Da ist es doch günstig, dass auch Estlands zweite große Stadt Tartu filmisch etwas zu bieten hat: neu in deutschen Kinos ist nun "der Geheimbund von Suppenstadt" zu sehen, ein Film der in Tartu spielt und diese schöne, alte Stadt im besten Lichte zeigt. Unabhängig von der Meinung, die Kinder sich bilden werden - das eigentliche Zielpublikum - ist vielleicht jetzt schon klar, welche Bilder aus diesem Film den Zuschauern am meisten im Gedächtnis bleiben werden: fröhliche, radfahrende Kinder im romantisch wirkender, sonnendurchflutender Umgebung, zwischen wild wuchernden Gärten und bunten Holzhäusern. Ein Film, wie ihn sich Bürgermeister wünschen:Tartu erscheint in ziemlich bestem Licht, dank den Möglichkeiten von kamerabestückten fliegenden Drohnen und digitaler Filmtechnik.
Schade, dass der Film sich in seiner deutschen Fassung so gar nicht am Estnischen orientiert: würde doch auch ein Name wie "Supilinn" für Kinder recht lustig wirken. Deutsch synchronisiert aber wirken auch alle Kinderpersönlichkeiten ein wenig eingedeutscht, und über den eigentlichen Hintergrund der Bezeichnung "Suppenstadt" erfährt der Kinobesucher leider nichts (viele Straßennamen wie Suppenzutaten: Kartoffel-, Kürbis-, Erbsen-, Sellerie-, oder Kohlstraße). Manchmal ist auch zu vermuten, dass die estnischen Originaldialoge weitaus frischer waren als die synchronisierte Fassung, wo Sätze vorkommen als seien sie von vorbildlichen Eltern geschrieben: "Opa, ich bins, mit meinen Freunden!"
Doch zur Story des Films. Wieder einmal ist es ein Versuch, die Welt der Kinder mit derjenigen der Erwachsenen zu spiegeln: wie wäre es denn, wenn mal die Erwachsenen wild und ungestüm herumspringen würden, seltsame Laute ausstoßend? In der romantischen Suppenstadt, wo es viele abenteuerliche Ecken zum Radfahren und Verstecken, aber auch eine Open-Air-Bühne für Theateraufführungen gibt, geht ein mysteriöser Maskenmensch umher, der seltsame Mixturen in die Getränke der Erwachsenen mischt, wodurch sie kindisches Gebahren annehmen und sogar mit dem Tode bedroht sind. Wohl dem, der einen schlauen Opa hat! Tiit Lilleorg, in Estland bereits bekannt aus vielen Filmen und vom Theater Vanemuine in Tartu, spielt diesen Großvater Peeter eindrucksvoll und glaubwürdig (immer gut, wenn so ein Großvater von eher kleiner Statur ist, und die Kinder nicht weit überragt). Diese Kinder haben Smartphones, und schauen auch mal im Internet nach wenn sie etwas nicht wissen - aber dieser Opa arbeitet nicht nur mit Laptop, seine Werkstatt hat etwas von einem Daniel Düsentrieb, und spätestens wenn die Kinder dort angekommen sind, scheint das Abenteuer sicher. Doch Sadu (Arabella Antons), Olav (Hugo Soosaar) und Anton (Karl Jakob Vibur), die drei Freund/innen der Hauptheldin Mari (Olivia Viikant), wollen anfangs nicht so recht glauben an verborgene Schätze, die mittels Mari's Rätselaufgaben (vom Opa erdacht) gefunden werden sollen. Vielleicht haben auch die Zuschauer ihre Schwierigkeiten, in die Geschichte reinzufinden: die estnischen Namen klingen doch recht ungewöhnlich, und werden erst im Laufe der Geschichte irgendwo mal erwähnt, wo es der Lauf der Ereignisse irgendwie erlaubt. Identifikationsfigur wird also bei diesen estnischen Detektivgeschichten, die man auch für eine Variation der "drei Fragezeichen" halten könnte (wo aber nur Jungs auftreten), eher Mari sein - im richtigen Leben ein Mädchen von 10 Jahre aus Tallinn (Lieblingsfilm: die Vampirtagebücher).
Der Film beginnt recht schwungvoll mit einer Art Straßenfest in der Suppenstadt, untermalt von der estnisch-ukrainischen Band SVJATA VATRA, die zum Tanz aufspielt. Mari's Vater dagegen deutet an, dass im realen Supilinn in Tartu heute niemand mehr sagen würde "der letzte Slum Estlands" (Atlas obscura): Open-Air-Ballett wird wohl nicht in jedem Stadtteil geboten - und auch Tartus Vorstadt ist ja real bereits auf dem Weg zum "In-Viertel" einer jungen, gut verdienenden Generation.
Der weitere Verlauf der Geschichte wird dadurch geprägt, dass der schlaue Opa Peeter leider ebenfalls vom falschen Getränk nascht und vorerst handlungsunfähig in Krankenhaus muss, der Maskenmensch sich aber mit einer unsympatischen anderen Kinderbande verbündet, denen er Geld und Geschenke verspricht, wenn sie etwas gegen Mari und ihre drei Freunde unternehmen. Vor allem der Schluß enthüllt noch einmal eine überraschende Wendung dadurch, dass die Enttarnung des Maskenmensches auf einmal ganze neue Zusammenhänge enthüllt.
Falls die Fans des Supilinn-Films noch ein wenig drängen - es gäbe noch mehr Kinderbücher von Mika Keränen (zu verfilmen, oder ins Deutsche zu übersetzen) |
5800 estnische Kinder wurden für diesen Film angeblich gecastet - und eine stattliches Budget von 1,14 Millionen € verbraucht. Die Stadt Tartu hatte kürzlich eine eigene regionalen Filmstiftung gegründet, mit einem Budget von 150.000 Euro jährlich. Der Suppenstadt-Film war einer der ersten Projekte dieser Stiftung, gefördert aus dem Budget für 2014 und 2015, und abgewickelt vom Zentrum für kreative Industrie (TCCI). Sponsoren aus der Wirtschaft gibt es ebenfall, und es scheint klar, was hier angeboten wird: im Film gab es eine eigene Sequenz mit einem Paketwagen der DHL - da freut sich die Firma.
In Estland sahen den Film bisher über 90.000 Kinogänger (der zweiterfolgreichste estnische Film des Jahres 2015, nach "1944").
Die Geschichte basiert auf dem Buch des finnisch-estnischen Schriftstellers Mika Keränen, der in Helsinki geboren wurde und Estnisch an der Universität Tartu studierte. Seit 2008 schreibt Keränen Kinderbücher. Dem Suppenstadt-Kinderfilm also zunächst einmal viel Erfolg - vielleicht verbunden mit dem Wunsch, die deutsche Synchronisation könnte nächstes Mal ruhig ein paar estnische Wörter behalten - denn die "Suppenstadt" ist ja eben nicht bloß als Filmkulisse erschaffen worden, sondern gibt es im realen Leben ja auch.