Montag, August 23, 2021

Kompromiss, bio-logisch genetisch

Präsidentin Kersti Kaljulaid
nach ihrer Wahl 2016

Für den 30. August ist in Estland die Wahl eines neuen Präsidenten angesetzt. Offenbar ist inzwischen klar, dass die bisherige Amtsträgerin Kersti Kaljulaid keine Chance auf eine zweite Amtszeit bekommen wird - denn die Wahl werden die Abgeordneten des estnischen Parlaments (Riigikogu) vornehmen, und Kaljulaids Unterstützer/innen sind hier weit in der Minderzahl. 

Kürzlich haben sich die beiden größten Fraktionen, Reformpartei und Zentrumspartei, auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt: Alar Karis, 63 Jahre alt, studierter Biologe, früher Rektor der Universität Tartu, danach Leiter des Nationalen Rechnungshofs (Riigikontroll) und inzwischen Leiter des Estnischen Nationalmuseums (Eesti Rahva Muuseum). Wie es sich unter anderem den Infos des internationalen Museumsnetzwerks NEMO entnehmen lässt, studierte Karis früher auch an einigen deutschen Universitäten - es ist also zu hoffen, dass Karis diese Kontakte auch als Präsident ausbauen könnte. Beim Wissenschafts-Infosystem ETIS (Eesti Teadusinfosüsteem) ist allerdings nur die Uni Hamburg genannt, und es wird klar: wir haben es hier wohl, den Studienschwerpunkten nach zu urteilen, mit einem Biomediziner zu tun, vielleicht auch mit einem Molekularbiologen oder sogar Molekulargenetiker.

Die öffentlich-rechtlich arbeitenden Journalisten (ERR) urteilen über Karis: "Smart and educated" (klug und gebildet). Und genauso, nämlich "klug und gebildet", stellt sich der Kandidat offenbar auch die Estinnen und Esten der Zukunft vor. Politisch in Erscheinung getreten ist der Kandidat bisher nicht. 

Bisher hatte die Zentrumspartei erwogen, Tarmo Soomere, ebenfalls einen Wissenschaftler, als Kandidat unterstützen zu wollen. Da jedoch für die Wahl eine Zweidrittelmehrheit von mindestens 68 der 100 Stimmen nötig ist, kommt es auch auf die Unterstützung der Reformpartei, der konservativen "Isamaa"-Fraktion und der sozialdemokratischen SDE an. Die rechtsgerichtete EKRE stellt in jedem Fall mit Henn Põlluaas einen eigenen Kandidaten zur Wahl. 

Allerdings zeigen Umfrageergebnisse der Agentur "Kantar Emor" dass momentan zumindest die Bevölkerung in Estland noch hinter Präsidentin Kaljulaid steht: 34% würden sie wiederwählen, und dies mit besonders hoher Unterstützung bei den jungen Leuten jünger als 34 Jahren und bei denen mit höherer Schulbildung. Die anderen beiden, im Rahmen dieser Umfrage meist genannten Namen, Ex-Außenministerin und Europaabgeordnete Marina Kaljurand und Ex-Ministerpräsident Jüri Ratas, stehen voraussichtlich gar nicht zur Wahl. "Noch im Frühjahr stand es in den Umfragen Unentschieden zwischen Ratas und Kaljulaid," kommentiert Kantar-Chef Aivar Voog das Umfrageergebnis. "Jetzt, wo klar ist, das Ratas nicht kandidiert, ist Kaljulaid klar vorn." (und bei der Umfrage stand auch Alar Karis auf der Liste). 

Reformpartei und Zentrumspartei haben insgesamt 59 Sitze im Riigikogu. Für die notwendige Mehrheit braucht Kandidat Karis also die Unterstützung entweder der "Isamaa" ("Vaterland", 12 Stimmen) oder der Sozialdemokratischen Partei (SDE, 11 Stimmen). Auch EKRE-Kandidat Põlluaas, Mitglied der estnischen "Donald-Trump-Support-Group", hat offenbar einen festen Unterstützerkreis. Einen Wahlappell zu seinen Gunsten hatten immerhin 31 bekannte estnische Persönlichkeiten unterschrieben, darunter Sänger Tõnis Mägi, Schriftsteller Indrek Hargla und Musiker Lembit Saarsalu.

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