Sonntag, Januar 09, 2011

Mit gleicher Münze ...

In einem Punkt kann Estland zu Beginn des Jahres 2011 auf jeden Fall zufrieden sein: an Aufsehen in der internationalen Öffentlichkeit mangelte es nicht. Das lädt dazu ein zu versuchen, ein wenig Bilanz zu ziehen. Wie haben sich die Pro's und Konta's rund um die Euro-Einführung verteilt? Einmal vorausgesetzt, man hätte alle Beiträge in der englisch- und deutschsprachigen Presse dazu gelesen: sind wir schlauer geworden? Hat es etwas gebracht?

Psychologie und die Gunst des Augenblicks
Soweit ich mir zutraue, das estnische Selbstverständnis und die Interpretation der eigenen Identität zu kennen und einschätzen zu können, müsste Estland zunächst mal sehr zufrieden sein. Wo die südlicheren baltischen Nachbarn neuerdings eher künstlich erzeugte Kampagnen benötigen, um international Aufsehen zu bewirken (lettische Weihnachtsbäume, litauische Parfums), ist Estland parallel zur Entwicklung der Euro-Einführung auf dem besten Weg, sich eigenständig ins Gedächtnis der internationalen und auch der deutschen Öffentlichkeit einzuprägen. Weg von "im Baltikum, auf der Karte oben", hin zu "nordisch", "internetfreundlich", "fremdsprachenkundig", "europäisch", und eben "das Land mit dem Euro". Und auch eine Motivation zur Anwendung des estnischen Euro liefert Estland den internationalen Gästen gleich mit: das Jahr der Europäischen Kulturhauptstadt Tallinn lädt zu einem breit gefächerten Veranstaltungsprogramm ein.

Dennoch sage ich: ja, ich gestehe, ich bin keinesfalls zufrieden dass zwischen dem Euro-Land Deutschland und dem Euro-Land Estland so ein großes Gefälle besteht. Wenn es in Estland über 15% Arbeitslosigkeit gibt, wenn Menschen aus ihrem Heimatland als Arbeitsmigranten weggehen müssen, weil im Arbeitsplätze ersatzlos verfallen, große Landflucht herrscht, kein angemessener Lohn gezahlt wird, oder die soziale Absicherung fehlt, dann kann das nicht der Normalfall sein. Sollten die finanzpolitischen Maßnahmen, welche die EU-Mitgliedsstaaten untereinander vereinbaren, nur dazu da zu sein um den Reichtum der Wohlhabenden abzusichern, kann das nicht im Sinne eines guten Miteinanders in Europa sein. 

Allerdings: Die Argumente der Euro-Gegner überzeugen mich nicht. Hier kommt einiges zusammen, was sich häufig nicht zusammenreimt, sobald mal mehrere Argumente gegen den Euro zusammengenannt werden.
Daher hier mal gesammelt:
  • - die Esten sind sowieso zu dumm, die trauen sich nicht etwas gegen ihre Regierung zu sagen (na toll! Zeugt von sehr viel Sympathie für Estland.)
  • - der Euro geht sowieso unter (plötzlich werden alle zu Finanzexperten, seltsam. Auf der einen Seite steht angeblich die Logik der Vernunft, aber auf der anderen viel Mysthik und Populismus)
  • - die Sparpolitik geht zu Lasten der Ärmeren (ok, aber dürfte eine estnische Krone mit vollen Händen staatlicherseits ausgegeben werden?)
  • - einige kluge Wissenschaftler sind gegen den Euro (na ja - jeder zitiert da einen Lieblings-Experten, während sonst jeder an die Käuflichkeit und Parteilichkeit auch von Expertenurteilen glaubt. Oder soll hier angeblich mal wieder der Untergang des Kapitalismus vervorstehen, wenn es nur genug Chaos gibt?)
  • - die Esten treten nur dem Euro bei, weil sie geschönte Bilanzen haben wie die Griechen (das ist liegt schon nahe an der Diffamierung bestimmter Gruppen, die man angeblich ja im interkulturellen Zusammenleben in Deutschland bekämpfen möchte)
  • - die Esten wollen nur auch Deutschland noch auf der Tasche liegen (wer das denkt, sollte dringend mal nach Estland fahren und mit Esten reden!)
  • - die Lohnkosten steigen zu schnell, daher freuen sich die Esten auch über den "harten" Euro (wieder so ein Argument, wozu es sich lohnen würde in Estland mit Esten zu diskutieren. Wenn schon, dann trauern sie ihren "harten" Kroon nach)
  • - die Inflation wird wieder steigen, und dann erfüllt Estland die Beitrittskriterien nicht mehr (na wie denn nun: entweder das System Euro verteidigen, und die Einhaltung von Kriterien belohnen, oder vielleicht ist einem das Finanzsystem auch ganz egal?)
  • - die private Verschuldung sei zu hoch (ja, und fragen sie mal, in was die Leute ihr Geld angelegt haben: in Kroon oder in Euro? Und wer möchte diejenigen, die Geld in Kroon angelegt haben, mit einer Abwertung bestrafen?)
  • - Estland habe die falsche Regierung (aber immerhin eine funktionierende Demokratie!)
  • - die Landkarten auf den Euro-Münzen sind falsch gezeichnet (mit dieser Kritik haben angeblich russische Estland-Gengner die russischen Medien mobilisiert. Die bösen Esten also schon wieder? Russland zog 2005 seine Unterschrift unter den schon fertigen Grenzvertrag wieder zurück, angeblich um mögliche estnische Forderungen vorzubeugen - nun erinnert die russische Seite schon selbst an die völkerrechtswidrige Besetzung Estlands, sehr praktisch - obwohl an der Münze offenbar nichts auszusetzen ist  - urteilen Sie selbst, ob sich dieser Streit lohnt)
  • die estnische Krone war als nationales Symbol wertvoll (stimmt, besonders die mutige Loslösung vom russischen Rubel werdendie Esten in Erinnerung behalten. Aber warum darf es über den puren Nationalismus hinaus keine anderen Lösungen geben?)

Was fehlt: Europa besser machen!
Liebe Leute! Ich denke, mir geht es so: auf dem Wegen zum europäischen Einigungsprozess haben wir noch viel vor uns. Wir haben Estland zur Mitgliedschaft eingeladen, und nun wundern wir uns, dass Estland Europa ernst nimmt? Machen wir uns doch nicht allzu sehr davon abhängig, ob nun der eine Teil der Wirtschaftstheoretiker Recht hat oder der andere - viele scheinen nur deshalb für oder gegen den Euro zu sein, damit es mit der eigenen politischen Überzeugung übereinstimmt. Da wird dann Estland instrumentalisiert, nur damit die Diskutanten in der Diskussion besser dastehen.
Ich würde mir wünschen, dass mehr Solidarität und Zusammenarbeit das Geschehen in Europa bestimmt. Wenn eine Gemeinschaftswährung scheitern sollte, wird es anderer Strategien bedürfen als schadenfroh an der Seite zu stehen. Wenn der Euro aber bleibt, werden wir dafür sorgen müssen dass er nicht zum Symbol bestimmter Währungsideologien verkommt. Wohlergehen und gute Lebens- und Arbeitsbedingungen für alle muss das Ziel sein, so unterschiedlich die Länder in Europa auch sind. Die Verschiedenheit soll ja auch bleiben! Vielfalt der Kulturen kann Spaß machen.
Mit Mindeststeuersätzen für alle Unternehmen und einer besseren Kontrolle der Finanzmärkte kann ich mich gut anfreunden. Aber nicht mit scheinklugem Geschwätz über ein Land, dass die meisten dann wenn es aus den Schlagzeilen gerät nicht mehr wirklich interessiert.

22 Kommentare:

  1. Gerade zu dieser Zeit sollten wir den Esten signalisieren, daß sie in Europa willkommen sind. Alle diese hiesigen Argumente gegen den Euro könnten als Vorbehalte gegen das ganze Land gelesen werden, und das wäre schade und würde der positiven Haltung, die die Esten uns entgegenbringen, ins Gesicht schlagen. Wer sich hingegen Sorgen um das Ländle macht, kann ja seine Euros ein paar Wochen lang in eine estnische Datsche in Strandhof oder einen Stadturlaub in Tallinn inverstieren. Das wäre schon mal ein kleiner Beitrag.

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  2. Einverstanden, Eva. Ich werde dieses Jahr sowieso spätestens zum Jaanipäev mit meiner Frau in good old Eestimaad Urlaub machen - und besuche demnächst meinen zweiten VHS-Kurs Estnisch. Aber ich vermute, bei Lesern dieses Blogs muss man nicht mehr wirklich für Reisen nach Estland werben. Wer hier liest, ist bereits ein Fan, oder?

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  3. Lieber Abaltros,

    Ihre Einschätzung in allen Ehren. Aber auch sie bleibt lediglich ihre eigene subjektive Einschätzung der Dinge. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass zumindest einige ( ich würde fast sagen viele) der von Ihnen vorgebrachten Einwände gegenüber den Kritikern der Euro-Einführung leider keineswegs den Fakten und Tatachen entsprechen. Dies gilt insbesondere für ihre Auffassung, dass diejenigen, die der estnischen Regierung geschönte Bilanzen vorwerfen, Estland nahezu difamieren wollten. Ich denke mit solch einem Satz machen Sie es sich wohl gar zu einfach. Leider sprechen die Zahlen nämlich tatsächliche Sprache und aus denen geht hervor: ja, Estland schönt tatsächlich seine Bilanz. Auf diesen Umstand ( mit Zahlen und Fakten belegt) haben jüngst zwei der führenden deutschen Ökonomen, nämlich Thomas Fricke und Heiner Flassbeck in zwei Veröffentlichungen in der Financial Times Deutschland hingewiesen. Flassbeck war ( nur für den Fall dass Die das nicht wissen) Staatsekretär im Bundeswirtschaftsministerium und ist heute Chefökonom der Uno-Konferenz für Handel und Wirtschaft (Unctad). Er gehört in Deutschland auch zu den schärfsten und fundiertesten Kritikern der Wirtschafts- und Währungspolitik der gegenwärtigen schwarz-gelben Bundesregierung. Beide erwähnten Veröffentlichungen können Sie hier finden:

    http://www.ftd.de/politik/konjunktur/:eintritt-in-die-euro-zone-estlands-unnoetige-hypothek-fuer-die-waehrungsunion/50212078.html

    http://www.ftd.de/politik/europa/:kolumne-fricke-estland-ist-gar-nicht-egal/50212121.html

    Mit freundlichen Grüßen,

    moevenort

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  4. ps: Ich möchte in der Diskussion vor allem auf auf das folgende Zitat aus der erwähnten Financial Times Deutschland Veröffentlichung vom Ökonomen Thomas Fricke verweisen:

    "So besehen wirken die Lobreden auf Estlands Stabilitätskultur eher wie Realsatire. Es gibt kaum ein Land auf der Erde, in dem es in den vergangenen Jahren wirtschaftlich so wenig stabil zuging. Da wuchs die Wirtschaft vor lauter Euphorie mal um chinesische 10,6 Prozent, um nach Platzen der Blase um 13,6 Prozent zu schrumpfen. Da gab es auch mal 10,6 Prozent Inflation. Und da liegt die private Verschuldung dank Kreditparty bei 190 Prozent des BIPs, gegenüber 170 Prozent im Euro-Schnitt - bei Nettovermögen von weniger als 50 Prozent einer Jahresleistung (Euro-Schnitt 138 Prozent), also kaum Rücklagen, wie Céline Antonin und Sandrine Levasseur vom Pariser Forschungsinstitut OFCE schreiben. Hauptsache, keine Staatsschulden.
    Um so heilloser wirkt da der Befund zur Wettbewerbsfähigkeit. In Estland liegen die Lohnkosten je produzierter Einheit selbst nach zwei Krisenjahren Abwärtskorrektur noch knapp 70 Prozent höher als 2000. Dagegen ist Griechenland ein schwäbischer Hausfrauenverein (siehe Grafik). Ähnliches gilt für Estlands Handelsbilanz, deren Defizit sich zwar von enormen 17 Prozent des BIPs in einen kleinen Überschuss verwandelt hat. Nur lag das daran, dass Binnennachfrage und Importe durch die Krise um 20 Prozent einbrachen - weniger an der Exportstärke.
    Im Gegenteil. Nach Diagnose der Kieler Ökonomen Klaus Schrader und Claus-Friedrich Laaser ist der langjährige Aufholprozess am Export "weitgehend vorbeigegangen". Estland verkaufe zu drei Vierteln "arbeits- und rohstoffintensive Waren", die "für weniger entwickelte Länder typisch" sind - anteilig sogar mehr als 1999. Ein beängstigender Rückschritt. Schön, dass die nun den Euro haben. Da freut sich der Krisengott."

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  5. Der Ort der weisen Möven - ja, den hatte ich vergessen, wie üblich. :-)

    Die dargestellte Einschätzung ist meine eigene, in der Tat. Das war auch mein Ziel: meist sind Presseübersichtungen zu den dargestellten Themen die Grundlage, bevor ich etwas schreibe - manchmal liefere ich ja auch die Links mit. Das ist eine Arbeit, die wir beim Verein INFOBALT machen, und Mitglieder können solche Presseübersichten sogar kostenlos geliefert bekommen, wenn es nötig ist.

    Ich kenne Estland jetzt 20 Jahre. Ich habe gesehen, wie es aussah damals, und welche Nöte und Sorgen die Menschen hatten - die sie zugegebenermaßen heute manchmal in Optimusmus verstecken, weil immer noch manches einer Lösung bedarf. Ich sage auch nicht, dass alles in Estland in Ordnung ist - besonders nicht im sozialen Bereich, und besonders nicht beim Gleichgewicht der ökonomischen Kräfte (die angesprochene Import- und Exportfrage).

    Aber ich staune darüber, dass manche die natürlich gerade aus dem Anlaß der Euro-Einführung plötzlich gesteigerte Menge der sich öffentlich äußernden Experten nun alle für "Estland-Freunde" halten. Klarer gesagt: angesichts des scheinbar so eindeutig kränkelnden Euro gibt es eine Menge "Besser-Wessis" zur Zeit - egal, welche Professorentitel und ehemalige Verdienste sie nun alle haben. Genauso, wie ich diese Menge von Möchtegern-Hilfe auch 1991 schon für Estland erhofft hätte, bin ich gespannt auf eine Lageeinschätzung in - sagen wir mal - zwei Jahren.

    Und allen anderen kann ich nur sagen: lassen Sie sich die eigene Meinungsbildung nicht durch die angeblich große Anzahl von Experten, die angeblich alle Informationen schon geliefert und dringende Schlußfolgerungen ja schon getätigt haben, verwirren!

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  6. moevenort, den Fricke Kommentar habe ich gelesen und dort kommentiert. Wenn ich eine gute Analyse eines Fachmanns lesen möchte, sollte auch erwähnt sein, was für eine Rolle die skandinavischen Banken in Estland spielen. Wenn man Nordea und Swedbank und andere einfach wie Fricke weglässt, muss der Leser denken, auch die haben bald die gleichen Probleme, wie andere Länder im Finanzsystem. Vielleicht, aber wenigstens anders. Also ich fand das schwach in der Kolumne von Fricke.

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  7. Erlauben Sie mir bitte, auf einen Randaspekt aufmerksam zu machen, der "nur" in kultureller Hinsicht bezüglich des Währungswechsels interessant ist - die Pointe kommt natürlich erst am Ende des Textes: Paul Keres - am 7.Januar 1916 in Narva geboren, Schuljahre in Pärnu, dort Abitur 1934, Mathematikstudium in Tartu, dann mit Familie in Tallinn gelebt bis zu seinem Tod am 5.Juni 1975 - war ein Schachspieler auf Weltmeisters Niveau und wird heute noch in Estland sowie bei Schachspielern weltweit sehr verehrt. Im Jahr 2002 wählten ihn die Esten in einer Umfrage zum populärsten Sportler des Landes. 2003 widmete ihm das Sportmuseum in Tartu eine große Ausstellung, vor seiner Schule in Pärnu steht ein Keres-Denkmal mit seiner Büste, sowohl in Pärnu als auch in Tallinn ist je eine Straße nach ihm benannt. Nach Keres' erstem großen Erfolg bei einem internationalen Schachturnier, 1938, empfing ihn der damalige Ministerpräsident Konstantin Päts persönlich. Paul Keres gewann leider nie ein End-Match zur Schachweltmeisterschaft. Er wurde immer Zweiter, obwohl er zahlreiche Weltmeister (Botwinnik, Euwe, Smyslow, Tal, Spasski und Fischer) in einzelnen Partien besiegt hatte. Zu seinem großen Glück haben ihn die Sowjets nach dem Juli 1940 nicht ermordet (wie viele andere Estnische Intellektuelle) und nicht nach Sibirien verschleppt. Nun, dieser Mann ist auf dem Estnischen 5 - Krooni-Geldschein abgebildet. Und wenn man heutzutage mit Estnischen Schachgroßmeistern redet (z.B. bei der Schacholympiade 2008 in Dresden) wissen sie selbstverständlich, wer Paul Keres war, und können einem Details aus dessen besten Schachpartien erklären. Ich hoffe, die Erinnerung an ihn bleibt auch dann lebendig, wenn sein Porträt von den Estnischen Banknoten verschwunden ist. Sie sollten mindestens einmal in Tallinn in das Haus des dortigen Schachvereines gehen: Dort ist ein kleiner Paul-Keres-Museumsraum. Einen gut rechercherten Beitrag mit Bildern hätte dieser Mann in diesem Blog allemal verdient. Quellen dieses Textes: "Paul Keres" in Wikipedia sowie Heft 2/2004 des deutschen Schachmagazins "KARL", siehe auch www.karlonline.org - Archiv, Heftnummer usw. Ich verbleibe mit einem freundlichen "Head aega".

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  8. Hallo Claus Martin,

    danke für die Info. Mein Beitrag zu diesem Thema in diesem Blog ist inzwischen wohl schon zu lange her, um noch von vielen gelesen zu werden:
    http://estland.blogspot.com/2007/01/die-schachwelt-hat-paul-keres-nicht.html

    Ich erhebe allerdings nicht den Anspruch dass damit schon alles geschrieben wäre. Vielleicht wäre das Thema mal den Vorschlag zur Prägung einer Sondermünze wert, zum Beispiel 2 Euro.

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  9. über Paul Keres aus dem deutschen wikipedia Eintrag:

    "Umstritten ist seine Rolle als Schachspieler während der Besetzung Estlands durch das nationalsozialistische Deutschland. Keres beteiligte sich an Turnieren im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten (1942 Reval, Salzburg, München, 1943 Prag, Posen, Salzburg, Reval, Madrid, 1944 Lidköping). 1943 war er Attraktion einer Trainings- und Unterhaltungsveranstaltung für die Wehrmacht[4]. Dabei gelang es ihm jedoch nicht, an die Vorkriegserfolge anzuknüpfen und nur 1943 gewann er die Turniere in Salzburg und Madrid. Nachdem Estland 1944 wieder von sowjetischen Truppen eingenommen worden war, galt Keres, der Emigrationsmöglichkeiten mehrmals ablehnte, wegen seiner Turnierreisen im Deutschen Reich als in Ungnade gefallen."

    aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Keres

    aufschlussreich ist, dass diese Episode im estnischen Wikipedia Eintrag ausgespart wird. Man erzählt dort die Lebensgeschichte bis 1939 und setzt dann erst wieder 1946 ein. Zum Vergleich: http://et.wikipedia.org/wiki/Paul_Keres

    ausführlich gteschildert wird die Rolle Keres in einem Artikel im Schach Archiv von 1999 unter dem Titel "Keres Plays With the Wehrmacht". Dort finden sich auch einige Fotos, die Keres an der von den deutschen Besatzern in "Reichsuniversität Posen" umbenannten Universität von Poznan zeigen. Sie zeigen ihn u.a. beim Spiel mit verschiedenen SS Sonderführern.

    Hier der Artikel:

    http://www.chessarch.com/library/0020_keres/keres.shtml

    Vielleicht sollte man vorm Prägen einer 2 Euro Sondermünze darüber noch einmal nachdenken.

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  10. na, das ist jetzt mal eine interessante Diskussion!

    nur zu - wer mehr darüber weiß ...

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  11. An moevenort sowie Albatros:
    Vielen Dank für Ihre Informationen. Da bin ich erstmal baff, und möchte keine ethischen Bewertungen oder Meinungen bezüglich einer Gedenkmünze geben. Nur so viel: Tja, wie schnell damals die Verstrickung in völlig üble Kreise ging ... Da richte, wer selbst eine völlig weiße Weste sowie salomonische Weisheit hat. Ich habe zumindest letztere nicht.

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  12. Gut, ich war einer, der Euro-Einfuehrung in Estland kritisch gesehen hat, deswegen ein paar Anmerkungen zu den Argumenten:

    - die Esten sind sowieso zu dumm, die trauen sich nicht etwas gegen ihre Regierung zu sagen

    Eigenschaften wie Dummheit sollte man nicht generalisieren. Allerdings zu jeder Entscheidung der Regierung ja und amen zu sagen, zeugt nicht unbedingt von gesunder Diskussionskultur in Estland

    - der Euro geht sowieso unter

    Nachdem diese Diskussion in Deutschland derart im Aufwind ist, ist es klar, dass es auch nach Estland rueberschwappt. Meine persoenliche Meinung dazu ist, dass die Diskussion Bloedsinn ist, aber die wird leider gefuehrt

    - die Sparpolitik geht zu Lasten der Ärmeren

    Ja, ja, ja und nochmal ja. Eine Sozialhilfe von 67 EUR/Monat ist eine Unverschaemtheit in Europa

    - einige kluge Wissenschaftler sind gegen den Euro

    So viele Experten, so viele Meinungen

    - die Esten treten nur dem Euro bei, weil sie geschönte Bilanzen haben wie die Griechen

    Ich habe dazu geschrieben. Es geht weniger um geschoente Bilanzen, sondern um Optimierung der Bilanzen damit die Maastricht-Kriterien erfuellt werden, waehrend andere Parameter wie Arbeitslosigkeit, soziale Programme, Bildung, Staatshilfen an Firmen in Krisenzeiten vor die Hunde gehen. In einem Land in dem die Regierung nicht kritisiert wird, kann man das wohl tun.

    - die Esten wollen nur auch Deutschland noch auf der Tasche liegen

    Wieviel Prozent des Haushaltes bestehen aus EU-Mitteln? 10%?

    - die Lohnkosten steigen zu schnell, daher freuen sich die Esten auch über den "harten" Euro

    Habe ich so noch nicht gehoert

    - die Inflation wird wieder steigen, und dann erfüllt Estland die Beitrittskriterien nicht mehr

    Ist bereits jetzt der Fall, den Prognosen nach ist auch keine Besserung zu erwarten.

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  13. (Teil 2)

    - die private Verschuldung sei zu hoch

    Nochmal zum Verstaendnis, wenn die Leute ihre Schulden in Kronen gehabt haetten und die Krone abgewertet worden waere, dann waeren ihre Schulden sofort kleiner. Die Leute haben Schulden in Euro. Im Falle der Abwertung der Krone, waeren viele von ihnen Pleite gegangen. Die Gewinner der Umstellung sind schwedischen Banken, denn jetzt muessen die Schulden in Euro abbezahlt werden, zwangsweise Umstellung der Schulden in Krone und darauffolgende Entwertung sind jetzt nicht mehr moeglich. Die private Schuldenlast bleibt immens hoch.

    - Estland habe die falsche Regierung (aber immerhin eine funktionierende Demokratie!)

    Die erste Aussage stimmt, ueber die zweite habe ich meine Zweifel.

    - die Landkarten auf den Euro-Münzen sind falsch gezeichnet

    Das war Bloedsinn, wurde auch schnell widerlegt.

    Schauen wir einfach mal wie es mit der estnischen Wirtschaft und Gesellschaft 2011 weitergehen wird, den nach den Taten werden sie gemessen.

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  14. Zu dem Punkt Rentner und Pensionäre:

    Estland bezahlt mehr Anteile pro geleisteter Arbeitsstunde als Großbritannien. Die Engländer haben ein altes westliches Industrieland. Eine der größten Wirtschaften in Europa. Andere Zahlen sprechen von etwas über 30 Prozent des Einkommens als Pension. Deutschland liegt bei 39 Prozent. EU Durchschnitt bei 60. Griechenland hat um die 90.
    Das heißt natürlich nicht, dass die Renten in Estland hoch sind. Aber so skandalös ist das nicht. Und die höhere Besteuerung der hohen Einkommen hat Risiken bei der Umverteilung auf die Renten zum Beispiel. Das Geld ist schnell im Ausland. Das Instrument hat noch mehr Risiken. Klingt aber gut: Reiche weniger, Arme mehr.

    Lohnstückkosten. Teuer.
    Nun ja. Immerhin ist das GDP pro Arbeitsstunde in Höhe von Polen und nicht weit von Ungarn.

    Also, ich würde da noch gerne mehr Analysen und Zahlen sehen, bevor ich Urteile fälle und Alternativen sehe.

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  15. u der Landkarte auf den Münzen:

    so eindeutig an den Haaren herbeigezogen, scheint die Sache vielleicht doch nicht zu sein, auf jeden Fall provoziert sie bilateralen Ärger und eregt auch im Ausland Aufmerksamkeit:

    "Streit mit Vorgeschichte
    Russland und Estland streiten über Grenzverlauf auf Euromünzen. „Künstlerische Deutung" der Landesform lässt allerhand Interpretationen zu - Grenzvertrag zwischen beiden Staaten bis heute nicht in Kraft."

    in:
    http://derstandard.at/1293370583018/Streit-mit-Vorgeschichte-Russland-und-Estland-streiten-ueber-Grenzverlauf-auf-Euromuenzen

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  16. Moevenort,
    hier hilft die Quellenkunde weiter, die Sie ja selbst scheinbar so dringlich einfordern. Anstatt immer die zur eigenen Meinung passenden Zitate aus verschiedenen anerkannten Zeitungen rauszufischen, hilft es weiter die Entstehung dieser Meldung zurückzuverfolgen.

    Der "Standard" hat dies von der russischen NOVOSTI übernommen. Sehr gut (und besser als die österreichischen Kollegen) wird der Vorgang bei RUSSLAND-AKTUELL dargestellt:
    http://www.aktuell.ru/russland/news/grenzskandal_russen_nehmen_esten_euro-muenze_krumm_28609.html

    Danach war es ein Mensch namens Sergej Sederenko, (Zitat RA) "von russischen Medien als Bürgerrechtler bezeichnet," - der diese Anschuldigung in die Welt gesetzt hat. Darauf haben dann die russischen Stellen reagiert. Also eine halbe Zeitungsente, denn eine offizielle Beschuldigung von russischer Seite gab es gar nicht. Es gibt auch sicher entsprechende Estland-feindliche Kreise in Russland, wo man mit solchen Meldungen gut ankommt.
    Dementieren mussten die russischen Diplomaten dann trotzdem - die Gesetzmäßigkeiten der Presse.
    Nun versuche wer möchte, herauszufinden wer dieser Sederenko überhaupt ist - oder zu beurteilen, wie es um Menschenrechts-NGOs in Russland bestellt ist ...

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  17. zwei kleine Rückfragen:

    1.was würde geschehen wenn Deutschland auf die Rückseite seiner Euromünzen eine Karte mit einer "künstlerischen Interpretation" seiner Landesgrenzen prägen würde?

    2. Was bitte haben Menschenrechtsverletzungen in Russland mit dem Thema, d.h. mit estnischen Euromünzen zu tun?

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  18. Liebe Leute - wer Verständnisfragen hat, kann die auch direkt an >post@infobalt.de< stellen (aber immerhin stellt Moevenort Fragen auch nicht mehr ganz so anonym wie manche andere).
    Daher bemühe ich mich gern. Allerdings gehe ich auch nicht davon aus, dass Leute mit anderer Meinung nun einfach lügen und die Wahrheit verschweigen (wie Moevenort an dieser Stelle früher schon mal behauptet hat). Mit etwas weniger Bekehrungseifer also dies noch ergänzend zu meiner Meinungsäußerung dazu:

    1. Diese ganze Frage mit der angeblich falsch gezeichneten Karte ist eine künstlich hochgepuschte Pressemeldung aus interessierten Kreisen. Ernsthafte Probleme deswegen zwischen Russland und Estland gibt es gar nicht. Ich vermute, dass ganze dient bestenfalls der putinschen russischen Innenpolitik, wo man offenbar mit etwas Estland-Stichelei punkten möchte.

    2. Ich habe nicht Menschenrechtsverletzungen in Russland angesprochen, sondern diesen Herrn Semerenko, der offenbar zumindest einer der Urheber der Pressemeldungen zu diesem Thema war. Ich persönlich kenne ihn nicht - im Gegensatz zu einer Reihe anderer Menschen, die sich in Russland engagiert für Menschenrechte einsetzen. Ich kann nur hoffen, dass er in Russland keine anderen (ernsthafteren) Probleme hat, wenn er sich für Menschenrechte einsetzt. Aber warum er es nötig hatte, diese Karte auf der Münze zu kritisieren, dass hat mir nun auch "Moevenort" noch nicht erklären können ... - und von mir aus kann Russland ja das schon fertige Grenzabkommen gern unterschreiben, dann wäre das Thema auch ganz aus der Welt. Es gibt keine Gebiets(rück)forderungen von Seiten Estlands.

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  19. Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Die Estnische Regierung, Parlament hat mit dem Vertrag die Grenze anerkannt. Es ging eine lange Debatte voraus, über Jahre.
    Während dieser Zeit war Invangorod auf einem estnischen Geldschein zu sehen, der immer noch im Umlauf ist. Und die Debatte soll wohl nochmal wiederholt werden. Nur gibt es nichts über den Grenzverlauf zu diskutieren. Grenzverschiebungen sind in der EU nicht vorgesehen.

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  20. Hallo, Albatros und Jens-Olaf sowie die Ersten, die diesen Blog begonnen hatten: Ich war gerade bei Ihrem anscheinend ältesten Blogartikel vom 22.Januar 2005. Da haben Sie ja bald ein Jubiläum. Also Respekt: ich bin positiv beeindruckt. Wie u. warum haben Sie damals angefangen - gut, das kann man in den älteren Beitragen so etwa herauslesen - Aber: Was war/ist Ihre persönliche Beziehung zu Estland? - wenn ich das fragen darf - Journalisten mit Interesse für eine Nische? - verheiratet mit einer Estin u. dort lebend? - An einer estnischen Uni tätig? - Von estnischer Familienherkunft oder von dem kühl-heißen Kick des Nordostens getroffen worden? ((; etc. Nur mal neugierig, wer hier hinter steht. Tere ohtust (schade, die Schlangenlinie auf dem o krieg ich nicht hier reinkopiert)

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  21. Tere, Claus-Martin,
    danke für die netten Worte. Mehr Infos, die nichts direkt mit den jeweils geposteten Themen zu tun haben, sind wie gesagt auch über >post@infobalt.de< zu erfahren.

    Unseren Verein gibt es schon etwa 20 Jahre, vor dem Blog gab es auch schon mal eine gedruckte Zeitung, aber die deutsche Post und ihre Tarife haben uns da eher behindert als gefördert, daher heute leider nur noch virtuell (oder eben als Radiosendung - siehe link zur "Baltischen Stunde")

    Wer mitmachen möchte, und die Ziele des Vereins teilt, kann das natürlich gern tun. Wie man aber immer wieder sieht, sind auch 20 Jahre Arbeit kein Ruhekissen - und sollten es auch nicht sein. Es gibt immer interessante Diskussionen, neue Perspektiven, und unterschiedliche Meinungen. Aber eines ist jedenfalls klar: Sich mit Estland zu beschäftigen ist nicht langweilig! :-)

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  22. Ja, die Zeitung spielt eine Rolle (nicht kommerziell war die) und das Bedürfnis weiter über Estland zu schreiben.

    Bei mir ist es auch teilweise der familiäre Hintergrund. Nur gab es seit Jahrzehnten keine Kontakte mehr dorthin. Also hatte ich auch keine genaue Vorstellung zu den Verhältnissen dort, bis 1991. Vor 1988 hatte ich gedacht, das war es mit Estland. Alles würde allmählich in einer allgemeinen Sowjetkultur untergehen. Dann kamen die ersten Presseberichte von den Bürgerbewegungen. Das hatte ich unterschätzt. Ab da hatte ich den Wunsch, sofort hinzufahren. Im Winter 91 hat es dann geklappt. Die Eindrücke dieser düsteren Zeit während des Zusammenbruchs der Sowjetwirtschaft waren dann auch sehr "nachhaltig", das Thema Estland lässt einen nicht mehr los.

    Grob zusammengefasst einige meiner Motivationen.

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