Der estnische Politologe Rein Toomla behauptete bereits in seinem 1999 erschienen Buch über die Parteien in Estland, das Land habe ein Parteiensystem. In der Politikwissenschaft beschreibt dieser Begriff die Gesamtheit der Parteien eines Staates inklusive Diskussionen über relevante Parteien, also jene, die es wenigstens ins Parlament schaffen. Wenn also Toomla 1999 sagte, Estland habe ein Parteiensystem, dann meinte er damit dessen Prognostizierbarkeit. Er argumentierte, daß es schon vorher offensichtlich sei, welche Parteien den Sprung in die nächste Wahlperiode schaffen.
Toomlas Behauptung erwies sich bislang als richtig. Während in den südlichen Nachbarländern Parteienspaltungen und -vereinigungen sowie Neugründungen nichts Ungewöhnliches sind, so wurde die „jüngste“ Partei Estlands bereits 1994 vom früheren Nationalbankpräsidenten und heutigen EU-Kommissar Siim Kallas gegründet.
Anfang März finden turnusgemäß Parlamentswahlen statt, und es bleibt dabei: Welche Parteien vertreten sein werden, ist so gut wie sicher. Das ist zunächst die regierende Reformpartei, die Gründung von Kallas, die Zentrumspartei des Volksfront-Regierungschefs Edgar Savisaar, der auf nationaler Ebene trotz regelmäßig großer Wahlefolge von den anderen Parteien als Partner meist abgelehnt wird und deshalb seit Jahren das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt der Oppositionsbank vorzieht sowie die Union aus Vaterland und Res Publica. Letztere war vor ungefähr zehn Jahren als Saubermannpartei gegründet später in der Vereinigung aufgegangen. Außerdem werden die nach vielen internen Streitigkeiten angeschlagenen Sozialdemokraten wohl Mandate erzielen. Ob die Volksunion, die vorwiegend die Landbevölkerung anspricht, und die Grünen die 5%-Hürde überspringen werden, gilt als unsicher, aber nicht unwahrscheinlich.
Die derzeitig regierende Minderheitsregierung aus Reformpartei und Vaterland unter Ministerpräsident Andrus Ansip hat sich gegenüber zahlreichen Wahlversprechen der Sozialdemokraten bereits ablehnend geäußert. Dieser Schritt ist insofern von Interesse, als diese bis vor rund einem Jahr der Koalition angehörten und wegen eines Streites über die Arbeitsmarktpolitik Ansips die Regierung verlassen hatten. In den vergangenen 20 Jahren haben aber die Sozialdemokraten immer wieder mit den nationalen und liberalen Kräften koaliert und nicht mit der sich regelmäßig sozialdemokratisch gerierenden Zentrumspartei zusammengearbeitet.
Damit wird eine Fortsetzung der bisherigen Regierungsarbeit in der bisherigen Koalition sehr wahrscheinlich. Ansip wird im Land von vielen Menschen geachtet, weil Estland durch die Finanzkrise trotz aller Schwierigkeiten immer noch besser gesteuert wurde als sein südlichen Nachbar Lettland. Seiner Reformpartei werden 40% zugetraut. Aber Umfrageinstitute geben zu bedenken, daß unter den gegebenen Umständen unentschlossene Wähler einen bedeutenden Einfluß haben könnten. Wichtig ist auch die Frage, wie viele Wähler ihre Stimme den Einzelkandidaten geben. Nach estnischen Wahlrecht ist es möglich, als Einzelperson um ein Mandat zu kandidieren.
Rein Toomla meint deshalb, daß angesichts auf dieser Weise „verfallender“ Stimmen die Reformpartei sogar mit unter 50% der Stimmen eine absolute Mehrheit der Sitze erzielen könnte, was eine echte Sensation für die estnische Politik bedeutete. Ein solches Szenario würde freilich um so wahrscheinlicher, je eher die Grünen und die Volksunion tatsächlich an der 5%-Hürde scheitern würden.
Sicher scheint nur eins. Politisch wird sich in Estland kaum etwas verändern.
Toomlas Behauptung erwies sich bislang als richtig. Während in den südlichen Nachbarländern Parteienspaltungen und -vereinigungen sowie Neugründungen nichts Ungewöhnliches sind, so wurde die „jüngste“ Partei Estlands bereits 1994 vom früheren Nationalbankpräsidenten und heutigen EU-Kommissar Siim Kallas gegründet.
Anfang März finden turnusgemäß Parlamentswahlen statt, und es bleibt dabei: Welche Parteien vertreten sein werden, ist so gut wie sicher. Das ist zunächst die regierende Reformpartei, die Gründung von Kallas, die Zentrumspartei des Volksfront-Regierungschefs Edgar Savisaar, der auf nationaler Ebene trotz regelmäßig großer Wahlefolge von den anderen Parteien als Partner meist abgelehnt wird und deshalb seit Jahren das Bürgermeisteramt in der Hauptstadt der Oppositionsbank vorzieht sowie die Union aus Vaterland und Res Publica. Letztere war vor ungefähr zehn Jahren als Saubermannpartei gegründet später in der Vereinigung aufgegangen. Außerdem werden die nach vielen internen Streitigkeiten angeschlagenen Sozialdemokraten wohl Mandate erzielen. Ob die Volksunion, die vorwiegend die Landbevölkerung anspricht, und die Grünen die 5%-Hürde überspringen werden, gilt als unsicher, aber nicht unwahrscheinlich.
Die derzeitig regierende Minderheitsregierung aus Reformpartei und Vaterland unter Ministerpräsident Andrus Ansip hat sich gegenüber zahlreichen Wahlversprechen der Sozialdemokraten bereits ablehnend geäußert. Dieser Schritt ist insofern von Interesse, als diese bis vor rund einem Jahr der Koalition angehörten und wegen eines Streites über die Arbeitsmarktpolitik Ansips die Regierung verlassen hatten. In den vergangenen 20 Jahren haben aber die Sozialdemokraten immer wieder mit den nationalen und liberalen Kräften koaliert und nicht mit der sich regelmäßig sozialdemokratisch gerierenden Zentrumspartei zusammengearbeitet.
Damit wird eine Fortsetzung der bisherigen Regierungsarbeit in der bisherigen Koalition sehr wahrscheinlich. Ansip wird im Land von vielen Menschen geachtet, weil Estland durch die Finanzkrise trotz aller Schwierigkeiten immer noch besser gesteuert wurde als sein südlichen Nachbar Lettland. Seiner Reformpartei werden 40% zugetraut. Aber Umfrageinstitute geben zu bedenken, daß unter den gegebenen Umständen unentschlossene Wähler einen bedeutenden Einfluß haben könnten. Wichtig ist auch die Frage, wie viele Wähler ihre Stimme den Einzelkandidaten geben. Nach estnischen Wahlrecht ist es möglich, als Einzelperson um ein Mandat zu kandidieren.
Rein Toomla meint deshalb, daß angesichts auf dieser Weise „verfallender“ Stimmen die Reformpartei sogar mit unter 50% der Stimmen eine absolute Mehrheit der Sitze erzielen könnte, was eine echte Sensation für die estnische Politik bedeutete. Ein solches Szenario würde freilich um so wahrscheinlicher, je eher die Grünen und die Volksunion tatsächlich an der 5%-Hürde scheitern würden.
Sicher scheint nur eins. Politisch wird sich in Estland kaum etwas verändern.
Lieber Herr Reetz,
AntwortenLöschenMich interessiert bei der ganzen Sache eigentlich nur ein Punkt: Wie viele Bürger geben bei Wahlen in Estland überhaupt noch ihre Stimme ab?
Prognosen zufolge soll die Wahlbeteiligung mit etwa 60% wohl noch einmal etwas etwas niedriger liegen als bei den letzten nationalen Wahlen. Zum Vergleich: Bei der letzten deutschen Bundestagswahl betrug lag die Wahlbeteiligung zwar mit 70% noch deutlich höher als in Estland, wurde dennoch von Experten schon als Alarmzeichen gewertet und es wurde darüber gesprochen, wie repräsentativ Demokratie damit noch sei. Es war nämlich die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte der Bundesrepublik. Ich vermute mal ganz stark, sie kommen mir bestimmt mit dem Argument, dass die Bedeutung der Wahlbeteiligung in der Politikwissenschaft umstritten sei und dass in Staaten wie den USA eine noch viel niedrigere Wahlbeteiligung üblich ist. Ich weiß das alles Herr Reetz. Allerdings kenne ich auch die Gegenposition und die ist wesentlich überzeugender.
1. ist nämlich zumindest in der europäischen Demokratietradition eine niedrige Wahlbeteiligung nicht normal ( und europäisch möchte Estland doch sonst so gerne sein).
2. haben Staaten mit niedriger Wahlbeteiligung ein Inkusionsproblem und Integrationsproblem: Das ist dann besonders dann besonders problematisch, wenn die Wahlabstinenz systematisch bestimmte gesellschaftliche Gruppen, z.b. sozial Schwache oder Minderheiten betrifft.
Dann nämlich ist das Wahlergebnis nicht mehr repräsentativ für die gesamte Gesellschaft, sondern enthält deutliche Bias. Und das ist langfristig mehr als problematisch für jede demokratische Entwicklung.
Ich glaube genau dieser Fall trifft auf Estland zu . Empfehlen kann ich Ihnen zu diesem Thema zwei exelllente empirische Untersuchungen: die eine stammt aus Deutschland und untersucht anhand der kleinräumigen Verhältnisse der Stadt Bremen wie Wahlenthaltung durch Faktoren wie Armut und soziale Ausgrenzung beeinflußt wird. (Schlichting 2009). Die andere Untersuchung stammt von Pieter Vanhuysse (2009) von der Universität Haifa und beschäftigt sich u.a. mit dem fehlenden Wahlrecht von Teilen der russischen Minderheit in Estland. Interessant ist, dass der Autor hier der estnischen Politik nicht etwa Nationalismus oder Chauvinismus, sondern ganz rationales Kosten / Nutzen Kalkül unterstellt. So wäre es Anfang der 90er Jahre nur möglich gewesen die Schock- Theraphie durchzusetzen, weil wichtigen Gruppen, die dabei ökonomisch und sozial zu verlieren hatten schlichweg die "voice" Option, d.h. das Wahlrecht entzogen war.
Mit freundlichen Grüßen,
moevenort
Hi moevenort,
AntwortenLöschenwie immmer ein eifriger Kommentator unseres Estland-Blogs - auch wenn Sie in Ihrem Profil (wo inzwischen immerhin eine Email angegeben ist, falls jemand mal Fragen hat) ja angeben, immer nur den "Freitag" zu lesen....
Ich muss zugeben, ich bin ein Freund klarer Aussagen. Also, wenn Sie sagen würden: erst wenn die russisch-stämmigen Mitbürger/innen in Estland nicht nur Regionalwahlrecht hätten (denn das haben sie ja immerhin, auch im Unterschied zu Lettland), sondern auch bei Parlamentswahlen in Estland mitstimmen können, dann halte ich die Demokratie in Estland für wirklich gelungen - dem könnte ich sogar folgen.
Dann könnten wir uns den Fragen widmen, warum das wohl noch nicht soweit ist, und was hindert. Vielleicht auch mal konkrete Beispiele, wie das Regionalwahlrecht konkret geholfen hat, "russische" Interessen wahrzunehmen - und ob diese Interessen wirklich nur darin bestehen, bedingunglos die Staatsbürgerschaft zu bekommen (wie manche Funktionäre behaupten, die gern als Vertreter dieser Interessen gesehen werden wollen).
So aber können Sie es wieder nicht lassen zu behaupten, Axel Reetz hätte irgend etwas unterschlagen in seinem kurzen Bericht zum erwarteten Wahlergebnis. Hamburg hatte übrigens am vergangenen Wochenende 57% Wahlbeteiligung.
Ich kann mir nicht helfen, irgendwie klingen Ihre Äußerungen immer so als ob Sie sowieso nicht erwarten, dass Demokratie die richtige Staatsform ist. Allzu traurig, dass Est/innen nicht mehr die "Wege zum Kommunismus" suchen, sollte man aber wirklich nicht sein - so gut sollte man Estland und seine jüngste Geschichte kennen.
Dem gefolgt, was Sie schreiben (oder eigentlich ja nur zu zitieren vorgeben), dann könnte man hinter solchen Äußerungen die schlecht gespielte Trauer von sozialistischer Seite vermuten, nur das fehlende Wahlrecht für diejenigen, die sich noch nicht für eine estnische Staatsbürgerschaft entscheiden konnten würde verhindern, dass die Menschen in Estland (endlich?) wieder sozialistisch wählen. Ich befürchte, das ist nichts als Selbstbetrug. Unterschätzen Sie die Russinnen und Russen in Estland nicht! Bessere Politik machen ist immer noch die geeignetere Maßnahme. Oder - aus der Sicht der Menschen gesehen: öfter einmischen als nur alle paar Jahre wählen gehen und auf Politiker vertrauen - denn diese Erfahrung haben wir ja in Deutschland auch.
Und übrigens: wer hat wem "das Wahlrecht entzogen"?? Wenn ich mich richtig erinnere, hat Estland das demokratische Wahlrecht erst mit Wiedererlangung der Unabhängigkeit (wieder) eingeführt ...
Moevenort,
AntwortenLöschendaß Sie diesen Post kommentieren würden, habe ich ecxakt erwartet.
Ich muß aber meinerseits kommentieren, daß das Thema Wahlbeteiligung bei weitem nicht wicht so unisono bewertet wird, wie Sie es darstellen. Es gibt auch in der EU Staaten, in denen Wahlenthaltung eine Ordnungswidrigkeit ist. In anderen Ländern gibt es nicht einmal ein Wählerregister, hier ist wählen entschieden mehr Aufwand, als nur am Wahltag das Wahllokal aufzusuchen.
Es stimmt, 2009 haben einige Kommentatoren 72% Wahlbeteiligung als Negativrekord dargestellt. Aber im internationalen Vergleich unter demokratischen Staaten sind 60% absolut ok.
Und ich gehöre zu jener Fraktion, die es als Affront empfindet, wenn ein moevenort mir vorschreibt, wann ich wählen gehen soll! Zumal aus Ihren Kommentaren ja hervorgeht, daß Sie immer besser wissen, was für das Volk gut ist. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, daß diejenigen, die nicht Ihrer Meinung sind in einer Demokratie ein Recht darauf haben? Mein Vorschlag, stellen Sie sich zur Wahl, vielleicht kriegen Sie ja dann wie in der DDR 99%!
vielleicht nur eins zur Klarstellung: Ich finde es immer wieder interessant zu sehen wie Schubladendenken funktioniert. Dass mir hier (von vermutlich westdeutscher Seite) irgendwelche Sympathien für die DDR oder Russland unterstellt werden belustigt mich allerdings. zu Ihrer Information: In die Schublade gehöre ich ganz gewiss nicht. Wissen Sie, ich stamme aus einer Familie, die aktiv in Opposition zur DDR stand, christlich geprägt ist und sich sogar gfeweigert hat, ihre Kinder zu DDR Zeiten zu den Jungpionieren zu schicken. Und das hat zu der Zeit eine ganze Menge Rückgrad erfordert. dieser familäre Hintergrund hatte einen wesentlichen Vorteil: ich habe gelernt jedweder ideologie zu mißtrauen, sei sie nun kommunistisch oder neoliberal. beides widerspricht meinen ethischen Maßstäben. Statt also weiter krampfhaft zu versuchen, mich in eine Schublade zu stecken, würde ich mir lieber eine inhaltliche Auseindandersetzung wünschen. Seien Sie versichert, ich bin ein durch und durch von der Demokratie überzeugter und kritischer Bürger meines Landes. Nur verstehe ich und viele andere Bürger iun Deutschland unter Demokratie wohl ein bischen mehr, als irgendwelche selbsternannten politischen Eliten.
AntwortenLöschenP.S.: Albatros hat übrigens recht. Niemandem ist das Wahlrecht entzogen worden. Und wenn Sie sich in Estland so gut auskennen, sollten Sie einmal darüber nachdenken, was es 1992 bedeutet hätte, gut 30% der Bevölkerung die Entscheidung über ein Land zuzugestehen, die dieses zu einem guten Teil gar nicht haben wollten? Das hätte bedeutet, die Folgen des Stalinismus demokratisch zu zementieren. Ich habe gerade darüber im Lettland-Blog geschrieben: http://lettland.blogspot.com/2011/02/europa-und-lettland-verstehen-sich.html
AntwortenLöschenIm übrigen haben auch Sie recht mit der Erwähnung von Forschungen zum Thema der Repräsentativität einer Demokratie, in der bestimmte Bevölkerungsschichten nicht mehr zur Wahl gehen. Aber was schlagen Sie vor? Sollen wir alle HARTZ IV Wahlverweigerer an die Wand stellen?
Unsere Texte haben sich gekreuzt. Moevenort, ich stecke Sie in überhaupt keine Schublade. Sie stecken sich selbst in eine Schublade, weil sie ausgesprochen einseitig argumentieren. Das kann und sollte man wohl auch in einer Talkshow machen, aber nicht als Wissenschaftler. Übrigens mit Ihren letzten Ausführungen stecken Sie sich in die Schublade jener, die immer gegen alles sind, was jüngst von Konservativen den Gründen vorgeworfen wird. In diesem Punkt ähnelt Ihre Argumentation nicht links, sondern rechts.
AntwortenLöschenIch selbst bin als Student von linken als rechts diffamiert worden und umgekehrt.
Was das Verständnis des Demokratie-Begriffes betrifft, denke ich, sind wir uns einig, das daß sehr unterschiedlich ausfällt. In Estland (und anderen post-sozialistischen Staaten) z.B. verstehen viele unter Demokratie, daß die Regierung jedem monatlich soundsoviel garantiert, also Wohlstand. Das ist aber eine falsche Übersetzung des Wortes Demokratie. Im Lettischen wird gerne gesagt "tautas vara", also die Macht des Volkes. Das ist auch falsch.
Noch einmal P.S.: Mir fällt gerade ein Aspekt auf, den ich übersehen hatte, der mißverstanden werden könnte. Mit DDR und 99% meinte ich folgendes:
AntwortenLöschen1. Da Sie vorgeben zu glauben zu wissen, was für jene gut ist, die nicht wählen gehen, war meine Empfehlung, sich diesen und allen anderen selbst zur Wahl zu stellen. Stimmen diese Ihren Positionen zu, dann bekommen Sie in demokratischen Wahlen, also eben nicht wie in der DDR 99%.
2. Der Aspekt Ihrer Biographie ein dagegen Typ gewesen zu sein, scheint sich fortzusetzen. In Ihren Kommentaren kritisieren Sie umfangreich und zitieren viele Autoren, aber wo ist das Konzept? Nach Ihren Ausführungen liege ich meistens falsch, die Esten wählen auch falsch oder gehen, diese Trottel, gar nicht erst an die Urne usw. Und was jetzt tun Ihrer Ansicht nach?
Lieber Herr Reetz,
AntwortenLöschenwas meinen Sie eigentlich mit "dagegen typ"? wären es Ihnen etwa lieber, ich oder hätte mit der DDR sympatisiert bzw. sich mit ihr arrangiert statt zu opponieren?
Meiner Meinung nach ist der Begriff "Dagegen Typen" ein Unwort, egal ob ob er nun für Anhänger der Grünen ( was ich übrigens nicht bin) oder jemand anderen verwendet wird. Es ist genau so ein Unwort wie der Begriff "Wutbürger", der in Kreisen bestimmter sich wichtig nehmender Journalisten und sich als Elite fühlender Politiker in jüngster Zeit verwendet wird, um jene Bürger zu diffamieren, die offensichtlich nicht mehr bereit sind, sich jede demokratisch zweifelhafte Praxis bieten zu lassen.
was nun ihre Fragen angeht: das ist ein bischen viel verlangt, von mir verlangt alle Antworten zu verlangen, oder? Ich bin wohl kaum Mesias oder so etwas. Mein Geschäft ist in erster Linie eine möglichst akkurate Analyse von gesellschaftlichen Zuständen. Über Lösungen kann ich mir zwar Gedanken machen wie viele andere Bürger auch, mehr aber auch nicht. Man wird sehen, ob die vielen Gedanken kritischer Bürger die Gesellschaft in Deutschland oder anderswo voranbringen oder nicht.
und nein, ich möchte keine sozial Schwachen "an die Wand stellen" wie sie meinten. Ich möchte im Gegenteil, dass sie sich in Deutschland wie Estland an Wahlen und Politik wieder beteiligen und nicht resignieren und in Aphatie verfallen. Das dies aber so gekommen ist, ist allerdings wohl kaum den Bürgern selbst vorzuwerfen, sondern doch wohl eher der politischen Praxis der vergangenen Jahrzehnte.
Was erwarten Sie denn von den Bürgern, wenn sie mit einer unsozialen Politik konfrontiert werden, die Ihnen sei es nun von Hernn Ansip oder Frau Merkel ständig als "alternativlos" verkauft wird. Wozu dann noch wählen gehen?, sagen sich dann viele. Nicht zu unrecht wurde das Merkels Wort "alternativlos" (Schröders Equivalent war übrigens "basta") zum Unwort des Jahres gekürt. Wenn Politiker allerdings in einer Demokratie anfangen von einer vermeintlichen Alternativlosigkeit zu sprechen wird es problematisch. Denn "alternativlos" und Demokratie ist ein Widerspruch an sich. Demokratie lebt von Alternativen, unter denen der Bürger wählen kann. Wenn jedoch - wie in Estland kein klares links / rechts Schema existiert, wenn acht verschiedene estnische Regierungen dieselbe Art Wirtschaftspolitik betreiben, wenn z.b. eine Partei wie die estnische SDE sich ausschließlich an Regierungen beteiligt, die das genaue Gegenteil von ihrer eigentlicher Programatik vertreten, (siehe u.a. Kasekamp 2003 oder Lauristin / Vihalemm 2009 für eine genaue Analyse), dann würde ich in der Tat eher von postdemokratischer Entwicklung als von demokratischer Entwicklung sprechen.
Und genau in diesem Verhalten politischer Eliten liegt der Schlüssel zum Verständnis und zur Lösung der Frage, warum bestimmte gesellschaftliche Gruppen in Estland (und in geringerem Ausmaß in Deutschland) nicht mehr wählen gehen.
Mit freundlichen Grüßen,
Moevenort, ich würde niemals von Ihnen verlangen, nicht zu opponieren. Ich weiß nur nicht, warum Sie gegen Nachrichten opponieren. Mein hier kommentierter Beitrag ist nichts anderes. Sie aber fordern mit Ihren Kommentaren dauernd ein, daß sich die Autoren der Posts auf eine Seite stellen sollen. Das aber ist für einen Wissenschaftler gewagt und ich wüßte auch nicht, warum Sie mich dazu zwingen sollten, im Internet meine Zu- oder Abneigung zu Andrus Ansip zu publizieren.
AntwortenLöschenMit einem Wort, Sie haben eine Meinung und regen sich über alle Autoren auf, in deren Beiträgen diese entweder nicht vorkommt oder widersprochen wird. Was soll der Unsinn? Es ist doch gerade Demokratie, daß man seine abweichende Meinung kundtun kann. Ihre Ausführungen werfen Andersmeinenden vor, im Unrecht zu sein.
Und genau das geht aus Ihrem folgenden Absatz hervor: "Ich möchte im Gegenteil, dass sie sich in Deutschland wie Estland an Wahlen und Politik wieder beteiligen und nicht resignieren und in Aphatie verfallen. Das dies aber so gekommen ist, ist allerdings wohl kaum den Bürgern selbst vorzuwerfen, sondern doch wohl eher der politischen Praxis der vergangenen Jahrzehnte."
Ja wie? Also die Politik, die von einer Regierung realisiert wurde, die eine Mehrheit jener gewählt hat, die nicht zu faul und desinterssiert waren, sich für ihr Land zu interessieren, ist also jetzt Schuld, daß einige sich für ihr Land nicht interessieren? Ist Ihnen noch nicht aufgegangen, welchen Zwang Sie damit dem Desinteresse auferlegen? Jeder hat ein Recht auf Desinteresse. Und wenn er meint, er könne mit seiner einen Stimme nichts beeinflussen, dann tut er mich schrecklich traurig. Ich kann doch niemanden zur Partizipation prügeln! Ich weiß auch nicht, warum eine Mehrheit der Deutschen meint, HARTZ IV sei zu niedrig, dann aber schwarz-gelb wählt. Und betont: hiermit schlage ich mich auf keine Seite. Ich verstehe nur nicht, warum viele Wähler wählen, was offensichtlich nicht realisiert, was sie eigentlich wollen. Und dann sind wir bereitds in der Psychiatrie.
P.S.: Die Postdemokratie-Diskussion finde ich sehr problematisch. Daß einflußreiche Kreise mehr Einfluß auf politische Entscheidungen haben als der Durchschnittsbürger, halte ich für trivial. Und das war auch nie anders. Im Parlament haben die erfahrenen Abgeordneten mit Parteiämtern auch mehr Einfluß als die Hinterbänkler. Was mir bei dem Modell der Postdemokratie zu kurz kommt ist, daß im Gegenteil zu Ägypten zum Sturz der Regierung nicht erforderlich ist, tagelang unter Einsatz des eigenen Lebens zu demonstrieren. Es genügt, eine andere Partei zu wählen. Und gibt es keine passende, dann kann man eine gründen. Ich halte es für schizofren, von einer politischen Elite, die einen nicht repräsentiert zu erwarten, daß sie einen repräsentiert.
AntwortenLöschenAber das war mir klar, mit moevenort geht es immer in eine demokratietheoeretische Diskussion. Aber als Politologe sollten sie wissen, daß eine Demokratie ohne Demokraten nicht funktioniert. Demokratie ist letzen Endes, Karl Popper, nichts anderes, als die Möglichkeit, die Regierung ohne Blutvergießen auszutauschen. Sie ist aber nicht der Zwang, dies zu tun.
Lieber Herr Reetz,
AntwortenLöschenIn Frankreich ist gerade ein kleines Büchlein erschienen, dass Furore gemacht hat und innerhalb von Tagen zum meistverkauften Buch Frankreichs wurde. Es ist "Indignez-vous" (Empört euch) von Stéphane Hessel, einem 93 jährigen deutschstämmigen KZ Überlebenden, französischem Diplomaten und Mitunterzeichner der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Hessel prangert in dem Buch den Verfall der Demokratie, den Abbau sozialer Rechte und die Ungerechtigkeiten genau der "alternativlosen" Politik von der wir hier sprechen an. Am schlimmsten findet er allerdings das Desinteresse. Ihm zufolge existiert nämlich keineswegs, wie Sie meinen, ein Recht auf Desinteresse.
Und zumindest die Bürger, die in Deutschland nicht mehr wählen gehen, treibt auch alles andere als Desinteresse. Im Gegenteil, viele Nichtwähler sind dort inzwischen hervorragend informiert, aber auch kritisch. Sie wählen nicht, weil sie kein Interesse an Politik haben. Sondern weil sie das Vertrauen in diese Art Minimaldemokratie verloren haben, in denen unselige Leute wie ein Franz Müntefering (oder ein Andrus Ansip in Estland) ihnen erklären wollen, es sei unfair, Parteien an ihren Wahlversprechen zu messen. Diese Bürger glauben einfach nicht mehr an die verändernde Kraft von Wahlen, wenn Politik zur reinen PR Show verkommt. Sie sind jedoch alles andere als desinteressiert. Das zeigen eine ganze Reihe von untersuchungen. Embachers Untersuchung für die Friedrich-Ebert-Stiftung (2009) kann ich in diesem Zusammenhang sehr empfehlen.
Und genau das Phänomen beschreibt u.a. der Postdemokratie- Ansatz. Sie sollten tatsächlich Colin Crouch einmal lesen.
aber zurück zu Hessel: Auch dieses kleine Büchlein kann ich Ihnen als Lektüre nur wärmstens empfehlen. Auf die Frage nämlich was denn statt Desinteresse hilft, antwortet Hessel:
"Ich wünsche jedem Einzelnen von Ihnen einen Grund zur Empörung. Das ist sehr wertvoll. Wenn etwas Sie empört, wie mich die Nazis empört haben, werden Sie kämpferisch, stark und engagiert.""
Jakob Augstein hat übrigens eine interessante Rezension zu Hessels Buch geschrieben:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,739073,00.html
Mit freundlichen Grüßen,
Sie sind vielleicht gut, moevenort. Colin Crouch habe ich natürlich gelesen. Aber ich bleibe dabei, ich finde es anmaßend die Leute zum Protest zwingen zu wollen. Ihre Einstellungen sind alles andere als demokratisch. Wenn die Leute in der Scheiße sitzen und nichts dagegen machen wollen, dann werde ich sie nicht dazu prügeln.
AntwortenLöschenUnd was Sie da über Müntefering sagen, also da muß ich wirklich sagen, diese Rentnerinnen-Politikerverdorssenheit sollten Sie sich als Politologe nicht erlauben. Da steckt bei Ihnen aber ein gehöriger Paternalismus drin. Damit sind Sie allerdings wieder der estnischen politischen Kultur ähnlich. Das geht aus einem Ihrer weiteren Zitate hervor: "Diese Bürger glauben einfach nicht mehr an die verändernde Kraft von Wahlen, wenn Politik zur reinen PR Show verkommt."
Glauben können Sie in der Kirche!
moevenort, summa summarum, ich sehe, daß Sie mich nicht verstehen. Ob das nun fehlende Literaturkenntnisse sind, ob Sie nicht wollen oder nicht können, das kann ich nicht beurteilen.
AntwortenLöschenSie haben diverse Idealvorstellungen. Das ist Ihr Recht und das ist ja auch schön so. Sie können aber in einer Demokratie nicht von allen verlangen, daß sie gerade Ihre Ideale teilen und für diese kämpfen. Sie können nicht einmal verlangen, daß die Menschen für Ideale kämpfen, die nicht die Ihren sind.
Und was ich noch weniger in Ordnung finde ist, daß Sie von Beiträge, die zunächst einmal nur berichten, immer gleich einen Kommentar erwarten. Im Journalismus gibt es aber verschiedene Formate: Nachricht, Reportage, Kommentar, Glosse usw. Ich habe als Journalist Glossen nie gemocht, noch weniger Reportagen. Nachrichten und in längerer Form als Analyse sind mein Metier. Kommentare behalte ich mir überwiegend für das Privatleben vor, und ich behalte mir ebenfalls vor, manchmal keine Meinung zu haben.
Lieber Her Reetz,
AntwortenLöschenNur um ihren meinen Auffassung nach als zu optimistischen Blick auf die achso gute Funktionsfähigkeit des liberalen Demokratiemodells ein wenig geradezurücken ein Beispiel:
Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg ( wohlgemerkt eine regionale Wahl, keine nationale) beteiligten sich am Sontag knapp 58% der Wahlberechtigten. Rechnet man das Lager der Nichtwähler in die Kalkulation des Wahlergebnisses ein, ergibt sich folgendes Bild:
Es entfallen:
* … 43,0 Prozent aller möglichen Stimmen auf niemanden.
* … 26,2 Prozent aller möglichen Stimmen auf die SPD.
* … 11,9 Prozent aller möglichen Stimmen auf die CDU.
* … 6,1 Prozent aller möglichen Stimmen auf die Grünen/GAL.
* … 3,6 Prozent aller möglichen Stimmen auf die FDP.
* … 3,5 Prozent aller möglichen Stimmen auf die LINKE.
In der Folge bekommt Hamburg eine SPD-Alleinregierung, die gerade mal von einem Viertel der Wahlberechtigten tatsächlich gewählt wurde, Gehen wir davon aus, dass, was die Wahlbeteiligung in Hamburg angeht, diese in etwa dem Durchschnitt bei nationalen Wahlen in Estland entspricht. Ich denke dabei wird hoffentlich klar, was ich meine. Von Repräsentanz kann in beiden Fällen nur noch sehr eingeschränkt gesprochen werden.
na, wunderbar, nun erklärt uns noch jemand das Wahlergebnis von Hamburg! :-)
AntwortenLöschenAber nein, leider wird nicht klarer, was Sie mit Ihren Bemerkungen meinen - auch wenn Sie so tun, als ob nur Axel Reetz sie nicht versteht.
Die repräsentative Demokratie baut nun mal darauf, dass diejenigen, die sich aktiv für eine der politischen Angebote entscheiden, mehr Einfluss haben auf die Regierungsbildung. Oder man betätigt sich eben selbst in einer Partei, bzw. gründet neue. Es ist sogar erlaubt, als ehemalige Verfechter undemokratischer Sysmste sich innerhalb einer politischen Biografie sich dann als demokratische Partei neu aufzustellen - solange man sich freien und geheimen Wahlen unterwirft. Oder wir könnten uns ja für mehr Volksentscheide einsetzen, warum nicht?
Aber wollen Sie uns nun beweisen, dass die Demokratie selbst ungerecht ist, oder aber eher dass Estland undemokratisch ist? Ganz schön wirre Verknotungen.
Ich finde, statt dessen sollten wir uns lieber dafür einsetzen, dass bei den estnischen Wahlen keine extremen Nationalisten, keine Menschenfeindlichkeit propagierenden Gruppierungen, und keine Sowjetromantiker mehr Macht und Einfluss gewinnen. Denn Estland kennt die Situation nur zu gut, jahrzehntelang pauschal z.B. als "faschistisch" diffamiert zu werden - statt dass diejenigen die ihr Land endlich selbst aufbauen wollen mal ernst zu nehmen.
Moevenort, von Mathematik scheinen Sie ja was zu verstehen! Was Ihre Erklarungen weiter angeht, mit Verlaub, ich LEHRE Politikwissenschaft! Nicht ich habe Sie nicht verstanden, sondern Sie verstehen mich nicht. Dass bei einer Wahlbeteiligung von rund 50% eine absolute Mehrheit der Stimmen etwa ein Viertel der Bevolkerung ist, das ist nun wirklich trivial. Sie liefern aber keinen einzigen Vorschlag, wie man eine hohere Beteiligung erreichen kann. Ausserdem, wie wollen Sie messen, ab wann sie dann reprasentativ ist?
AntwortenLöschenIch finde es daruber hinaus extrem eindimensional gedacht, die Wahler blieben wegen eines Polittheaters zu Hause. Das ist gewiss so, aber diese Leute machen es sich eben einfach. Ich vertrete eher die Ansicht, dass jemand, der nich einmal gewahlt hat, bei Kritik die Klappe halten soll. Wahren die 50% am Sonntag zur Wahl gegangen, hatten sie selbst eine absolute Merheit erreicht. Und hier genau scheitert das Postdemokratie-Theorem. Selbstverstandlich regiert ein kleiner Zirkel, wenn die Mehrheit sich das gefallen lasst, das ist auch schon wieder trivial.
Ich finde es ebenso eindimensional, das Polittheater den Politikern vorzuwerfen. Die Politiker verhalten sich entsprechendem dem Wunsch wiedergewahlt zu werden. Ich bin also kein Anhager der Postdemokratie, sondern ein Anhanger der Frage, ob die Demokratie angesichts der Politikabneigung in der Bevolkerung uberhaupt noch in der Lage ist, unopopulare Entscheidungen zu treffen. Das Volk ist immer konservativ, will keine Veranderungen. Aber das geht eben leider nicht immer.
Sie, moevenort, sind unzufrieden und argumentieren wie links oder rechts es tut. Immer sind die da oben Schuld. Die Demokratie haben Sie nicht verstanden. Wenn das, was Sie hier anbieten eine Semesterarbeit wurde, bekamen Sie bei mir mit Wohlwollen eine 4.
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
AntwortenLöschenna lieber Herr Reetz, da hab ich ja Glück das der DAAD, der meine Abschlussarbeit fianziert hat und das Begabtenförderungswerk, dass meine Promotion begleitet da offensichtlich anderer Ansicht sind als Sie;)
AntwortenLöschenWas mich ein wenig stört, ist ihr meiner Aufassung nach paterlistisches Getue. Sie haben schlichtweg eine andere wissenenschaftliche Auffassung als ich, so einfach ist das. Meine deswegen jetzt allerdings paternalistisch a la "sechs setzen" verdammen zu wollen, ist doch wirklich lächerlich
ein kleiner Hinweis: es gibt auch in der wissenschaftlichen Debatte um die Qualität von Demokratie auch noch andere Modelle als das liberale Demokratiemodell, z.b. direkt-demokratische, deliberative, ja man glaubt es kaum, sogar ein demokratisch-sozialistisches, empirisch beschrieben u.a. von Dieter Fuchs (1999). Das ist übrigens das Modell, dass allen Untersuchungen zur politischen Kultur zufolge von einer Mehrheit der Bürger in Ostdeutschland bevorzugt wird.(auch wenn sie mir das wahrscheinlich nie glauben werden) All diese Modelle bieten hervorragende Ansatzpunkte, zur Verbesserung der Qualität von Demokratie. Dummerweise nur hat Estland sich für das allerminimalistischste Demokratiemodell von allen entschieden, nämlich das libertäre. Das geht u.a. auf Milton Friedman und Schumpeter zurück und besagt, das Demokratie nichts anderes ist als Wahlen alle vier Jahre, bei der Eilten um Wählerstimmen kämpfen. Für alles andere wäre der Bürger laut diesem Modell zu dumm, auch ein Sozialstaat wäre komplett überflüssig. In Westeuropa wurde das Modell von Wissenschaft und Politik schon seit Jahrzehnten als zu minimalistisch zurückgewiesen. In Osteuropa erfreut es sich nichts desto trotz weiter der Beliebtheit in politischen Elitekreisen. Das ist das Modell das Estland bevorzugt und daher kommen die Probleme.
Mit freundlichen Grüßen.
Und ich wurde Ihnen gerne noch etwas zu bedenken geben, Moevenort. Hatte eine Mehrheit der Bevolkerung jeweils das Sagen gehabt, hatte es keine Wiederbewaffnung, keine Ostpolitik und keinen Euro gegeben. Auch mit dieser Aussage mochte ich mich in diesen Fragen keineswegs selbst als Befurworter positionieren, sondern darauf hinweisen, dass wir dann in einem komplett anderen Land leben wurden.
AntwortenLöschenZu Ihrem letzten Kommentar, moenevnort. Was den DAAD und die Begabtenförderung betrifft nehme ich an, daß Sie sich hinter keinem Nickname verstecken können und da eventuell ganz andere Töne spucken, wie soll ich das prüfen? Es ist ja in der Kommunikationswissenschaft nichts Neues, was so im Internet in der Anonymität alles passiert. Ich bin identifizierbar!
AntwortenLöschenWas Sie über die verschiedenen Formen des Demokratieverständnisses sagen, ist mir bekannt. Allerdings weiß ich nicht, welchen Bildungshintergrund Sie haben. Ich habe neben Politikwissenschaft auch Jura und VWL studiert. Friedman und Schumpeter sind keine Politologen, also bestenfalls um die Ecke für eine minimalistische Demokratie.
Selbstverständlich gab es schon in den 70 und 80 Jahren die Diskussionen über den Dritten Weg und die Aktive Politik. Das Problem ist eben, mit diesen abstrakten Ideen holen Sie niemendaen hinter dem Ofen hervor. Theoretiker können viel erzählen. Mein Onkel war Professur für VWL und hat als Student gerne als Theoretiker bezeichnet :-)
Ich hatte vor kurzem ein längeres Gespräch mit der lettischen Ökonomin Raita Karnite über die Frage, ob es je ein anderes Wirtschaftssystem gegeben hat, als den Kapitalismus. Wir waren uns einig, daß diese Frage zu verneinen ist.
Neben Theorien, zeigen Sie doch mal ein existierendes Modell auf, und kommen Sie mir bitte nicht mit dem Folkhemmet Sverige.
Mit einem Wort, statt sich stapelweise auf irgendwelche irgendwelche theretische Autoren zu berufen, das können Sie dann im Doktorandenseminar machen, geben Sie mal Butter bei die Fische für die Praxis.
Und was mich, ich wiederhole das jetzt, an Ihrem Demokratieverständnis stört ist, daß Sie einem Land vorwerfen, sich für dieses oder jenes entschieden zu haben. In einer Demokratie aber sollte nicht ein im fernen Berlin promovierender deutscher Politologe den Esten erklären, was sie zu tun oder zu lassen haben.
Moevenort, unser Disput hier ist allgemeiner als das Estland-Thema des Blogs, deshalb will ich ihn nicht überfordern. Aber was sagen Sie zum Fall zu Guttenberg. Erst will er zeitweise seinen Titel niederlegen, was ich für technisch unmöglich halte und verzichtet jetzt, bleibt aber der beliebteste Politiker. Das Volk bevorzugt also Betrüger?
AntwortenLöschenLieber Herr Reetz, wissen Sie was mich an Estland rein akademisch z. Z. als einziges interessiert? Estland ist ein Lehrstück dafür, was passiert wenn eine absolut fatale neoliberale Ideologie auf die Spitze getrieben wird und sich mit Elementen der Postdemokratie mischt. Absolut abschreckend und in dieser Form momentan nirgendwo anders in Europa in diesem Ausmaß zu finden. Nicht als Wissenschaftler sondern als Bürger meines Landes, hoffe ich inständig mein eigenes Land nie in solchem Zustand erleben zu müssen.ganz ehrlich.
AntwortenLöschenbelustigt hat dabei heute dazu lediglich diese Meldung:
http://news.err.ee/politics/5ffc1bf5-9a39-4a33-8f9d-4a746667b026
und sie haben recht, dass Thema eines deutschen Ministers, der seine Dissertation fälscht und Menschen damit blendet ist sicherlich auch schlimm. es gehört hier aber nicht zum Thema.
heir noch einmal der korrekte link zur Meldung von etv, die ich meine:
AntwortenLöschenhttp://news.err.ee/politics/5ffc1bf5-9a39-4a33-8f9d-4a746667b026
Moevenort, um noch einmal auf die Demokratie, Quellen, Nachrichten und Kommentare zurückzukommen. Es ist noch kein Jahr her, als Ihnen http://estland.blogspot.com/2010/04/oh-wunder-oh-volk-das-mit-seiner.html die Nachricht über eine Umfrage auch nicht recht war. Mir drängt sich der Verdacht auf, daß alles, was in Ihr Bild nicht paßt als unkritisch bezeichnet wird, aber alle von Ihnen zitierten Autoren, die Ihrer Meinung entsprechend, sich kritik nicht gefallen lassen müssen. Wenn der DAAD das fördert, nur zu. Vielleicht sind Sie ja janusköpfig ;-)
AntwortenLöschenMoevenort:
AntwortenLöschen"was mich an Estland als einziges interessiert" - genau, das schimmert zur Genüge durch (außer der Lust am halbanonymen Fabulieren). Leider wenig Interesse an Estland, sonst würden nicht so pauschale und von theoretischen Vorprägungen getragene Merkwürdigkeiten dabei herauskommen. Wer hier Estland sympathisch findet, steht bei Ihnen wohl schon grundsätzlich auf der falschen Seite.
Ich hoffe auch für die "Bürger meines Landes", dass wir immer noch selbst entscheiden dürfen, wohin wir politisch wollen - mir wird gruselig ansichts von Leuten, die immer glauben für irgendeine "schweigende Mehrheit" sprechen zu können - und wo gleichzeitig so wenig eigene Meinung und Erfahrung zu spüren ist (Zitierweltmeisterschaft beeindruckt mich nicht).
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AntwortenLöschenMoevenort, Albatros ist nichts hinzuzufügen. Aber wenn Sie sagen, zu Guttenberg gehört hier nicht zum Thema, beweisen Sie mir, daß Sie mich nicht verstehen. Es geht darum, daß Sie, wie Albatros sagt, für irgendeine schweigende Mehrheit zu sprechen vorgeben. Aber obwohl zu Guttenberg ein Betrüger ist - seine versehentlichen Fehler glaube ich nicht - leidet seine Beliebtheit bei der schweigenden Mehrheit nicht!
AntwortenLöschenWas den Link betrifft, vielen Dank. Damit beweisen Sie, daß Sie bei Ihrem akademischen Interesse sehr wenig wissen. Schauen Sie sich mal das estnische Renten- und Krankenversicherungssystem an. Da ist Estland dann aber gegenüber Lettland das Schweden des Baltikums, während Lettland funktioniert wie die USA! Sie schießen also gegen das falsche Land. Sie müssen da irgendwann mal etwas völlig falsch in den Hals bekommen haben.
Darüber hinaus beginnt mich dieser Dialog zu langweilen, weil Sie in keinster Weise auf die Argumente anderer Diskutanten eingehen. Machen Sie das im Doktorandenseminar auch so? Aber es ist schon richtig, es ist manchmal interessant, wer gefördert wird oder auch, was er in seinem virtuellen Leben tut.
@ Reetz: zu causa Guttenberg: Sie sind mir zu leichtgläubig was Umfragezahlen angeht. Und sie überschätzen deren Bedeutung maßlos. Umfragen sind etwas rein virtuelles, nichts fassbares wie eine Wahl oder ein Referendum. Nur dort sind Meinungsbilder nachvollziehbar, nicht jedoch beim jonglieren mit irgendwelchen Umfragen. Im übrigen: keine der Umfragen zu Gut#tenberg von diversen Medien erreicht auch nur annährend den Standard einer repräsentativen Befragung. Das höchste der Gefühle war ne sogenannte Blitzumfrage von infratest mit 500 Befragten. Zu wenig um auch nur annährend repräsentativ zu sein, lernt jeder Statistiker im ersten Semester. Sie jonglieren nun hier mit irgendwelchen Ergebnissen der Bild-Zeitung. so what? werfen Sie einen Blick in die FAZ, da steht das Gegenteil 74, 5% wollen das Guttenberg zurücktritt. zu finden hier wenn Sie mir wie üblich mal wieder nicht glauben sollten:
AntwortenLöschenhttp://www.faz.net/f30/common/Umfrage.aspx?rub={A24ECD63-0CAE-40E4-8384-1DB7D16F4211}&doc=28d3c0ec-536a-4abc-ae9c-473a0d8b0106&set=true&voting={DA122EF7-BA40-4740-B445-713103A301BF}
Jedem die Zahl, die einem gefällt, nur darauf eine ernsthafte Argumentation aufbauen, sollte man vielleicht lieber nicht.
Vielleicht schauen Sie bei Gelegenheit beim Politbarometer rein und fragen die Forschungsgruppe Wahlen nach dem Jonglieren mit Zahlen.
AntwortenLöschenWoher Sie die Weisheit haben, daß Umfragen keine Bedeutung haben, das ist mir ebenfalls schleierhaft. Meist liegen sie sehr nah an tatsächlichen Ergebnissen, ganz abgesehen davon haben sie in der Mediendemokratie eine ganz enorme Bedeutung, siehe Westerwelle oder Grüne in Ba-Wü.
Mit Verlaub, ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie wie hier im Netz auch in Ihrer Uni so auftreten.
Ihr Link führt ins Hilfemenü der FAZ, moevenort.
AntwortenLöschenBislang, moevenort, machen Sie nichts anderes als Texte anderer für unkritisch zu erklären oder deren Gehalt anzuzweifeln - mit Ausnahme der von Ihnen selbst zitierten Autoren. Wie man auf diese Weise promoviert obliegt Ihnen. Aber wie der Fall zu Guttenberg ja zeigt ...
AntwortenLöschenAber ich lasse mal Revue passieren. Sie sind der Meinung, daß die Zufriedenheit der Esten mit ihrer Regierung in Frage zu stellen ist, weil es sich ja nur um unglaubwürdige Umfragen handelt. Siegt dann die derzeitige Regierung entsprechend der Umfragen, dann ergreifen Sie Partei für die schweigende Mehrheit, die überhaupt nicht zur Wahl gegangen ist und klassifizieren Estland als Postdemokratie, der die Repräsentativität abgesprochen werden muß. Verstehe ich Sie so weit richtig?
Was sollen wir also jetzt Ihrer Ansicht nach Sie in Ihrem ich in meinem Ausland machen? Was soll die schweigende estnische Mehrheit machen, die bei einer Wahlbeteiligung von 60% nicht einmal eine wäre? Und was vor allem sollen jene Esten tun, die zur Wahl gehen? So abstimmen, wie es moevenort für richtig hält oder auf die Straße gehen wie im arabischen Raum?
Der Unterschied zwischen Umfragen und empirischer Forschung ist so groß nicht. In beiden Fällen kann nicht jeder befragt werden, gleichzeitig müssen bei Umfragen freilich die Fragestellungen einfacher sein so wie bei Referenden auch.
Colin Crouchs Buch ist keine empirische Untersuchung, sondern dem anglo-amerinaischen Wissenschaftsstil entsprechend eher ein Essay. Natürlich heißt das nicht, kein Philosoph hätte je vernünftige Gedanken zu Papier gebracht.
Wie dem auch sei.
HAUSMITTEILUNG
AntwortenLöschendie Kommentarspalte zu diesem Post wird nun für Reetz und für "Moevenort" geschlossen. Da ich hier den Estland-Blog koordiniere, möchte ich am liebsten auch nur Beiträge hier sehen, wo es wenigstens um Estland geht. Wer speziell nur mit Axel Reetz diskutieren möchte, kann dies in seinem Blog tun, der ja hier verlinkt ist. Ich unterstelle beiden Kommentatoren nicht, dass sie unsachlich kommentieren würden - ich sehe aber als einzige Alternative dazu, wenn jemand der Inhalt des hier zum Thema "Estland" Geschriebenen aus irgend einem Grund nicht gefällt oder nicht ausreicht, doch lieber selbst etwas zu schreiben oder auf solche Quellen (mit möglichst eigenen Erfahrungen) zu verweisen. Es gibt ja hier auch andere Kommentatoren, die posten dann den Link zu ihrem eigenen Beitrag. Aber sich hier in gegenseitigen persönlichen Unterstellungen zu ergehen, das sehe ich für diesen Blog als nicht zielführend an.