Manchen mag es ja als gute Regel gelten, von fremden Sprachen jeden Tag ein neues Wort zu lernen. Also nehmen wir uns auch mal wieder etwas Estnisches vor: Vastlakukkel. Die Bäckereien Estlands melden bereits seit Jahresanfang unruhige Kundinnen und Kunden, denn bald beginnt die Jahreszeit für diese Köstlichkeit - so meldet es die estnische Presse. (err)
Süße Jahreszeiten
Doch was ist das? Kommt uns dies nicht irgendwie bekannt vor? Zumindest wer nur die Abbildung sieht, könnte sich an verschiedenes erinnern, das auch in deutschen Landen bekannt ist: ein "Berliner" mit Sahne? Oder vielleicht ein "Berliner Pfannkuchen"? Ein Krapfen? Ein Kräppel oder Puffel? Irgendwo scheint es auch mal die Bezeichnung "Faschingskrapfen" oder "Fastnachtsküchle" gegeben zu haben - und da sind wir dann offenbar auf der richtigen Spur.
Und es gibt auch Spuren nach Skandinavien: "semla" (Schwedisch), "fastlagsbulle" (finnlandschwedisch), oder "laskiaispulla" (finnisch). Teilweise mit Füllung, teilweise mit heißer Milch serviert, heißt es.
"Shrove croissants" in Tallinn |
Fasten, oder schlemmen?
Und eben das estnische "vastlakukkel". Das estnische Wikipedia meint dazu: "traditionelles Gebäck, das in Skandinavien, Island, Finnland und den baltischen Ländern am Neujahrstag vor dem Fasten hergestellt wird. In Estland sind diese Brötchen vor allem als Neujahrsessen bekannt." Hinzugefügt wird hier, dieses Gebäck sei vor allem in Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark, Island, den Färöer-Inseln, Estland, Lettland, Litauen und "einigen Regionen Deutschlands" bekannt. Ok, vielleicht ist das estnische Selbstbewußtsein ja in diesem Fall ähnlich hoch wie beim Marzipan - von dem ja auch behauptet wird, es sei in Tallinn erfunden worden (siehe Jaan Kross: "Marts Brot"), und nicht etwa in Lübeck. Also: etwas sehr estnisches .... und irgendwo in Deutschland auch noch.
Ein "Vastlakukkel" wird, gemäß der estnischen Beschreibung, aus Hefeteig plus evtl. Schlagsahne, Kardamom, Marzipan, Mandelbrösel oder Vanillecreme hergestellt. Dazu wird uns erklärt, dass die strenge Einhaltung der Fastenzeit "nach der Reformation verschwunden sei" (offenbar gilt das für Estland). Heute seien diese "Neujahrskuchen" von Januar bis Ostern in vielen Lebensmittelgeschäften und Konditoreien in Estland zu haben.
Geht weg, wie warme ...
Durchschnittlich 100 Stück Vastlakukkel, am Wochenende bis zu 200 verkauft derzeit die Bäckerei "La Boulangerie" in Tallinn, verrät der Eigentümer (ERR) - obwohl der Slogan gerade dieser Bäckerei eher "ein Stück Frankreich in Estland" ist. Und Kenneth Karjana, Eigentümer der Bäckerei "Karjase Saia" sagt, er würde dieses Gebäck "die ganze kalte Jahreszeit durch" herstellen (dort angegeboten als "Shrove Croissants"). Ob man nun den Stückpreis von 4-5 Euro akzeptabel findet, ist wohl den Genießerinnen und Genießern zu überlassen. Der Bäcker selbst scheint Sorge zu haben, ein Preis von über 5 Euro könne "sich eine estnische Familie nicht mehr leisten". (ERR)
In einem früheren Beitrag ist bei ERR dann allerdings doch zu lesen, die Esten hätten diese Tradition wahrscheinlich doch eher von den Deutschen übernommen, die zu früheren Zeiten im Lande gewohnt hätten. So wird wohl die Behauptung von "nach der Reformation verschwunden" eher zu "mit dem Ende der deutschen Vorherrschaft verändert". Professorin Reet Bender, Expertin für deutsche Sprache und Kultur, führt das auf Rezepte aus dem 18. Jahrhundert zurück, wo es als "heiße Wecken" in Estland verkauft worden sei. Die Deutschbalten hätten es früher sogar gern mit Rosinen und sogar Rosenwasser gebacken. Die Sahne sei dann in den 1920iger und 1930iger Jahren dazugekommen, denn Estland, als Agrarland, habe damals ausreichend viel davon produziert, und man habe es dann zu vielen Speisen hinzugenommen. Heute sei es ja manchmal auch ein Massenprodukt, so Bender, aber zu Hause könne es natürlich jeder und jede gern so üppig wie gewünscht herstellen.
Frisch empfohlen
Auch einige "Influencer" und Blogger haben das Gebäck schon entdeckt. Beim "Schneehörnchen" heißt es "auf zum Semlor essen"; die estnische Variante wird erwähnt, das Rezept ist wohl eher schwedisch. "Nordic Estonia" präsentiert "Vastlapäev" mit dem zugehörigen Gebäck, versteigt sich aber beim Blick aufs Nachbarland Lettland darauf, dasselbe würde dort "vēja kūkas" ("Windkuchen") heißen - nun ja, da sind wir doch eher beim Windbeutel, Elair, oder Blätterteig (ich kenne es aus Riga mit der Bezeichnung "Vēcrīga", Rezept hier). Die Sahne kommt hier nicht drauf, sondern hinein.
"Estoniancuisine" klärt uns darüber auf, dass es in Estland zwei Fraktionen gäbe: die einen meinen, es gehöre ausschließlich Schagsahne auf den Vastlakukkel, aber die anderen wollen auch Marmalade drauf haben. Und eine Regel: lieber ein frisch gebackener Vastlakukkel am Morgen, als zehn alte pro Tag. Wie auch immer: nicht nur zur Fastenzeit ...
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