Mittwoch, August 13, 2008

Georgische Exkursionen

Nun also auch hier - im Estland-Blog - das Thema Georgien. Auf "vielfachen Wunsch", sozusagen.
Ich glaube ich stehe nicht alleine, wenn mich diese baltische Georgien-Euphorie verunsichert. Da wird eine Menge Geld dafür ausgegeben, damit möglichst viele Projekte mit Georgien gemacht werden, von wissenschaftlichen Konferenzen bis zu Jugendlagern, damit letztendlich auch dieses Nachbarland Russlands noch unbedingt in die NATO kommen muss. Inklusive US-amerikanischer Raketenstationierungs-Träume. Muss das sein?

Zunächst mal das Aktuelle: Heute (13.8.) versammelten sich die Präsidenten Estlands, Lettlands und Litauens sowie der Regierungschef Lettlands in der georgischen Haupstadt Tblisi (Tiblis) und verabschiedeten ein gemeinsames Statement. Ich versuche mich an einer Übersetzung ins Deutsche:

"Wir haben Georgien besucht und drücken hiermit unsere volle Unterstützung aus für den demokratisch gewählten Präsident und die Regierung Georgiens aus.
Im Hinblick auf die Bemühungen, die von der EU-Ratspräsidentschaft und der internationalen Gemeinschaft unternommen wurden, betonen wir folgendes:
1) Wir brauchen einen sofortigen Waffenstillstand, ein Ende der Aggression und einer weiteren Okkupation des souveränen demokratischen Georgien;
2) Die Notwendigkeit die Okkupationstruppen aus Georgien zurückzuziehen, und eine internationale Friedenstruppe unter Aufsicht der Europäischen Union zu etablieren;
3) Die einzige Option um ähnliche Akte der Aggression und Okkupation gegenüber Georgien in Zukunft zu verhindern, ist es einen NATO Aktionsplan zu schaffen (Membership Action Plan MAP);
4) Die Schaffung von humanitären Korridoren ist dringlich, genauso wie internationale Anstrengungen den zivilen Opfern der russischen Aggression humanbitäre Hilfe zukommen zu lassen;
5) Wir haben den Eindruck, dass das in der vergangenen Nacht präsentierte Dokument, in Moskau und Tbilisi, dieses grundsätzliche Element - der Respekt gegenüber der territorialen Integrität - vermissen lässt.

Aber ist es nun das, worauf Estland die ganze Zeit gewartet hat? Die Unterstützung für Georgien war schon längere Zeit einer der Schwerpunkte auch der estnischen Außenpoltik. Dass aber Friedenspolitik ausschließlich der Militärpolitik dienen soll, kann ich aber kaum glauben. Will sich Estland nun wirklich statt als Vermittler lieber als Generalankläger in russischen Belangen profilieren?

Der estnische Präsident Ilves schreibt in einem Statement: "Russland hat sich selbst zu einem Kriegsbeteiligten gemacht, und ist daher als 'Peacekeeper' in Abchasien und Südossetien diskreditiert." (Pressestatement 13.8.08). Das ist sicherlich wahr. Nur hätte ich nicht gedacht, dass Estland so schnell seine Erfahrungen aufgibt, die es ja im Zusammenleben mit Russen gemacht hat. Gesellschaftliche Integration würde ja auch in Estland nicht funktionieren, nur weil jemand mit der Waffe danebensteht und sagt "Vertragt euch, oder ich schieße!"

Es ist offenbar schon jetzt ein Preis, der für die schnelle NATO-Osterweiterung zu zahlen ist - sind wir wieder im Kalten Krieg angekommen?

Hintergrundinfo:
Der "Osteuropablog" übersetzt dankenswerterweise die Reaktionen russischer Oppostionspolitiker auf den Krieg in Georgien, die ROSBALT russisch zusammengestellt hatte

11 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Preis für schnelle Osterweiterung der Nato? Das würde ich so nicht miteinander verbinden. Schließlich ist das ein älterer Konflikt, der nicht gelöst wurde. der Wikipedia-Artikel zu Abchasien zeigt das ganz gut:
    "Der Krieg dauerte etwas über ein Jahr, führte zu Kriegsverbrechen, vielen tausend Toten und zur Vertreibung von ca. 250.000 Georgiern, die in Abchasien gelebt hatten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hatte 1995 geschätzt, dass in der autonomen Republik rund 80.000 Abchasen, etwa 60.000 Armenier, 40.000 Russen und noch 12.000 ethnische Georgier lebten. Die meisten georgischen Flüchtlinge strandeten in Tiflis. 50.000 Flüchtlinge kehrten wieder in ihre Heimat zurück. 40.000 von ihnen wurden 1998 erneut vertrieben. Heute leben mehr als 80.000 Georgier in Abchasien, bevorzugt in der Provinz Gali, wo sie die Mehrheit der Bevölkerung bilden."

    Das ist alles lange vor der Nato-Erweiterung und hat nichts mit Kaltem Krieg zu tun, das war Krieg.
    Wenn es stimmt, dass der georgische Präsident ein Wahlversprechen über Südossetien gemacht hat (finde die Quelle im Moment nicht), dann frage ich mich, was westliche Berater dazu gesagt haben. Oder dachten sie, das war nur ein Bluff.
    Außerdem ärgerlich: Thomas Roth von der ARD sprach in den gestrigen Tagesthemen mit einem russischen Militärstab, und der soll ihm auf georgischen Gelände erklärt haben, dass die russischen Berichte über Kriegsfreiwillige für die Georgier nur eine Lüge war.
    Kann man mit dem Livestream der Tagesthemen nochmal sehen.

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  3. Also, für die Verknüpfung mit der NATO-Erweiterung sorgen die offiziellen Vertreter der baltischen Staaten und Polens im Moment selbst. Da wird mehr oder weniger behauptet, der jetzige Konflikt sei zu verhindern gewesen, wenn Georgien direkt in die NATO aufgenommen worden sei. Wie das dann hätte gehen sollen, möchte ich mir gar nicht ausmalen ...

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  4. Erschreckend sind die vielen Ungewißheiten. Wer hat denn nun den Krieg provoziert? Wer hat sich da provozieren lassen? Und wer freut sich nun über diesen Krieg mit dem Ergebnis? Haben wirklich die USA mal wieder etwas nicht richtig einschätzen können? Wird die EU wohl irgendwann einmal eine gemeinsame Sprache gegenüber Russland finden?
    Und dann die vielen Gerüchte, z.B. daß estnische Freiwillige in russischer Uniform im US-Auftrag Gemetzel in Georgien veranstalten, damit so die Russen diskreditiert werden können. Völliger Schwachsinn, aber es wird geglaubt.

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  5. Heute hat das estnische Aussenministerium diese angebliche Entsendung offiziell dementiert. Die Behauptung stammt von der russischen Nachrichtenagentur Interfax, zitiert wurde Nino Bakradze, ein Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium (Kriegsministerium?)Georgiens. Diesem wurde die Behauptung zugeschrieben, Estland habe militärische Hilfseinheiten entsandt.

    Aber wer dementiert, dass es nicht estnische Freiwillige geben kann, die nicht im staatlichen Auftrag handeln?

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  6. Tja, und gerade heute unterschreibt Polen dann das Raketen-Stationierungsabkommen mit den USA.

    Was ist los - ist der Iran plötzlich so gefährlich geworden?

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  7. Ach ja, und was Estland TATSÄCHLICH geschickt hat nach Georgien, sind ...

    Aspirin-Tabletten! Wie Toomas Hõbemägi bei "Baltic Business News" am 14.8. berichtet, werden estnische Geschäfte in Georgien durch die Kriegshandlungen negativ beeinflusst. Eine Repräsentantin der Firma "Vitale-XD" wird interviewt, die erzählt, man habe bisher große Mengen Aspirin nach Georgien verschifft. Nun verliere man durch den Stop der Lieferungen etwa eine halbe Million EEK.

    Na, und zur Beruhigung der Lage hats leider auch nicht geholfen.
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    Eine zweite Firma ist eine Baufirma, die bisher den Auftrag hatte, ein estnisches Botschaftsgebäude in Tblisi zu errichten. Man hoffe aber dort auch auf weitere Aufträge.

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  8. nochmal zum Thema "Entsendung estnischer Freiwilliger". Heute (15.8.) berichtet "Russland-Aktuell", dass 45 Freiwillige aus Estland in Georgien eingetroffen seien, alles Reserveoffiziere der estnischen Armee. Die estnische Regierung "habe sie von ihrem Vorhaben abhalten wollen", so heißt es dort.

    Soviel nur zum Thema "kann ja gar nicht sein" ...
    Ob das nun stimmt, mögen alle die das können überprüfen.

    Oberste Devise müsste aber weiterhin sein (wie immer im Krieg): kritische Einschätzung von Infoquellen nach allen Seiten.

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  9. Um genau korrekt zu sein, jetzt könnte es so sein, aber vorher am Anfang der Woche war es augenscheinlich eben nicht richtig.

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  10. Hallo,

    es gibt jetzt nette Photos aus Georgien mit den estnischen Freiwilligen, die, wie sie behaupten, vom georgischen Verteidigungsministerium gleich mal in Militärdress gesteckt wurden. Und was passiert wenn ihnen irgendwas zustößt? Dann hat ein NATO-Land Staatsangehörige (die irgendwie zu Militär gehören) im Konfliktgebiet verloren. Warum will eigentlich niemand einsehen, dass wir einem NATO V-Fall näher sind, als jemals im Kalten Krieg?

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  11. Hallo kloty,

    laut estnischen Medien _wollten_ diese freiwilligen Helfer in offizieller Mitlitärbekleidung nach Georgien ausfliegen, was allerdings am Flughafen verhindert wurde, da es sich um keine offizielle Hilfaktion handelt.

    Deswegen sieht man auch auf dem Foto dies Helfer jediglich mit Militärhose, da die Hemden mit den Abzeichen noch in Estland konfisziert wurden.

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