Einiges wirkte vielleicht bereits wie eine Generalprobe: der nächste runde Geburtstag Estlands wird dann der 100. sein. Nicht alle Festveranstaltungen fanden genau am 24.Februar statt, und so reihten sich sehr unterschiedliche Eindrücke aneinander.
Estland als Erdbeerfeld - ein Zeichner des ERR fand diesen Vergleich offenbar am auffälligsten an der Rede des estnischen Präsidenten. Ursprünglich und klein, schwer zu finden und manchmal für diejenigen, die nicht wissen wie, auch schwer einzuschätzen - eben wie ein wildes Erdbeerfeld (voller Redetext englisch hier). Nun werden die meisten, die schon mal die kleinen, aber sehr süßen Walderdbeeren gefunden und probiert haben, vermutlich eher zufrieden sein mit diesem Vergleich. Selbstbewußtsein hat sich in Estland noch selten gepaart mit Prahlerei.
Andererseits erzeugte Meelis Kaldalu, ein Journalist und Künstler, erhebliche Aufmerksamkeit beim festlichen Empfang des Präsidentenpaares allein durch seine Verweigerung des Handschlags mit Evelina Ilves, der Präsidentengattin. Trotz sehr zögerlicher Berichterstattung mancher Medien - die wohl meinten sowas gehöre eher in die "Yellow-Press"-Abteilung - tauchte Kaldalu dann in manchen Berichten als "Studentenführer", in anderen als "Mitglied der estnischen Piratenpartei" auf. Das ließ das Publikum ebenso aufmerksam werden wie Kandalus Äußerung, Frau Präsidentin benehme sich wie eine "Marie Antoinette Estlands".
Also doch Estland nicht nur einfach ein bescheidenes Erdbeerfeld? Offenbar nicht für alle. Ein Fernsehsender suchte und fand des "Sünders" 92jährige Großmutter, die sich geschockt zeigte vom ihrer Ansicht nach unpassenden Benehmen des Piratenenkels. Erstaunlich dass auch die Parteispitze der Piraten sich distanzierte - offenbar nicht wirklich glücklich ob dieser Chance zum ersten Mal von sich reden zu machen. Wer sich die Ausschnitte der Aufzeichnung ansieht, staunt vielleicht über die fast zwei Stunden lange Direktübertragung der Vorstellungsrunde beim Präsidentenpaar. Die Namen jeweils von einem Moderator laut angekündigt - es wirkt wie ein Beweis dass Kleidungsfragen und Politik manchmal eng vermischt werden. Warum es nicht wie Kaldalu als Bühne nutzen? Auch in der Demokratie, die ja immer die Freiheit der Meinungsäußerung betont ist es wohl erlaubt nicht einfach damit zufrieden zu sein, den Herrschenden nicht einfach als Staffage dienen zu müssen. Aber Kaldalu war wohl selbst etwas erschrocken ob der großen öffentlichen Wirkung seiner kleinen Geste - so lesen sich manche seiner nachgereichten Erläuterungen (z.B. delfi.ee). Fernsehsender TV3 dagegen greifen die 30 Sekunden seines Nicht-Händedruck gern auch mehrfach in Super-Zeitlupe auf.
Aber auch andere Schlagzeilen wirken nicht wie Geburtstagsglückwünsche. Laut einer neuen Umfrage könnten sich 37% aller Estinnen und Esten vorstellen, innerhalb der nächsten 6 Monate eine Arbeit im Ausland zu suchen. Laut Berechnungen des ERR würde, wenn das wahr würde bedeuten, dass 365.000 der 988.000 Menschen im arbeitsfähigen Alter Estland verlassen würden. Nach Zahlen von Eurostat hatte Estland auch im Januar 2013 mit 3,7% die höchste Inflation in der gesamten Eurozone. Estland, klein und schön - aber Walderdbeeren pfücken allein bringt es wohl auch nicht.
Von den estnischen Geburtstags-veranstaltungen in Deutschland wurden keine weiteren Handschlag-Verweigerungen bekannt. Zwischen dem 22.2. und 27.2. trafen sich Estland-Freundinnen und -Freunde in Frankfurt, Hamburg, München, und Karlsruhe. In Berlin empfing Botschafterin Dr. Kaja Tael zahlreiche Gratulationsgäste im Gebäude der estnischen Botschaft.
Von Deutschland aus gesehen hat Estland im Moment kaum Imageprobleme: brav drucken die deutschen Zeitungen die von estnischen Tourismusagenturen vorformulierten Meldungen über Eisstraßen und Saunamarathon nach - Estland, ein lustiges, gemütliches Land an der nord-östlichen Ostsee. Wer am 24.Februar in Tallinn die Feierlichkeiten mitverfolgte, könnte höchstens über die estnische Art der Zelebrierens kritisch anmerken: während die Litauer einen Nationalfeiertag haben an dem sie auch die Flaggen der Nachbarn aus Lettland und Estland ehren, während in Riga am 18.November viele emotionale Lieder erklingen und die Menschen sich an den Händen fassen, da paradiert in Estland das Militär eine Stunde lang am Präsidenten vorbei. Fast wie in Moskau - nur kleiner natürlich, jeder Jeep und jede Kanone werden vorgezeigt. In sofern schade, dass hier in der Kälte des Februar gefeiert wird - im Mai oder Juni wären auch die Esten vermutlich zu etwas Fröhlicherem fähig!
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