Samstag, Januar 29, 2022

Insel ohne Õ

Wer vielleicht, schon wegen schwieriger Reiseumstände, seit 2019 nicht mehr auf estnischen Insel Saaremaa war, wird sich vielleicht wundern: nun gibt es neue Grenzen. Nein, keine Angst - es ist weder eine Zollgrenze, noch muss ein Passdokument vorgezeigt werden. Es ist lediglich ein ausdrücklicher linguistischer Hinweis: der Buchstabe Õ, auf desssen Existenz alle Estnisch-Sprechenden sonst so stolz sind, gilt in weiten Teilen der Insel Saaremaa nicht. 

Nun wird auch jeder Gast, mehr oder weniger dezent, auf diesen sprachlichen Umstand hingewiesen; anfangs waren sogar Straßenschilder aufgestellt worden, die allerdings von der estnischen Straßenverwaltung beanstandet wurden.

Nun ist es einfach ein 5 Meter großes Õ, aufgestellt an der Straße zwischen Kuressaare und Kuivastu. Taavi Pae, Professor der Geografie und einer der Initiatoren dieser Aktion, wird mit den Worten zitiert: "Es gibt ja viele Witze über dieses Thema, aber dieses Zeichen steht auch als Bekenntnis zu unserer kulturellen Identität. Es gibt eben doch auch Dialekte in der estnischen Sprache, und es ist wichtig sie zu achten." (err)

Als wissenschaftliche Grundlage wird meist auf die Untersuchung von Theodor Kaljo aus dem Jahr 1928 verwiesen, der die genaue Sprachgrenze analysierte und eigene Aufzeichnungen machte (Saarte Hääl).

Rattasõit või rattasöit? fragte auch "Visitsaaremaa" etwas scherzhaft ("Radfahren oder Radfahren"), weist aber doch auf Otto Wilhelm Masing hin, der zuerst auf die Existenzberechtigung des Õ hingewiesen hatte. Und inzwischen hat der Buchstabe selbstverständlich einen eigenen Wikipedia-Eintrag

Ob es ehemals deutsche Besiedlung oder schwedischer Einfluss war, die das Ö auf Ösel hinterließen? Da wird die gebotene Information ungenau. Aber, es bleibt dabei: ein Besuch beim Õ / Ö, vielleicht eine neue Touristenattraktion! Und, vielleicht als "Geheimtipp": es gibt auch ein Ö-Restaurant - das befindet sich allerdings in Tallinn.

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