Montag, Oktober 31, 2022

Denk mal, ach denk doch mal ...

Während internationale Medien zur Zeit vornehmlich über den Abriss von Denkmälern in Estland berichten - vor allem solchen, in denen eine Verherrlichung von Sowjetideologie gesehen wird - werden in Estland auch Denkmäler neu errichtet. Granit aus Schweden und China wurde verarbeitet vom estnischen Künstler Vergo Vernik, der zusammen mit dem Architekt Toivo Tammik für sein Kunstwerk "Kopf des Staates" verantwortlich zeichnet, dass am 21. Oktober 2022, nach mehrfachen Terminverzögerungen, in Tallinn eingeweiht wurde, und das an Ex-Präsident Konstantin Päts erinnern soll.

Offenbar sind auch darüber nicht alle begeistert. "Hier ist so gut wie alles falsch!" - mit diesem drastischen Urteil wird in der estnischen Presse Kunsthistoriker Gregor Taul zitiert. Er habe in seiner Ausbildung gelernt, meint Taul, der Unterschied zwischen einem Denkmal und einer einfachen Skulptur liege darin, dass an der Stelle des Denkmals etwas passiert ist und genau an diese Stelle erinnert wird. Taul erwähnt die ebenfalls neu errichtete Skulptur zu Ehren von Jaan Kross als besseres Beispiel - denn Kross habe ja wirklich in der Nähe des jetzigen Denkmal-Standortes gelebt. Und er weist darauf hin, dass es wohl eine sehr alte Tradition der Menschen sei, mit dem Aufstellen von Denkmälern sozusagen "ihr Territorium zu markieren". 

Zudem sei es gegenwärtig allgemeine Praxis, meist nur Männern durch Denkmäler zu gedenken. Offenbar konkret untersucht hat Gregor Taul das Beispiel Dänemark: dort seien von insgesamt 2500 Skulpturen ganze 2400 Männern gewidmet, dazu noch 50 sogar Tieren. Bezüglich des nun in Tallinn platzierten Riesenkopfes zum Gedenken an Päts hält Taul auch den Ort für fragwürdig: "Vielleicht in Viimsi", meint er, "dort neben dem Kriegsmuseum. Aber direkt neben dem Theater? So ein wuchtiger Kopf?" (ERR) Auch Mart Kalm, Rektor der Estnischen Akademie der Künste, war schon mit einer Äusserung zitiert worden, das Werk stelle "keine große Leistung aus Sicht der estnischen Kunst" dar. Aber es sei eben ein sehr einflussreicher Teil der estnischen Gesellschaft gewesen, der sich für ein Gedenken an Päts eingesetzt habe. Und so, wie das Denkmal jetzt aussähe, sei es eben auch als Kompromiss zwischen verschiedenen Interessengruppen zu sehen (ERR).

Es gibt aber weitere bekannte Persönlichkeiten, die sich zu dem Thema bereits öffentlich äußerten (fast durchweg Männer offenbar). Anders Härm, ebenfalls Kunsthistoriker, meint man habe eigentlich doch das beste aus den Vorschlägen des durchgeführten Wettbewerbs ausgesucht. - Dem entgegnet Erkki Bahovski, Journalist und Herausgeber der Zeitschrift "Diplomaatia": "Mich erinnert dieses Denkmal an faschistische Hauptquartiere, wo immer das Bild von Benito Mussolini hing" (ERR). Kunsthistorikerin Alexandra Murre wiederum prognostiziert, in einigen Jahren werde man sich an den Denkmal-Kopf gewöhnt haben, der heute vielleicht einfach noch recht grob gemeisselt aussähe (ERR).

Am Morgen des 31. Oktober, also "pünktlich zu Halloween", könnte man sagen, versahen dann Unbekannte den Denkmalskopf mit Zorro-Maske und Bandera-Kopftuch - eine Verzierung, die von den Behörden schnell wieder entfernt wurde (ERR)

Das neue Denkmal, auch dem 100.Gründungstag der Republik Estland gewidmet, soll erinnern an Konstantin Päts (1874-1956), der als einer der bedeutensten Politiker der Zwischenkriegszeit, also der ersten Periode der estnischen demokratischen Republik, angesehen wird. Er wurde von den Sowjetbehörden nach Sibirien deportiert und starb dort 1956. Doch manche sehen in der Figur Konstantin Päts auch Wiedersprüche der estnischen Demokratie. "Ich denke, es gibt zu viel Romantik heute bei der Betrachtung der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg" so sagt es Historiker Igor Kopõtin (ERR). "Die Rolle von Päts für die estnische Geschichte ist zumindest kontrovers". Er spielt auch darauf an, dass Päts, bis dahin mehrfach Regierungschef und Minister, am 12. März 1934 ein autoritäres Regime errichtete. 1938 wurde er dann zum Präsidenten gewählt. Manche nennen Päts daher "Diktator von Estland", andere heben eher hervor, dass er im Volk sehr beliebt gewesen sei.

Bereits vor zwei Jahren wurde auch im Toila Oru Park in Ida-Virumaa ebenfalls ein Denkmal für Konstantin Päts eingeweiht. Dort hatte Päts eine Sommerresidenz. (ERR) Auch in der Nähe des Geburtsorts von Päts, heute zur Gemeinde Tahkuranna gehörend (südlich von Pärnu), befindet sich bereits ein Päts-Denkmal - es ist eine Wiederherstellung eines 1940 zerstörten Monuments. Und wer in Rakvere sich befinden sollte, kann ebenfalls "Päts" genießen - ganz kulinarisch, denn hier ist es der Name eines kleinen Restaurants.


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