Als kürzlich ein Gemälde des estnischen Künstlers Tiit Pääsuke aus dem Verwaltungsgebäude der Bezirksregierung in Järva (Zentralestland) verschwand, bemerkte es lange Zeit niemand. Wegen Reparaturen im Rathaus wurde es zunächst in einer Garage zwischengelagert, und offenbar war es reine Glücksache, dass es dort nicht zu Schaden kam. Schließlich verschwand das Bild ganz aus der Garage - und tauchte später bei Kunsthändlern wieder auf. In diesem Fall immerhin ein Bild mit einem Marktwert von 10.000 Euro. - Dieser Fall warf die Frage auf: welche estnischen Kunstwerke hängen eigentlich noch anderswo in öffentlichen Gebäuden?
Schnell stellte sich heraus: zu vielen davon, was so an den Wänden in Rathäusern, Behörden und Kulturhäusern hängt, gibt es wenig oder gar keine Dokumentation - in ganz Estland nicht. Schenkungen, Ankäufe? In Järva wurden jetzt Mitarbeiter/innen der Finanzverwaltung beauftragt, um den Bestand genau zu erfassen. Inzwischen steht fest, dass in verschiedenen Gebäuden des Bezirks Järva insgesamt sechs Kunstwerke hängen, die bisher nicht erfasst wurden. Auch ein Ölgemälde von
Ants Viidalepp wurde gefunden, ein Motiv aus einem Roman von Anton Tammsaare darstellend - Eigentümer unbekannt.
Im estnischen Fernsehen wurden Vermutungen laut, dass manche Beamte, aufgefordert die Bestände zu erfassen, bisher eben nur das nachgezählt und kontrolliert haben, was in den offiziellen Listen enthalten war. Außerdem wurde festgestellt, dass viele wertvolle Gemälde sich in Gebäuden befinden, die öffentlich leicht zugänglich und unbewacht sind. Ein Gemälde von Heiti Polli, dessen Werke unter anderem auch in der Tretjakow-Galerie in Moskau ausgestellt sind, hing sogar direkt an der Eingangstür der Stadtverwaltung von Paide. (
ERR)
Ist das noch eine Hinterlassenschaft der sowjet-estnischen Verhältnisse? Schließlich gibt es viele Künstler/innen, die keine Verzeichnisse darüber führen, wo ihre Werke gerade sind. Manche Malerin und mancher Maler mag auch im Hochgefühl der estnischen Unabhängigkeitsbewegung gedacht haben: ich male für Estland! Oder, weniger optimistische Variante: mal ein Werk dort hingeben, wo man Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Der Kunst in Estland ist zumindest zu wünschen, dass es übersichtlich bleibt.
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