Es mag Estinnen und Esten geben, die sich besonders im Frühjahr wünschen, die Sonne möge schneller um die Erde kreisen und länger andauernde warme, sonnige Zeiten bescheren. Aber die offiziell vorgenommene Umstellung von Sommer- auf Winterzeit und umgekehrt ist sicher keine estnische Erfindung.
Schon Anfang 2018 setzte Regierungschef Ratas das Thema auf die Agenda: die Zeitumstellung beinträchtige ernsthaft die Gesundheit vieler Bürgerinnen und Bürger, so Ratas (Postimees / ERR). Auch die Notwendigkeit zum Energiesparen könne in heutiger Zeit kein Grund mehr für eine Zeitumstellung sein, meinte Ratas.
Die Zeitumstellung ist inzwischen durch eine EU-Direktive gesetzlich geregelt. Allerdings hatte sich Estland bereits zwischen 2000 und 2001 schon einmal entschieden aus der Zeitumstellung auszusteigen - damals eigenmächtig, und für einige Nachbarn überraschend. 2002 kehrte Estland dann doch zur Sommerzeitumstellung zurück. Die damalige litauische Regierung entschied sich sogar zunächst für einen kompletten Wechsel von der osteuropäischen Zeit (EET) zur mitteleuropäischen Zeitzone (CET), in der auch Deutschland liegt. Ein wahres Zeitenchaos! Die Fahrpläne von Bussen, Bahnen und Flugzeugen gerieten damals - nach mehreren unterschiedlichen Entscheidungen in Litauen, Lettland und Estland - zu einem unentwirrbaren Dickicht.
2018, nach Ende einer EU-weiten Umfrage, an der sich 4,6 Millionen EU-Bürger/innen beteiligten und die eine klare Mehrheit von 84% für eine Abschaffung der seit 1996 praktizierten Zeitumstellung brachte, hatte EU-Kommissionspräsident Jeans-Claude Juncker schon eine komplette Abschaffung der Zeitumstellungen noch vor der nächsten Europawahl 2019 in Aussicht gestellt. EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hatte daraufhin angedeutet dass Länder wie Portugal, Zypern und Polen eher zur Beibehaltung der Sommerzeit tendieren, während Finnland, Dänemark und die Niederlande eine dauerhafte Winterzeit bevorzugen. Außerdem war die Beteiligung an der EU-Umfrage in den einzelnen Ländern äußerst unterschiedlich: während allein 3 Millionen Deutsche ihr Votum abgaben, taten gleiches nicht einmal 20.000 Italiener/innen.
Ältere Menschen in Estland könnten die Zeitumstellung auch als "Relikt aus der Sowjetzeit" bezeichnen - denn zwischen den Jahren 1981 und 1988 wurden die estnischen Uhren noch sowjetisch angeordnet umgestellt (1989-1996 dann nicht mehr).
Wie gehts jetzt also 2019 weiter? Bliebe Estland bei permanenter Sommerzeit, könnten "mehr dunkle Stunde schlafend und mehr Tageslicht-Stunden aktiv" verbracht werden, so meint es das estnische Sozialministerium. Nur 12% der hellen Tagesstunden würde ein Durschnitts-Este dann verschlafen, so das Ministerium (ERR). Wenn Finnland allerdings dabei bliebe, lieber die permanente Winterzeit einzuführen, so könnten im Herbst 2019 hier ungeahnte Zeitlöcher entstehen, gerade zwischen den beiden Hauptstädten. Einer Umfrage zufolge befürworten 55% aller Estinnen und Esten die permanente Einführung der Sommerzeit.
Bei einem Zusammentreffen kurz vor Weihnachten in Vilnius einigten sich die Regierungschefs der drei baltischen Staaten darauf, gemeinsam möglichst in einer einheitlichen Zeitzone verbleiben zu wollen (ERR). Jüri Ratas versäumte dabei nicht zu betonen, dass Estland auch mit Finnland möglichst eine einheitliche Regelung anstrebt. Eine Einigung auf eine europaweiten Regelung wird momentan erst für 2021 für umsetzbar gehalten. Die Zeit wird es zeigen - ein Spruch mit momentan unsicherer Voraussagewirkung: den einen zeigt es sich mit, den anderen ohne offiziell vorgenommendem Zeitsprung.
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