Freitag, August 05, 2011

Reisewetter

Die allgemeine Groß- wetterlage über Europa bleibt weiterhin wie sie ist: die Europä- ische Kulturhauptstadt Tallinn hat offenbar einen guten Draht zu den Wettermachern - auch wenn der 30.Juli mal einen starken Platzregen brachte. 

Die Hotels in Tallinn sind absolut ausgebucht. Bisher haben in den ersten sechs Monaten des Jahres 2011 über eine halbe Million Gäste die verschiedenen kulturellen Aktivitäten und Events in der estnischen Hauptstadt besucht. Über eine Million Passagiere wurden im Hafen von Tallinn abgefertigt, allein 875.000 davon auf der Linie Tallinn-Helsinki, 108.000 bewältigte die Linie nach Stockholm, 112.000 waren Kreuzfahrtpassagiere, und immerhin 12.000 nutzten die Linie Tallinn-St-Petersburg (Zahlen aus "Estonian Review").
Am Sonntag, den 21.August wird es einen eigenen ISLAND-TAG im Rahmen der Kulturhauptstadt-Aktivitäten geben - zum Gedenken daran, dass Island der erste Staat war der die Erneuerung der estnischen Unabhänigkeit vor 20 Jahren anerkannte. Klar dass das Ganze auf dem Islandi väljak stattfinden wird. Bereits einen Tag vorher gibt es das "Freiheitsfest" - aus ähnlichem Anlaß, unter anderem mit "Brainstorm", Mari Boine und Sinead O'Connor.
Also - wer dem weitgehend verregneten deutschen Sommer dieses Jahr entgehen möchte - sogar wettermäßig konnte Tallinn gut mithalten.

Und was schreibt die deutschsprachige Presse? "Ein perfekter Städtetrip" diagnostiziert die Neue Züricher Zeitung. "Der Norden leuchtet" befindet ZEIT ONLINE. Viele Berichte gab es auch kürzlich zur U20-Leichtatlethik EM in Tallinn.
Wenn nun noch die ewig wiederkehrende Zelebrierung von angeblichen Heldentaten früherer SS-Soldaten nicht wäre, könnte das Bild und der Sommer in Estland gänzlich ungetrübt sein. Mitten im Tallinner Kultursommer wird nun auch wieder Krieg gespielt (Stichwort "ERNA Feldzug", eine Spezialeinheit die gegen die Rote Armee eingesetzt wurde und 1941 das Vorrücken Nazideutschlands unterstützte). Kriegswettspiele, wenigstens ohne Beteiligung aus Deutschland. Aber das Nachstellen und gleichzeitiges Idealisieren von Kriegsereignissen ist sowohl eine merkwürdige Sportart wie auch nicht ins Bild einer fröhlichen Kulturhauptstadt passend.

5 Kommentare:

  1. Warum fallen wir immer wieder in alte Beschreibungsmuster zurück.

    Erna + Nazideutschland = Esten + Nazis = Nazis.
    Das ist automatisch das Ergebnis, was viele denken werden. Ja, sie waren gewissermaßen Unterstützung für die Wehrmacht.

    Das heißt aber nicht, dass sie Sympathien für die Nazis hatten.

    Wikipedia zu Erna:
    "On 22 June 1941 Nazi Germany invaded the Soviet Union.[2] Finland’s entering the war on the German side was only a matter of days, and all Estonians, living in Finland were being assembled in Helsinki in order to establish a voluntary unit for going to Estonia.[2] The platoon commander was colonel Henn Ants Kurg [2] of the Estonian Army, who had been the last Estonian Military Attaché to France.

    Germans gave the group its name “Erna",[2] and two German liaison officers - oberleutnant Reinhardt and Sonderführer Schwarze - had also joined the group.[2] Erna was armed by and wearing the uniform of the Finnish army.[3] The two Germans in charge wanted ERNA to pledge allegiance to the Führer. However, colonel Henn Ants Kurg strongly opposed this.[2] He insisted that they were not Germans but Estonian volunteers, ready to co-operate, but without any commitments to Hitler.[2] After lots of disputes an agreement was reached that being in the service of the Finnish army, ERNA shall give the oath of loyalty to Finland. Accordingly, on 24 July 1941, the 15 specially trained men and 52 volunteers took an oath of allegiance to Finland.[2]"

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  2. Also, diese geschichtlichen Spitzfindigkeiten können ja gern einem gesonderten Blogbeitrag mal vorbehalten bleiben. Ich für meinen Teil bin es leid, wenn bestimmte Kriegshandlungen - ob nun als Teil der Taten der "Guten" oder der "Bösen" ist mir schon egal - heute als besonders attraktive Freizeitbeschäftigungen angepriesen werden (Motto: Macht mit! - so als ob es eine Alternative zur Trockenübung im Fitnessstudio wäre).

    Ich finde diese ewigen ERNA-Wettkämpfe einfach nur ärgerlich. Auch als Gegner ungerechtfertigter Gleichsetzungen. Schon vor Jahren hat das deutsche Verteidigungsministerium von einer Beteiligung Abstand genommen. Meiner Ansicht nach zurecht. Sympathien für Kriegsspiele reichen mir, um es nicht zu mögen und auch für unpassend im Rahmen der Kulturhauptstadt Tallinn zu halten.

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  3. Nein, nicht gut und böse. So einfach ist es eben nicht. Das ist wichtig, dass sie (die ursprünglichen Erna-Mitglieder) ihren Eid für Finnland und eben nicht für Deutschland abgelegt haben. Wenn man das wegläßt, heißt es: pro Deutschland, pro Nazi.

    Ich mag auch keine Kriegsspiele und Werbung sollte man nicht damit machen. Gehört Erna denn zum Kultursommer? Hat die Kulturhauptstadt Tallinn damit Werbung gemacht? Das muss ich jetzt selber recherchieren. Ich weiß es nicht. Und wenn, in welcher Form. Das Thema ist zu sensibel, um so vage behandelt zu werden.

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  4. Also meiner Meinung nach sollte es eher mehr Veranstaltungen geben, die der Toten der Weltkriege gedenken - und alle beteiligten Länder trauern möglichst gemeinsam. ERNA wirbt mit dem Slogan "One of the world's longest and most difficult military competition".

    In Deutschland wurde aus der früheren Sportart "Military" im Ergebnis "moderner Fünfkampf", wenn ich mich nicht irre. Oder Skilaufen mit Schießen kombiniert (Biathlon) - vielleicht ist das was für Esten. Wer unbedingt rein militärische Übungen braucht, kann ja zur Bundeswehr gehen (oder zum estnischen Militär).

    Nein, natürlich hat die Kulturhauptstadt nicht mit "Erna" geworben. 2010 war es das estnische Aussenministerium, was die Ergebnisse bekannt gab. Das Verteidigungsministerium hält sich zurück.

    Zum "sensiblen Thema" wird es ja nur dadurch, dass die ERNA-Organisatoren offenbar glauben, es immer wieder unter diesem Stichwort durchführen zu müssen. Sollen es doch die Historiker diskutieren, wer hier einen Eid auf wen abgelegt hat.

    Es bleibt dabei: ich freue mich nur über andere sportliche Wettbewerbe, zum Beispiel über Gerd Kanter, der eben in London (Diamond League) leider nur Vierter geworden ist.

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  5. Angeblich war das der letzte ERNA-Feldzug. Die Idee hat sich ausgeschoepft, weil die estnische Mannschaft das Gelaende wie ihre Westentasche kennt und damit zu grossen Vorteil gegenueber der Konkurrenz hat.

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