Sonntag, Dezember 28, 2014

Befindlichkeiten

Während hierzulande manche sich darüber aufregen über zu viele Anglizismen, sind in Estland offenbar einige der Entscheidungsträger dazu übergegangen, gleich das ganze Land als Internet- und Computergewebe zu interpretieren. Während es bisher nicht gelungen ist, menschliche Intelligenz auch nur im Entferntesten durch Rechner und Roboter ersetzen zu lassen, hindert dies offenbar einige nicht, umgekehrt vorzugehen: Menschen gemäß den Mechanismen von Rechenmaschinen anzusehen.
Fieberkure der estnischen Parteienlandschaft: wenn es so weitergeht,setzen sich vier Parteien nach oben ab,
der Rest landet unter "ferner liefen" (Datenquelle: TNS EMOR AS)

Die estnische Nachrichtenagentur ERR setzt dieser Tage zwei derartige Äußerungen nebeneinander - beide haben damit zu tun, dass am 1.März in Estland Parlamentswahlen anstehen. Von "Estland braucht einen Neustart" redet Tallinns Bürgermeister Edgar Savisaar, und möchte gleichzeitig seinen Wahlkampfslogan "Wir machen es anders" popularisieren.
Zukunftsdeuter als Computerfreaks?: Savisaar und Ilves
Estlands Präsident Ilves versucht sich als besserer Technologie-Kenner zu positionieren und formuliert seine Antwort so: "Wir brauchen keinen Neustart, aber ein besseres Betriebssystem!" Wer über diesen Satz allerdings ein wenig nachdenkt und sich ein wenig in der Computerwelt auskennt wird leicht entdecken, dass ein Wechsel des Betriebssystems ein weit schwerwiegenderer Eingriff ist als nur ein Neustart. Was Ilves als "nur ein paar Updates" darstellt, wäre in der Praxis doch eher ein völliger Neustart, erst recht wer sich vorstellt, man könne ja auch mal zwischen Windows, Apple oder Linux wechseln.

Es erinnert mich ein wenig an den Moment, als ich vor über zehn Jahren ein estnisches Tourismusbüro betrat und mir auf die Frage nach guten Übernachtungsmöglichkeiten, vielleicht mangels Englisch- oder Deutschkenntnissen, geantwortet wurde: "Please, here ist the computer!"

"Bitte suchen Sie doch selbst!" Etwas mehr muss wohl der Wählerin und dem Wähler im März doch geboten werden. Es sei denn, wir betrachten die beiden Zitierten doch eher als Auslaufmodell, wo weder Neustart noch Systemwechsel helfen.

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