Dienstag, Mai 04, 2021

Seltener Kirchgang

Es gibt ja verschiedene Ansichten, ob Estland ein christliches Land ist. Zu Zeiten frisch errrungener Unabhängigkeit, Anfang der 1990iger Jahre, wurde es denjenigen ohne jede Landeskenntnis meist so erklärt: Litauen ist katholisch, Lettland und Estland evangelisch-lutherisch. 

Das Kirchengebäude von Tõrva - im Krieg stark beschädigt,
zu Sowjetzeiten eher als Lager genutzt, heute vor allem
Ort vieler Kulturveranstaltungen

Laut estnischen Denkmalschutzbehörden gibt es noch etwa 450 alte Kirchen ist Estland. Aber es gibt unterschiedliche Perspektiven: die lutherische wie die orthodoxe Kirche in Estland wiesen dem Staat die Schuld zu, dass viele dieser Kirchen mehr oder weniger stark renovierungsbedürftig sind - verlottert und vernachlässigt zu Sowjetzeiten. Soll also auch der Staat die Renovierungskosten bezahlen? 

Kirche und Staat sind in Estland bereits seit 1920 getrennt - und nicht erst seit Sowjetzeiten. Das wiederum wäre ein gutes Argument auch der Kirche die Verantwortung für die Instandhaltung der Gebäude zu überlassen. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Kirchengemeinden in Estland auch Eigentümer der Kirchen - aber die Zahl der Kirchgänger/innen geht ständig zurück. Gemäß einer Untersuchung des "Eesti Uuringukeskus" ist die Anzahl derjenigen Menschen im Alter zwischen 15 und 74 Jahren, die sich in irgendeiner Form als "religiös" bezeichnen, in den letzten fünf Jahren von 20% auf 19% zurückgegangen (ERR). Erzbischof Urmas Viima versucht es postiv zu sehen: immerhin hätten ja 63% ausgesagt dass sie sich dem Christentum "nahe" fühlen.

Als Atheisten bezeichnen sich inzwischen 9% der Estinnen und Esten. Die Zahl derjenigen, die an keinerlei Gottheit irgendwelcher Art zu glauben angeben, ist von 44% auf 31% gesunken. Damit ist aber auch gleichzeitig klar: niemand könnte ganz selbstverständlich behaupten, die Mehrheit der Menschen in Estland seien gläubige Christen. 69% sagen sogar ganz klar, dass sie im Untersuchungsjahr 2020 nie einen Gottesdienst in der Kirche besuchten hätten - 15% geben die Anzahl der Kirchbesuche auf ein- oder zweimal an. 

Immerhin befürworteten 62% aller estnischsprachigen Einwohner/innen Estlands eine am Christentum orientierte Erziehung in den Schulen (bei den Russischsprachigen 48%). 

Ganz neu ist das Projekt der "offenen Kirchen", die jetzt durch eine eigene Internetseite erkundbar gemacht wurden. Aber das bringt vielleicht eher Pluspunkte auf der touristischen Seite, und die Gemeindepfarrer/innen werden diese Gäste wohl weiterhin nur um Spenden bitten können - zu bezahlten Tourismusführer/innen werden sie sicher nicht werden. 

Übersicht zu Kirchen in Estland

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