Montag, November 03, 2008

Der ganz andere Meri

Lennart Meri ist auch außerhalb Estland nicht unbekannt. Der Schriftsteller wurde während der Umbruchzeit Außenminmister und war von 1992 bis 2001 Präsident. Der 1929 geborene Meri starb 2006.

Ein Cousin, Sohn des Onkels des früheren Präsidenten, Arnold Meri, hingegen muß sich 88jährig derzeit juristisch für seine Vergangenheit verantworten. Während Lennart Meri ein Gegner der Sowjets war, machte Arnold Meri Karriere. Wegen seines Einsatzes im Zweiten Weltkrieg dufte er sich seit 1941 Held der Sowjetunion nennen, erhielt 1948 den Leninorden und wurde 1961 stellvertretender Bildungsminister der estnischen sozialistischen Sowjetrepublik. Daß er den Siegestag noch 2002 mit Vladimir Putin gemeinsam in Moskau feierte, stieß in Estland nicht auf Verständnis.

Vor dem Landgericht Pärnu wird nun der Vorwurf des Genozides verhandelt, doch Meri versucht, dem Prozeß wegen seines angeschlagenden Gesundheitszustandes zu entgehen. Während Richter Mart Reino die Ergebnisse der jüngsten Expertise nicht offenlegen möchte, behaupten Meri und sein Anwalt Sven Sillar, noch keine Kenntnisse des jüngsten Berichtes zu haben. Arnold Meri erklärt jedoch, es ginge ihm noch schlechter als vorher, was ihn aber einstweilen nicht weiter störe.

Reino hatte den Prozeß im Mai für die Zeit der Untersuchung Meris unterbrochen, denn die letzte Expertenmeinung liegt bereits viereinhalb Jahre zurück und in dieser Zeit, so der Richter, könne sich selbstverständlich der Gesundheitszustand eines Menschen ändern. Nach Angaben des Anwalt leidet Meri an Lungenkrebs und sein Arzt habe von weiten Reisen abgeraten.

Bei der Eröffnung des Prozesses in Kärdla auf der Insel Hiiumaa hatte Meri sich für nicht schuldig befunden. Vorgeworfen wird ihm, als damaliger erster Sekretär des Zentralkommitees der leninistisch-kommunistischen Jugend 1949 die Deportation von 251 Einwohnern der Insel in die Oblast Novosibirsk in Sibirien organisiert zu haben. Unterwegs starben elf der 13 über 75 jahre alten Personen. 16 waren noch nicht 18 Jahre alt.

Die damaligen Deportationen von insgesamt über 20.000 Menschen aus Estland betrafen vorwiegend Frauen und Kinder, bewußt, denn bestraft werden sollten die Verwandten von Männern, die sich als Partisanen in den Wäldern versteckt hielten oder ins Ausland geflohen waren.

Meri behauptet, die Deportationen seinen von Moskau so minuziös geplant worden, daß jemand seines geringen Ranges dort nichts hätte beeinflussen können. Er sei zuständig gewesen für die Kontrolle der Vorschriften, wieviel persönliche Gegenstände die Betroffenen mitnehmen durften. Vor Ort habe er Verstöße festgestellt und gegen diese per Telegramm nach Tallinn protestiert. Doch dieses Dokument ist heute in den Archiven nicht zu finden.

Der alte Mann wirft nun der heutigen politischen Elite vor, das Thema immer wieder auszugraben, wenn er sich öffentlich kritisch äußere. Die erste Befragung habe bereits 1995 stattgefunden, also immerhin zwölf Jahre vor Prozeßbeginn. Beobachter vermuten ebenfalls, daß möglicherweise Meris Kritik an der Versetzung des Bronzesoldaten im vergangenen Jahr in Wahrheit Auslöser der Anklage sei. Die Behörden jedoch entgegnen, daß nach und nach die Geschichte in allen Regionen Estland untersucht würden und sich ebenfalls gegen Kollaborateure der Nazis richteten. Diese aber hatte bereits die Sowjetunion zur Rechenschaft gezogen.

Die Deportationen von 1949 sind lange her. Die handvoll alter Männer, die für ihre Taten in unteren Rängen während der vergangenen Jahre angeklagt worden waren, hatten auch das Mitleid eines Teils der Bevölkerung. Anders ist dies bei Arnold Meri. Eine Verurteilung würde sicher neuerlich zu Wortgefechten mit Moskau führen. Das verlangte Strafmaß ist lebenslänglich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen