Vorbei sind die Zeiten, in denen Deutsche ruhig Estland und Island verwechseln konnten - damals merkte es niemand. Die Republik Estland hat inzwischen ihren Platz gefunden in der Europäischen Union, die Geographie des Landes ist inzwischen auch in deutschen Schulen Lehrstoff geworden, und gerade die Jugend hat schon vom frei zu nutzenden Internet in Estland gehört, dem inzwischen viele Länder und Städte nacheifern. Nun könnte es noch einen Schritt weiter gehen: eh man sich versieht, steht der Este gleich vor der eigenen Haustür!
Gemeint ist er: der noch namenlose, selbstfahrende Roboter in Kniehöhe, den die estnische Firma "Starship" jetzt, in Kooperation mit Mercedes, in Deutschland zur praktischen Anwendung bringen will. In Düsseldorf startet das Projekt ab sofort in eine Testphase - unter zwei Bedingungen: fahren nur bei Tageslicht, plus Begleitperson zur Überwachung (Neue Westfälische). Der Logistikkonzert Hermes kündigte weitere Tests in Hamburg an.
Dahinter steckt unter anderem Ahti Heinla, der vor einigen Jahren "Skype" mit entwickelte und dort 2008 ausstieg. Schon vor einem Jahr erzählte er der FAZ: "Wir sind dazu gekommen, weil die NASA etwas selbstfahrenes zur Sammlung von Gesteinsproben auf dem Mars sucht. Diesen Wettbewerb haben wir nicht gewonnen - und fanden statt dessen eine Geschäftsidee für die Erde."
Auf der Erde - in Deutschland - angekommen, sucht sich also nun dieser selbstfahrende Este seinen Weg durch deutsche Vorstädte. Im heimischen Estland könne das System noch nicht funktionieren - es gäbe dort nicht die erforderliche Qualität an digitalen Karten, meinen die Erfinder. Zu den Einsatzorten gebracht werden die neunäugigen Geräte (es gibt neun Kameras) von speziell dafür gebauten Auslieferungsfahrzeugen von Mercedes. Bis zu 10kg Tragfähigkeit soll es haben. Angeblich soll es 10.000 Testkilometer absolviert haben - doch falls die Wege dabei so peinlich eben, sauber und frei von konkurrierendem Verkehr gewesen sind wie in den Werbeclips zu sehen, wird die Praxistauglichkeit zumindest in Deutschland offen bleiben müssen.
Da darf man doch gespannt sein, wie sich so ein Gerät mal zwischen von Fußgängern überfüllten Bürgersteigen, dem deutschen Radwegsystem, oder auf Kopfsteinpflasterstraßen benehmen wird. Rechtlich sicherlich eine erneute Streitfrage: wer hat Vorfahrt? Darf ich den Marsroboter stoppen, in dem ich einfach mein Bein davorstelle? Was mache ich, wenn mein Hund agressiv wird angesichts solcher Gebilde? Angeblich sind die Geräte mit einem Lautsprecher ausgestattet, so dass sich dann ein Mitarbeiter meldet. Eigentlich sehe ich persönlich mit Freuden meiner ersten Begegnung entgegen, so gesehen. Es wird bestimmt witzig.
Die nächste Frage ist vielleicht: was macht der Fahrer des Spezial-Mercedes-Van eigentlich, während die Auslieferungs-Roboter unterwegs sind? Unbezahlte Zwangspause? Büroarbeiten per Smartphone? Vielleicht bekommt er kostenlose Gelegenheit, mit seiner Familie zu skypen? Vielleicht wünscht er sich auch einen kräftigen, jungen (menschlichen) Laufburschen, den er mal schnell ausliefern schicken kann? Und wird es bald zusätzlich zu den Straßen, Geh- und Radwegen auch noch Auslieferungsstreifen geben müssen, damit die ferngesteuerten Kästen nicht einfach aus Verzweiflung einfach stehen bleiben, wenn mal zu viel los sein sollte auf ihrem Weg?
Solche Sorgen werden sich die Starship-Erfinder vermutlich nie machen; es wäre nicht erstaunlich, wenn sie wieder rechtzeitig die Idee an große Konzerne verkaufen ...
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