Und weil das Buch nun auch im deutschsprachigen Internet bekannt wird, greife ich einen Punkt heraus, der mir nicht gefällt.
Ich meine nicht, dass er prognostiziert, dass Estland möglicherweise in 10 Jahren nicht mehr als unabhängiger Staat existieren wird.
"Estland in zehn Jahren Teil der Russischen Förderation" Der Standard, Österreich
Die Menge der Kommentare ist beachtlich.
Was mich ärgert, sind herangezogene historische Parallelen, die immer an der Oberfläche beim Halbwissen steckenbleiben.
Bäckman sieht in der Vorherrschaft einer kleinen, nationalistisch geprägten Elite, die das Land mit der falschen Politik in den Untergang führt, Parallelen zu den 1930er Jahren, als das Land unter Präsident Konstantin Päts, der nicht umsonst im heutigen Estland eine unantastbare Ikone ist, autoritär regiert wurde.
Batz! Estland eine Diktatur.
Die Mathematik geht immer auf:
Päts = Diktator
Hitler = Diktator
Stalin = Diktator
Ist doch egal, ob Estland besetzt wurde oder nicht, kommt auf dasselbe raus.
Und da mache ich den offiziellen Webseiten, die Estlands Geschichte darstellen sollen, den Vorwurf: Ihr bringt nur Geschichtsfetzen.
Bei der Internetrecherche fällt auf: es fallen kaum Namen wie Juhan Kukk, Jaan Tõnisson,
Begriffe wie "Era of silence", Andres Larka und Artur Sirk müssten erwähnt werden, denn sie waren der Auslöser für die autoritäre Präsidentschaft von Konstantin Päts:
Der Estnische Bund der Freiheitskämpfer (est.: Eesti Vabadussõjalaste Liit, EVL) war eine estnische quasi-faschistische politische Partei. Die Mitglieder des Bundes wurden im Volksmund Vapsid genannt. Er gilt als die einzige faschistische Partei weltweit, die bei Parlamentswahlen die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erringen konnte. Charismastischster Politiker des Bundes und Vorsitzender war Andres Larka.
Der Bund wurde 1920 von Artur Sirk als Interessenvertretung ehemaliger Soldaten gegründet. 1933 trat der Bund in einem Referendum dafür ein, das parlamentarische Regierungssystem durch ein präsidentielles Regierungssystem zu ersetzen und legte so den Grundstein für die Präsidentenwahl im April 1934, für die er sich gute Siegchancen versprach. Am 12. März 1934 kam ein vorsorglicher Staatsstreich diesen Bestrebungen zuvor. Über den Bund wurde ein Parteiverbot verhängt, im Dezember 1935 löste er sich schließlich auf.Wikipedia
Estnischer Bund der Freiheitskämpfer
Wo sind detaillierte Darstellungen der Bestrebungen 1938 und 1939, zur normalen parlamentarischen Demokratie zurückzukehren? Wo sind Pressezitate von damals (bitte nicht nur Estnisch)? Die Diskussionen um die Verfassungsänderung 1938.
Das Jaan Tõnisson Denkmal in Tartu, das Todesjahr unbekannt, nach der sowjetischen Okkupation.
Noch während der sowjetischen Besetzung Estlands im Sommer 1940 versuchte Tõnisson, bei den kommunistischen Scheinwahlen demokratische Gegenkandidaten aufzustellen. Im Dezember 1940 wurde er vom NKWD verhaftet. Sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Nach Vermutungen wurde er im Juli 1941 durch den NKWD erschossen.
Und genauer müsste noch untersucht werden, inwieweit die Geheimniskrämerei der estnischen Politiker während der Verhandlungen mit der Sowjetunion 1939 zum Untergang der Estnischen Republik beigetragen haben. Mangelnde Transparenz. Die Öffentlichkeit hatte kaum einen blassen Schimmer, mit ein Grund , warum die Estnische Republik so sang und klanglos unterging. Finnland hat bekanntlich anders reagiert. Da waren schon ehemalige estnische Offiziere auf dem Weg ins Ausland. Die zurückgeblieben Militärs haben die sowjetische Besatzung dann zum großen Teil mit dem Leben bezahlt. Trotz Nichtstuns.
Endlich einmal eine fundierte Darstellung mit gutem Hintergrundwissen!
AntwortenLöschenIn Österreich hatte ja auch ein staatsautoritäres Regime die NS-Machtergreifung verhindert, bis es dann von Hitlerdeutschland "angeschlossen" wurde. Und wie wäre in Deutschland die Geschichte verlaufen, wenn ein staatsautöritäres Regime unter dem roten General Schleicher für eine Übergangszeit die NS-Machtergreifung vereitelt hätte.
1938 befand sich Estland auf dem Weg zurück in die Normalität! Leider fiel es dann im Ränkespiel zwischen Moskau und Berlin der Sowjetunion zum Opfer!
Mit freundlichen Grüßen
Jüri Hullrebane