Dienstag, Januar 30, 2007

Estland und Finnland, Schrecken der europäischen Fußballszene

Die Wahl Michel Platinis zum neuen Chef der UEFA hat in der europäischen Fußballszene wohl einiges durcheinander gebracht. Offenbar identifizieren viele Sportjounalisten und Möchtegern-Experten den Wahlsieg Platinis mit einer überproportionalen Gewichtung kleinerer Länder.

Neuestes Zeichen für ein derartiges Stimmungsbild ist ein Beitrag auf www.goal.com, der sich schreckliche Folgen für die Fußball-Europameisterschaft 2012 ausmalt. Interessant dabei, was für einen Teil der Fußballwelt offensichtlich als "größter anzunehmender Schrecken" gleichgesetzt wird: ein EM-Endspiel zwischen Estland und Finnland.

Solche Folgen drohen angeblich am Horizont der Fußballwelt, wenn in Zukunft 24 statt 16 Mannschaften an der EM teilnehmen sollten. Im Begründungs- zusammenhang finden sich Sätze wie diesen: "Nicht umsonst haben Finnland, Wales oder auch Estland bislang an noch keiner Europameister- schaftsendrunde teilgenommen – der sportlichen Auslese sei Dank."

Was geht da in den Köpfen vor? Spuken da die Show-Rocker von LORDI in selbstverliebten Fußballhirnen? Auch bei der Eurovision wird von deutscher Seite oft auf die angeblichen Folgen der Erweiterung des Teilnehmerfeldes verwiesen ("die betreiben da alle Nachbarschaftshilfe und wählen sich gegenseitig"). Andererseits wird doch so oft auf den Austragungsmodus des deutschen Fußballpokalwettbewerbs verwiesen, der eben "seine eigenen Gesetze" habe. Vielleicht hätte ja auch Russland ähnliche Bedenken, denn die WM-Qualifikation gegen Estland war 2005 ja eher ein schwerer Stolperstein (siehe Bericht des Deutsch-Estnischen Forums).

Nun, Leute, bekennt euch: Wer hat noch (sportliche) Angst vor Estland?

Samstag, Januar 27, 2007

Erinnerungskulturen VII Die Estlandschweden


Fast täglich finden sich jetzt russische Agenturberichte zum neuen Denkmalgesetz in Estland. Das Ganze verschärft durch die Debatte um ein weiteres Gesetzvorhaben in Tallinn, das auch die Benutzung von Nazi - und Sowjetsymbolen betrifft.
russland.RU:
"Nur das Engagement der gesunden Kräfte der estnischen Gesellschaft", so wird in der Erklärung unterstrichen, "kann das unwürdige Schauspiel um die Massengräber und das Mahnmal für die Befreier Tallinns von den deutschen Faschisten ein Ende bereiten."
... und weiter
Jedem vernünftig denkenden Menschen ist klar, dass der Krieg gegen Soldaten, die vor einem halben Jahrhundert ihr Leben für Eure Hauptstadt geopfert haben, der estnischen Gesellschaft keine Eintracht bringt", so der Appell.

Itar-Tass:
BRUSSELS, January 27 (Itar-Tass) -- The actions of the Estonian authorities around the monument to the Liberator Soldier have triggered strong protests of the European veterans of the Resistance Movement, Michel Vanderborgt, President of the International Federation of Members of the Resistance Movement (FIR), told Itar-Tass.
“When I heard about the resolution adopted by the Estonian parliament, I though it was just impossible,” he said. According to his information, FIR receives dozens of phone calls every day both from war veterans and from the ordinary people, who are indignant over the actions leading to the support for neo-fascism.

Darauf läuft es hinaus. Sollte das Monument der "Bronzene Soldat" aus dem Stadtkern Tallinns an eine andere Stelle, eventuell Friedhof verlegt werden, so erleben wir angeblich das Erstarken des "Neo-Faschismus".
Wer in einer politischen Debatte über "gesunde" Menschen redet oder schreibt, sollte sich an die eigene Nase fassen. Also weiter in der Reihe Erinnerungskulturen. Menschen, die vom Sowjetsystem nicht befreit wurden, sondern gleich als Minderheitengruppe ganz verwschwunden sind. Ausgelöscht als Kultur: die Estlandschweden. Ihr Fehler: sie lebten an der Küste. Und weil Hitler und Stalin sich Europa teilten, waren sie gleich an der Reihe. Denn die Sowjetunion verlangte Militärstützpunkte an Estlands Küste 1939/1940. Schlecht für die Fischer, denn Militärbasen sind Sperrgebiete. Also Entzug der Lebensgrundlagen. Sie wurden "evakuiert", aber ohne entsprechende Kompensation. 1940 hatten tausende Schweden Ausreiseanträge gestellt "aber nur 110 Einwohner von Rogö erhielten die Möglichkeit nach Schweden überzusiedeln." (Herbert Petersen, Die Estlandschweden und ihre Umsiedlung ins schwedische Mutterland während des Zweiten Weltkrieges). Beim deutschen Einmarsch im Sommer 1941 hielten sich Sowjetverbände besonders lange in der Küstenregion. Wer wurde dabei gleich miteingezogen von der Roten Armee? Natürlich die Estlandschweden. Und da man schon beim Aufräumen und sortieren war, wurden gleich wichtige Repräsentanten der Estlandschweden beseitigt, ermordet oder sonstwie "entfernt". Zum Beispiel der Chef des schwedischen Schulbüros im estnischen Kulturministerium oder der Volksgruppensekretär Nils Blees. Seit diesen Vorgängen waren die schwedischen Behörden westlich der Ostsee alamiert. Während der deutschen Besetzung wurden Pläne für die Umsiedlung erarbeitet. 1943 wurde deutlich, dass die Front zurückweichen würde und es zu einer Wiederbesetzung durch die Sowjetunion kommen könnte. Zum Teil chaotisch liefen die letzten Flüchtlingstransporte über die Ostsee in überfüllten Booten und Schiffen ab. Wissenschaftlich formuliert (H.Petersen): "Neben diesen "legalen" Transporten waren in den Jahren 1943 und 1944 etwa 2800 Estlandschweden in Schweden eingetroffen, die auf eigene Faust via Finnland oder direkt über die Ostsee mit eigenen, größeren oder kleineren Fischereibooten unter zuweilen sehr schwierigen und mißlich Verhältnissen geflohen waren".
Damit war die mehrhundertjährige Geschichte der "Küstenschweden" in Estland zu Ende.
Oben das Wappen von Noarootsi, aus Wikipedia.

Mittwoch, Januar 24, 2007

Ein bisschen Winter


Cafe
Originally uploaded by cyberdees.
Von 'cyberdees' stammt diese Aufnahme, Rathausplatz Tallinn. Erkennbar das alte Rathaus im Fenster des Cafe Kehrwieder. Und ein wenig Schnee am Wochenende. Wetteronline sagt bis -15°C Tiefsttemperatur am Donnerstag vorher. Da kann noch was kommen.

Hier die Eisentwicklung auf der Ostsee, vom 22.01.2007 im Vergleich zum Durchschnitts-Zustand in Normaljahren.

Freitag, Januar 19, 2007

Die Schachwelt hat Paul Keres nicht vergessen

André Schulz hat auf CHESSBASE NEWS einen sehr schönen Beitrag über den estnischen Schach-Heroen Paul Keres veröffentlicht. Seine Einleitung: "am 5. Juni 1975 starb Paul Keres auf dem Rückweg von einem Turnier, das er in Vancouver gespielt hatte, an einem Herzanfall. Fast vier Jahrzehnte gehörte Keres zu den besten Spielern der Welt. Er gewann zahlreiche Turniere, nur den Weltmeistertitel konnte er nie erringen. Hatte der KGB den Großmeister aus dem okkupierten Estland, der in seiner Heimat als Nationalheld verehrt wird, gezwungen, Botvinnik den Vortritt zu lassen?"

Das interessante an dem Beitrag sind vor allem die vielen historischen Fotos. Eine Reihe von Details aus dem Leben des "unglücklichen Mannes aus einem unglücklichen Land" (Keres über Keres, und zur Situation von Sowjet-Estland) werden hier gezeigt: unter anderem war Keres auch ein erfolgreicher Tennisspieler. Er habe aber seine Turniere meist ohne Berater gespielt, und daher häufig auch die falsche Taktik gewählt, erklärt Schulz anschaulich. Keres war eben ein Liebhaber des "Angriffsschachs". Aber: er sei der einzige Schachspieler der Welt, so André Schulz, dessen Bild eine Banknote ziere.
Also: diese schöne Webseite sei allen Estland- und Schachfreunden empfohlen!


Russland und das Denkmal

Der Denkmalstreit zwischen Estland und Russland geht weiter und spitzt sich zu. Im Kern geht es um die mögliche Umsetzung eines bronzenen Soldaten im Zentrum Tallinns. In der englischsprachigen Blogosphäre sind einige aktuelle ausführliche Beiträge dazu veröffentlicht worden. Hier eine kleine Liste:
Edward Lucas kritisiert die Art und Weise, wie die Parlamentarier in Estland mit diesem Thema umgehen (Im März sind Wahlen):
Conflicting views of soviet history

Giustino über den Unwillen in Russland, die sowjetischen Geschichtsbetrachtungen zu ändern:
The War on Estonian Manhood

Peteris Cedrins fügt dem Ganzen die lettischen Verhältnisse beim Denkmalstreit hinzu:
Some Musings on Monuments

Mittwoch, Januar 17, 2007

Larko - ein Blogger

Larkos Blogtreiben erinnert daran, dass rund um die Ostsee vor dem Weltkrieg die Vielsprachigkeit üblich war. Praktiziert im Alltag mit mehreren Sprachen gleichzeitig. Und nicht, wie etwa heutzutage, wo das beherrschen einer zweiten Fremdsprache der Idealfall ist. Larko hat also einen estnischen Blog, einen schwedischen, einen englischen und einen finnischen.
Der englische wird wohl den meisten zugänglich sein, und dort postet er auch häufig über deutsche Themen. Warum? Weil er auch Deutsch versteht und auch in dieser Sprache kommentieren kann. Sein Lebensmotto:
Beer is food ...and I do not need a diet!
Der englischsprachige Blog:
More shameless remarks by Larko
Der estnische Blog:
Larko lobiseb (peegel)

Freitag, Januar 12, 2007

Erinnerungskulturen VI Die Ingrier


Die Kontroverse geht weiter. Das Gesetz für das Verbot von Sowjet und- Nazisymbolen und die Möglichkeit der Beseitigung umstrittener sowjetischer Denkmäler ist durch, mit der Bestätigung des estnischen Präsidenten. Um nicht in alte Argumentationsmuster zurückzufallen dient die Reihe Erinnerungskulturen. Über Minderheiten und Nationen, die nicht "befreit" wurden und deshalb auch nichts zu feiern haben. Es folgt das Schicksal einer finno-ugrischen Minderheit der Sowjetunion und heute in Russland. Das heisst, solange es noch einige Zurückgebliebene gibt, vor allem in Ingermanland (aus Wikipedia):
Ingermanland (finn. Inkeri, schw. Ingermanland) ist eine historische Landschaft im nordwestlichen Russland rund um das heutige Sankt Petersburg. Sie wird im Westen vom Fluss Narva, im Südwesten vom Peipussee begrenzt. Die historische Grenze zu Karelien bildete die Sestra (finnisch Rajajoki, "Grenzfluss"), (schwedisch Systerbäck, "Schwesterbach").

...
Während des Zweiten Weltkriegs flohen die meisten Ingrier, Woten und Finnen nach Finnland, mussten aber auf Geheiß Stalins zurückkehren. Sie wurden daraufhin nach Sibirien deportiert.
Auch die nationalsozialistische Führung wollte dem Ingermanland ihren Stempel aufdrücken. Gemäß der nationalsozialistischen Germanisierungspolitik sah der Generalplan Ost vor, das Ingermanland mit Deutschen zu besiedeln. Große Teile der ursprünglichen Einwohner sollten ermordet oder vertrieben werden.
Heute stehen Kultur und Sprache der Ingrier, und insbesondere der Woten und Ischoren, vor dem Aussterben.

So ist das, wennn man keine mächtige Lobby hat.
Das hatte aber bereits ein Vorspiel in der Zeit vor dem 2. Weltkrieg. Die Zukunftsperspektive für die Ingrier war düster:
The violence began in 1928 with compulsory collectivization. Around 18,000 people were deported from Northern Ingria to East Karelia, Central Asia and elsewhere in order to frighten others into accepting collective farms. A further 7,000 were deported to the Urals and to the coast of the Caspian Sea in 1935, and 20,000 to Siberia and Central Asia in 1936. Four parishes of Northern Ingria were totally emptied of Finns, which was a probable factor in the tension that led to the Finnish-Russian war. All churches and religious societies were closed by 1932 and all Ingrian cultural and social activities were brought to a halt by 1937. The national district of Kuivaisi (Toksova) was liquidated in 1939. By 1929, at least 13,000 Finns had been killed and 37,000 were suffering in Russia.

Das sind die Zahlen für ein Minivölkchen. Die Nachkriegszeit lasse ich aus, sie ist hier nachzulesen, wie der übrige enlischsprachige Text, aber wichtig ist, dass Finnland und Estland zu den Hauptauswanderungszielen wurden:
The historical guilt the Finnish society feels for expelling these people to the Soviet Union may be one reason for the decision to accept the Ingrians as returnees in Finland. At a press briefing, he said that the Ingrian Finns living in the former Soviet Union could be regarded as Finnish returnees. The term returnee means that these people could move to Finland easily by showing that they had Finnish ancestors. The words of Koivisto had a huge impact on the Finns in ex-Soviet Union who started to move to Finland in great numbers. About 30,000 people have already moved to Finland thanks to Koivisto's statement, and another 20,000 are waiting in Russia and Estonia. Nobody knows for sure how many can come in the end.

Montag, Januar 08, 2007

Schnee? Wozu brauchen wir Schnee?

Ein winterliches Sportereignis - in der Halle
Markus Wilke, Tobias Wicke, Flo Marfaing - Kenner wissen mit diesen Namen etwas anzufangen. Vom 12. - 14.Januar 2007 trifft sich in Tallinn die Skateboard- und BMX-Szene zum "Winter Bash 2007", und die besagten Namen seien die "Highlights" aus deutscher Sicht, so schreiben es deutschsprachige Sportnews-Portale (1asport).

"Schau mal rein, und Du wirst etwas sehen, was Dein Herz schneller schlagen läßt!" So wirbt Nolla.net für das Event. 12.000 Zuschauer aus ganz Europa werden in der Saku Suurhall erwartet, 130 Fahrer aus 24 Ländern (Liste der Teilnehmer). Immerhin sind Preise im Wert von 13.500 Euro ausgeschrieben (Programm).
Und wer dem sportlichen Wettbewerb nichts abgewinnen kann, der wird sich wahrscheinlich auf einer oder mehreren der angekündigten "zahlreichen Parties" vergnügen. Auch ein Skate-Filmfestival ist angekündigt. Ein paar "cooole Typen" werden dort sicher vorbeiflanieren ...

Weitere Infos gibt es hier





(Die Fotos sind den Veranstalterinfos entnommen)

P.S.: Ein Satz aus der Selbstdarstellung der Veranstalt
er: "Estland ist ein Land in Nord-Ost-Europa und eines der drei baltischen Staaten. Die meisten Leute sehen Estland genauso gut als Teil von Skandinavien an."

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Partyvergnügen
So, und was bei dieser Info vielleicht a
uch noch interessant ist, das ist die "Rangliste" der "Winter-Bash"-Veranstalter zu den besten Klubs in Tallinn.

Hier ist sie:

BONBON, mere pst 6e, geöffnet von 23.00 - 05.00 Uhr


CLUB HOLLYWOOD, Vana Posti 8, geöffnet ab 22.00 Uhr, Werbespruch "Definitiv der Ort, wo die Party in Estland erfunden wurde ..."

Privé, Harju st. 6, Sucht seine Gäste per Gesichtskontrolle an der Tür aus, für "beautiful and open minded people" ...

Club Von Krahl, Rataskaevu 10, inklusive Von-Krahl-Theater,

Rockcafe, Tartu mnt. 80D - Zelluloosi Keskus. Oft Live-Bands, unterschiedliche Öffnungszeiten.

So, und nun kommt ihr: Any comments? Empfehlungen, Erfahrungen?

Donnerstag, Januar 04, 2007

Internetwahlen - nächster Schritt

Wie vorhergesagt werden die Möglichkeiten zur Internetwahl in Estland ausgebaut. Als nächstes sind die Parlamentswahlen im März dran. Und hier soll sogar die OSCE mitbeobachten. Weil hier das erste Mal auf nationaler Ebene Wahlstimmen per Computer abgegeben werden können. Aber die neue Technik wird Zeit benötigen, sich in der Breite durchzusetzen. Hier ist einer der Hauptgründe:
At least part of the problem is practical. Though Estonia has issued more than one million of the necessary ID cards to its 1.3 million citizens, relatively few of the nation's computer users, around 30,000 by one estimate, have installed the smart card readers that take them.

Nicht jeder hat sich den notwendigen Kartenleser (für seine ID-Karte) angeschafft. Erst 30.000 besitzen diese. Also wird auch diesmal mit keinem großen Durchbruch der Internetwahl zu rechnen sein. Aber prinzipiell steht diese Variante jedem zur Verfügung.
Quelle: Euobserver.