Mittwoch, April 11, 2018

Das Apfelrätsel

Alte Livländer Apfelsorten: Ananas, Gravensteiner oder...
... Suisleper (rechts) - in einem Gartenbaubuch von 1884
Zuerst sah ich dieses Gemälde - vermutlich von dem Lithograph und Verleger Emil Hochdanz (1816-1885) gemalt. Als sehr naturgetreue Abbildung in einem alten Buch, Neuberts deutschem Garten-Magazin, erschienen 1884. Bildtitel: "Drei Apfelsorten, welche in der Nähe von Riga in grossen Quantitäten gezüchtet werden".  Das macht doch neugierig! Einer der drei hat einen ungewöhnlichen Namen: "Suisleper".

Ein Hofgärtner namens Kuphaldt soll sie den Buchautoren (nach München) per Post geschickt haben - 10 Apfelsorten zur Probe, dazu auch Zweige. Drei davon gelangen hier im Buch zur ausführlicheren Darstellung: der Ananasapfel, der Liefländer Gravensteiner, und eben dieser "Suisleper". Ein Apfel ähnlich dem "Cuisinot", urteilt der Buchautor, von ausgiebiger Röte - aber ohne weitere, nähere Beschreibung. Vielleicht kam damals ein Teil dieser Kuphaldtschen Postsendung zumindest dem Botanischen Garten in München zu Gute.

Wer heute den "Suisleper" sucht, findet ihn noch unter "seltene Apfelsorten", aber oft mit der Angabe "Herkunft unbekannt". Erst auf der "Biologie-Seite" fand ich Näheres - ein Zufall, dass der Betreiber ebenfalls aus München kommt? Hier ist unter dem Stichwort "Suislepper" folgende Notiz zu finden: "Ein Hr. Goegginger bezog die Sorte um 1907 vom Gut Suislepp, Dorpat (Estland), wohin sie aus Frankreich gekommen sein soll". Eine estnische Apfelzüchtung also? Beide Quellen, aus den Jahren 1884 wie 1907, geben die Herkunft aus Livland an, soviel kann als Zwischenergebnis festgehalten werden.
Abb. aus: "Eesti mõisaportaal"

Das zugehörige Gut (zum Apfel) zu finden, bereitet in Zeiten des Internets ebenfalls wenig Schwierigkeiten. "Vana-Suislepa mõis" - der Gutshof Alt-Suislepp" - befindet sich in der Gemeinde Tarvast bei Viljandi in Südwest-Estland. Paul I., Sohn Katherina der Großen und 1796-1801 Kaiser von Rußland, schenkte Suislep Baron Mengden, der das Gut (Neu-Suislep) 1799 für 28.000 Rubel an  Carl von Krüdener weiterverkauft haben soll. Alt-Suislepp blieb Staatseigentum.

Aber war der "Suisleper" eine Ausnahme? Ein seltener Fall eines nordischen Apfelsorte?  Es ist schließlich eine alte Ausgabe der "Baltischen Wochenschrift" (Ausgabe von 1876) in der sich eine ausführliche Übersicht zu den damals in Livland angebauten Apfelsorten befindet. Dort findet sich ein Bericht zur "Dorpater Obstausstellung" des Septembers 1875; hier sind die einheimischen Äpfel eingeteilt in Calvillen, Schlotteräpfel, Gulderlinge, Rosenäpfel, Taubenapfel, Rambour, Reinetten,  Streiflinge, Spitzäpfel und Plattäpfel - insgesamt 158 verschiedene Sorten! Unser "Suisleper" befindet sich dabei unter den Rosenäpfeln einsortiert, und auch die Abstammung von Sorten aus Frankreich ("Pfirsichroter Sommerapfel") wird hier bestätigt.
Aus Anlaß der genannten Obstausstellung besichtigte eine speziell hierfür gebildete Kommission 180 Gärten persönlich und erfassten 1800 Obstbäume, indem dort kleine Blechschildchen angebracht wurden. Sollte jemand also heute, beim Spaziergang in der Gegend um Tartu, Viljandi oder Otepää, solch ein Blech noch finden - dann muss es wohl ein alter "õunapuu" sein.

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