Donnerstag, Februar 16, 2006

Richtige Antworten auf falsche Fragen ... neue Mythen vom "Baltikum"

Wo bitte liegt das Baltikum? Vielen mag diese Frage nur aufkommen, wenn mal wieder die Wetterkarte der Ostseeregion gezeigt wird. Wer aber heute noch losgeht, und scheinbar wissenschaftliche Untersuchungen ausschließlich auf dieses "Scheinwissen" um die angebliche Identität eines "Baltikum" fußt, der ist wohl selbst Schuld. Eine derartige Vorgehensweise findet sich in einem Bericht einer gewissen Kathrin Fielenbach, der Mitte Februar 2006 auf der Internetseite der Deutschen Botschaft in Tallinn zu lesen war.

Warum nach "Baltikum" suchen, wenn man Estland, Lettland und Litauen finden kann?
Einiges der im Bericht von Frau Fielenbach dargestellten Ergebnisse läßt überraschen: allerdings nicht wegen der Ergebnisse, sondern wegen der merkwürdigen Fragen. "Was weißt Du über's Baltikum?" Mit dieser Frage überfiel Fielenbach ihre Freunde und Bekannten, und berichtet erstaunt, dass diese erst dann Kenntnisse hervorkramten, als die Bezeichnungen der Länder (also Estland, Lettland, Litauen) hinzugefügt wurden. Aber wen wundert das, und wen erfreut es? Die alten Deutschbalten mag es enttäuschen, die immer noch ganze Vortragsreisen unter dem Motto "Die Deutschen und das Baltikum" gestalten. Die junge Generation, die als erste deutsche Generation seit Jahrhunderten (!) endlich mal zu lernen die Chance hat, dass dort in der Region eben Esten, Letten und Litauer wohnen, wohl eher nicht.
Selbst wenn mit "Baltikum" die Besinnung auf alte Traditionen gemeint sein sollte, dann sind alle drei Länder eben doch sehr unterschiedlich, und Litauen hatte zum Beispiel gar keine Dominierung durch eine deutsche Oberschicht. Und auch die Esten werden wohl die ersten sein, die sich lieber als "nordisch" denn als "baltisch" bezeichnen, und somit vom "Baltikum" überhaupt nicht mehr reden werden.

Vermittlung veralteter Perspektiven? Oder die "deutsche Brille" nicht abgesetzt?
Es ist ganz allein der schlechten Berichterstattung und Kulturvermittlung estnischer, lettischer und litauischer Perspektiven durch Deutsche in Deutschland zu "verdanken", dass diese eigene Perspektive der Esten, Letten und Litauer so schlecht vermittelt wird!

Frau Fielenbach reiht sich da ein. Unfreiwillig? Angeblich konnte keiner der Befragten die "baltischen Hauptstädte" nennen. Zitat Fielenbach: "
Die beiden anderen baltischen Hauptstädte, Reval (Estland) und Wilna (Litauen), nannte mir hingegen nur mein Freund, der sich aber auch liebend gern mit Landkarten beschäftigt und somit nicht ganz repräsentativ ist." Liebe Frau Fielenbach: Haben Sie tatsächlich Deutsche nach "Reval" befragt, ohne zu erklären dass Tallinn gemeint ist? Und warum benennen Sie Vilnius mit seiner polnischen Bezeichnung? Und welche Art Landkarten hat Ihr Freund da wohl zu Rate gezogen?

Da müssen wir uns doch Sorgen um solche "Kulturvermittler" machen! Warum steht so etwas auf den Internetseiten der Deutschen Botschaft, und nicht im Lehrbuch: "Wie Sie garantiert Mißverständnisse erzeugen?"
Immerhin stellt auch Frau Fielenbach noch fest, dass "die
baltischen Staaten ... sich auf dem Weg zur EU-Osterweiterung stark gewandelt" haben. Ein Schüler, der gerade frisch die Länder im Erdkundeunterricht durchgenommen hatte, konnte ihr dann doch Antworten geben. Aber - aufgepaßt, Frau Fielenbach - wovon sprach dieser Schüler die ganze Zeit? Von Litauen! (vergessen Sie also besser das "Baltikum" und die damit verbundenen Mythen ...)

Wo kommen solche Mißverständnisse her?
Über Frau Fielenbach und ihre möglichen eigenen "Baltikum"-Erfahrungen ist leider wenig bekannt. Im Internet läßt sich lediglich nachlesen, dass sie sich im Jahr 2000 in Griechenland aufgehalten hat, im Zusammenhang mit der Arbeit eines "Instituts für angewandte Pädagogik" in Apolda. Als "Auftraggeber" ihrer Befragung steht die "Internationalen Medienhilfe", die im praktischen Sinne leider sehr wenigen Medien "hilft", mit einer Ausnahme: für Publikationen deutscher Minderheiten im Ausland. So kommt zum Beispiel die Unterstützung der "Baltischen Rundschau" zustande, deren Mitarbeiter- und Trägerkreis sich weitgehend aus Kreisen deutscher Minderheitengruppen in Litauen rekrutiert.

Leider ist die Vermittlung von estnischen, lettischen und litauischen Perspektiven in Deutschland äußerst schwach ausgeprägt. VHS-Veranstaltungen, im Schnellverfahren von Honorarkräften kurzfristig angeboten, helfen da ebenso wenig wie private Diavorträge im Vereinsrahmen. Gute Bildungsangebote, die sich der normal verdienende (und immer mehr von Arbeitslosigkeit bedrohte) Deutsche leisten kann, gibt es kaum. Studentische Projekte bleiben meist im universtitären Elfenbeinturm, oder man plaziert entsprechende Veranstaltungen viel zu oft ins Hauptstadt-Berlin, wo dann (wegen der Vielzahl des gesamten Angebots dort) nur 5 bis 10 Besucher erscheinen.
Die Landeszentrale für politische Bildung in Bremen antwortete vor kurzem auf ein Angebot, Veranstaltungen zu Estland, Lettland und Litauen in Kooperation zu veranstalten, sinngemäß so: "Aufgrund unserer schwierigen Haushaltslage können wir nichts machen, was Geld kostet." ("Haushaltstopp" nennt sich das in der "Fachsprache")

Ja, woher soll denn dann das steigende Bewußtsein für ein gemeinsames Europa kommen?

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