Freitag, September 19, 2008

Eesti muutub Saksamaaks[1]

Das war Ende der 90er ein im privaten Kreis regelmäßiger geäußerter, scherzhafter Kommentar über Estland. Damals stand dahinter eine Mischung aus Genugtuung über die rasante Entwicklung Estlands und der Trauer über das Verschwinden verschiedener sowjetischer oder postsojwetischer Exotica im Alltag.

Nunmehr haben alle osteuropäischen Staaten das stürmische erste Jahrzehnt der Transformation durchgestanden, wirtschaftlich und politisch wurde von der Transformationstheorie schon früher eine Stabilisierung prognostiziert. Dies ist damals von Pzreworski in Zweifel gezogen worden und wird durchaus auch heute noch diskutiert. So ist denn Stabilität in den meisten Staaten wenigstens politisch nur teilweise eingetreten. Nach wie vor ist es eine Seltenheit, wenn wie Dzurinda in der Slowakei 2002 oder Gyurcsány in Ungarn 2006 amtierende Regierungen wiedergewählt werden. In Estland gelang dies 2007 ebenfalls, jedoch wählte Ministerpräsident Ansip andere Koalitionspartner.

In Estland hat so wie in den baltischen Nachbarstaaten noch nie eine Regierung eine ganze Legislaturperiode durchgehalten. Auch gibt es nach wie vor so viel Instabilität im Parteiensystem, daß infolge des Popularitätsverlustes der liberal-konservativen Regierungen bei gleichzeitigem Wunsch der Wähler nach Parteien ähnlicher Coleur, neue Parteien wie Res Publica 2003 und die wiedergegründeten Grünen 2007 den Sprung in Parlament geschafft haben.

Doch die Umfragen zeigen derzeit eine große Stabilität, wie die Zeitung Postimees am 15. September berichtete, und damit efreut sich Ministerpräsident Andrus Ansip nach wie vor großer Beliebtheit.
Die liberale Reformpartei (Reformierakond) des Regierungschefs hat sich von 21% auf 19 geringfügig verschlechtert, damit sind sich aber immer noch ein Fünftel der Wählerschaft sicher, diese Partei zu bevorzugen. Die Koalitionspartner der Vereinigten Vaterlandsunion und Res Publica (Isamaa ja Res Publica Liit) kommen mit 10% auf zwei Punkte mehr als vor Monatsfrist. Die Sozialdemokraten (Sotsiaaldemokratlik Erakond), aus deren Reihen auch Präsident Toomas-Hendrik Ilves stammt, bleiben bei 8%.
Dieses würde den reinen Zahlen nach derzeit für eine Mehrheit im Parlament (Riigikogu) nicht reichen, doch 16% der Befragten gaben an, unentschlossen zu sein. Diese Zahl belegt ebenfalls die Stabilität, ist sie doch überraschend niedrig für ein baltisches Land.

Stabilitätsfaktor wären ebenfalls die Grünen (Rohelised), die bereits 2007 mit Ansip Koalitionsverhandlungen geführt hatten. Daß die Beteiligung schließlich nicht zustande kam, ist auf die Verweigerung des gewünschten Umweltressorts zurückzuführen. Doch damals waren die Grünen für eine Mehrheit eben auch nicht erforderlich.
Ein dritter Stabilitätshinweis ist die starke Opposition der Zentrumspartei (Keskerakond) unter Edgar Savisaar, welche sich, immer wenn in der Opposition, sozialdemokratisch geriert. Sie war allerdings bis 2007 der Partner Ansips in einer nur aus den beiden stärksten Fraktionen bestehenden Koalition. Und dies war auch nicht das erste Mal, daß im Laufe einer Legislaturperiode ein Partnertausch stattfand.

In den Jahren seit 1992 hat sich auf diese Weise zwar keine Regierung vier Jahre an der Macht halten können, die Politik hat sich jedoch jeweils nur in Nuancen verändert, das Ergebnis stabiler Verhältnisse.
Wenig verwundert, daß die Volksunion (Rahvaliit) den Sprung ins Parlament laut Umfragewerten nicht schaffen würde. Seit der frühere kommunistische Funktionär und spätere Präsident Arnold Rüütel die Politik verlassen hat, fehlt die populäre und bekannte Figur. Hinzu kommt, daß der wichtigste Politiker dieser Partei, Villu Reiljan, kämpft seit langem mit Korruptionsvorwürfen. Vor wenigen Monaten entzog das Parlament ihm die Immunität.

Gewiß ist Estland nicht Deutschland. Aber in den 90ern sollte der entsprechende Satz einen Prozeß andeuten. Doch in einem Punkt gibt es eine vielleicht sogar deutlichere Ähnlichkeit: Das Vertrauen in staatliche Institutionen und die Politik sinkt, wie Postimees am gleichn Tag in einem anderen Artikel berichtet. Hintergrund sind nach Meinung der Demoskopen die Krise im Kaukasus wie auch innenpolitische Debatten um den Haushalt. Interessant ist besonders die anhaltende Beliebheit des Ministerpräsidenten Andrus Ansip. Sein Vertrauenswert übersteigt mit 59% alle anderen politischen Institutionen.

[1] Estland wird zu Deutschland

5 Kommentare:

  1. Ansips Top 5:

    1. Bald wird Estland zu den 5 reichsten Ländern in Europa gehören
    2. Wenn bis 2007 in Estland der Euro nicht eingeführt wird, trete ich zurück
    3. Estland braucht kein Transit
    4. Die Bronzene Nacht hatte keinen Einfluss auf die estnische Wirtschaft
    5. Unter dem Bronzenen Soldaten sind Vergewaltiger, Marodeure und Alkoholiker vergraben

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  2. Top 1 der angetrunkenen Demonstranten in der Bronzenacht: Фашисты. Helmut Kohl: blühende Landschaften. Gerhard Schröder: lupenreiner Demokrat. Wollen wir diese Trivialitäten forsetzten? Mit dem kommentierten Beitrag haben sie nichts zu tun.

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  3. Naja, Andrus Ansip ist desshalb so populär, weil er noch als einzige Person in der politisch estnischen Landschaft die Russophopie vorantreibt (neben Mart Laar und seinem Portal "Investigation of Communist Crimes" - mir wäre lieber, er würde dem Land bei den anstehenden und notwendigen Reformen dienen).

    Zum anderen verbreitet Ansip weiterhin, dass in Estland alle in Ordnung sei, das Land 2010 dem Euro beitreten wird und nächstes Jahre ein Wirtschaftswachstum von 2,6% zu erwarten sei.

    Das kommt in der estnischen Bevölkerung gut an - noch!

    Meiner Meinung nach ist es sehr fraglich, ob die derzeitige Regierung noch mehr als 6 Monate durchhalten wird, denn Massenentlassungen im Real-Estate Bereich stehen für Oktober an, die beschlossenen Steuerhöhungen und die steigende Ausfälle in der Rückzahlung von vor allem Baukrediten wird die Bevölkerung in den kommenden Monaten (passend zur Weihnachtszeit) zu spüren bekommen, in der auch so Manche ihr Hab und Gut versteigert sehen werden. Und das ist nur eine oberflächliche Anschneidung der derzeit wirtschaftlichen Probleme, die Estland derzeit durchmacht.

    Standard & Poor hat zudem angegeben, dass die baltischen Staaten aufgrund der Kreditenkrise derzeit am meist verwundbarsten ökonomischen Märkte sind.

    Bringen wir es doch mal auf den Punkt: die derzeitige Regierung ist unfähig, notwendige Reformen durch zu setzen, gar einen Aktionsplan auf den Tisch zu legen, dass Flugzeug wieder auf Kurs nach oben zu bringen.

    Hoffentlich wird die nachfolgende Regierung eine sein, welche wieder mehr Mut und Fähigkeit zu Reformen wagt und etwas weniger arrogant auftritt.

    Bei der Parteienkonstellation mache ich mir dabei eher weniger Sorgen. Keskerakond wird vielleicht zwar an einer künftigen Regierung beteiligt sein, allerdings ist dies fraglich bei den derzeitigen Korruptionsfällen um Savisaar.

    Eher wahrscheinlich ist, dass sich die an der Regierung beteiligten Parteienverhältnisse nur marginal verändern werden, dafür jedoch vermehrt neue Köpfe frische Ideen mit sich bringen werden.

    Ich würde mir dies für Estland jedenfalls wünschen, denn so wie es derzeit läuft, dürfte es keine Sekunde weiter gehen, wenn dieses Land noch auf absehbare Zeit wirtschaftlich gerettet werden soll.

    Sonst wird es nähmlich nicht nur mit dem EURO-Beitritt in 2011 nichts, sondern auch nicht in 2015.

    Und lange Zeiten für Spekulation gegen die estnische Kroone kann sich dieses Land nicht leisten, denn eine Abwertung der estnischen Währung wäre ein Bankrotterklärung für das Land, da die meisten Kredit in Estland in EURO vergeben wurden.

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  4. Ach, noch etwas, hier in Estland sollte man so schnell, wie möglich begreifen, dass schnelles Wachstum und schnelles Geld verbunden mit hohen Renditeerwartungen der Investoren meistens in die Hose geht, wenn dieses nur dem Spiel des absolut freien Marktes überlassen wird. Amerika hat es ja vorgemacht. Letzendlich wird der Staat wieder einspringen müssen, um einen Kollaps zu verhindern - d. h. der Steuerzahler ist wieder gefordert und das bremst dann den Aufschwung (mangels reduzierter Nachfrage der Konsumenten) sehr schnell ab.

    Estland müsste jetzt nach neuen Investoren verschiedener Länder suchen, um so schnell, wie möglich, dem Teufelskreis entgegen zu wirken.

    Bisher ist mir allerdings nur bekannt, dass erste Gespräche mit Taiwan aufgenommen wurden mit einem derzeit noch offenem Ergebnis.

    Zudem wird es ohne einen klaren und wegweisenden Reform-Plan mühselig sein, Investoren zu finden, die einen Grund darin sehen, in die estnische Wirtschaft zu investieren.

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  5. Das ist schon ein anderes Thema, sonikrave. Und wenn wir dagegen nach Lettland schauen, dann sehen wir schon lange eine Bananenrepublik.

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