In der heissen Phase des Bundestagswahlkampfes (siehe auch Beiträge in diesem Forum und im Lettland-Forum) lässt die CDU nun estnische Politiker einfliegen. Gerade an dem Tag, als die deutsche Presse verwundert feststellte, Kanzlerkandidatin Merkel habe ganze Passagen ihrer Beiträge im "Fernsehduell" mit Schröder von Ronald Reagan "abgekupfert", titelt die Leipziger Volkszeitung verwundert: "Warum es DDR-Bürger besser hatten".
Aufgeschnappt hatten die LVZ-Journalisten diese Äusserung vom ehemaligen estnischen Premier Juhan Parts, der gegenwärtig auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen mit seinem früheren Justizminister Ken-Marti Vaher in Deutschland weilt, um den Wahlkampf der CDU zu studieren. Durch die Wiedervereinigung habe der deutsche Osten wesentlich günstigere Startbedingungen gehabt als etwa Estland, erklärte Parts den verblüfften Leipziger Medienvertretern. Wieder einer dieser interessanten Momente, wo sich die erstaunten Leser fragen: Wer lernt hier eigentlich von wem?
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das Interview, das der gegenwärtige estnische Finanzminister Aivar Söerd der Berliner Zeitung gab (Ausgabe vom 7.September 2005). Hier bestätigt Söerd, der auch schon bis 2003 einmal Generaldirektor der estnischen Steuerverwaltung war, was in Deutschland manche von Merkels neuem Steuerfachmann Paul Kirchhof so fürchten: Estland habe so gut wie alle Ausnahmetatbestände im Steuerrecht schon seit langem abgeschafft. Allerdings gibt es in Estland auch einen Steuerfreibetrag, der bei 1302 Euro liegt, können wir hier lernen (bei einem Durchschnittseinkommen von etwa 500 Euro).
Auch Hypothekenzinsen, Bildungsausgaben, Schenkungen oder Einzahlungen in individuelle Rentenversicherungen können auf das steuerpflichtige Einkommen angerechnet werden, so Söerd - wenn es zusammen nicht mehr als 50% des zu versteuernden Einkommens oder 3192 Euro ergebe. "Steuergesetze sind zur Umverteilung des Wohlstands ungeeignet", so Söerds Stellungnahme. Dafür sei aber der relativ hohe Freibetrag ein Ausgleich, und durchschnittlich sei in Estland eine Steuererklärung in 15 Minuten zu machen. "Wir haben ja zwei Steuersätze: 0 und 24 Prozent."
Aivar Söerd ist übrigens Mitglied der estnischen Partei "Volksunion" (Rahvaliit), die momentan Gespräche mit den estnischen Sozialdemokraten führt zum eventuellen Zusammenschluss beider Parteien.
Zum Schluß noch eine weitere interessante Wendung für alle, die aus diesen Äusserungen nun meinen, bereits ihre Schlußfolgerungen ziehen zu können. Befragt danach, was denn sich in Zukunft vielleicht im estnischen Steuersystem ändern könnte, antwortete Söerd gegenüber der Berliner Zeitung: "Wir diskutieren gegenwärtig über die Einführung einer ökologischen Steuerreform." Da sind wir schon jetzt erstens auf deren genaue Gestaltung in Estland, und zweitens auf die Reaktion in Deutschland gespannt!
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