Die estnische Regierung hat sich in diesem Jahr für den in der EU gemeinsam begangenen Europa-Tag etwas besonderes einfallen lassen: Genau an diesem 9.Mai stimmte das estnische Parlament nahezu einstimmig (nur eine Gegenstimme) der EU-Verfassung zu. Eine frühere Verabschiedung war unter anderem an ungenauen Übersetzungen des Textes ins Estnische gescheitert.
Alles in bester Verfassung?
Dem estnischen Aussenminister Urmas Peat zufolge sei der Verfassungsentwurf "eben der beste, der gegenwärtig erreichbar ist." (Pressemitteilung vom 9.5.06) Seinen Worten zufolge zeige der klare Beschluß des estnischen Parlaments, dass Estland bereit sei zur Schaffung eines stärkeren, effizienteren und demokratischeren Europa. "Wir zeigen damit, dass wir mehr Sicherheit und mehr Wohlstand für die Menschen in Europa erreichen wollen, und das wir die Herausforderungen anzunehmen gewillt sind, vor denen die EU gegenwärtig steht."
Mit dem positiven Beschluß Estlands haben jetzt 15 EU-Staaten die Verfassung befürwortet. Zwei Volksabstimmungen in den Niederlanden und in Frankreich entschieden sich mit Mehrheit dagegen - nanach war der Beschlußfassungsprozeß ins Stocken geraten. Auch die Esten verknüpften ihre Zustimmung zur Verfassung nicht etwa mit Vorschlägen, wie nun weiter zu verfahren sei.
Wie sieht Europa aus estnischer Perspektive aus?
Auf seiner Bloggerseite hat Guistino aus New York die estnischen Ereignisse gespiegelt ("I own an appartment there"). Hier kommt eine andere Sprache als die europäische Diplomatenschule zum Ausdruck: "Wie zelebrierte Estland diesen Tag? Mädchen wackelten im Anton- Tammsaare-Park mit ihrem Hintern".
Die Ironie geht noch weiter: "Was würde der Schriftsteller Anton Hansen Tammsaare selbst zu dem ganzen Thema gesagt haben?" Guistino zählt Tammsaare (der allerdings schon 1940 starb) eher zu den potentiellen EU-Kritikern - obwohl in aktuellen Umfragen immer noch zwei Drittel der Esten die EU-Mitgliedschaft befürworten.
Die Ironie des Autoren gilt aber auch den Russen in Estland, die sich ebenfalls am 9.Mai versammeln, um abermals (mit weniger Aufsehen als zum runden Jubiläum 2005) den Sieg der Roten Armee über den deutschen Faschismus feiern. "Und sie nahmen sich Estland als Souvenir mit, weil es gerade am Wegesrand lag", schreibt Guistino. Er kritisiert das gesamte EU-Projekt als "bürokratisch und elitär".
Positives Image
Wie reagieren die internationalen Medien? Wohl größtenteils so, wie es sich die Esten erhofft hatten: das Ja zur EU-Verfassung wird von den meisten positiv gewertet und trägt somit weiterhin zur Schaffung eines guten estnischen Images in Europa bei. Könnte man es populistische Aussenpolitik nennen?
"Trotz Unkenrufen" sagte Estland ja, meint EURONEWS, nicht ohne gleichzeitig zu bemerken, dass Estland die Einführung des Euro wohl eher verschieben werde. Von Nachbar Finnland, wo eine Entscheidung über die Verfassung ebenfalls bevorsteht, werden andere Sorgen gemeldet: die Finnen möchten, beeinflußt auch vom Einkaufstourismus der eigenen Landsleute hinüber ins estnische Tallinn, europaweit eine höhrere Alkoholsteuer eingeführt wissen (Die Presse 8.5.06). Ob das sich als ein innenpolitisches Argument gegen die EU-Verfassung entpuppt? Blogger Guistino sieht diese Sachlage eher mit trockenem Humor: ""Die Nation von Santa Claus und den Rentieren wird in Kürze ebenfalls entscheiden, was sie von der Verfassung hält."
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