Sonntag, Juni 08, 2008

Was bleibt?

Deutsche Namen, Spuren der deutsche Sprache in Estland. Vor dem 2. Weltkrieg gab es noch viele deutsche Institutionen, die ein Teil des Staates ausmachten,ein Teil, der nun nicht mehr existiert. Giustino fragt wiederholt nach den Hinterlassenschaften der Deutschbalten und: Erkennen junge Deutsche zu Besuch in Estland noch die alten Verbindungen?
Allerdings stellt sich für mich die Frage, inwieweit der deutsche Anteil wirklich vergleichbar mit dem "Mutterland" war. Nehmen wir diese Schülerin des Deutschen Privat-Mädchengymnasiums von Frl. Joh. Rahwing in "Reval" im Jahr 1920.
Eigentlich ist sie russische Muttersprachlerin, ihre Zensuren sind dort nicht so gut, etwa gleich mit Estnisch. Deutsch: befriedigend. Und sie ist "nicht musikalisch", damit fällt sie durch alle Reihen. Vielleicht hatte sie strenge Lehrer.

Allein die Ausbildung an einem "deutschen" Gymnasium in Estland damals zeigt schon Unterschiede zum Deutschen Reich, Weimarer Republik.

Update:
Ein Buch, dass ich selbst noch lesen möchte, hier eine deutschsprachige Rezension zu Spohr Readman, Kristina: Germany and the
Baltic Problem after the Cold War. The Development
of a New Ostpolitik, 1989-2000.

Auszug:
Das „baltische Problem“ war im
Rahmen der Ostpolitik der Bundesrepublik
Deutschland in den 1990er Jahren zweitran-
gig. Ihr ging es zunächst um die deutsche
Einheit, dann um den Abzug der Westgrup-
pe der Roten Armee sowie schließlich um
die Sicherung der eigenen Grenzen durch
die Aufnahme der unmittelbaren östlichen
Nachbarstaaten in die NATO. Da all diese
Fragen ohne Moskaus Einverständnis nicht
zu lösen waren, hat sich Helmut Kohl zeit
seiner Kanzlerschaft hauptsächlich um seine
„Männerfreundschaften“ im Kreml geküm-
mert und das Baltikum ignoriert. Es blieb vor
allem Außenminister Hans-Dietrich Genscher
überlassen, den „moralischen“ Part zu geben
und an die historischen Verpflichtungen
Deutschlands aufgrund des 23. August 1939
gerade im Baltikum zu erinnern. Sein Nach-
folger Klaus Kinkel wiederum war ein zu
schwaches Gegengewicht zum Kanzler, um
auf dem Gebiet der Ostpolitik eigene Akzente
zu setzen. Immerhin jedoch war es Kinkel,
der den Erweiterungsprozess der EU unter
Einschluss Estlands, Lettlands und Litauens
vorantrieb.


Nachtrag zu einem Kommentar. Hier ein Beispiel für die Übergänge zwischen Esten und Deutschen im 19. Jahrhundert.
Die Familie Poom lässt ihre Tochter konfirmieren. Sie suchen bewusst den Kontakt mit deutschen Kreisen, hier über die Kirche. Dadurch werden sie umbenannt zu Bohm.

6 Kommentare:

  1. Jetzt also auch in diesem Blog: Die Diskussion um das Deutsche in Estland, die Giustino mit einem - wie ich finde - antideutschen Akzent eröffnete.
    Darf ich darauf verweisen, daß der Balten-Deutsche in Estland sich nicht als Deutscher im Sinne des Nationalismus, wie er in Deutschland im 19. Jahrhundert hervorbrach, verstand. Er war loyaler Untertan des russischen Zaren und hatte mit den Deutschen in Deutschland nur die Kultur gemeinsam (Das erste Schillerdenkmal überhaupt wurde auf einem Herrenhof in der Nähe von Haapsalu errichtet, auf dem Friedhof von Haapsalu kann man auch die Gräber derer von Knorring sehen, die Inschriften sind aber kyrillisch.)Das, was den Balten-Deutschen charakterisierte, war nicht seine nationale Identität, sondern sein sozialer Rang: Er gehörte zur Oberschicht und war den "Undeutschen" (das waren die Esten) überlegen. Allerdings war es damit in den zwanziger Jahren nach der Enteignung durch die estnische Republik vorbei, was erstaunlicher Weise die meisten Balten-Deutschen dann doch irgendwo als zeitgemäß empfanden. Die Auswanderung nach Deutschland war relativ gering.
    Die "Heimholung ins Reich" von 1939 ist von keinem der ins Warthegau Evakuierten als "Heimholung" verstanden worden - die Balten-Deutschen waren eben doch keine "echten" Deutschen.
    Und eben deswegen ist für einen normalen heutigen Deutschen die Geschichte der sozialen Oberschicht im alten Estland unter russischer Herrschaft auch kein Teil der deutschen Geschichte, mit der er sich irgendwie auseinandersetzen müßte. Und genau das ist der Denkfehler von Giustino gewesen.
    CJCi

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  2. Ich verstehe Giustinos Post mehr als eine kleine Provokation. Die Erfahrung ist ja, dass mit dem Bergriff "Deutsche" in Estland, eine Geschichtsvereinfachung stattfindet. Und viele Juengere in Deutschland von den alten Verhaeltnissen so gut wie nichts wissen.
    Und wenn ein grobes Bild ueber die Vergangenheit vorhanden ist, so bleiben doch wichtige Unterschiede. Zum Beispiel hat es einen Ordensstaat im Heiligen Roemischen Reich nicht gegeben. Und richtig, deutsche Geschichte im modernen Sinn beginnt selbst hier fruehestens vor 200 Jahren. Das Beispiel mit der Schuelerin habe ich oben auch deshalb gewaehlt, weil sie eben nicht aus einer deutschbaltischen Oberschichtfamilie stammt und nicht in das allgemeine Raster passt.

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  3. "kleine Provokation" - nun ja, ich fand es einfach nur dumm und habe mich geärgert.
    Ja, vieles fällt natürlich aus dem allgemeinen Raster. Meine Familie ist im prinzip rein estnisch. Von zwei Brüdern hat der eine 1905 wutentbrannt das Herrenhaus des deutschen Baron gestürmt, der andere hingegen hat dafür gesorgt, daß seine Kinder deutsch wurden (deutsche Schule usw. usw.), um den sozialen Aufstieg zu schaffen, was in der Tat auch gelang.(Der erste Bruder wurde natürlich erschossen.)Und so bin ich dann schließlich zum deutschen Staatsbürger geworden.

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  4. Das passt auch ganz gut zu den Zahlen der deutschen "Umsiedler" 1939, die auch erst eingebürgert werden mussten. Wenn ich mich nicht irre, war die Zugehörigkeit zum deutschen Kulturbund ausschlagebend, was nicht unbedingt mit der nationalen Zugehörigkeit in Estland übereinstimmen muss. Ich füge oben noch ein Dokument hinzu, das zeigt, wie verschwommen die Grenzen zwischen Esten und Deutschen häufig waren. Es handelt sich um eine Konfirmationsurkunde auf Deutsch (Unterricht war auf Deutsch) für eine Estin in der Mitte des 19. Jahrhundert.

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  5. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  6. Mit der Gründung der 1. Estnischen Republik hat sich der Geschmack der estnischen Namensgebung verändert. Alle wollten estnische Nachnamen haben, so wurde in meiner Familie aus Schömberg Soonpere.

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