Nur wenige Tage nach den lettischen Nachbarn gibt es jetzt auch seitens des estnischen Außenministeriums eine Pressemeldung zur zeitlichen Dauer der estnischen Unabhängigkeit. Die Letten setzten den Tag am 21.März fest, die Esten am 27.März 2013: den Eintritt in die zeitlich längste Periode des Andauern staatlicher Unabhängigkeit. Wie aber kann diese enge zeitliche Nähe entstehen, wo doch Estland seine Unabhängigkeit bereits am 24.Februar 1918 verkündet hatte, Lettland aber erst am 18.November 1918?
Die lettische Rechnung sieht so aus: vom 18.11.18 bis zum 17.6.1940, als die Rote Armee Lettland besetzte, vergingen ebenso viele Tage (7884) wie vom 21.8.1991 bis zum 20.3.2013. Genau am 21.März 2013 verging also ein Tag mehr - der Eintritt in die zeitlich längste Periode der lettischen Unabhängigkeit.
Die Esten rechnen aber anders:
Am 24.Februar wurde ein "Manifest der Bürger Estlands" als Unabhängigkeitserklärung aufgesetzt und verkündet. Aber schon am folgenden Tag besetzten Truppen des Deutschen Reichs Tallinn - die Freiheit Estlands dauderte also zunächst nur .... einen Tag.
Erst am 11.November 1918, als Wilhelm des Ersten Deutsches Reich endgültig zusammenbrach, konnte Estland die Erklärung vom 24.Februar voll umsetzen - erklärt uns das estnische Ministerium heute. An diesem Tag kam die estnische Regierung ins Amt, die Ministerien begannen ihre Arbeit.
Das Ende dann am 17.Juni 1940 abrupt, als in Folge des Hitler-Stalin-Pakts Truppen der Roten Armee Estland besetzten - nach 7889 Tagen des freien Estlands.
Am 27.März 2013 seien genau diese 7889 Tage wieder erreicht gewesen - so die Diplomaten-Mathematiker des Außenministeriums - plus ein Tag. Also sei der 27.März 2013 der Tag, der die bisher längste Freiheitsperiode Estlands gekennzeichnet habe.
Immerhin wurde einiges unternommen, um diesen Tag besonders zu begehen. Es wurde ein offizieller Beflaggungs-Tag ausgerufen, an allen Schulen stand das Thema auf dem Lehrplan, mittags läuteten Kirchenglocken, und früh morgens habe es in mehreren estnischen Städten Gesangsvorführungen gegeben. Ob es auch eine Rolle spielte, dass Estland "fünf Tage mehr Freiheit" bekannt geben konnte? (allerdings auch erst ein paar Tage später). Vorerst werden dann also für den gegenwärtigen Zeitraum die estnischen und lettischen "Freiheitslängenrechnungen" angeglichen. Womit die Politik wieder zu wichtigeren Themen übergehen könnte ...
Ist Estland eigentlich "baltisch"? Die estnische Sprache ist ja dem Finnischen ähnlich (finno-ugrisch), und das sogenannte "Baltikum" ist sowieso ein Behelfsbegriff ohne Grundlage. Noch viel zu wenig ist in Deutschland bekannt über Kultur und Geschichte, über Politik und Gesellschaft in Estland. Die jungen Europäer in Deutschland und Estland werden die Zukunft prägen! Wir rufen auf zur Diskussion.
Freitag, März 29, 2013
Das Maß der Freiheit
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Mittwoch, März 27, 2013
Trojanisches Hotel, oder Botschaft der Freiheit?
In den Büchern von Sofi Oksanen taucht es als Thema auf, aber auch diejenigen Reisenden, die Tallinn bereits in den 80er Jahren besucht haben, werden sich gut erinnern: das Hotel VIRU war damals ein ganz besonderer Ort. Gebaut mit finnischen Firmen, streng sowjetisch überwacht, war das Hotel Viru einer der seltenen Berührungspunkte der östlischen und westlichen damaligen Welt. Ein neuer Dokumentarfilm dazu kommt in diesem Monat in die finnischen Kinos.
(Trailer zu einem neuen Dokumentarfilm zum Hotel Viru in Tallinn)
Produktionspartner des Films in Estland ist "Amrion Productions", die nach Projekten wie "Poll", und die "Lotte"-Kinderfilme sich auch in Deutschland einen Namen gemacht haben sollte. "Oratorium für Hotel Viru" (Oratoorium Viru hotellile) lautet offenbar der Arbeitstitel für das erst kürzlich abgeschlossene Projekt, aber es ist englisch auch von "Embassy for freedom" als Filmtitel zu lesen. Für das Drehbuch des 79min-Streifenbs zeichnen Margit Kilumets und Taru Mäkelä verantwortlich, das Produktionsbudget belief sich auf 289.000 Euro. Die Hotels der Sokos-Hotelgruppe, zu denen das "Viru" heute gehört, haben bereits die Möglichkeit des Kaufs der Doku auf DVD in allen angeschlossenen Hotels angekündigt.
Vorberichte in finnischen Medien verheißen interessante Einblicke ins sowjet-estnische Leben damals, die der Film aufgreift. Ein Beispiel: der Hoteldirektor erzählt aus dem Jahr 1984, als Moskau entschied die Olympischen Spiele in Los Angeles zu boykottieren. "Das sowjetische Fernsehen zeigte also nichts von der Olympiade. Also reiste fast die gesamte Moskauer Elite ins Viru-Hotel nach Tallinn, wo das finnische Fernsehen bequem zu sehen war!"
Info der Sokos-Hotelgruppe zum Film / Info zum Film (bisher nur Finnisch)
Kinosto Ltd. / Amrion Productions / Interview mit Taru Mäkelä (finnisch) / Filmtrailer (finnisch)
(Trailer zu einem neuen Dokumentarfilm zum Hotel Viru in Tallinn)
Produktionspartner des Films in Estland ist "Amrion Productions", die nach Projekten wie "Poll", und die "Lotte"-Kinderfilme sich auch in Deutschland einen Namen gemacht haben sollte. "Oratorium für Hotel Viru" (Oratoorium Viru hotellile) lautet offenbar der Arbeitstitel für das erst kürzlich abgeschlossene Projekt, aber es ist englisch auch von "Embassy for freedom" als Filmtitel zu lesen. Für das Drehbuch des 79min-Streifenbs zeichnen Margit Kilumets und Taru Mäkelä verantwortlich, das Produktionsbudget belief sich auf 289.000 Euro. Die Hotels der Sokos-Hotelgruppe, zu denen das "Viru" heute gehört, haben bereits die Möglichkeit des Kaufs der Doku auf DVD in allen angeschlossenen Hotels angekündigt.
Vorberichte in finnischen Medien verheißen interessante Einblicke ins sowjet-estnische Leben damals, die der Film aufgreift. Ein Beispiel: der Hoteldirektor erzählt aus dem Jahr 1984, als Moskau entschied die Olympischen Spiele in Los Angeles zu boykottieren. "Das sowjetische Fernsehen zeigte also nichts von der Olympiade. Also reiste fast die gesamte Moskauer Elite ins Viru-Hotel nach Tallinn, wo das finnische Fernsehen bequem zu sehen war!"
Info der Sokos-Hotelgruppe zum Film / Info zum Film (bisher nur Finnisch)
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Montag, März 25, 2013
Estland demnächst völlig schwerelos
21.Januar 2013: im Rahmen einer Presseveranstaltung im Fernsehturm Tallinn wird "EstCube-1" verpackt für die große Reise ins Schwerelose |
Nein, diesmal kein neue Variante eines Rubiks-Würfels: diese estnische Innovation soll nicht Rätsel aufgeben, sondern helfen sie zu lösen |
Dabei steht die Idee im Vordergrund, unter Nutzung der Energie der Sonnenwinde, sich im Weltraum nahezu frei bewegen zu können. Roland Rischer schätzt in seinem Beitrag dass ein solches "E-Segel" über 100 Metalldrähte von etwa 20km Länge verfügen müsste, um in diesem Sinne zu funktionieren.
Roland Rischer: "Drahtlos war einmal" (Raumfahrt.net) / ERR 1.2.2013 / Video von der Presseveranstaltung (Ohtuleht) / Pressemitteilung ARIANESPACE / EstCube Homepage
Die Projektvorstellung im hochauflösenden Rundumblick / Studentenblog der Uni Tartu
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Freitag, März 22, 2013
Pilzsuche populär
"Seenelkäik" ist gegenwärtig das Stichwort für alle Kinoliebhaber in Estland - zumindest unter denjenigen, die einheimische Produktionen erfreuen. 73712 Zuschauer haben den mit Ironie und trockener Satire gespickten Film des Regisseurs Toomas Hussar bereits 2012 gesehen, das gab das Estnische Filminstitut bekannt.
"Eestlanna Pariisis" - "Eine Estin in Paris" landete auf Platz 2 der estnischen Popularitätsstatistik, der neue Film von Ilmar Raag, der mit "Klass" einen großen Filmerfolg landete. Hier sind neben der großartigen Jeanne Moreau auch Laine Mägi, Patrick Pineau und Ita Ever zu bewundern (siehe Trailer). Während es in Deutschland noch so gut wie gar meine Rezeption dieses Films gibt (ob in Frankreich, weiß ich nicht), ist in Estland dieses französisch-estnisch Verhältnis bereits auf DVD zu haben.
Auch die Verfilmung des Sofi Oksanen Romans ""Puhastus" (Fegefeuer), ein Buch das allein in Estland 17.000 mal verkauft wurde, ist nun auch als Film in Estland bereits sehr populär. Anfang September 2012 feierte das 2-Stunden-Epos von Regisseur Antti Jokinen in Tallinn Premiere, der von Solar Films produziert wurde.
Sofi Oksanen wird nun am 10.April in Stockholm auch den "Nordic Price", einen Buchpreis der Schwedischen Akademie erhalten. Gleichzeitig wurde angekündigt, dass ihr neuestes Werk mit dem Titel "Als die Tauben verschwanden" dann auch bereits in Norwegen, Schweden und Dänemark erscheinen wird. Da steht doch bereits eine weitere deutsche Übersetzung auf der Wunschliste ... ! (ist bei Kiepenheuer & Witsch für Herbst 2014 angekündigt)
Beim GoEast-Filmfestival in Wiesbaden Mitte April 2013 werden sowohl die Estinnen in Paris wie auch die Pilzsammlersatire zu sehen sein (siehe Programm).
"Eestlanna Pariisis" - "Eine Estin in Paris" landete auf Platz 2 der estnischen Popularitätsstatistik, der neue Film von Ilmar Raag, der mit "Klass" einen großen Filmerfolg landete. Hier sind neben der großartigen Jeanne Moreau auch Laine Mägi, Patrick Pineau und Ita Ever zu bewundern (siehe Trailer). Während es in Deutschland noch so gut wie gar meine Rezeption dieses Films gibt (ob in Frankreich, weiß ich nicht), ist in Estland dieses französisch-estnisch Verhältnis bereits auf DVD zu haben.
Auch die Verfilmung des Sofi Oksanen Romans ""Puhastus" (Fegefeuer), ein Buch das allein in Estland 17.000 mal verkauft wurde, ist nun auch als Film in Estland bereits sehr populär. Anfang September 2012 feierte das 2-Stunden-Epos von Regisseur Antti Jokinen in Tallinn Premiere, der von Solar Films produziert wurde.
Sofi Oksanen wird nun am 10.April in Stockholm auch den "Nordic Price", einen Buchpreis der Schwedischen Akademie erhalten. Gleichzeitig wurde angekündigt, dass ihr neuestes Werk mit dem Titel "Als die Tauben verschwanden" dann auch bereits in Norwegen, Schweden und Dänemark erscheinen wird. Da steht doch bereits eine weitere deutsche Übersetzung auf der Wunschliste ... ! (ist bei Kiepenheuer & Witsch für Herbst 2014 angekündigt)
Beim GoEast-Filmfestival in Wiesbaden Mitte April 2013 werden sowohl die Estinnen in Paris wie auch die Pilzsammlersatire zu sehen sein (siehe Programm).
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Samstag, März 02, 2013
Rückblick auf die Feierwoche
Einiges wirkte vielleicht bereits wie eine Generalprobe: der nächste runde Geburtstag Estlands wird dann der 100. sein. Nicht alle Festveranstaltungen fanden genau am 24.Februar statt, und so reihten sich sehr unterschiedliche Eindrücke aneinander.
Estland als Erdbeerfeld - ein Zeichner des ERR fand diesen Vergleich offenbar am auffälligsten an der Rede des estnischen Präsidenten. Ursprünglich und klein, schwer zu finden und manchmal für diejenigen, die nicht wissen wie, auch schwer einzuschätzen - eben wie ein wildes Erdbeerfeld (voller Redetext englisch hier). Nun werden die meisten, die schon mal die kleinen, aber sehr süßen Walderdbeeren gefunden und probiert haben, vermutlich eher zufrieden sein mit diesem Vergleich. Selbstbewußtsein hat sich in Estland noch selten gepaart mit Prahlerei.
Andererseits erzeugte Meelis Kaldalu, ein Journalist und Künstler, erhebliche Aufmerksamkeit beim festlichen Empfang des Präsidentenpaares allein durch seine Verweigerung des Handschlags mit Evelina Ilves, der Präsidentengattin. Trotz sehr zögerlicher Berichterstattung mancher Medien - die wohl meinten sowas gehöre eher in die "Yellow-Press"-Abteilung - tauchte Kaldalu dann in manchen Berichten als "Studentenführer", in anderen als "Mitglied der estnischen Piratenpartei" auf. Das ließ das Publikum ebenso aufmerksam werden wie Kandalus Äußerung, Frau Präsidentin benehme sich wie eine "Marie Antoinette Estlands".
Also doch Estland nicht nur einfach ein bescheidenes Erdbeerfeld? Offenbar nicht für alle. Ein Fernsehsender suchte und fand des "Sünders" 92jährige Großmutter, die sich geschockt zeigte vom ihrer Ansicht nach unpassenden Benehmen des Piratenenkels. Erstaunlich dass auch die Parteispitze der Piraten sich distanzierte - offenbar nicht wirklich glücklich ob dieser Chance zum ersten Mal von sich reden zu machen. Wer sich die Ausschnitte der Aufzeichnung ansieht, staunt vielleicht über die fast zwei Stunden lange Direktübertragung der Vorstellungsrunde beim Präsidentenpaar. Die Namen jeweils von einem Moderator laut angekündigt - es wirkt wie ein Beweis dass Kleidungsfragen und Politik manchmal eng vermischt werden. Warum es nicht wie Kaldalu als Bühne nutzen? Auch in der Demokratie, die ja immer die Freiheit der Meinungsäußerung betont ist es wohl erlaubt nicht einfach damit zufrieden zu sein, den Herrschenden nicht einfach als Staffage dienen zu müssen. Aber Kaldalu war wohl selbst etwas erschrocken ob der großen öffentlichen Wirkung seiner kleinen Geste - so lesen sich manche seiner nachgereichten Erläuterungen (z.B. delfi.ee). Fernsehsender TV3 dagegen greifen die 30 Sekunden seines Nicht-Händedruck gern auch mehrfach in Super-Zeitlupe auf.
Aber auch andere Schlagzeilen wirken nicht wie Geburtstagsglückwünsche. Laut einer neuen Umfrage könnten sich 37% aller Estinnen und Esten vorstellen, innerhalb der nächsten 6 Monate eine Arbeit im Ausland zu suchen. Laut Berechnungen des ERR würde, wenn das wahr würde bedeuten, dass 365.000 der 988.000 Menschen im arbeitsfähigen Alter Estland verlassen würden. Nach Zahlen von Eurostat hatte Estland auch im Januar 2013 mit 3,7% die höchste Inflation in der gesamten Eurozone. Estland, klein und schön - aber Walderdbeeren pfücken allein bringt es wohl auch nicht.
Von den estnischen Geburtstags-veranstaltungen in Deutschland wurden keine weiteren Handschlag-Verweigerungen bekannt. Zwischen dem 22.2. und 27.2. trafen sich Estland-Freundinnen und -Freunde in Frankfurt, Hamburg, München, und Karlsruhe. In Berlin empfing Botschafterin Dr. Kaja Tael zahlreiche Gratulationsgäste im Gebäude der estnischen Botschaft.
Von Deutschland aus gesehen hat Estland im Moment kaum Imageprobleme: brav drucken die deutschen Zeitungen die von estnischen Tourismusagenturen vorformulierten Meldungen über Eisstraßen und Saunamarathon nach - Estland, ein lustiges, gemütliches Land an der nord-östlichen Ostsee. Wer am 24.Februar in Tallinn die Feierlichkeiten mitverfolgte, könnte höchstens über die estnische Art der Zelebrierens kritisch anmerken: während die Litauer einen Nationalfeiertag haben an dem sie auch die Flaggen der Nachbarn aus Lettland und Estland ehren, während in Riga am 18.November viele emotionale Lieder erklingen und die Menschen sich an den Händen fassen, da paradiert in Estland das Militär eine Stunde lang am Präsidenten vorbei. Fast wie in Moskau - nur kleiner natürlich, jeder Jeep und jede Kanone werden vorgezeigt. In sofern schade, dass hier in der Kälte des Februar gefeiert wird - im Mai oder Juni wären auch die Esten vermutlich zu etwas Fröhlicherem fähig!
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