Freitag, Juli 08, 2005

Von Tartu nach Osnabrück - Die neuzeitlichen Hansetage


Die Hansetage kommen nach Deutschland. Jedes Jahr darf ein Mitglied des ehemals mittelalterlichen Städtebunds die moderne Form des gemeinsamen Treffens veranstalten. Anfang Juli hatte Tartu unter großem Andrang die "hansapäevad" durchgeführt, örtliche Zeitungen berichten von über 100 000 Besuchern in wenigen Tagen. Am Ende wurde die Hanseflagge dem Osnabrücker Oberbürgermeister Fip überreicht.(NOZ-Zeitungsausschnitt 8.Juli) Posted by Picasa
Osnabrück bezeichnet sich auch als Friedensstadt. Der Hintergrund für diese Selbstbeschreibung sind die Verhandlungen zur Beendigung des Dreißigjährigen Krieges, die in Münster und Osnabrück stattfanden. Was aber den Westfalen, jetzt Niedersachsen, heutzutage weniger bewusst ist: Auch damals gab es zahlreiche Verbindungen ins Baltikum. Einmal durch die Siedlungsbewegung im Mittelalter, mit der viele Westfalen nach Livland abwanderten. Viele Familiennamen lassen sich in diesen Jahrhunderten dort mit Osnabrücker Namensvarienten finden, nicht wenige werden, als Kaufleute z.B., indirekt durch die Hanse in Kontakt mit der alten Heimat gestanden haben.
Die nächste Klammer zwischen der Ostsee und Westfalen setzten die Schweden. Sie besetzten erfolgreich Osnabrück bei ihren Feldzügen besonders gegen die kaiserlichen Truppen. Schweden war klein, mit einer Millionen Einwohner, aber Großmacht. Und das bedeutete: Sie rekrutierten auch Finnen, wahrscheinlich auch Esten und Letten. Zu diesem Aspekt des Dreißigjährigen Krieges liegen noch viele unerforschte Dokumente im Reichsarchiv in Stockholm. Ein Aufsteiger im schwedischen Militär war Erich Andersson Trana aus Karelien, Generalkommissar von Livland und Kriegskommissar von Estland. Teilweise auch zuständig für die Belagerung von Osnabrück. Hier aus dem Briefwechsel mit dem schwedischen Reichskanzler im Jahr 1633:
...Am 14. erst kamen die Mörser von Hameln, mit denen man die Petersburg [eine Festung in Osnabrück] mit Steinen bezwingen konnte. Und wurde recht nach russischer Art Tag und Nacht in einem durch mit Steinen dareingeschossen, daß die 600 Mann - ohne Frauen und Kinder-, die darin belagert waren, sich nicht anders bergen konnten, als indem sie sich erbärmlich in die Wälle eingruben. Ihr großes Glück war das schöne Wetter an all diesen Tagen, so daß sie keine Not durch Regen litten.

Historische Querverbindungen gibt es genügend, trotzdem wird es für die meisten Hansetagbesucher 2006 exotisch sein, einmal estnisches Bier in Osnabrück trinken zu können.
Die Hanse steht zur Zeit für das Verbindende in Europa. Das EU-erweiterte Europa entdeckt seine gemeinsamen Wurzeln. Aber Vorsicht. Schon bei der Hanse fängt es an. Grenzübergreifend war sie, ja, aber nur solange die eigenen Interessen zum Zuge kamen. Schon bei unserem norwegischen Nachbarn ergibt sich ein ganz anderes Geschichtsbild.

aus Baltic Sea Academy

Die Hanse als Bedrohung: Die norwegische Sichtweise
DER DEUTSCHE KERN in der Hanse hat innerhalb der skandinavischen Historiographie zu
einer gänzlich anderen Bewertung geführt. Auch hier waren im 19. Jahrhundert
nationale Bewegungen aktiv, die sich aus der Geschichte legitimierten. In der
nationalisierten Sicht galt die Hanse in den skandinavischen Ländern vor allem als
deutsche Bedrohung. Mit Dänemark führte die Hanse lange Zeit erbitterte
Auseinandersetzungen. Daher fand die Idee von Björn Engholm, eine Kooperation im
Ostseeraum „Neue Hanse“ zu nennen, nur bedingte Begeisterung.
Gerade in Norwegen, das erst 1905 endgültig von Schweden unabhängig wurde,
wurde die Hanse in der nationalen Geschichtsschreibung als Bedrohung interpretiert.
Nach 1945 nahmen diese Deutungen zu, da die deutsche Besatzung während des
Zweiten Weltkrieges Anlass war, die Hanse als Kontinuität des deutschen
Expansionsstrebens zu interpretieren. Da Hansekaufleute im Spätmittelalter den
Außenhandel Norwegens weitgehend kontrollierten, wurden sie dafür verantwortlich
gemacht, dass norwegische Kaufleute kaum Fernhandel betreiben konnten. Daher habe
sich kein starkes norwegisches Bürgertum herausbilden können, das schon früher die
norwegische Unabhängigkeit erkämpft hätte. Ebenso wurde die Kreditvergabe an die
norwegischen Bauern und die damit einhergehende häufige Verschuldung als
Ausbeutung der norwegischen Bevölkerung gesehen.
Neuere Forschung hingegen betont, dass die Hanse mit ihrer Monopolstellung auch
positive Effekte auf die Entwicklung Norwegens gehabt habe. Dazu gehöre der starke
Einfluss der niederdeutschen Sprache auf das Norwegische, die kulturellen
Verbindungen nach Europa, die mit dem Hansehandel aufgebaut wurden, und die
gesicherte Abnahme des Stockfisches, damals Hauptexportprodukt Norwegens. Diese
Neuinterpretation der Geschichte trägt zum Teil Züge einer „nationalen
Umkehridentifikation“: Waren bisher nationale Deutungen vorherrschend, wird nun
eine Europäisierung versucht, die manche Konflikte, die das Wirken der Hanse immer
auch geprägt haben, harmonisiert.

Aber bleiben wir bei den positiven Entwicklungen. Wer hätte vor 15 Jahren gedacht, dass die Stellungnahme eines Osnabrücker Oberbürgermeisters in Tartu in Estland von Bedeutung sein könnte? Und das liest sich dann in der Zeitung Postimees so:

Hans-Jürgen Fip
Osnabrücki linnapea
«Tartus olid väga head hansapäevad. Kui me suudame Tartu taset säilitada, oleme juba päris hästi hakkama saanud. Kuid see on keeruline ülesanne, sest arvatavasti pole meil isegi ilm nii hea nagu teil.»

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