Donnerstag, November 10, 2016

Von Rõivas zu Ratas?


Nach 961 Tagen ging in dieser Woche die Amtszeit des estnischen Regierungschefs Taavi Rõivas zu Ende. Von 91 anwesenden Abgeordneten stimmten 63 für ein  von der Opposition beantragtes Misstrauensvotum, 28 dagegen, Enthaltungen gab es nicht.

bald schon neuer tonangebender
Politiker in Estland? Jüri Ratas,
frisch gewählter Chef der Zentrumspartei
Kaum hatte die oppositionelle Zentrumspartei sich nach jahrelangen Diskussionen vom bisherigen Parteichef Edgar Savisaar verabschiedet und sich für Jüri Ratas als neue Führungsfigur entschieden, gaben die beiden bisherigen Koaltionspartner der Reformpartei, Sozialdemokraten (SDE) aund Pro Patria / Res Publica Union (IRL), ihren Ausstieg aus der bisherigen Zusammenarbeit mit der Reformpartei bekannt - es lag nur ein Wochenende dazwischen. Und nicht nur das: eilig fügten beide hinzu, man sei offen für Gespräche mit der Zentrumspartei. Jevgeni Ossinovski, Vorsitzender der SDE, sprach sich offen für Jüri Ratas als möglichen neuen Regierungshef aus - und legte Rõivas den Rücktritt nahe."Regierungsarbeit ist Teamarbeit, und wenn es kein gegenseitiges Vertrauen mehr gibt in diesem Team, dann ist es nicht möglich weiterzumachen." 17 Jahre lang habe Estland nun schon eine von der Reformpartei diktierte Steuerpolitik ertragen müssen, und auch den sozialen Ungleichheiten im Lande müsse mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. (ERR)

Die neue Galionsfigur der Zentrumspartei versuchte sich bereits mit inhaltlicher Profilierung: die Regierung müsse auch mal notwendige Investitionen mit Krediten finanzieren können, sagte er im Interview (ERR). Mitglied der neuen Parteiführung der Zentrumspartei wurde übrigens auch Raimond Kaljulaid, der Halbbruder der neuen estnischen Präsidentin. Unklar bleibt vorerst, ob die Partei ganz vereint die neuen Perspektiven angeht: Altvater Savisaar hatte sich erst kurz vor der Wahl des Vorsitzenden entschieden, doch nicht mehr zu kandidieren, erschien gar nicht auf dem Parteikongress, und schloss auch einen Parteiaustritt nicht aus.

Auch die beiden kleineres Parteien im Parlament, die "Freiheitspartei" (Eesti Vabaerakond EVA) und die rechtskonservative Konservative Volkspartei (Eesti Konservatiivne Rahvaerakond EKRE) hoffen nun auf eine Regierungsbeteiliigung. Da ist es offenbar kein Hindernis, dass beide eher dem rechten Lager zugerechnet werden: Ratas hat beide bereits zu Gesprächen empfangen und EKRE als "vertrauensvoller Partner aus der Zeit der Oppositionsarbeit" bezeichnet (ERR).Ob auch die Sozialdemokraten einer so breiten Koalition zustimmen werden, scheint allerdings unsicher.

Was passiert nun weiter? Laut estnischen Recht hat die Präsidentin nun 14 Tage Zeit, in Gesprächen mit den Parteien einen neuen Kandidaten / eine Kandidatin für das Amt des Regierungschefs zu finden. Ein benannter Kandidat oder eine Kandidatin hat dann wiederum 14 Tage Zeit, im Parlament eine Mehrheit für seine Regierung zu finden. Danach hätte ein neuer Regierungschef noch eine weitere Woche Zeit, um auch die einzelnen Regierungsmitglieder im Parlament bestätigen zu lassen. Die Präsidentin hätte aber auch die Möglichkeit, außerordentliche Parlamentswahlen anzusetzen.

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