Sonntag, September 19, 2021

Filmriss, oder Wunderland?

Gibt es eine Filmindustrie in Estland? Sagen Ihnen die Filmtitel "Kirschtabak", "Die kleine Genossin", "Kinder des Fechters", "Mandarinen", oder "Der Geheimbund von Suppenstadt" etwas?

Falls ja, dann haben Sie zumindest mal einen Film aus Estland gesehen. Estland, mit seinen knapp über einer Million Einwohnern, hat gegenwärtig noch 54 Kinos, darunter 8 Multiplex (2004 waren es noch 69). Statistisch gesehen gehen Estinnen und Esten 2,78 mal pro Jahr ins Kino (2019), estnische Filme haben dabei im eigenen Land einen Marktanteil von 23%. 

In 30 Jahren Unabhängigkeit hat es für Filme aus Estland einige Erfolge gegeben - jedoch immer noch kein eigenes Filmstudio. Im Norden der Hauptstadt ist jetzt ein "Tallinn Film Wonderland" mit drei Studios und 3500 qm Studiofläche in Planung, für deren Bau sich 17 estnische Produktionsfirmen zusammengeschlossen haben. Voraussichtliche Kosten: 13,6 Millionen Euro (ERR). Internationale Partner seien sehr interessiert diese Einrichtung nutzen zu können. Estland werde so die Chance bekommen, zu einem Dreh- und Angelpunkt der modernen Filmproduktion zu werden. "Dabei haben wir eine Vereinbarung mit der Stadt Tallinn", erläutert Gren Noormets, Vorstandsmitglied des Projekts. "Die Stadt zahlt die Baukosten, und wir werden das Geld später von unseren Projektfinanzierungen zurückzahlen." 

Dennoch war noch vor wenigen Wochen, als die Baugenehmigung bereits erteilt war, vieles bei der Finanzierung noch unklar (err). Darauf wiesen auch estnische Filmregisseure in einem offenen Brief an Parlament und Regierung (kinoliit / err) hin, verbunden mit der Forderung, dieses Projekt wieder auf die Liste wichtiger Kulturprojekte zu setzen. Zusätzlich bereitet den Filmemachern Sorgen, dass die Filmfördermittel eventuell von sieben auf vier Millionen Euro gekürzt werden sollen (err). "Eigentlich wollen wir ja gern das estnische Autorenkino fördern", sagt Edith Sepp, Chefin des Estnischen Filminstituts.

Christopher Nolan kam zu Dreharbeiten seines Films "Tenet" auch nach Estland. Und auch der beim Filmfestival Cannes prämierte Film "Compartment Nr.6" (Hytty Nro6") wurde von Estland coproduziert. Allein "Tenet" habe für Estland 16 Millionen Euro eingebracht, so die Argumente der Filmindustrie, zudem hätten 700 kleine Unternehmen Nutzen davon gehabe, wovon nur 200 direkt mit dem Filmsektor zu tun hätten. Somit habe jeder investierte estnische Euro 6,6 Euro zurückgebracht. 

Das estnische Parlament zeigte sich nun in Mehrheit von den Argumenten zum Bau des "Filmcampus" überzeugt. Wie Finanzminister Keit Pentus-Rosimannus bestätigte, werde das Projekt erneut mit höchster Priorität versehen, genauso das Kulturquartier Narva Kreenholm, ein "Arvo Pärt Musikhaus" in Rakvere, und die Erweiterung der Nationaloper (err). Ganz vorn auf der Prioritätenliste steht bisher die Errichtung eines neuen Kulturzentrum in Tartu ("SüdaLinna Kultuurikeskus" SÜKU) - die Stadt wird 2024 Europäische Kulturhauptstadt sein.

Meistens werden estnische Kulturprojekte über die Stiftung "Eesti Kulturkapital" (Kulka) gefördert. Deren Chefin Kertu Saks kommentierte die Situation so, dass durchaus noch nicht festgelegt sei, in welcher Reihenfolge und mit welchem Zeitplan diese fünf Projekte realisiert werden können. Momentan werde immer noch Geld gebraucht für die jüngst fertig gestellten Projekte wie zum Beispiel das Estnische Nationalmuseum (err).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen