Dienstag, April 03, 2007

1934 Ein Wendejahr - 1.Teil

Ab und zu wird im Internet darauf hingewiesen, dass Estland vor 1939 ein autoritärer Staat gewesen sei. Manche zählen die Republik in den 30ern sogar zu den faschistisch regierten. Vom Staatsoberhaupt gesteuert, dem langjährigen Präsidenten Konstantin Päts. War es wirklich so? Was geschah 1934?
In den Erinnerungen der Deutschbalten verlieren die Vorgänge auf der politischen Bühne häufig die Brisanz, die ehemalige Heimat verklärt zu einer Idylle. Vielleicht war es auch ein wenig so. In Deutschland regierten die Nazis, in Italien die Faschisten, in Spanien wird kurze Zeit später Franco zum mächtigsten Mann. Aber auch Esten sehen diese Zeit Anfang der 30er ähnlich, wie ihre deutschen Landsleute:
Anton Kivirähk - Die Memoiren des Anton Orav
In diesen seligen Zeiten also war Konstantin Päts Präsident. Ein rechter Volkstribun, dessen Haus jederzeit einem jedem Esten offenstand. Auch ich war dort häufig zu Gast. Der Präsident war immer von Menschen umgeben. Man unterhielt sich, spielte Corona und Billard. Frisch Verliebte trafen sich heimlich bei Päts, frisch Verheiratete verlebten bei Päts ihre Flitterwochen. Für jedermann hatte der Präsident ein gutes Wort übrig, einen freundlichen Blick oder einen saftigen Schmorbraten. Er ging mit einem kleinen Lappen unter sein Volk, wischte hier, putzte da, ordnete dort. Bei Päts herrschte immer peinliche Sauberkeit.
Manchmal kam auch General Laidoner hereingeritten. Dann setzten sich der Präsident und sein General in eine Ecke und hielten Rat, wie man der Vapsen Herr werden könnte. Man scheute sich auch nicht, die Meinung der Gäste anzuhören. Die Beratungen verliefen sehr stürmisch und endeten schließlich immer damit, daß der Führer der Vapsen, Artur Sirk, kopfüber aus dem Fenster gestürzt wurde.

Schwer zu sagen, wieviel Fiktion in dieser Darstellung steckt, wahrscheinlich nicht viel. Es gab eine Opposition in Estland vor dem Entscheidungsjahr und einer ihrer mächtigsten Vertreter neben Sirk ist Andres Larka:

Nach dem Unabhängigkeitskrieg, der 1920 mit dem Frieden mit der Sowjetunion endete, war er Kriegsminister, wurde später krank, eine Unterbrechung.
Ab 1928 war Andres Larka in der Politik aktiv. Er schloss sich dem 1926 gegründeten Zentralverband der estnischen Freiheitskämpfer (Eesti Vabadussõjalaste Keskliit) an, dessen Vorsitzender er von 1930 bis zur Auflösung 1933 war. 1934 wurde er Vorsitzender der Nachfolgeorganisation, des Verbands der estnischen Freiheitskämpfer (Eesti Vabadussõjalaste Liit). Die Anhänger wurden im Volksmund Vapsid genannt und gewannen bald entscheidenden Einfluss auf die estnische Politik.

Andres Larka in Wikipedia.
Sirk dagegen hat keine Militärkarriere in der Republik gemacht sondern war Rechtsanwalt.
Was waren die Gründe einer erstarkenden Opposition? Bei Georg von Rauch: Geschichte der baltischen Staaten gibt es den Hinweis auf eine parlamentarische Krise:
In Estland betrug die Lebensdauer einer Regierung zwischen 1919 und 1933 nur acht Monate und 20 Tage im Durchschnitt.

Berufsgruppen und Wirtschaftslobbyisten wurden immer mächtiger und begannen das Parteiensystem auszuhebeln. Die Abgeordneten fingen an die Parteien zu wechseln. In diese Phase fiel der Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise.

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