Lauri, ein junger, offenbar lebenslustiger Mann in einer estnischen Kleinstadt und Lehrer an der örtlichen Schule, wurde von einer maskierten Person überfallen. Seitdem liegt er im Koma, inzwischen im eigenen Elternhaus, gelegentlich visitiert von einer eher gelangweilten Ärztin, betreut und geflegt von der eigenen Mutter. Den Drehort, eben ausgerechnet Ida-Virumaa, habe man deshalb gewählt - so erzählte die Produzentin Aet Laigu bei der Vorführung in Bremen - weil dort am besten diese Art von recht gesichtslosen Reihenhäusern zu finden war, der die Atmosphäre des Films prägt. Hier weht noch nicht der Wind der estnischen Start-ups und der virtuellen Servicewelten: die Wohnungsausstattung atmet den Geruch der 1980iger Jahre, immer wieder hektisch bestaubsaugt von der fürsorglichen Mutter.
Ob die Eltern vor diesem Ereignis im Mittelpunkt des Gemeindelebens standen, wer weiß es. Aber spätestens jetzt ist dieses Haus der Anlaufpunkt für viele Fragen: jeder und jede möchte mal mit Lauri, immer noch reglos im Koma liegend, ein paar Minuten allein sein. Das Dilemma ist offensichtlich: Antworten kann es hier keine geben. Vielleicht hofft jeder Besucher darauf den Moment zu erwischen, wo Lauri doch noch wieder aufwacht? Oder doch noch die großen Geldsummen zu finden, die er Gerüchten zufolge irgendwo versteckt haben soll?
Die Klassensprecherin aus Lauris Schulklasse hofft immer noch, mit ihrem heimlichen Schwarm beim nächsten Ausflug auch mal allein sein zu können. Lauri's Freundin bleibt sogar über Nacht, versucht Momente der vergangenen Zweisamkeit zu bewahren und gesteht ihrem Liebsten all ihre Sünden. Der Ortspolizist, nach vergeblichen Versuchen auf eine Karriere als Kommissar aufzuspringen hier im Örtchen gelandet, spielt professionelle Nachforschungen vor um seine Selbstachtung nicht zu verlieren. Elsas Mann, zusammen mit seinen Jagdfreunden (allesamt riesige estnische Kalevipoegs von Statur), sorgt sich um die Pflanzordnung im Garten und schläft regelmäßig vor dem Fernseher ein. Andres, offenbar für verschiedene Bauvorhaben in der Gemeinde zuständig, hat sich offenbar Geld von Lauri geliehen und verzweifelt daran, dass er nun dessen Verbleib nicht erklären kann, aber weiter in großen Schwierigkeiten steckt.
Vielleicht eine interessante Vorstellung für alle, die umziehen müssen an einen fremden Ort: wie wäre es, wenn die neuen Mitbewohner und Nachbarn alle der Reihe nach im eigenen Schlafzimmer vorbeiprominieren würden? Sowas passiert ja manchmal erst, wenn man wieder geht: hier kommt die Kondolenz zu früh, fast peinlich berührt betreten alle Gäste das Haus.
Aet Laigu |
Produzentin Aet Laigu ist mit diesem Film schon auf über 20 Filmfestivals zu Gast gewesen, erzählte sie in Bremen. Von ungewöhnlichen Zuschauerfragen nur inspiriert und offenbar immer noch voller Engagement für den Film, berichtet sie von Reaktionen in Kleinstädten auf anderen Kontinenten, wo Zuschauer gesagt hätten: "Ja, auch wir erkennen einen Teil unseres Lebens, etwas für uns Typisches in diesem Film." Gut für "Ema", denn er wirkt auf gewisse Weise wie das aktuelle Gegenstück zum "Supilinn"-Film (dt. "Das Geheimnis der Suppenstadt"), wo ganz unverhohlen Finanzmittel locker gemacht wurden, um speziell für die schöne Stadt Tartu zu werben, und sogar Sponsoren in die Handlung eingebaut erscheinen, ohne es groß zu verstecken (z.B. DHL-Paketwagen). Bei "Ema" dagegen ist alles möglicherweise Wiedererkennbare vermieden: sogar Estinnen und Esten werden keinen Platz mit einem örtlich bekannten Denkmal oder Brunnen, Rathaus oder anderem Gebäude einer bestimmten estnischen Stadt wiedererkennen können - außer vielleicht ihrem eigenen, früheren Leben.
Es wurden sogar schon Parallelen gezogen zu Alfred Hitchcock - Spannung bietet "Ema", in ritualhaften Spiralen, bis zum Schluß. Nicht immer steht allerdings, wie jetzt in Bremen, eine der Filmemacherinnen für Nachfragen zur Verfügung. Falls es die gerüchteweise schon recht betagten Mitglieder der "Akademie für die Kunst der bewegten Bilder" (AMPAS) schaffen, sich den Film in Ruhe anzusehen, vielleicht gibts ja den begehrten "Verdienstpreis der Akademie" - "Ema" ist nominiert für den Oscar für den besten fremdsprachlichen (nicht englischen) Film (siehe: Hollywoodreporter). "Es wird ja mal wieder Zeit für Estland, irgend etwas zu gewinnen!" meinte Aet Laigu fröhlich in Bremen. So sind sie, die Estinnen. Ein Stück Elsa wahrscheinlich innen drin, aber sprudelnd kreativ auf dem Weg in die Zukunft.
Der Film ist in dieser Woche noch bis Sonntag im Rahmen der Estnischen Filmabende zu sehen.
Webseite der Produktionsfirma Meteoriit (zum Film, und zu Kadri Kõusaar)
zu Kadri Kõusaar in Korea
Estnische Filmabende EFA05
Trailer zum Film
Twitternews zum Film
Kadri Kõusaar auf Twitter
Facebookseite zum Film
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen