht. Das ist auch bezüglich der Aktivitäten für den Sommer 2024 so, wozu der Estnische Touristikverband nun Informationen zusammengestellt hat (err). Da sind Dinge angekündigt, die näheres Hinsehen verdienen. 

Baltische Skandale?

Da ist zunächst BALTOSCANDAL, in Rakvere im Norden Estlands, vom 3.-7. Juli. Dieses Festival kann immerhin schon sein 30. Jubiläum feiern, dürfte also auch dem entsprechenden Fachpublikum in Europa bereits bekannt sein. Wer trifft sich dort? Die blumenreiche Webseite verrät es nicht auf den ersten Blick.
Ich übernehme hier mal die Erklärung der lettischen Nachbarn von "theatre.lv": "Baltoskandal hat nichts mit einem 'Skandal' zu tun - der Name setzt sich zusammen aus den Wörtern Baltikum und Skandinavien. Es handelt sich um ein zeitgenössisches Theaterfestival in Rakvere, im Norden Estlands. Die Stadt ist nur ein wenig größer als Limbaži. Das Festival wird von etwa 5000 Menschen besucht. Sie kommen aus aus dem ganzen Land und auch aus anderen Ländern. Die Aufführungen beginnen um 14:00 Uhr und enden gegen 1:00 Uhr nachts. Es dauert 4 Tage."

Beim Blick in die Geschichte der bisherigen Festivals zähle ich 14 deutsche Beteiligungen zwischen 1990 und 2022, und nur selten lässt sich gleich am Namen ablesen, wo sie herkamen (einmal "Volksbühne am Rosa-Luxemburg Platz", einmal "Kammertheater Neubrandenburg"). Oft sind es, wie überall im Programm, Aufführungsbeteiligte verschiedener Nationalitäten. 2024 gibts aber gleich zwei deutsche Beiträge. Dabei ist unter anderem Robert Henke, also eigentlich ein Musiker - der Autritt geht wohl eher in Richtung einer Performance (Webseite). Und Florian Malzacher präsentiert im Rakvere Theater ein Buch mit dem Titel "Die Kunst der Montage". 

Holzski im Sommer? 

Bei der Suche danach, was auf dem "Treskifest" geboten wird, ist zu empfehlen besser keine KI zu benutzen - sonst könnte eine künstlich gefütterte Intelligenz noch auf die Idee kommen, das Wort "Treski" aus dem Norwegischen zu übersetzen (Tre = Baum / Holz). Nein, es sind hier keine Loipen für Holzskier gespurt - "Treski" ist einfach der Name eines kleinen Dorfes im äußersten Südosten Estlands, und hier wurde 2021 eine neue Freilichtbühne fertig gestellt. Auch hier ist die Zahl 3 von Bedeutung - es findet nun zum dritten Mal ein Festival statt. Die Veranstalter beschreiben es so: "Treski ist ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, um etwas Besonderes zu erleben. Wir laden Sie ein, Kultur, Musik und friedliche Natur zu genießen und außergewöhnliche Erinnerungen zu schaffen." Vom 9.-11. August 2024 gibts hier vor allem Musik, vorwiegend von Bands aus Estland.

Etwas abgelegen liegt der Ort allerdings schon: wer mit der Bahn kommt, müsste in Orava aussteigen, 8 km entfernt (die Bahnfahrt dauert von Tartu aus etwa 1 Stunde). Autofahrern empfehlen die Veranstalter doch bitte nicht allein zu kommen sondern andere mitzunehmen - um Kosten und nötige Parkplätze zu sparen. Einen Tag vor Beginn, am 8. August, gibt es schon Workshops und Diskussionen - die sogenannte "Treski inspiration conference". Und wer teilgenommen hat, bringt sich vielleicht "Treski"-Shirts oder andere Werbeartikel mit und machen den Ort (der offiziell inzwischen weniger als 100 Einwohner/innen hat) dann auch etwas bekannter in der Welt.  

Freiwillig hungern? 

Auch für das Festival das vom 14.-18. August stattfindet, müssen wir "alle Ecken Estland" erkunden. Es findet in Narva-Jõesuu statt, und auch die Deutschen wissen inzwischen, dass Narva ebenfalls nahe der Grenze zu Russland liegt. Und falls jemand den Festival-Titel HUNGERBURG allzu ernst nehmen sollte: doch, doch, die Lebensmittelversorgung ist dort völlig normal. Die Veranstaltung ist ein Projekt des "Tartu Uus Teater" (Neues Theater Tartu), eine Einrichtung die ihre Arbeitsweisen in einem "'Manifesto" formuliert: "Das Neue Theater Tartu ist eine offene Plattform für neue Ideen."

Benannt ist das Festival nach dem sogenannten "historischen Ortsnamen" von Narva-Jõesuu: ihren heutigen Ortsnamen erhielt die Stadt offiziell erst im Jahr 1890. Ein Ort, der auch als Kurort bekannt ist und mit seinen 2600 Einwohner/innen (nur 13% davon Est/innen) seit 1993 Stadtrechte verliehen bekam. Also müsste ja deutsches Publikum besonders interessiert sein? Kennen Sie denn das alte Hungerburg nicht? (sowie manche immer gern von Dorpat, Reval oder Wesenberg reden?)

Auch hier gilt: bitte keine künstliche Intelligenz oder Google einsetzen. Sonst finden Sie zum Beispiel einen Stadtteil von Innsbruck (auch unter "Quaeldich.de" zu finden), den Gutshof Hungerburg in Bitburg in der Eifel (mit Pferdepension), eine Künstlerkolonie in Berlin oder eine Sandinsel ganz im Norden Deutschlands, an der dänischen Grenze. Alles falsch! möchte man da ausrufen. Aber auch wer nach "Hungerburg in Estland" sucht, findet bisher die Hinweise eher im "Lexikon der Wehrmacht", als Hinweis auf ein KZ-Außenlager der Nazis, oder eben in alten Fotos und Ansichtskarten. Theaterfreunde, bitte verändert Europa!

Sonntag, Mai 19, 2024

Nirgendwo hin

Die Europawahlen stehen vor der Tür, aber in Estland wird nicht nur über die möglichen Prozentzahlen der einzelnen Parteilisten diskutiert. Ministerpräsidentin Kaja Kallas hat in den vergangenen Monaten international so viel Werbung für die eigene Person gemacht, dass manche Beobachter/innen fest davon ausgehen, sie sei als Kandidatin für einen Posten in der künftigen EU-Kommission fest gebucht. 

Gerüchteküche

Die Formulierungen, mit denen Kallas selbst die eigene Ambitionen versucht herunterzuspielen, sind vielfältig. "Es besteht überhaupt kein Grund zur Sorge, dass ich irgendwohin gehe“, sagte Kallas im "Vikerradio". (err) Kommentator/innen in den estnischen Medien trauen der Regierungschefin aber durchaus einen Job in der EU-Kommission zu: für Verteidigung, für Außen- und Sicherheitspolitik oder als Wettbewerbskommissarin.

Ähnliche Fragen wurden auch gestellt, als Kallas kürzlich in Riga war um an dem Treffen der drei Regierungschefinnen mit Bundeskanzler Scholz teilzunehmen. "Wir müssen erst einmal die Wahlergebnisse abwarten, dann werden all diese Diskussionen stattfinden", antwortet Kallas auf eine entsprechende Nachfrage von Aivars Ozoliņš für die lettische Zeischrift "IR". Und Jüri Ratas, ehemals Vorsitzender der estnischen Zentrumspartei und Regierungschef (inzwischen zur "Isamaa" gewechselt), sah schon Ende 2023 Kallas als geeignet für einen Job in der EU-Kommission an. 

Imagepflege

Als 2023 bekannt wurde, dass Kallas' Mann Arvo Hallik in dubiose Geschäfte mit Russland verwickelt war, stand die Ministerpräsidentin kurz vor einem Rücktritt. (taz / FAZ / JungeWelt / lsm / NZZ  / Handelsblatt). Damals, es liegt noch nicht lange zurück, machten Worte wie "offensichtliche Heuchelei" die Runde (Berliner Zeitung). Der "Spiegel" sah Kallas in einem "moralischen Dilemma" (erst Mahnerin, nun Ermahnte").

Inzwischen wird Kaja Kallas in vielen westdeutschen Medien dagegen auffällig positiv geschildert. Als "unerschrocken" wurde sie im "Merkur" bezeichnet, bei "ZEITonline" ist sie "Die Hellsichtige". Das Handelsblatt meint: "Die Frau, vor der Wladimir Putin Angst hat," die "Bild" kürt sie gar zu "Europas eisernen Lady". Reinhard Krumm, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung Riga, bezeichnet Kallas als "strahlende Gallionsfigur" (RND). Der österreichische "Standard" überschrieb ein 'Interview mit ihr so: "Wer nicht um die Freiheit kämpft, verliert am Ende alles." Anfang Dezember 23 wurde sie in Hamburg mit dem Marion-Dönhoff-Preis ausgezeichnet (Die Zeit), im Februar 24 war sie Ehrengast beim Hamburger Matthiae-Mahl (Welt). Als bekannt wurde, Russlands Diktator Putin habe Kallas zur Fahndung ausgeschrieben, wurde die Entgegnung von Kallas hervorgehoben: "Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass ich das Richtige tue." (ZDF)

Und so fand auch der gezielt lancierte "Aprilscherz" Anklang, Kallas werde zur neuen NATO-Generalsekretärin ernannt (Nachfolger von Jens Stoltenberg) - denn vor der Einigung der Allianz auf den Niederländer Mark Rutte gab es durchaus ernsthafte Spekulationen in diese Richtung (politico / ERR / lasi.lv).

Was ist also vom Ergebnis der Europawahlen in Estland zu erwarten? Jeder EU-Mitgliedstaat stellt einen Kommissar oder eine Kommissarin - wir sind gespannt, wer das - außer Kaja Kallas - wohl sein könnte. Eine Schwierigkeit könnte noch sein, dass die Kandidat/innen vom Europäischer Rat, einem Gipfel der Staats- und Regierungschefs, benannt werden. Also, Frau Kallas: was meinen Sie?

Freitag, Mai 03, 2024

Zwanzig plus X

20 Jahre Mitgliedschaft in der Europäischen Union - auch für Estland ein Grund für eine Bilanz. Die drei baltischen Staaten seien „ein hervorragender Beweis dafür, wie die Mitgliedschaft in der Europäischen Union beeindruckende Modernisierung und wirtschaftlichen Fortschritt ermöglicht", so verkündeten es die drei Präsidenten

Aivo Peterson gilt als Estlands bekanntester Putin-Unterstützer. Er wurde 2023 wegen gegen den Staat Estland gerichteter Aktivitäten verhaftet, kann aber kandidieren, da in dieser Sache noch kein rechtskräftigs Urteil vorliegt.

Die "Eesti Konservatiivne Rahvaerakond" oder "Estnische Konservative Volkspartei" ist unter der Abkürzng "EKRE" bekannt geworden und tritt für ein "Europa der Nationalstaaten" ein. Ein Satz aus dem Wahlprogramm: "Wir verteidigen nationale und konservative Werte vor den Angriffen der sogenannten 'Woke Culture' ". Die Partei übt sich regelmäßig in scharfer EU-Kritik und vertritt eine teilweise rassistisch motivierte Estland-zuerst-Politik. Bei den Europawahlen 2019 erreichte EKRE 12,7% und ein Mandat. Für den Fall einer Änderung der EU-Verträge fordert EKRE eine neue Volksabstimmung in Estland. Den "Green Deal" der EU bezeichnet EKRE als "ideologischen Extremismus". 

Die Startnummer 3 haben diesmal die estnischen Grünen (Erakond Eestimaa Rohelised). Deren stärkstes Ergebnis bei Europawahlen waren bisher die 2,7% aus dem Jahr 2009, 2019 waren es 1,8%. Spitzenkandidatin Evelyn Sepp betont das Selbstverständnis der Grünen als estnische Partei, die allerdings in voller Übereinstimmung mit den Grünen in Europa stehe. Die Partei fordert für Estland eine Umstellung auf 100% erneuerbare Energieversorgung bis 2040. Kritik übten die Grünen auch am Verfahren der Europawahl in Estland, wo jede/r Kandidat/in eine relativ hohe Geldsumme als Kaution hinterlegen muss, um zur Wahl akzeptiert zu werden. 

Auf Platz 4 der Wahlliste steht "Eesti 200". 2018 gegründet, bezeichnet sie sich, ähnlich wie die Reformpartei, als wirtschaftsliberal. Sie unterstützt, neben Mitgliedschaft in EU und NATO, auch die gleichgeschlechtliche Ehe und möchte den Zugang zum Internet zu einem Menschenrecht machen. Bei den Europawahlen 2019 erreichte "Eesti 200" 3,2% der Stimmen. Seit April 2023 ist die Partei Koalitionspartner im dritten Regierungskabinett von Kaja Kallas. 

Nr. 5 auf der Liste sind dann die estnischen Sozialdemokraten (Sotsiaaldemokraatlik Erakond SDE). Die Partei geht mit dem Slogan "Freiheit, Gerchtigkeit, Sicherheit" in den Wahlkampf. Tanel Talve, der im März beim Parteikongress noch bei der wahl zum SDE-Parteivorsitzenden klar unterlegen war, trat nun aus der Partei aus und kandidiert separat als unabhängiger Kandidat. Auch dass die SDE in Tallinn die bisherige Koalition mit der Zentrumspartei im Stadtrat verließ, könnte das Wahlergebnis beeinträchtigen, SDE-Spitzenkandidatin ist die ehemalige Außenministerin Marina Kaljurand, die schon seit 2019 Mitglied im Europaparlament ist, als die SDE 23,3% der Stimmen erreichte und Kaljurand das beste Einzelergebnis aller Kandidat/innen (bei allerdings nur 37,6% Wahlbeteiligung insgesamt). 

An Nr. 6 kandidiert "Isamaa" (Varterland), die im estnischen Parlament momentan eine Oppositionsrolle einnimmt. In Umfragen lag die Partei zuletzt stabil über 20%.  Der Wahlspruch "Auf dem richtigen Weg" soll unter anderem mit einen Stop illegaler Immigration in die EU und bessere Familienpolitik, auch mit einer Begrenzung des Einflusses der EU auf die estnische Politik umgesetzt werden. Außerdem fordert "Isamaa"  wieder mehr für die estnische Wirtschaft zu tun. Gerne würde sich die "Isamaa" durch ein gutes Ergebnis bei der Europawahl auch als Alternative zur regierenden "Reformpartei" etablieren. 

Die Nr. 7 auf dem Wahlschein wird die "Reformpartei" von Regierungschefin Kaja Kallas sein. Die Partei hat im Moment mit sinkenden Umfragewerten zu tun und leistete sich zuletzt interne Machtkämpfe. Kallas hatte sich offen dagegen ausgesprochen, dass Ex-Ministerpräsident und Europaabgeordneter Andrus Ansip noch einmal kandidiert - was letztendlich dazu führte, dass Ansip seine Kandiatur zurückzog.  Kallas saß selbst von 2014 - 2019 im EU-Parlament, Spitzenkandidat bei "Reform" ist jetzt aber Ex-Außenminister und EP-Abgeordneter Urmas Paet, der auch schon mal durchblicken ließ, auch sehr gerne EU-Kommissar werden zu wollen. Als Wahlspruch der Partei klang zuletzt so etwas durch wie "ohne Sicherheit ist alles nichts". 

Als Nr. 8 geht die estnischen Zentrumspartei (Keskerakond) ins Rennen, gegründet schon 1991. Doch die Zeiten eines Edgar Savisaar sind vorbei, und auch Russlands Angriff auf die Ukraine erschütterte die bisher als Russland-freundlich eingeschätzte Partei - dem Zentrum werden noch 12-14% der Wählerstimmen vorhergesagt. Ende März verlor Spitzenkandidat Mihhail Kõlvart das Amt des Bürgermeisters von Tallinn, wo nun SDE, Isamaa, Eeesti 200 und Reformpartei die neue Stadtregierung ohne das Zentrum bilden. Erst kürzlich verließ Ex-Parteichef und Ex-Ministerpräsident Jüri Ratas das Zentrum und ist nun Mitglied bei "Isamaa". Der aktuelle Wahlslogan "Selg sirgu, Eesti" soll wohl "weiter geradeaus" bedeuten. Die Partei spricht sich pro EU und NATO aus, aber auch für die Wahrung des Einstimmigkeitsprinzips in der EU.

Nr. 9 nennen sich "Parempoolsed" ("Die Rechte"), und wurde 2022 vor allem von ehemaligen Mitgliedern der "Isamaa" gegründet. Lavly Perling, ehemals Generalstaatsanwältin und Spitzenkandidatin der Partei, und hatte auch schon mal für "Isamaa" kandidiert. "Parempooled", die sich im Europaparlament an der EVP-Fraktion orientieren will (wo auch die deutsche CDU vertreten ist), spricht sich für die EU, aber gegen Bürokratie aus, für Wirtschaftswachstum statt Subventionen, und angeblich auch "gegen zuviel staatliches Datensammeln". Auffällig auch, dass die Partei in den vergangenen Monaten relativ viele Parteispenden einsammeln konnte - die zweithöchste Summe nach "Isamaa".

Eigentlich seien fünf der sieben Sitze, die Estland im Europaparlament zustehen, bereits so gut wie vergeben - meint Politikwissenschaftler Martin Mölder im ERR. Seiner Prognose zufolge werden die gegenwärtigen EU-Parlamentarier Marina Kaljurand (SDE), Urmas Paet (Reform Partei), Riho Terras (Isamaa), Jaak Madison (EKRE) and Jana Toom (Zentrum) auch wieder einen Sitz erringen können. Bleibt also noch die Frage, wer die übrigen zwei Sitze bekommt. 

Die estnischsprachige Aufforderung, sich an den Europawahlen zu beteiligten, klingt vielleicht für deutsche Ohren vielleicht gewöhnungsbedürftig: "Anna oma hääl !"