Mittwoch, August 27, 2008

Bundeskanzlerin Merkel in Tallinn

Georgien ist DAS Thema beim Besuch der Bundeskanzlerin in Estland. Ihre Rede im neuen Kunstmuseum wurde in den Agenturen zitiert. Eins wurde deutlich, estnische Politiker drängen auf Konsequenzen nach den Ereignissen in Georgien. Ich halte hier mal kurz einen Punkt von Präsident Ilves fest (aus der FAZ, der Artikel wird wohl nur vorübergehend online lesbar sein):
Ilves hält nichts mehr von kleinlichen Beschlüssen. Der Westen stehe vor einer enormen Herausforderung, denn die Grundannahme der internationalen Beziehungen der vergangenen zwei Jahrzehnte sei hinfällig. Es sei eben keineswegs anzunehmen, dass Russland vor einem Einmarsch in ein anderes Land wie 1968 in die Tschechoslowakei zurückschrecken werde. Die Nato müsse sich daher auf ihre Kernaufgabe besinnen, den territorialen Schutz seiner Mitgliedstaaten. Alle Aufmerksamkeit müsse vorerst darauf gerichtet werden, den Artikel 5 des Nato-Vertrages zu konkretisieren, also die Pflicht zum militärischen Beistand. Eventualplanungen für Polen gebe es im Bündnis bereits, führte Ilves aus. Nun müsse es auch Planungen für die Verteidigung der baltischen Staaten geben.


Bisher hat Estland erreicht, dass das Cyberwar-Forschungszentrum der NATO in Tallinn eingerichtet wurde. Aber für viele ist das nun kein ausreichender Schutz mehr.

Rückblickend bleibt die Suche nach den Details des Kriegsausbruchs, um festzustellen, was im August um und in Ossetien geschehen ist. Ein Beispiel liefert dieser Spiegel-Online Bericht. Aus anderer Perspektive hatte ich schon einen Artikel des Telegraph verlinkt: "In Washington nahm niemand das Telefon ab".
Und hier aus ossetischer Sicht die entscheidenden Tage:
Carnage in Tskhninvali

Offene Fragen bleiben viele: Wie kann ein Staat anerkannt werden, der möglicherweise gar keine Staatsbürger hat? Angeblich haben die meisten Südosseten die russische Staatsbürgerschaft. Die Meßlatte für die Anerkennung der Unabhängigkeit der baltischen Staaten war hoch. Mehrere freie Wahlen unter internationaler Beobachtung, zusätzlich ein Referendum unter Einschluß aller im Lande lebenden Personen. Noch nicht einmal das hatte am Ende gereicht.
Also, gibt es eine vernünftige, machbare Perspektive für eine Unabhängigkeit Ossetiens, nicht nur weil Russland es so will?

7 Kommentare:

  1. Eine realistische Frage: Wie kann estnisches Territorium denn ueberhaupt militaerisch verteidigt werden? Mit Mitteln der modernen Kriegsfuehrung wird Estland doch in wenigen Stunden ueberrannt. Wenn man in einem koventionellen Krieg Estland wirkungsvoll verteidigen moechte, muss eine Grenze aehnlich wie zwischen DDR und BRD aufgebaut, staendige NATO-Basen aehnlich wie in Rammstein errichtet, Wehrpflicht auf 3 Jahre erhoeht und Ruestungsausgaben vervielfacht werden. Ist so was ueberhaupt vorstellbar?

    Zu der Frage nach dem Staat ohne Staatsbuerger. Fragen wir doch andersrum, wie kann man Staatsbuerger eines Staates werden, der noch gar nicht existiert?

    Den Abschnitt mit der Anerkennung der Unabhaengigkeit der baltischen Staaten verstehe ich nicht. Wenn man aus der estnischen Sicht argumentiert, dass Estland okkupiert war, wurde Estland in Folge von Frieden von Tartu anerkannt, ueberigens zuerst von Sowjetunion, worauf Estland die Sowjetunion als erster Staat anerkannte. Also auch ein recht linkes Spiel. Aber Jens-Olaf, was meinst Du mit "Noch nicht einmal das hat am Ende gereicht"?

    Und hat Estland sich nicht immer fuer Selbstbestimmung besonders kleiner Voelker ausgesprochen? Wie kann sie den Wunsch nach Unabhaengigkeit den Voelkern von Abchasien und Sued-Ossetien verwehren?

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  2. Kloty, "am Ende nicht gereicht" meint, erst der Augustputsch in Moskau und dessen Niederschlagung haben 1991 die ersten westlichen Staaten bewegt, die Unabhängigkeit anzuerkennen. Alles historische, Wahlen, Referenda waren nur ein Vorspiel.

    Bei Ossetien sympathisiere ich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker, antiquiert, aber seit spätestens Wilson auch praktiziert. Wenn sie nun wirklich nicht in Georgien leben wollen, muss ja irgendwie eine Lösung gefunden werden. Seit 1992 war hier ein Schwebezustand.

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  3. "Wie kann ein Staat anerkannt werden, der möglicherweise gar keine Staatsbürger hat? Angeblich haben die meisten Südosseten die russische Staatsbürgerschaft",

    eine sehr gute Frage...

    viele Grüße!

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  4. Für Ossetien sehe kaum eine Grundlage für eine Unabhägngigkeit, denn selbst wenn die meisten Südosseten eine entsprechende Staatsbürgerschaft hätten, dann wäre der kleine Bevölkerungsanteil dort wohl kaum in der Lage, einen Staat unterhalten, es sei denn, man macht es nach Liechtensteiner Vorbild in form eines Herzogtums, wozu den Südosseten das notwendige Kapital und internationale Wirtschaftsvertrauen fehlen dürfte.

    Anders sieht es mit Abchasien aus. Hier könnte ich mir einen unabhägngigen und funktionierenden Staat schon eher vorstellen.

    Knut

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  5. Scheint, als wenn Ilve's Anliegen (und die anderer neuer EU-Länder) beim Merkelbesuch in den jeweiligen Ländern bei der Ratspräsidentschaft der EU nicht ganz so gut angekommen ist, und auf wenig Gegenliebe stößt:

    http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,575222,00.html

    Wie wird also jetzt die EU weiter verfahren? Wie werden sich die quasi "abgemahnten" neuen EU-länder verhalten? Und welche Folgen werden die Unstimmigkeiten auf EU-Ebene haben?

    Have a good weekend,

    Knut

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  6. Der internationale Gesellschaft für bedrohte Völker schlägt vor: "Nordossetien mit Südossetien zu vereinigen und diese Eigenstaatlichkeit durch Georgien und Russland "(eigentlich Rossia)"garantieren zu lassen." "Abchasien sollte nach Ruckkehr seiner georgischen Mehrheit einen Autonomiestatus innerhalb Georgiens erhalten." (URL:http://www.gfbv.de/pressemit.php?id=1521


    Eigentlich keine schlechte Idee, besonders der Vorschlag der Verreinigung und der kompletten Unabhängigkeit Ossetiens. Somit bekämen auch weitere nicht-russische Völker von Rossia, eine sichtbare Chance für die Eigenstaatlichkeit, zum Beispiel die Finnougren.

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  7. Tagespolitik, da bin ich überfordert und man läuft den Ereignissen hinterher. Zum Beispiel scheint in diesem Zusammenhang die Ukraine bei europäischen Politikern in den Vordergrund zu rücken, nicht die baltischen Staaten.

    sarja, diese Kompromisse gehen nur, wenn tatsächlich beide Seiten zu einem Kompromiss bereit sind. Da muss ich zurück zum Anfang der 90er und nochmal recherchieren, wie tief die gegenseitige Ablehnung durch die ersten Kriegshandlungen geht. Bei mehrfachen Vertreibungen sieht das nicht gut aus.

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